Das neue DFG-Merkblatt zum LIS-Förderprogramm („Infrastruktur für elektronische Publikationen und digitale Wissenschaftskommunikation“)

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Am vergangenen Freitag (09.01.2015) veröffentlichte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Mitteilung zur Überarbeitung des Merkblatts zum Förderprogramm „Elektronische Publikationen“ im Förderbereich Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme (LIS). Die aktuelle Fassung des Merkblatts 12.11 Merkblatt Infrastruktur für elektronische Publikationen und digitale Wissenschaftskommunikation (Stand Januar 2015) ist als PDF-Download hier verfügbar. Die Meldung in Information für die Wissenschaft (Nr. 03) vom 09. Januar 2015 gibt es hier:Infrastruktur für elektronische Publikationen und digitale Wissenschaftskommunikation.

Aus Sicht von Fu-PusH ist nicht unerwartet aber dennoch bemerkenswert, wie explizit sich darin Entwicklungen aus dem Bereich der erweiterten Publikationen ( bzw. enhanced Publications) abbilden. So heißt es in der offiziellen Mitteilung:

„In fachlich unterschiedlicher Ausprägung und Geschwindigkeit werden zum Beispiel Zeitschriftenartikel durch audiovisuelle Materialien, Forschungsdaten oder Elemente der „Social Media“ angereichert oder gezielt für eine auch computerbasierte Auswertung und Nachnutzbarkeit aufbereitet.“

Die entsprechenden Erweiterungen betreffen freilich nicht nur Zeitschriftenartikel, sondern auch Monografien und wissenschaftliche Lehrbücher (bzw. ihre digitalen Nachfolgeformate). Die Schwerpunktsetzung auf Zeitschriften ergibt sich mutmaßlich daraus, dass in vielen und im Schnitt offensiver auf die Bandbreite digitaler Formen und Prinzipien wie Open Access setzenden Disziplinen die Journals die zentralen Medien der wissenschaftlichen Fachkommunikation sind. In den Geisteswissenschaften sieht dies freilich anders aus und besonders in dem Zusammenhang mit den Digital Humanities, die sehr stark auf digitale Editionen und den Aufbau digitaler Korpora setzen, liegt ein wichtiger Schwerpunkt neben den Monographien und Zeitschriften auf Forschungsdatenobjekten, die – man denke an Annotationen – häufig mit neuen und neuartigen Formen von Mikropublikationen begleitet werden. Nicht das Publikationsobjekt, zu dem die Erkenntnis stützende Forschungsdatensätze mitpubliziert werden, ist in diesem Zusammenhang der Hauptbezugspunkt, sondern ein Forschungsdatenobjekt, beispielsweise ein Korpus oder ein zu interpretierender Primärtext oder ein zu analysierendes Kunstobjekt, das mit anderen Objekten relationiert wird und zu dem Narrative, Annotationen und Interpretationen (also die Folgeformen der klassischen Publikationen) zugeordnet werden. Dabei werden sinnvollerweise auch die Relationen selbst – also Kontextbeziehungen – beschreib-, annotier- und interpretierbar gedacht. Im Merkblatt liest man entsprechend präziser von

„neue[n] Publikationsformen wie zusammengesetzte[n] Publikationen (Publikationen, die zur nachvollziehbaren Darstellung eines Forschungsergebnisses mehrere Medientypen benötigen), angereicherte[n] Publikationen (Publikationen, die mit Zusatzmaterialien angereichert sind), Publikationen in Social Media (z.B. in Blogs oder Wikis) oder komplementärer Publikationsformen (z.B. Data Journals oder Online Enzyklopädien) […]“

Hier formuliert die DFG also eine Art vierteilige Kategorisierung von Publikationsformen, die sich maßgeblich von den traditionell bekannten Varianten unterscheiden, die man vielleicht als kombiniert / komponiert, erweitert / vernetzt, informell / sozial vernetzt sowie wissenschaftsergänzend bezeichnen könnte.

Interessant ist hierbei, wie das DFG-Merkblatt vermerkt:

„Die Grenzen zwischen formeller und informeller Wissenschaftskommunikation werden durchlässiger. Elemente der „Social Media“ treten zu klassischen Aufsatz- und Buchpublikationen.“

Man könnte auch argumentieren, dass die kleinteiligere Vernetzung und die Möglichkeit, einzelne Forschungsschritte, wenn man so will, direkt den Forschungsprozess begleitend zugänglich zu machen und zur Diskussion zu stellen, nun Schritte der Forschung, die bislang verborgen abliefen, digital expliziert und diese somit selbst referenzierbar werden. Die „klassischen Aufsatz- und Buchpublikationen“ bilden dagegen das Résumé eines größeren Forschungskontextes ab. Das Merkblatt bezieht sich in der aktuellen Fassung ausdrücklich auf „Forschungsergebnisse“. Denkbar ist an dieser Stelle aber auch, von „Forschungsprozessen“ zu schreiben. Digitale Wissenschaft verdeutlicht ja vor allem auch die prinzipielle Unabgeschlossenheit von Erkenntnisarbeit.

Spannend ist aus Sicht des wissenschaftlichen Publizierens zudem dieser Aspekt:

„Eine Förderung auch gedruckter Zeitschriften ist im Rahmen dieses Programms möglich, sofern sie für das jeweilige Fachgebiet unverzichtbar sind und entscheidende Vorteile gegenüber elektronischen Zeitschriften aufweisen.“

lässt man sich hier doch eine Tür offen, Print auch in der Wissenschaft neu zu erfinden. Der höchst agile und kreative Bereich der Magazinkultur (man denke nur an die luxuriös gestalteten Ausgaben des Harvard Design Magazine) beweist wenigstens schon einmal, dass die Druckkultur gerade im Kunst- und Designbereich vielschichtige und multidimensionale Darstellungs- und Kommunikationsrollen übernehmen kann. Inwieweit sich dies auch für wissenschaftskommunikative Inhalte anwenden lässt, ist in der Tat eine spannende Frage. Noch interessanter wird es, wenn man an Innovationen wie 3D-Drucker und Modellierungen denkt. Die Verschränkung von digitaler und materialer Kultur wird hier als neuer „material turn“ im Publikationswesen denkbar.

Ein wenig bedauerlich ist, dass die Begleitforschung zu digitalen Transformationsprozessen nur sehr am Rande eine Rolle spielt:

„Die Erstellung begleitender Studien, in denen soziologische, technische, funktionale oder ökonomische Effekte einer Transformation in den Open Access untersucht werden, kann ausschließlich dann gefördert werden, wenn das Studiendesign klar darauf abzielt, Desiderate für den Aufbau der Infrastruktur zu formulieren.“

Einerseits erscheint die Beschränkung auf die Facette des Open Access sehr eng gezogen. Andererseits ist gerade eine solide und systematische bibliotheks- und informationswissenschaftliche Begleitforschung zu soziologischen, technischen, funktionalen, ökonomischen und – so wäre zu ergänzen – auch rechtlichen (Datenschutzrecht, Urheberrecht, etc.) Fragen etwas, was direkt Erkenntnisse über mögliche Folgen der derzeitigen Verschiebungen in der wissenschaftlichen Kommunikation und damit die Folgen für die Infrastruktureinrichtungen und -akteure sowie für die Wissenschaftsgemeinschaften selbst liefern könnte. Die Bibliothekswissenschaft als eine Schnittstellenwissenschaft zwischen Fachkulturen und Infrastruktur wäre hier genau die richtige Ansprechpartnerin. Und selbstverständlich sollte sie nicht nur das Feld Open Access beforschen, wie es beispielsweise am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität intensiv geschieht. (Man denke an das Open Access Repository Ranking (OARR).) Auch eine Infrastruktur orientierte Beforschung von Social-Media-Effekten, die u.a. mit dem Phänomen der Altmetrics direkt auf die Wissenschaftsevaluation zurückwirken, sollte unbedingt im LIS-Bereich der DFG berücksichtigt werden. Ob das möglich ist, geht aus dem Merkblatt nicht vor. Aus Sicht der Bibliotheks- und Informationswissenschaft liegt es jedenfalls sehr nah, grundsätzliche Infrastrukturinnovationen nach Möglichkeit mit einer parallel laufenden mehrdimensionalen und reflexiven Begleitforschung zu koppeln (die Dimensionen wären entsprechend die genannten: soziologisch, technisch, funktional, ökonomisch, rechtlich).

Zusammenfassend lassen sich aus dem neuen Merkblatt für die Infrastruktur für elektronische Publikationen und digitale Wissenschaftskommunikation folgende Trends ableiten, die sich aus der bei Fu-PusH erfolgenden Forschung für die Humanities weitgehend für die Innovationsfront auch in der geisteswissenschaftlichen Wissenschaftskommunikation bestätigen lassen:

  • Open Access als (fast) normatives Publikationsideal
  • vernetzte und erweiterte digitale Publikationsformen
  • Social-Media-Einbindung

 

Der Aspekt der Forschungsdaten wird aus dem oben skizzierten Kontext der Digital Humanities eher nachgeordnet behandelt. Das Semantic Web als grundlegendes Datenvernetzungsverfahren ist dagegen erfahrungsgemäß nur punktuell konsequent und standardisiert in entsprechenden Infrastrukturen als breites Anwendungsszenario präsent. Die Begleitforschung selbst ist ein Desiderat, auch wenn sie sicher in anderen Förderprogrammen beantragt werden könnte. Eine vereinfachte Kombinierbarkeit von Infrastrukturentwicklung und theoretischer Begleitung wäre als Fernziel unbedingt wünschenswert.

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