„Ich dachte schon, ich finde gar nichts mehr“

Ein Beispiel aus dem Samariterkiez in Friedrichshain-Kreuzberg, 2019

Verfasst von Anneke Lipinski

Friedrichshain-Kreuzberg zählt neben Mitte und Charlottenburg-Wilmersdorf zu den beliebtesten Bezirken in Berlin (1). 2019 lebten 290.386 Menschen in diesem Bezirk (2). Bei einer Gesamteinwohnerzahl von 3.669.491 Personen in Berlin beträgt dieser Anteil damit knapp 7,9% (3). Mit einer Fläche von 20,4 km2 zählt Friedrichshain-Kreuzberg zum kleinsten, aber zugleich auch bevölkerungsdichtesten Bezirk in Berlin (4)

Friedrichshain-Kreuzberg ist ein recht junger Bezirk. Zahlen von 2019 geben an, dass 16,8% der EinwohnerInnen unter 20 Jahren alt sind, der größte Teil der Bevölkerung ist zwischen 20 und unter 40 Jahren alt (41,2%). 2019 betrug das Durchschnittsalter im Bezirk 38,2 Jahre, berlinweit lag das Alter bei 42,8 Jahren (5)

Etwa 85% aller Wohnungen in Berlin sind Mietwohnungen. Berlinweit gibt es 1.906.400 Wohnungen, davon 1.638.800 zur Miete (6). 2018 lebten knapp 1,47 Mio. Haushalte zur Miete, der Großteil davon als Einpersonenhaushalt (53,0%) gefolgt von Zweipersonenhaushalten (28,3%) (1). In Friedrichshain-Kreuzberg ist der Anteil der Einzelpersonenhaushalte noch höher. Im Jahre 2019 lebten 61,2% der BezirkseinwohnerInnen alleine (4)

Die Medianmiete für ganz Berlin lag 2019 bei 10,45 EUR/m2. Die durchschnittliche Miete in Friedrichshain-Kreuzberg lag bei 13,01 EUR/m2 und war somit überdurchschnittlich hoch. Zudem stieg dieser Mietzins in Friedrichshain-Kreuzberg im Vergleich zu 2017 um 8,9% an, berlinweit um 6.9%  (1,4). Damit eine Wohnung als “leistbar” gilt, darf die Gesamtmiete maximal 30% des Netto-Haushaltseinkommens betragen. Gerade für Haushalte mit niedrigem Einkommen sind viele Wohnungen deshalb nicht leistbar und die Anzahl der verfügbaren Wohnungen wird immer geringer (7). Das mittlere monatliche Pro-Kopf-Einkommen (Netto) lag 2017 in Friedrichshain-Kreuzberg mit 1.250€ knapp über dem Berliner Durchschnittseinkommen von 1.225€. Dabei unterscheiden sich Personen mit Migrationshintergrund (875€) in ihrem Einkommen stark von den Personen ohne Migrationshintergrund (1.400€) (4). Vor allem für Einpersonenhaushalte sind die Angebote an kleinen und bezahlbaren Wohnungen sehr rar, was im starken Kontrast zu der hohen Anzahl an Einpersonenhaushalten steht (7,8).

Durch zunehmende Mietmarkt-Spekulationen, Privatisierung von Wohnungsraum und stetig steigender Nachfrage steht Berlin inzwischen vor einer “Wohnungskrise” und es wird immer schwieriger für Menschen, leistbaren Wohnraum zu finden. Durch steigende Mieten müssen MieterInnen auf immer mehr Wohnfläche verzichten oder werden in die Randbezirke verdrängt, da sie sich die Mietpreise innerhalb des Berliner S-Bahn Rings nicht mehr leisten können oder erst gar keine leistbaren Angebote finden (7).

Doch was bedeutet dies für die tatsächliche Wohnungssuche im Jahr 2019?

Im Juli 2019 begab sich die zu dem Zeitpunkt 23-jährige Studentin Luise auf die Suche nach ihrer ersten eigenen Wohnung (9). Sie studierte seit vier Jahren Psychologie in Berlin und hatte seit ihrem Zuzug in die Hauptstadt in drei WGs in verschiedenen Bezirken Berlins gewohnt und wollte nun in einer eigenen Wohnung für sich mehr Ruhe und Zeit für das Studium haben. “Irgendwann ist mir das alles zu viel geworden. Zu viel Lärm, meine Mitbewohnerin in der letzten WG war echt chaotisch und ziemlich egoistisch. Man musste sich ständig nach ihr und ihren Launen richten. Und wirklich zuhause hab’ ich mich da auch nicht mehr gefühlt. Noch eine neue WG wollte ich aber auch nicht mehr. Da hab ich mir gedacht: Warum nicht alleine wohnen, wenn ich etwas finde, das ich mir leisten kann.”Nach intensiver Suche über fast zehn Woche, vielen, oft spontanen, Besichtigungsterminen und etlichen Absagen fand die Studentin Ende Oktober schließlich eine ca. 33 m2 große Ein-Zimmer-Wohnung im Samariterkiez in Friedrichshain. Die Wohnung befand sich im Erdgeschoss eines um 1910 entstandenen Altbaus. Auch wenn die Straße ein wenig heruntergekommen wirkte, so waren das Wohnhaus und die Innenhöfe in einem gepflegten Zustand. “Ich war erstmal ein bisschen vorsichtig, als ich das Angebot gesehen habe. Die Bilder von der Wohnung sahen zwar echt super schön aus, der Preis hat gestimmt und den Samariterkiez fand ich auch toll. Witzig war, dass ich zu dem Zeitpunkt quasi um die Ecke gewohnt habe in meiner WG und den Kiez echt geliebt habe. Aber Erdgeschoss als Frau alleine war so eine Sache. Da müsste die Wohnung dann schon echt stimmen, dass mich das überzeugt. […] Als ich die Wohnung dann bei der Besichtigung gesehen hab, war ich echt begeistert. Die war zum Glück im Hinterhof und nicht nach vorne raus zur Straße. Da war Erdgeschoss also kein Problem. Es war zwar was dunkel, aber die Wohnung war schön geschnitten und hatte sogar eine Küche drin. Das hat mir wirklich gut gefallen.” Die Wohnung verfügte über ein getrenntes Schlafzimmer, sowie ein Bad mit Badewanne und einer eingebauten voll ausgestatteten Küchenzeile mitsamt Kühlschrank und Herd. Einschließlich Nebenkosten betrug der monatliche Warmmietpreis knapp 490€ und lag damit genau im Budget der Studentin von bis zu 500€ warm. Mit einem Quadratmeterpreis von ca. 11,80€ Kaltmiete lag die Wohnung für ihre Lage sowie Größe und Ausstattung im oberen Preisrahmen der Mietspiegeltabelle 2019 (6).

Foto von Valeria Farina (c)

Nach der Besichtigung reichte Luise alle entsprechenden Unterlagen bei der Hausverwaltung ein. Eine Bürgschaft ihrer Eltern konnte sie ebenfalls einreichen. “Ich bin echt dankbar für meine Eltern. Die hatten zum Glück kein Problem damit, dass sie für mich die Bürgschaft übernehmen. Ohne die beiden hätte ich mir die Wohnung sonst niemals leisten können und hätte auch niemals die Nachweise gehabt, die man so braucht.” Zwei Tage nach der Besichtigung bekam die Studentin dann den Anruf, dass sie die Wohnung anmieten könne. “Ich weiß noch, wie sehr ich mich gefreut habe, als der Anruf dann kam. Ich hab so lange gesucht und hatte nur Absagen. Und die Wohnung war genau das, was ich mir gewünscht habe. So ganz glauben konnte ich es in dem Moment dann noch nicht ganz, dass ich jetzt wirklich was gefunden habe.”

Gesucht habe die Studentin dabei ausschließlich nach Wohnungen innerhalb des S-Bahn Rings von Berlin, vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Mitte und Neukölln. “Ich wollte unbedingt innerhalb vom Ring wohnen, am liebsten in Friedrichshain. Ich hab die ersten zwei Jahre recht weit draußen gewohnt und das wollte ich echt nicht mehr. Dann doch lieber wieder in eine neue WG ziehen, die gut liegt.” Warum Luise vor allem in Friedrichshain leben wollte, beschrieb sie wie folgt: “Ich fand Friedrichshain schon immer den tollsten Bezirk. Hier ist immer was los, meine Lieblingsrestaurants sind hier. Sonntags gibt es hier so viele Flohmärkte. Es gibt gute Clubs und Bars und ich mag einfach die Menschen und die Stimmung hier. […] Ich war schon bei der letzten WG super froh, endlich in Friedrichshain zu wohnen und wollte hier echt ungern weg. Da hab ich mich umso mehr gefreut, dass meine jetzige Wohnung genau da ist, wo ich es am schönsten finde.” 

Die Suche beschrieb die Studentin als sehr zeitintensiv und stressig. “Ich dachte schon, ich finde gar nichts mehr und muss dann doch wieder in eine WG ziehen. Ich habe die Suchportale über Wochen wirklich mehrfach in der Stunde gecheckt, weil ich so unbedingt alleine wohnen wollte. Die Angebote, die ich mir leisten konnte, die waren oft nicht mal 10 Minuten online. Da musste man echt schnell sein. Das war echt stressig und hat mich viel Zeit gekostet und dann kam fast nie eine Antwort zurück.” Für die Suche verwendete sie ausschließlich das Portal ImmobilienScout 24. “Da gab es die meisten Inserate und ich hab da mehrfach am Tag Hausverwaltungen für Besichtigungstermine angeschrieben.” 

Wie viele Wohnungen Luise schlussendlich angeschrieben habe, wisse sie nicht mehr, aber “im dreistelligen Bereich war es auf jeden Fall.” An die Besichtigungstermine und die Anzahl der Antworten könne sie sich aber noch gut erinnern. “Insgesamt hab ich mir fünf Wohnungen angeschaut. Schön fand ich die alle und hab auch bei allen eine Bewerbung eingereicht. Die letzte Wohnung ist dann meine geworden. […] Aber es ist schon echt verrückt, was man alles machen muss, um heutzutage eine Wohnung zu bekommen. Schufa, Gehaltsnachweise, Mieterauskunft, Anschreiben. Das ist mehr, als ich jemals für einen Job oder irgendwas hab abgeben müssen und ohne Unterstützung der Eltern geht als Studentin echt nichts”, erinnert sie sich. 

Und was nimmt Luise für die zukünftige Wohnungssuche an Erfahrungen mit? “Dass die Suche Zeit braucht. Und ich vorher unbedingt alle Unterlagen zusammen haben möchte, die man dann nur noch abschicken muss. Ob ich die nächste Wohnung ohne meine Eltern bekomme, wer weiß. Ist schon ein verrückter Gedanke, so mit Ende 20 noch immer nicht auf eigenen Beinen stehen zu können. […] Aber an die nächste Suche will ich gerade noch gar nicht denken (lacht). Das wird ja vielleicht noch schwerer als die letzte.” 

Rückblickend sei Luise froh, eine Wohnung gefunden zu haben, die ihren Ansprüchen und Wünschen so sehr entsprochen hat. “Am Ende war es die Suche wirklich wert”, sagt sie. Bis heute wohnt sie gerne dort.

Fazit

Luise beschreibt ihre Wohnungssuche 2019 als sehr stressig und zeitaufwendig. Sie musste mehrere Wochen bzw. Monate suchen, bis sie eine leistbare Wohnung für sich finden konnte. Ihre Erfahrung deckt sich mit den zugrundeliegenden Fakten und Statistiken, die zeigen, dass Friedrichshain-Kreuzberg ein überdurchschnittlich teurer Bezirk ist, in dem bezahlbarer Wohnraum, vor allem für Alleinlebende, sehr rar zu finden ist. Auch wenn der Mietpreis ihrer Wohnung für den Bezirk im durchschnittlichen Rahmen liegt, ist dieser mit fast 12€/m2 gemessen an Gesamtberlin überdurchschnittlich hoch. Ohne finanzielle Unterstützung ihrer Eltern hätte Luise wahrscheinlich keine Wohnung beziehen können und hätte erneut ein WG- oder Wohnheimzimmer suchen müssen. Des Weiteren zeigt sich anhand von Luises Erfahrung, dass für alleinlebende Frauen andere Kriterien bei einer Wohnungssuche gelten, wie z.B. nicht in einer Erdgeschosswohnung zur Straße weisend wohnen zu wollen, um sich in der eigenen Wohnung sicher zu fühlen. Diese Einschränkung verringert das bereits spärliche Wohnungsangebot noch weiter.

Ihre Schilderungen der intensiven Suche, raren Angebote, fehlenden Antworten seitens der Vermieter*innen und wenigen Einladungen zu Besichtigungsterminen machen deutlich, wie angespannt die Lage im Jahre 2019 auf dem Berliner Mietmarkt war. Vor allem bei geringem Budget und dem Wunsch nach einer zentralen Lage im Berliner Ring sind die Wohnungsangebote spärlich zu finden und dabei hart umkämpft. Ebenso sind es nicht nur die finanziellen sondern auch zeitliche Ressourcen sowie Flexibilität, die eine Wohnungssuche in der Hauptstadt benötigt. Geringverdiener*innen, Alleinerziehende mit Kindern oder Personen die im Schichtdienst arbeiten werden durch diese Anforderungen bei der Suche nach passendem Wohnraum strukturell benachteiligt. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Zustand in den kommenden Jahren noch verschärfen wird, was unter anderem an der Sorge von Luise deutlich wird, wenn sie an eine zukünftige Wohnungssuche denkt. 

Literaturverzeichnis

  1. Investitionsbank Berlin: IBB Wohnungsmarktbericht 2019 – Zusammenfassung. 2019; .
  2. Einwohnerzahl der Bezirke in Berlin 2019. Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1109841/umfrage/einwohnerzahl-bezirke-berlin/ (zugegriffen 24. November 2020)
  3. Einwohnerzahl in Berlin bis 2019. Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154880/umfrage/entwicklung-der-bevoelkerung-von-berlin-seit-1961/ (zugegriffen 24. November 2020)
  4. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Friedrichshain-Kreuzberg in Zahlen. 2020. https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/ueber-den-bezirk/zahlen-und-fakten/ (zugegriffen 24. November 2020)
  5. Einwohnerinnen und Einwohner im Land Berlin am 31. Dezember  2019. : 38.
  6. Berliner Mietspiegel / Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin / Broschüre. https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/de/broschuere.shtml (zugegriffen 24. November 2020)
  7. Mietenwatch — Berlins Mietmarkt unter der Lupe. https://www.mietenwatch.de/ (zugegriffen 25. Januar 2021)
  8. Amt für Statistik Berlin Brandenburg – Statistiken. https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/BasisZeitreiheGrafik/Bas-Mikrozensus.asp?Sageb=12002&creg=BBB (zugegriffen 25. Januar 2021)
  9. S. Luise, persönliches Interview, Berlin, 29.12.2020, durchgeführt von Anneke Lipinski

15. Februar 2021 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied
Veröffentlicht unter Friedrichshain-Kreuzberg

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