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Wohnen in der DDR in Ost-Berlin: Mehr Miteinander als Nebeneinander

Für mein Interview werde ich eine Person befragen, welche aus der ehemaligen DDR stammt.
Diese ist im Jahr 1989, also noch zu DDR-Zeiten, in seine heutige Wohnung am Arkonaplatz in
Berlin Mitte-Mitte gezogen. Um seine Anonymität zu wahren, wird die Person im Text als „Herr Thalschmidt“ bezeichnet.
Allgemein ist bekannt, dass es zu DDR-Zeiten einen erheblichen Mangel an Wohnraum gab
(Kabisch et al., 2004). Primär wurde bei der Errichtung von Wohnraum auf Neubauprojekte, den
sogenannten „Plattenbau“, gesetzt. Diese Wohnsiedlungen entstanden häufig auf bis dato
unbebauten Gebieten in der Peripherie großer Städte, aber auch in kleineren Städten und
Dörfern- überall dort, wo ein Mangel an Wohnraum herrschte und Unterkünfte benötigt wurden
(Interview mit Herrn Thalschmidt, 2021). Die neuentstandenen und genormten Wohnungen boten
dabei mit Bad, Einbauküche, Fernwärme, fließend warmem Wasser u. a. im Vergleich zu den
Altbauwohnungen relativ viel Komfort und waren dementsprechend in der Bevölkerung sehr
begehrt.
Die Konzentration auf die Neubausiedlungen und die Industrialisierung der Bauwirtschaft
führten dazu, dass die innerstädtischen Altbaugebiete weitgehend dem Verfall preisgegeben
wurden. Als eine Folge davon entstand das sogenannte
„Schwarzwohnen“. Das „Schwarzwohnen“ war eine seit Anfang der 1970er Jahre sehr häufig
praktizierte Form der individuellen Selbsthilfe der DDR-Bürger:innen. Überwiegend jüngere
Menschen, welche auf dem staatlichen Wohnungsmarkt sehr schlechte Chancen auf eine eigene
Wohnung hatten, organisierten sich hier baufällige Wohnungen, oftmals in Altbaugebieten, um ein
eigenständiges Leben zu führen. Mit einer „Hausbesetzung“ westeuropäischen Stils hatte das in den
meisten Fällen jedoch wenig zu tun (Grashoff, 2011). Häufig werteten diese jungen Menschen die
Häuser und Wohnungen in Eigenregie durch einfache handwerkliche Tätigkeiten, wie
beispielsweise dem Abdichten undichter Dächer, auf. Bei einer staatlichen Kontrolle im Jahr
1979 wurden insgesamt 534 besetzte Wohnungen allein im Stadtbezirk Friedrichshain
festgestellt (Grashoff, 2011). Im Jahr 1987 wurden im Prenzlauer Berg 1270 ungeklärte
Mietverhältnisse ermittelt (Grashoff, 2011). Die Altbauten waren, wie oben beschrieben, zu
DDR-Zeiten in einem überwiegend sehr, sehr schlechten Zustand. Die Journalistin Rosemarie
Mieder beschreibt die Zuweisung einer neuen Wohnung in Berlin Prenzlauer Berg im Jahr 1986
folgendermaßen: „Dass die Fassade bröckelte, die Haustür kaputt war, der Belag im
Treppenhaus Löcher hatte und es hier und dort durch das Dach tropfte, tat der Freude keinen
Abbruch. Die Miete von 72 Mark der DDR spielte ohnehin keine Rolle. Aber endlich kamen wir
mit den beiden Kindern aus der engen Zweizimmer-Hinterhofwohnung heraus“ (Mieder, 2014).
Bei der staatlichen Wohnungsvergabe wurden vor allem Familien mit Kindern bevorzugt
behandelt und erhielten einfacher eine Wohnung. Besonders schwer auf dem regulären
Wohnungsmarkt hatten es Alleinstehende und junge, noch kinderlose, Paare.
Es ist recht schwer, genaue Informationen und Literatur zu diesem konkreten Beispiel in Berlin
Mitte-Mitte/ Arkonaplatz zu finden. Im Internet gibt es eine Vielzahl von Berichten und
Beiträgen über die vorherrschende Wohnungsnot in der DDR und den Verfall von
Altbausubstanz und die Bevorzugung von Familien mit Kindern bei der staatlichen
Wohnungsvergabe. Gute Informationen findet man auch über Wohnungsbesetzungen und das
sogenannte „Schwarzwohnen“ in Berlin- Prenzlauer Berg, aber über den Bezirk Mitte findet
man nahezu gar nichts.

Interview mit Herrn Schmidt

Herr Thalschmidt war im Jahr 1989 Anfang 40 und alleinstehend. Das ist deshalb bedeutsam, da es
in der DDR sehr schwierig war, als alleinstehender Mensch eine Wohnung zu finden. Diese
wurden bevorzugt an Familien mit Kindern vergeben. Bevor er in seine damalige Wohnung
gezogen ist, hat Herr Thalschmidt bei seiner Mutter gelebt, da er nach der Trennung von seiner Frau
keine Wohnung hatte und aus dem Haus, welches seiner ehemaligen Frau gehörte, ausziehen
musste.

Die Wohnung, in welche Herr Thalschmidt im November 1989 eingezogen ist, liegt in einem Haus
am Arkonaplatz in Berlin Mitte-Mitte.
Das Gebäude kannte er seit Beginn seiner Kindheit, da es unmittelbar seinen Schulweg säumte
(Herr Thalschmidt ist lediglich gut fünf Minuten zu Fuß von seiner aktuellen Wohnung
aufgewachsen). Ob auf dem Weg zur Schule oder von der Schule nach Hause, Herr Thalschmidt ist
immer an dem aus seiner Sicht sehr schön gelegenem Haus vorbeigekommen und so ist in ihm
schon in jungen Jahren der Wunsch gereift, irgendwann einmal in diesem Haus leben zu wollen.
Zudem hatte er persönliche Verbindungen zu dem Haus, da in einer Erdgeschosswohnung ein
Schulfreund aus der Grundschule wohnte und Herr Thalschmidt das Haus also auch durch Besuche
von innen sehr gut kannte. Die Wohnung wurde vor dem Einzug durch eine alleinstehende,
ältere Dame, bewohnt. Der Zustand der Wohnung war stark renovierungsbedürftig, da davon
ausgegangen werden kann, dass seit der Errichtung des Hauses Ende der 1940er/ Anfang der
1950er Jahre wenig in die Instandhaltung und Renovierung der Wohnung investiert wurde. Im
Jahr 1989 wurden alle Wohnungen im Haus mit Kohle beheizt, Gasheizungen, wie heute üblich,
gab es nicht. Im Badezimmer existierte ebenfalls ein Ofen, mit dem sowohl der Raum als auch
das Wasser beheizt wurden.
Nachdem er die Wohnung allein besichtigt hatte, reifte in Herrn Thalschmidt der Entschluss, in
dieser Wohnung leben zu wollen. Inwiefern es weitere Interessierte für diese Wohnung gab, ist
Herrn Thalschmidt jedoch nicht bekannt. Für die Unterzeichnung des Mietvertrages war lediglich
der Personalausweis notwendig, sonst keine weiteren Unterlagen. Die Wohnung wurde durch
den Rat des Stadtbezirkes Berlin-Mitte, Abteilung Wohnungspolitik/Wohnungswesen, vergeben.
Der Rat des Stadtbezirkes Mitte mit der Abteilung Wohnungspolitik/Wohnungswesen war auch
die behördliche Stelle, bei der Herr Thalschmidt sein Wohnungsgesuch einreichte, wie es in der
DDR üblich war.
Der Mietvertrag wurde mit dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Kommunale
Wohnungsverwaltung Berlin-Mitte geschlossen. Im Jahr 1989 betrug der Mietpreis für die 60
Quadratmeter Wohnung 59,80 DDR-Mark und lag somit im gängigen Preissegment für
Altbauten der DDR. Die Mietpreise für Neubauten („Plattenbauten“) mit Fernwärme lagen
aufgrund des höheren Wohnstandards deutlich höher. Als Herr Thalschmidt im November 1989
eingezogen ist, traf er auf eine breit gefächerte Mieter:innenstruktur. So wohnte eine Künstlerin
im Haus, weiterhin Arbeitnehmer:innen und Angestellte, Lehrkräfte und auch Rentner:innen.
Herr Thalschmidt beschreibt das Zusammenleben als sehr angenehm und sehr harmonisch, das
Miteinander der Mieter:innen war aus seiner Sicht zu DDR-Zeiten wesentlich ausgeprägter als
in der heutigen Zeit. Beispielsweise gab es im Frühjahr immer einen Arbeitseinsatz, auch
genannt „Subbotnik“, bei welchem die Mieter:innengemeinschaft gemeinsam Dreckecken
beseitigte und die Sauberkeit im Wohnumfeld verbesserte. Die Hausreinigung wurde ebenfalls
durch die Mieter:innen übernommen, die Organisation erfolgte durch einen Plan, so dass jede
Mietpartei des Hauses in festgelegter Reihenfolge für die Reinigung des Treppenhauses und
allen weiteren Gemeinschaftsflächen verantwortlich war. In den meisten Miethäusern wurde
diese Organisation durch die Hausgemeinschaftsleitung übernommen, welche sich um die
Betreuung des Gebäudes und der Freiflächen kümmerte. In manchen Häusern wurden zudem die
Kellerräume zu „Partyräumen“ umgebaut, in denen gemeinsam gefeiert wurde, denn es gab eine
Vielzahl von Anlässen dazu: Die Jugendweihe, Geburtstage oder den Abschluss der
Berufsausbildung oder des Studiums.
Zudem gab es in Wohngebieten sogenannte „Wohnbezirksausschüsse (WBA)“ der Nationalen
Front, welche die ehrenamtliche Arbeit im Wohngebiet koordinierten. Auch Herr Thalschmidt war
im WBA engagiert und Finanzverantwortlicher. Weiterhin berichtete Herr Thalschmidt, dass der
Vorsitzende des WBAs seines Wohngebietes „Informeller Mitarbeiter (IM)“ der Staatssicherheit
war, dies war jedoch in seiner Tätigkeit nicht feststellbar.
Die gefühlte und tatsächliche Sicherheit in diesem Wohnumfeld wurde von Herrn Thalschmidt zu
DDR-Zeiten als sehr positiv wahrgenommen, sodass er sich sicher fühlte.

Fazit

Das Beispiel von Herrn Thalschmidt passt recht gut zu meinen Rechercheergebnissen hinsichtlich
des Wohnungsmarktes in Berlin Prenzlauer-Berg/ Mitte zu DDR-Zeiten. Altbaugebiete und
Wohnungen, welche vor der deutschen Teilung errichtet wurden, wurden in der DDR mehr oder
weniger dem Verfall preisgegeben und genossen keine hohe Aufmerksamkeit und Bedeutung.
Prenzlauer Berg war zu DDR-Zeiten ein Arbeiter:inennstadtteil, gemischt mit alternativer
Bevölkerung und Künstler:innen sowie Student:innen und keineswegs einer Bevölkerung mit
einem überdurchschnittlichem Einkommen wie in der heutigen Zeit. Für das SED-Regime war
der Neubau von Wohnungen an Stadträndern wesentlich prestigeträchtiger und imagefördernder
als die Restauration von Wohnraum aus nicht-sozialistischen Zeiten.
Herr Schmidt hatte großes Glück, dass er seine Wohnung in einem ihm bekannten und
präferierten Gebiet bekommen hat, und dort einziehen konnte. Das oft bemühte
„Gemeinschaftsgefühl“ und die gut funktionierende
„Hausgemeinschaft“, gab es auch im Haus von Herrn Thalschmidt. Der Wohnstandard war auch in
diesem Haus 1989 sehr gering und Herr Schmidt leistete in Eigenregie viele Nachbesserungen
und Modernisierungen, indem er beispielsweise den Kohleofen aus dem Wohnzimmer abriss.
Nach der Wiedervereinigung 1990 und dem Zusammenbruch der DDR sowie des sozialistischen
Wirtschaftssystems ging das Haus an die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte
über. Aufgrund finanzieller Nöte und der dringend benötigten Geldeinnahme verkaufte der rotrote Berliner Senat Anfang und Mitte der 2000er Jahre zahlreiche Wohnungen aus kommunalen
Wohnungsbaugesellschaften an Investoren, darunter auch das Haus von Herrn Schmidt im Jahr 2004. Der neue Investor sorgte für eine umfangreiche Sanierung des Hauses, sodass unter
anderem die Fassade erneuert und gestrichen wurde, zudem wurden neue Balkone angebaut.
Dies führte zu erheblichen Mietsteigerungen. Herr Thalschmidt ist in seinem Aufgang der einzige
Mieter, der schon seit DDR-Zeiten in seiner Wohnung lebt.

Quellen:
Berliner Mieterverein & Mieder. (2014, 7. November). DDR-Wohnungspolitik –Alle
Ressourcen in den Neubau. Abgerufen am 23. November 2020, von https://www.berlinermieterverein.de/magazin/online/mm1014/101420.htm
Berliner Zeitung. (2020, 4. Februar). Berlin: Darum verfielen in der DDR so viele Altbauten.
Berliner Zeitung. Abgerufen von https://www.berliner-zeitung.de
BerlinerMieterGemeinschaft & Wolf. (2017, Dezember). Schwarzwohnen in der DDR.
Abgerufen am 26. November 2020, von https://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2017/mesingle/article/schwarzwohnen-in- der-ddr
/Grashoff, U. (2011). Schwarzwohnen: Die Unterwanderung der staatlichen Wohnraumlenkung
in der DDR (Berichte und Studien). Göttingen, Deutschland: V&R Unipress.
Kabisch, S., Bernt, M. & Peter, A. (2004). Stadtumbau unter Schrumpfungsbedingungen: Eine
sozialwissenschaftliche Fallstudie (2004. Aufl.). V.S. Verlag.
Wohnen in Prenzlauer Berg. (o. D.). Abgerufen am 26. November 2020, von
https://www.berlin-mauer.de/videos/wohnungsbesetzungen-in-prenzlauer-berg-668

Interview mit Herrn Thalschmidt im Januar 2021.

4. März 2021 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied
Veröffentlicht unter Allgemein, Mitte

„Wohnungssuche war auch damals schon anstrengend“

Ein Beispiel aus der Auguststraße, Mitte, 2005

Verfasst von Lisa Jöris

In den Wohnungsmarktbericht für das Jahr 2005 der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung leiten die damalige Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer und Vorstandsvorsitzender der Investitionsbank Berlin Dieter Puchta wie folgt ein: „Berlin steht heute vor der günstigen Situation, dass ein in quantitativer Hinsicht ausreichendes und qualitativ verbessertes Wohnungsangebot vorhanden ist. Die hat zur Folge, dass – wenn auch regional durchaus differenziert – Wohnungen für fast alle individuellen Anspürche zu finden sind.“[1] Des Weiteren ist von einer zunehmenden Haushaltsverkleinerung – „Singularisierung“ – vor allem in innerstädtischen und nahegelgenen Bereichen die Rede. Es wird zudem deutlich, dass die vorangegangenen Jahre, wie auch frühere Berichte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung belegen, eher von Wohnungsleerstand gezeichnet waren und dies auch 2005 noch als problematisch wahrgenommen wird. Leerstand ergab sich vor allem durch mehr Fortzüge als Zuzüge, was regional innerhalb Berlins unterschiedlich ausgeprägt war. Aber auch andere Einflüsse, wie Modernisierungsarbeiten in Altbaubeständen konnten Leerstand bedingen. Im zehn Jahres Rückblick verzeichneten besonders die Bezirke Pankow (13,2 %) und Treptow-Köpenick (11,9%) einen Zuwachs. Nach Marzahn-Hellersdorf waren Mitte (-7,3 %) und Lichtenberg (-9,6%) am meisten von Abwanderung betroffen. Abwanderung zwischen 0 und -5 % gab es in Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, Zuwanderung zwischen 0 und 5 % in Reinickendorf, Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf (ibid., S. 48). In der Folge war die Leerstandsquote in Mitte besonders hoch und betrug teilweise 10 – 15 % (51). Damit führte Mitte zum Stichtag 01.07.2005 das Ranking des durchschnittlichen längerfristigen Leerstandes der BerlinerBezike mit 8,41 % an, zum 01.07.2004 waren es noch 7,41 %. Besonders betroffen war der Ortsteil Mitte, in dem auch die Auguststraße liegt (9,5 %).

Auf Grundlage von damals aktuellen Daten wird im Bericht außerdem Angebot und Nachfrage auf dem Mietmarkt gegenüber gestellt (ibid., S.50). Hier zeigte sich ein großer Unterschied je nach Preiskategorie: „Im mittleren Segment (Nettokaltmiete von 4 €/m2 bis 6 €/m2) liegt die Zahl der Angebote deutlich über den Gesuchen; sowhl die Zahl der Angebote als auch der Abstand zu den Gesuchen (Verhältnis 2:1) ist seit 2002 stark angewachsen – dies scheint auf eine eher entspannte Situation in diesem Segment zu deuten. Genau umgekehrt ist die Situation im unteren Preissegment mit Kaltmieten unter 4 €/m2: Hier stehen im Jahr 2005 auf einem insgesamt niedrigeren Niveau knapp 8.000 Angebote fast 14.000 Gesuche gegenüber. Damit bestätigt sich der Trend aus anderen Analysen, der auf einen zunehmenden Mangel an geeigneten günstigen Wohnungen schließen lässt.“ (ibid., S.50)

Was bedeuteten diese Hintergrundinformationen aber nun für die tatsächliche Wohnungssuche?

2005 beschloss der damals Anfang 20-jährige Paul (Name geändert) es sei an der Zeit, alleine zu wohnen. Nachdem er die ersten eineinhalb Jahre in seiner Wahlheimat Berlin in einer WG verbrachte, begab er sich auf Wohnungssuche. Fündig wurde er schließlich in der Auguststraße nahe der Kreuzung zur Rosenthaler Straße im Ortsteil Mitte des Bezirks Mitte. Könnte man nun durch die relative hohe Leerstandsquote im Ortsteil Mitte daraus schließen, dass es sich hier um eine verwahrloste und verlassene Gegend handelte, so ist das weite gefehlt. Paul beschreibt seine damalige Nachbarschaft wie folgt: „Mitte war damals, also Mitte ist ein Szeneviertel, war es damals auch schon. Ich weiß noch, ich hab vorher in Friedrichshain gewohnt, war noch nicht lange in Berlin, erst so ein Jahr oder eineinhalb, und kannte von Mitte eigentlich nur so den Hackeschen Markt und als ich gesagt hab, ich geh mir eine Wohnung in Mitte anschauen, hieß es dann auch schon so ‚Oh, schick‘ und so weiter. Allerdings, ich mein, das ist heute immer noch nicht wirklich schick, wenn man es mit anderen Metropolen vergleicht, aber es ist in Berliner Verhältnissen sehr gentrifiziert in der Zwischenzeit. Damals war das so alles im Beginnen, im Anfang, aber die Entwicklung, die ich dort miterlebt habe über die sieben Jahre, war wirklich brutal.“ (Interview mit Paul, 19.10.2020, Berlin).

Paul‘s Wohnung in der Auguststraße lag im Erdgeschoss in einem 90er-Jahre-Neubau umgeben von zwei Brachgrundstücken, sodass Paul über einen eigenen Garten mit zwei Bäumen verfügte. Heute sind die Nachbargrundstücke längst bebaut; die Chancen für einen Hotelrezeptionisten, der Paul 2005 kurz nach Abschluss seiner Ausbildung war, seiner Einschätzung nach längst gegen null, in dieser Gegend auf dem freien Markt eine Wohnung zu finden. „Heutzutage irgendwie nochmal so eine Wohnung zu finden, halte ich für ziemlich ausgeschlossen.“ (ebd.). Die Wohnung in der Auguststraße verfügte über eineinhalb Zimmer, eine offene Wohnküche und ein kleines Schlafzimmer. Sie war 36 Quadratmeter groß und kostete 2005 357 EURO warm, bis zum Auszug 2012 wurden lediglich die Nebenkosten angepasst, sodass er auf  370 EURO kam. Obwohl die Kaltmiete pro Quadratmeter nicht mehr zu ermitteln war, kann angenommen werden, dass der Mietzins damit deutlich über dem mittleren Preissegment (s.o.) lag.

Obwohl Paul die Wohnungssuche 2005 retrospektiv insgesamt als unkompliziert empfindet – „damals hat jeder was gefunden, die Frage war nur, wie lange man suchen musste“ (ebd.) – war sein Fund in der Auguststraße für ihn auch damals schon ein „Glücksgriff“. Damit bezieht er sich nicht auf den Preis, der auch für damalige Verhältnisse schon recht hoch angesetzt war. Als Rezeptionist in einem nahe gelgenen Hotel und einem Nettoeinkommen von knapp über 1000 € hätte er sich die Wohnung auch selbst gar nicht leisten können, der Vater unterstützte in finanziell. Hätte er dieses Privileg nicht gehabt, reflektiert Paul, hätte er sich diese Wohnung nicht leisten können. Überhaupt erinnert er sich, dass es im Freundeskreis üblich war, bei der Wohnungssuche den Vermietenden Bürgschaften der Eltern vorzulegen. Auch 2012, mit mittlerweile Ende 20 und mehreren Jahren beruflicher Erfahrung war Paul noch auf die Unterlagen seines Vaters bei der Wohnungssuche angewiesen.

Aber zurück nach 2005. Wie viele Wohnungen Paul besichtigt hat, bevor er den Vertrag für die Auguststraße unterschrieb, weiß er nicht mehr. Heutzutage lässt eine solche Aussage darauf schließen, dass es unzählige gewesen sein müssen, aber 2005 war die Situation eine andere: „Falls es noch eine andere gegeben hat, dann kann ich mich… kann schon sein, ist wahrscheinlich, dass ich noch was anderes angeguckt hab, aber höchstens ein oder zwei andere Sachen, auf alle Fälle kann ich mich nicht mal mehr dran erinnern.“ (ebd.). Die Erdgeschosswohnung mit Garten mitten in Mitte fand Paul für einen damals noch „recht exotischen Kanal“: über die Plattform wg-gesucht.de: „Da habe ich, soweit ich mich erinnern kann, nach ganz kurzer Zeit dieses Angebot gefunden, von einer jungen Frau, die dort ihr ganzes Studium gelebt hat und da auch super dran gehangen hat, an der Wohnung. Mit der habe ich mich einmal getroffen, sie hat mir die Wohnung gezeigt, das hat mir sofort total gut gefallen und wie das dann ganz genau ging, weiß ich nicht mehr, aber die Hausverwalterin hatte ihr Büro direkt in der Wohnung neben meiner, was ganz praktisch war, und das ging auch ganz schnell. Ich weiß es nicht mehr, vielleicht hab ich die Dame auch direkt persönlich getroffen an dem Tag, ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Auf alle Fälle war es ziemlich unkompliziert und ging damals verhältnismäßig schnell.“ (ebd.).

Während sich Paul persönlich selbst nicht an Schwierigkeiten bei seiner Suche 2005 erinnert, betont er trotzdem mehrmals im Interview, die Wohnungssuche in Berlin habe sich schon immer schwer angefühlt. Paul: „Also Wohnungen suchen in Berlin war auch damals schon anstrengend irgendwie, und es ist nicht so, dass man sich einfach was aussuchen konnte, wenn man in einer bestimmten Gegend wohnen wollte, sondern Ein-Zimmer-Wohnungen in Friedrichshain und in Mitte waren auch damals schon nicht da wie Sand am Meer. Aber man hat trotzdem Angebote gehabt und ich würde behaupten, dass man zur damaligen Zeit, auch wenn man dann irgendwie Kompromisse eingehen musste, eine Wohnung kündigen konnte und sich drauf verlassen konnte, dass man in drei Monaten irgendwas gefunden hat.“ (ebd.). Insbesondere den Radius der Suche beschreibt Paul als ein wichtiges Kriterium: damals galt nach Neukölln ziehen für ihn und seine Freund*innen als „ausweichen“, so wie heute auf den Online-Portalen vor allem Wohnungen in Randbezirken angeboten werden wie in Hellersdorf oder Französisch Buchholz (wo ist das überhaupt?).

Auch die Bauart der Wohnung und ihr Standard spielten 2005 für Paul eine Rolle um seine Wohnungssuche zu bewerten: „Und ich kann mich auch noch erinnern, dass ich total enttäuscht war die ersten zwei Male, oder nicht total enttäuscht, aber enttäuscht war, dass meine ersten beiden Wohnungen in Berlin halt kein Altbau waren mit Dielen und großen Fenstern und hohen Türen und was weiß ich, sondern halt so 90er Jahre Neubauwohnungen. […] Also, so freie Auswahl gab es damals schon nicht, man musste damals auch schon Zeit haben, um zu suchen einfach, ja. Das ging bei mir mit der Auguststraße, das weiß ich noch, das ging auch für mich damals überraschend einfach und schnell. Hat halt irgendwie gepasst, aber ich kann mich noch gut erinnern, dass wenn man wg-gesucht aufgemacht hat oder auch Immobilienscout aufgemacht hat, dass es immer ein Angebot war, immer ein großes Angebot da war, ja echt ein großes Angebot, aber man halt auch einfach picky war, ne?“ (ebd.).

Wenn es 2005 auch mal etwas länger dauerte bei der Suche, dann präzisiert Paul, dass er damit zwei bis drei Moante meint. Damals war es auch in seinem Freundeskreis Gang und Gebe, eine Wohnung bereits mit dreimonatiger Kündigungsfrist zu kündigen, wenn man beschloss, umzuziehen. Als Paul dann 2012 wieder auf die Suche ging, dieses Mal gemeinsam mit einem Freund, kündigte auch er seine Wohnung in der erfahrungsbasierten Annahme, schon rechtzeitig etwas Neues zu finden. Doch 2012 war das Angebot auf dem Markt ein anderes: „Einmal die Woche hat man dann irgendwie, also selbst wenn man intensiv geguckt hat, hat man einmal die Woche dann was gefunden, wo man Lust hätte, überhaupt hinzugehen zur Besichtigung, und ich hab viele Sachen angeguckt und ganz selten war dann mal was dabei, was man überhaupt haben wollte, und da hat man dann eine Bewerbung abgegeben und dann wurde nichts draus, und dann tickte die Zeit dahin, und dann wurde es klar, das wird nichts mehr.“ (ebd.). Bis zwei Wochen vor Auszug hatten die beiden noch nichts gefunden, die Sachen des Freundes standen schon in einem Möbeldepot, Paul hatte sich zur Untermiete ein WG-Zimmer organisiert. Durch ein Bestechungsgeld von 500 €, die bar und ohne Rechnung an den Markler übergeben wurden, erhielten die beiden letztendlich noch rechtzeitig eine neue Wohnung. Dieses Mal in Nuekölln, und dieses Mal galt ein Umzug dorthin nicht mehr als Ausweichen.

Fazit

Paul beschreibt seine Wohnungssuche 2005 als unkompliziert, trotz einem niedrigen Gehalt fand sich schnell eine Wohnung noch dazu mit einem eigenen Garten und das mitten in Mitte. Seine Erfahrung deckt sich mit den Angaben der Senatsverwaltung zu einem erhöhten Angebot im Vergleich zur relativ niedrigen Nachfrage, insbesondere in mittleren Preissegmenten und im Bezirk Mitte. Der Mietzins der Wohnung in der Auguststraße war auch für damalige Verhältnisse schon recht hoch, beinahe 10 € warm pro Quadratmeter. Hätte Paul keine finanzielle Unterstützung seines Vaters erhalten, wäre diese Wohnung für ihn als Hotelrezeptionist nicht infrage gekommen. Anhand Paul’s Geschichte lässt sich die drastische Verschärfung auf dem Berliner Mietmarkt inbesondere zu Beginn der 2010er Jahre gut ablesen: unter den gleichen finanziellen Voraussetzungen stellte sich die Suche 2012 aufgrund eines niedrigeren Angebots schon als wesentlich langwieriger und schwieriger heraus. Dabei spielten weniger preisliche Veränderungen auf dem Mietmarkt eine Rolle für Paul (die neue Wohnung in Neukölln mit über 100 qm kostete über 1000 €), vielmehr gab es vor allem auffallend weniger Angebot. Finanzieller Handlungsspielraum war für Paul’s Wohnungssuche auch schon 2005 ein Vorteil, 2012 eröffnete er ihm letztendlich die aus seiner Sicht einzige Möglichkeit, eine den Ansprüchen gerechte Wohnung zu finden. Dass nicht alle Suchenden in der Lage sind, 500 € für ein Schmiergeld aufzubringen, reflektiert Paul im Interview. Trotz der bereits angespannteren Situation auf dem Berliner Mietmarkt 2012 fokussierte sich die Wohnungssuche der beiden Freunde noch darauf, eine bestimmte Wohnung zu finden: die Lage war unwichtig („Hauptsache im Ring“), aber Altbau sollte es sein und groß.


[1] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Investitionsbank Berlin (Hrsg.) (2005): Der Berliner Wohnungsmarkt. Bericht 2005. Online verfügbar unter https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnungsmarktbericht/, letzter Aufruf 20.10.2020, S. 5

11. Januar 2021 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied | Kein Kommentar »
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