Wohnen in der DDR in Ost-Berlin: Mehr Miteinander als Nebeneinander

Für mein Interview werde ich eine Person befragen, welche aus der ehemaligen DDR stammt.
Diese ist im Jahr 1989, also noch zu DDR-Zeiten, in seine heutige Wohnung am Arkonaplatz in
Berlin Mitte-Mitte gezogen. Um seine Anonymität zu wahren, wird die Person im Text als „Herr Thalschmidt“ bezeichnet.
Allgemein ist bekannt, dass es zu DDR-Zeiten einen erheblichen Mangel an Wohnraum gab
(Kabisch et al., 2004). Primär wurde bei der Errichtung von Wohnraum auf Neubauprojekte, den
sogenannten „Plattenbau“, gesetzt. Diese Wohnsiedlungen entstanden häufig auf bis dato
unbebauten Gebieten in der Peripherie großer Städte, aber auch in kleineren Städten und
Dörfern- überall dort, wo ein Mangel an Wohnraum herrschte und Unterkünfte benötigt wurden
(Interview mit Herrn Thalschmidt, 2021). Die neuentstandenen und genormten Wohnungen boten
dabei mit Bad, Einbauküche, Fernwärme, fließend warmem Wasser u. a. im Vergleich zu den
Altbauwohnungen relativ viel Komfort und waren dementsprechend in der Bevölkerung sehr
begehrt.
Die Konzentration auf die Neubausiedlungen und die Industrialisierung der Bauwirtschaft
führten dazu, dass die innerstädtischen Altbaugebiete weitgehend dem Verfall preisgegeben
wurden. Als eine Folge davon entstand das sogenannte
„Schwarzwohnen“. Das „Schwarzwohnen“ war eine seit Anfang der 1970er Jahre sehr häufig
praktizierte Form der individuellen Selbsthilfe der DDR-Bürger:innen. Überwiegend jüngere
Menschen, welche auf dem staatlichen Wohnungsmarkt sehr schlechte Chancen auf eine eigene
Wohnung hatten, organisierten sich hier baufällige Wohnungen, oftmals in Altbaugebieten, um ein
eigenständiges Leben zu führen. Mit einer „Hausbesetzung“ westeuropäischen Stils hatte das in den
meisten Fällen jedoch wenig zu tun (Grashoff, 2011). Häufig werteten diese jungen Menschen die
Häuser und Wohnungen in Eigenregie durch einfache handwerkliche Tätigkeiten, wie
beispielsweise dem Abdichten undichter Dächer, auf. Bei einer staatlichen Kontrolle im Jahr
1979 wurden insgesamt 534 besetzte Wohnungen allein im Stadtbezirk Friedrichshain
festgestellt (Grashoff, 2011). Im Jahr 1987 wurden im Prenzlauer Berg 1270 ungeklärte
Mietverhältnisse ermittelt (Grashoff, 2011). Die Altbauten waren, wie oben beschrieben, zu
DDR-Zeiten in einem überwiegend sehr, sehr schlechten Zustand. Die Journalistin Rosemarie
Mieder beschreibt die Zuweisung einer neuen Wohnung in Berlin Prenzlauer Berg im Jahr 1986
folgendermaßen: „Dass die Fassade bröckelte, die Haustür kaputt war, der Belag im
Treppenhaus Löcher hatte und es hier und dort durch das Dach tropfte, tat der Freude keinen
Abbruch. Die Miete von 72 Mark der DDR spielte ohnehin keine Rolle. Aber endlich kamen wir
mit den beiden Kindern aus der engen Zweizimmer-Hinterhofwohnung heraus“ (Mieder, 2014).
Bei der staatlichen Wohnungsvergabe wurden vor allem Familien mit Kindern bevorzugt
behandelt und erhielten einfacher eine Wohnung. Besonders schwer auf dem regulären
Wohnungsmarkt hatten es Alleinstehende und junge, noch kinderlose, Paare.
Es ist recht schwer, genaue Informationen und Literatur zu diesem konkreten Beispiel in Berlin
Mitte-Mitte/ Arkonaplatz zu finden. Im Internet gibt es eine Vielzahl von Berichten und
Beiträgen über die vorherrschende Wohnungsnot in der DDR und den Verfall von
Altbausubstanz und die Bevorzugung von Familien mit Kindern bei der staatlichen
Wohnungsvergabe. Gute Informationen findet man auch über Wohnungsbesetzungen und das
sogenannte „Schwarzwohnen“ in Berlin- Prenzlauer Berg, aber über den Bezirk Mitte findet
man nahezu gar nichts.

Interview mit Herrn Schmidt

Herr Thalschmidt war im Jahr 1989 Anfang 40 und alleinstehend. Das ist deshalb bedeutsam, da es
in der DDR sehr schwierig war, als alleinstehender Mensch eine Wohnung zu finden. Diese
wurden bevorzugt an Familien mit Kindern vergeben. Bevor er in seine damalige Wohnung
gezogen ist, hat Herr Thalschmidt bei seiner Mutter gelebt, da er nach der Trennung von seiner Frau
keine Wohnung hatte und aus dem Haus, welches seiner ehemaligen Frau gehörte, ausziehen
musste.

Die Wohnung, in welche Herr Thalschmidt im November 1989 eingezogen ist, liegt in einem Haus
am Arkonaplatz in Berlin Mitte-Mitte.
Das Gebäude kannte er seit Beginn seiner Kindheit, da es unmittelbar seinen Schulweg säumte
(Herr Thalschmidt ist lediglich gut fünf Minuten zu Fuß von seiner aktuellen Wohnung
aufgewachsen). Ob auf dem Weg zur Schule oder von der Schule nach Hause, Herr Thalschmidt ist
immer an dem aus seiner Sicht sehr schön gelegenem Haus vorbeigekommen und so ist in ihm
schon in jungen Jahren der Wunsch gereift, irgendwann einmal in diesem Haus leben zu wollen.
Zudem hatte er persönliche Verbindungen zu dem Haus, da in einer Erdgeschosswohnung ein
Schulfreund aus der Grundschule wohnte und Herr Thalschmidt das Haus also auch durch Besuche
von innen sehr gut kannte. Die Wohnung wurde vor dem Einzug durch eine alleinstehende,
ältere Dame, bewohnt. Der Zustand der Wohnung war stark renovierungsbedürftig, da davon
ausgegangen werden kann, dass seit der Errichtung des Hauses Ende der 1940er/ Anfang der
1950er Jahre wenig in die Instandhaltung und Renovierung der Wohnung investiert wurde. Im
Jahr 1989 wurden alle Wohnungen im Haus mit Kohle beheizt, Gasheizungen, wie heute üblich,
gab es nicht. Im Badezimmer existierte ebenfalls ein Ofen, mit dem sowohl der Raum als auch
das Wasser beheizt wurden.
Nachdem er die Wohnung allein besichtigt hatte, reifte in Herrn Thalschmidt der Entschluss, in
dieser Wohnung leben zu wollen. Inwiefern es weitere Interessierte für diese Wohnung gab, ist
Herrn Thalschmidt jedoch nicht bekannt. Für die Unterzeichnung des Mietvertrages war lediglich
der Personalausweis notwendig, sonst keine weiteren Unterlagen. Die Wohnung wurde durch
den Rat des Stadtbezirkes Berlin-Mitte, Abteilung Wohnungspolitik/Wohnungswesen, vergeben.
Der Rat des Stadtbezirkes Mitte mit der Abteilung Wohnungspolitik/Wohnungswesen war auch
die behördliche Stelle, bei der Herr Thalschmidt sein Wohnungsgesuch einreichte, wie es in der
DDR üblich war.
Der Mietvertrag wurde mit dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Kommunale
Wohnungsverwaltung Berlin-Mitte geschlossen. Im Jahr 1989 betrug der Mietpreis für die 60
Quadratmeter Wohnung 59,80 DDR-Mark und lag somit im gängigen Preissegment für
Altbauten der DDR. Die Mietpreise für Neubauten („Plattenbauten“) mit Fernwärme lagen
aufgrund des höheren Wohnstandards deutlich höher. Als Herr Thalschmidt im November 1989
eingezogen ist, traf er auf eine breit gefächerte Mieter:innenstruktur. So wohnte eine Künstlerin
im Haus, weiterhin Arbeitnehmer:innen und Angestellte, Lehrkräfte und auch Rentner:innen.
Herr Thalschmidt beschreibt das Zusammenleben als sehr angenehm und sehr harmonisch, das
Miteinander der Mieter:innen war aus seiner Sicht zu DDR-Zeiten wesentlich ausgeprägter als
in der heutigen Zeit. Beispielsweise gab es im Frühjahr immer einen Arbeitseinsatz, auch
genannt „Subbotnik“, bei welchem die Mieter:innengemeinschaft gemeinsam Dreckecken
beseitigte und die Sauberkeit im Wohnumfeld verbesserte. Die Hausreinigung wurde ebenfalls
durch die Mieter:innen übernommen, die Organisation erfolgte durch einen Plan, so dass jede
Mietpartei des Hauses in festgelegter Reihenfolge für die Reinigung des Treppenhauses und
allen weiteren Gemeinschaftsflächen verantwortlich war. In den meisten Miethäusern wurde
diese Organisation durch die Hausgemeinschaftsleitung übernommen, welche sich um die
Betreuung des Gebäudes und der Freiflächen kümmerte. In manchen Häusern wurden zudem die
Kellerräume zu „Partyräumen“ umgebaut, in denen gemeinsam gefeiert wurde, denn es gab eine
Vielzahl von Anlässen dazu: Die Jugendweihe, Geburtstage oder den Abschluss der
Berufsausbildung oder des Studiums.
Zudem gab es in Wohngebieten sogenannte „Wohnbezirksausschüsse (WBA)“ der Nationalen
Front, welche die ehrenamtliche Arbeit im Wohngebiet koordinierten. Auch Herr Thalschmidt war
im WBA engagiert und Finanzverantwortlicher. Weiterhin berichtete Herr Thalschmidt, dass der
Vorsitzende des WBAs seines Wohngebietes „Informeller Mitarbeiter (IM)“ der Staatssicherheit
war, dies war jedoch in seiner Tätigkeit nicht feststellbar.
Die gefühlte und tatsächliche Sicherheit in diesem Wohnumfeld wurde von Herrn Thalschmidt zu
DDR-Zeiten als sehr positiv wahrgenommen, sodass er sich sicher fühlte.

Fazit

Das Beispiel von Herrn Thalschmidt passt recht gut zu meinen Rechercheergebnissen hinsichtlich
des Wohnungsmarktes in Berlin Prenzlauer-Berg/ Mitte zu DDR-Zeiten. Altbaugebiete und
Wohnungen, welche vor der deutschen Teilung errichtet wurden, wurden in der DDR mehr oder
weniger dem Verfall preisgegeben und genossen keine hohe Aufmerksamkeit und Bedeutung.
Prenzlauer Berg war zu DDR-Zeiten ein Arbeiter:inennstadtteil, gemischt mit alternativer
Bevölkerung und Künstler:innen sowie Student:innen und keineswegs einer Bevölkerung mit
einem überdurchschnittlichem Einkommen wie in der heutigen Zeit. Für das SED-Regime war
der Neubau von Wohnungen an Stadträndern wesentlich prestigeträchtiger und imagefördernder
als die Restauration von Wohnraum aus nicht-sozialistischen Zeiten.
Herr Schmidt hatte großes Glück, dass er seine Wohnung in einem ihm bekannten und
präferierten Gebiet bekommen hat, und dort einziehen konnte. Das oft bemühte
„Gemeinschaftsgefühl“ und die gut funktionierende
„Hausgemeinschaft“, gab es auch im Haus von Herrn Thalschmidt. Der Wohnstandard war auch in
diesem Haus 1989 sehr gering und Herr Schmidt leistete in Eigenregie viele Nachbesserungen
und Modernisierungen, indem er beispielsweise den Kohleofen aus dem Wohnzimmer abriss.
Nach der Wiedervereinigung 1990 und dem Zusammenbruch der DDR sowie des sozialistischen
Wirtschaftssystems ging das Haus an die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte
über. Aufgrund finanzieller Nöte und der dringend benötigten Geldeinnahme verkaufte der rotrote Berliner Senat Anfang und Mitte der 2000er Jahre zahlreiche Wohnungen aus kommunalen
Wohnungsbaugesellschaften an Investoren, darunter auch das Haus von Herrn Schmidt im Jahr 2004. Der neue Investor sorgte für eine umfangreiche Sanierung des Hauses, sodass unter
anderem die Fassade erneuert und gestrichen wurde, zudem wurden neue Balkone angebaut.
Dies führte zu erheblichen Mietsteigerungen. Herr Thalschmidt ist in seinem Aufgang der einzige
Mieter, der schon seit DDR-Zeiten in seiner Wohnung lebt.

Quellen:
Berliner Mieterverein & Mieder. (2014, 7. November). DDR-Wohnungspolitik –Alle
Ressourcen in den Neubau. Abgerufen am 23. November 2020, von https://www.berlinermieterverein.de/magazin/online/mm1014/101420.htm
Berliner Zeitung. (2020, 4. Februar). Berlin: Darum verfielen in der DDR so viele Altbauten.
Berliner Zeitung. Abgerufen von https://www.berliner-zeitung.de
BerlinerMieterGemeinschaft & Wolf. (2017, Dezember). Schwarzwohnen in der DDR.
Abgerufen am 26. November 2020, von https://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2017/mesingle/article/schwarzwohnen-in- der-ddr
/Grashoff, U. (2011). Schwarzwohnen: Die Unterwanderung der staatlichen Wohnraumlenkung
in der DDR (Berichte und Studien). Göttingen, Deutschland: V&R Unipress.
Kabisch, S., Bernt, M. & Peter, A. (2004). Stadtumbau unter Schrumpfungsbedingungen: Eine
sozialwissenschaftliche Fallstudie (2004. Aufl.). V.S. Verlag.
Wohnen in Prenzlauer Berg. (o. D.). Abgerufen am 26. November 2020, von
https://www.berlin-mauer.de/videos/wohnungsbesetzungen-in-prenzlauer-berg-668

Interview mit Herrn Thalschmidt im Januar 2021.

4. März 2021 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied
Veröffentlicht unter Allgemein, Mitte