Digital Humanities und buchhistorische Forschung. Zu einem Tagungsbericht

Ende September 2014 gab es in an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel eine Veranstaltung zu der Beziehung zwischen der Buchwissenschaft und den Digital Humanities. In H/SOZ/KULT erschien nun eine Zusammenfassung von Nikolaus Weichselbaumer mit Ergebnissen der Veranstaltung.

Aus Sicht von Fu-PusH ist besonders relevant, wie datenbasiert sich diese Art von Forschung darstellt. Inwieweit die klassische und auf der Forschung mit den Daten entstehende Publikation in Beziehung zu den Methoden der digitalen Geisteswissenschaften diskutiert wurde, geht aus dem Bericht nicht hervor, so dass die Vermutung naheliegt, dass die Frage des eigentlichen Publizierens in der derzeitigen Diskussion zumindest keine vordringliche Rolle spielt.

Man kann freilich genauso vermuten, dass der Publikationsschritt in einer derartig datenorientierten Wissenschaftspraxis in einer neuen und dauerhaften Visualisierungsform aufgeht. Ein Beispiel wäre der Atlas of Early Printing (http://atlas.lib.uiowa.edu/) der University of Iowa Libraries, den Gregory J. Prickman in Wolfenbüttel präsentierte. An ihm wird einerseits erahnbar, wie sich Forschungsnarrative in einer dynamischeren Variante abbilden lassen und andererseits deutlich, wie sehr sich die Infrastruktur- bzw. Forschungsdatenanbieter, also beispielsweise Bibliotheken, im Kontext der Digital Humanities zu direkten Forschungspartnern entwickeln (können).

Dies betrifft gleichfalls die methodologische Schärfung und Elaboration, bei der digitaltechnischen Möglichkeiten mit fachwissenschaftlichen Ansprüchen ausbalanciert werden müssen – von der Transparenz und Bewertbarkeit der Forschungsdatenqualität, der Passung von Datenverarbeitung und für die Fachgemeinschaft sinnvollen Forschungsfragen über die spezifische zu bestimmende Rolle der Daten- und Quellenkritik in digitalen Daten(bank)strukturen bis zu den Grenzen der Visualisierung und der Auswirkungen digital vermittelter und stark datengestützter und –gelenkter Forschung auf die Interpretationspraxis in der Disziplin. Werden Bibliotheken hier als Forschungsbibliotheken aktiv, wird zugleich offensichtlich, wie stark die Vermittlung von technischer Kompetenz und einem Verständnis für Datenstrukturen der direkte methodologische Diskurs mit den jeweiligen Fachdisziplinen mehr oder minder auf Augenhöhe mit der Bestandsvermittlung (=Digitalisierung und Bereitstellung) zu betrachten ist. Es folgt daraus unvermeidlich die Notwendigkeit, in solchen Bibliotheken entsprechende Expertise aufzubauen und möglicherweise die Rolle des Fachreferenten noch weitaus offensiver, als dies bisher geschieht, von der Bestandsorganisation zur Forschungspartizipation zu interpretieren.

Allerdings auch in den Fachwissenschaften selbst finden sich, wie der Tagungsbericht zeigt, an vielen Stellen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und Herangehensweisen. Wo beispielsweise Andrea Rapp mit der Aussage „more data is better data“ zitiert wird, betonen Ursula Rautenberg und Cristina Dondi stärker die Bedeutung der Datengüte und der Qualitätssicherung und sprechen sich zugleich für den Forschungszuschnitt des jeweiligen Projektes als ausschlaggebend für die Datengestaltung aus. Generell finden sich in der historischen Buchforschung offenbar verschiedene und diesbezüglich konfligierende Forschungsansätze (explorativ, experimentell, integrativ, standardisiert).

Wenig überraschend herrscht bezüglich der Notwendigkeit übergreifender Forschungsdatenstandards Konsens, bildet diese Standardisierung doch die Voraussetzung für eine übergreifende (Nach)Nutzung des Datenmaterials. Der Konsens lässt sich dagegen nicht für die Frage der Vermittlung von digitaltechnischen Kompetenzen in der buchwissenschaftlichen Lehre erweitern. Oliver Duntze hält eine „grundlegende Ausbildung in XML, Python/Perl in allen Geisteswissenschaften“ für notwendig. Thomas Stäcker spricht sich für eine den traditionellen fachwissenschaftlichen Studium nachgehende Qualifizierung in Verfahren der Digital Humanities aus.

Interessant ist schließlich auch die Frage der Konsolidierung entsprechender stabiler Institutionen nicht zuletzt zur Moderation abweichender Positionen. DARIAH-DE als denkbarer Anlaufpunkt ist, so Thomas Stäcker, derzeit „noch nicht bekannt genug“. Ob gleiches auch für den DHd-Verband gilt, wird nicht berichtet. Die Fachwissenschaftler auf der Wolfenbüttler Tagung stehen diesem jedenfalls so nah, dass sie in dessen Rahmen eine Arbeitsgruppe zur Projektvernetzung und zur Fachkommunikation einrichten wollen.

Quelle:
Nikolaus Weicheslbaumer (2014): Buchhistorische Forschung und Digital Humanities. Datenbankgestützte Bibliografien, Bücherkataloge und Quellenverzeichnisse. Tagungsbericht. In: H/Soz/Kult, 17.11.2014. <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5678>.

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