Warum die Wissenschaft so sehr am PDF-Format hängt

Eine Vermutung von Ben Kaden (@bkaden)

Nicht selten entspricht das elektronische Publizieren in der Wissenschaft auch im Jahr 2015 einem Publizieren in HTML und PDF. Dass das so ist, zeigt, dass es offenbar für die so erfolgende Kommunikation von Wissenschaft als ausreichend angesehen wird. Es zeigt aber auch, dass das Denken im PDF, also der starreren und daher für die Publikationsgestaltung maßgeblichen Form, weitgehend eine Fortsetzung der Printkultur mit elektronischen Mitteln darstellt. Sehr gut zusammengefasst findet sich dieser Umstand u.a. in einer Rezension von John Rodzvilla zu einem Buch der Medienwissenschaftlerin Lisa Gitelman, das den schönen Titel Paper Knowledge: Towards a Media History of Documents trägt. (Das Buch erschien 2014 bei der Duke University Press, Durham, London.)

PDF
Eine markierte Textstelle aus der PDF-Fassung der Book Review von John Rodzvilla.

Dass das PDF-Format die vermutlich am weitesten verbreitete digitale Post-Paper-Variante darstellt ist jedem bekannt. Auch Rodzvillas Rezension in Public Research Quarterly wurde nach diesem Verfahren veröffentlicht. Den Grund für die gleichbleibende Beliebtheit des PDF-Formats benennt der Text in der oben stehenden Textstelle: die Stabilität und Simplizität einer Fotokopie. Ein PDF ist nicht nicht veränderbar. Aber es bedarf schon eines erheblichen Aufwands und ist im Format eigentlich nicht vorgesehen. Das PDF ist die eindeutige Fassung eines Dokumentes, die problemlos (zurück) auf das Papier gebracht werden kann. Oder, wie Rodzvilla schreibt, ein Analogon des Papierdokumentes für den Aktenschrank.

Andererseits sind PDFs als digitale Objekte eine interessante Zwischenform zwischen den, wenn man so will, beweglicheren anderen digitalen Textformaten und der u.a. für ein detaillierte automatische Indexierung lange Zeit verschlossenen Variante digitaler Bildformate. Lisa Gitelman erklärte dazu in einem Interview für das Digital-Preservation-Weblog der Library of Congress:

„Users tend to imagine PDFs primarily in contrast to other formats with which they are familiar: paper, yes, but also other digital formats like *.doc or *.htm or *.jpg. Like older, non-electronic formats, PDFs can feel fixed, locked, in comparison to other digital formats for text at the same time they can feel “smart” in comparison with digital formats for images.“

Ein wichtiges Merkmal, vielleicht auch ein entscheidender Vorteil des PDF-Formats ist (oder war?) die Printability. Gerade weil die elektronische bzw. digitale Verarbeitung von Text und die Dissemination über digitale Netzwerke die Arbeit mit Dokumenten (bzw. Texten) weitgehend flexbilisiert, ihnen also, wenn man möchte, das materiell Gegenständliche nimmt, erzeugt die Stabilität und Geschlossenheit des PDFs und damit die Beibehaltung einer eindeutigen Objekthaftigkeit eine ganz neue Möglichkeit: die Dokumente sind individuell vor Ort und on demand in einer verbindlichen Form druckbar. Für alle, denen daran liegt, dass es eine eindeutige Fassung ihrer digitalen Daten gibt (insbesondere gilt dies natürlich für Formulare) ist das die perfekte Lösung.

Abigail J. Sellen und Richard H.R. Harper vermerkten vor 12 Jahren entsprechend in ihrem Kapitel zur Zukunft des Papiers in ihrer Arbeit zum Myth of the Paperless Office, dass die digitalen Veränderungen nicht zum Verschwinden des Papiers führen werden. Das neue Möglichkeitsspektrum für die Wissensarbeit der von ihnen gesehenen Zukunft, vom home office und mobile working bis hin zur Verlagerung der Archivierung von Materialien von gedruckten zu digitalen Ablagen, hat auch diese Folge:

„We can also see that as printing technologies begin increasingly inhabit our homes, so too will printing in the home be in the increase.“ (S.209)

Die Frage ist nun 2015 angesichts der weitreichenden und 2002 noch nicht so absehbaren Etablierung mobiler Anzeige- und Interaktionsgeräte, ob es sich dabei jenseits bürokratischer und diesseits textkommunikativer Zusammenhänge nicht doch um einen Übergangszustand handelte. Noch ist das PDF das digitale Archivformat der Wahl. Aber es ist vielleicht nicht mehr die primäre Rezeptionsform auch längerer digitaler Texte. Jedenfalls außerhalb des Wissenschaftsbetriebs.

Die E-Paper beispielsweise der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bieten eine html-Ansicht und eine .jpg-Bilddatei der jeweiligen Zeitungsspalten. Die PDF-Option sucht man dagegen vergeblich. Typische Longread-Anbieter wie der New Yorker ermöglichen das Ausdrucken direkt aus dem HTML, wobei die Druckfassung der Webseite minus einiger Randelemente entspricht. Webbrowser auf Mobilgeräten besitzen eine Reader-Funktion, die jeden HTML-Text halbwegs ohne Beiwerk (Navigationselemente, dynamische Elemente, Werbung) in einer lesbaren Form ausgibt. Sich etwas über das Smartphone als Zwischenmedium auszudrucken ist dagegen nicht vorgesehen.

Bei wissenschaftlichen Textanbietern findet man vergleichsweise seltend Anpassungen für eine mobile Lektüre. Der Abruf eines aktuellen Aufsatzes vom durchaus auf Innovativität setzenden Scienceopen-Portals mit der Readerfunktion des Smartphone-Browsers zeigt zum Beispiel aus unerklärlichen Gründen einzig die Bibliografie. Der PDF-Download des Aufsatzes ist möglich, hat aber eine Dateigröße von 2,16 MB. Das mag für Schreibtischanschlüsse kein Problem sein. Für die mobile Nutzung sind solche Größen und das Dateiformat jedoch aus verschiedenen Gründen unpraktisch.

Dass die Wissenschaft für ihre formale Kommunikation dennoch weiterhin massiv auf PDF setzen, dürfte allerdings weniger seine Ursache darin haben, dass Wissenschaftler nicht mobil Texte lesen. Sondern in etwas, was Gitelman im Gespräch mit dem Blog der Library of Congress betonte:

„Because PDF technology involves a separation between those who create files and those who merely read them–with a PDF reader application–the technology helps to structure authorship […]“

Wo sie die Textkontrolle im Sinne vielleicht auch einer Werkherrschaft im kommerziellen Bereich sieht, lässt sich für die Wissenschaft und insbesondere für die Geisteswissenschaften festhalten, dass die Verknüpfung der Autorenschaft mit einer Aussage und mit einem vom Autor vorgegebenen Fassung eine weitaus größere Rolle spielt als beispielsweise bei einer Nachrichtenseite. (Nachweisbare) Autorschaft ist in der Wissenschaft die wichtigste Form, soziales Kapital zu akkumulieren. Eine wissenschaftliche Publikation soll vielleicht nicht ausschließlich in einer fixen autorisierten Variante rezipierbar sein. Aber es sollte sie zumindest für das Archiv und für eine eindeutige Zitierbarkeit in einer solchen geben. Man braucht also eine absolut fixierte, zeit- und anzeigestabile Digitalfassung eines wissenschaftlichen Textes. Daraus könnte sich die unverminderte Dominanz des PDF-Formats in der Wissenschaft erklären lassen.

Die Frage, was sie von sich in der Wissenschaft entwickelnde „beyond the PDF“-Bewegungen hält, beantwortete die Expertin Gitelman übrigens hoffnungsvoll ratlos:

„It may be that future protocols for scholarly communication can displace current publication norms, I don’t know. I’m hopeful.“


 

Trevor Owen: The PDF’s Place in a History of Paper Knowledge: An Interview with Lisa Gitelman. In: The Signal. Digital Preservation. 16.07.2014

John Rodzvilla: Book Review Lisa Gitelman: Paper Knowledge: Towards a Media History of Documents. In: Publishing Research Quarterly. [Online First Articles] 18.12.2014. DOI: 10.1007/s12109-014-9391-2

Abigail J. Sellen, Richard H.R. Harper: The Myth of the Paperless Office. Camdridge, London: MIT Press, 2002

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