Das Oligopol der Wissenschaftsverlage und die Geisteswissenschaften

Eine Notiz zu

Vincent Larivière, Stefanie Haustein, Philippe Mongeon (2015): The Oligopoly of Academic Publishers in the Digital Era. In: PLOS ONE. June 10, 2015. DOI: 10.1371/journal.pone.0127502

von Ben Kaden (@bkaden)

Nachdem das Fu-PusH-Projekt (also Michael und ich) unlängst vor der Herausforderung standen, in einem Interview für ein Studienprojekt möglichst kompetent Auskunft über Perspektiven in den Sozial- und Geisteswissenschaften zu geben und aus unserer Erfahrung heraus konstatieren mussten, dass die Publikationsbedingungen im HSS-Bereich disziplinär doch sehr unterschiedlich sind, fühlen wir uns nun nachträglich durch eine aktuelle Studie von Bibliotheks- und Informationswissenschaftlern der Université de Montréal sehr bestätigt. Vincent Larivière, Stefanie Haustein und Philippe Mongeon stellen für das Publizieren in den Geisteswissenschaften fest:

„On the other hand, papers in arts and humanities are still largely dispersed amongst many smaller publishers, with the top five commercial publishers only accounting for 20% of humanities papers and 10% of arts papers in 2013, despite a small increase since the second half of the 1990s. The relatively low cost of journals in those disciplines—a consequence of their lower publication density—might explain the lower share of the major commercial publishers. Also, the transition from print to electronic—a strong argument for journals to convert to commercial publishers—has happened at a much slower pace in those disciplines as the use for recent scientific information is less pressing. Moreover, these disciplines make a much more important use of books and generally rely on local journals, all of which are factors that make it much less interesting for big publishers to buy journals or found new ones in the arts and humanities.“

Die nach wie vor starke Konzentration auf das Medium Buch (bzw. die Monografie), überschaubare Erwerbungskosten für geisteswissenschaftliche Publikationen und ein eher zurückhaltender Umgang mit der digitalen Transformation sowie nicht zuletzt die vergleichsweise langsamere Kommunikationsgeschwindigkeit – alles Aspekte, die sich auch in den Fu-PusH-Interviews ermitteln ließen – haben im Nebeneffekt dazu geführt, dass im geisteswissenschaftlichen Publikationsbereich bis heute eine recht große Vielfalt an Verlagen erhalten blieb. Für die Big Five – Reed-Elsevier, Wiley-Blackwell, Springer, Taylor & Francis und Sage Publications – sind andere wissenschaftskommunikative Felder als Schwerpunktgeschäft offenbar interessanter. Was ganz und gar nicht heißt, dass es im geisteswissenschaftlichen Bereich nicht auch Konzentrationsbestrebungen gibt, wie beispielsweise in Deutschland die Verlagspolitik des Verlag Walter De Gruyter in den vergangenen Jahren deutlich zeigte.

Dessen Publikationen sind allerdings proportional nicht durchgängig umfassend im Arts and Humanities Citation Index erfasst, weshalb sie der Studie vermutlich entgingen. Diese ermittelt, dass 20% der geisteswissenschaftlichen Publikationen über die Big Five veröffentlicht werden. In den Sozialwissenschaften sind es 70%. Der Durchschnittswert für alle wissenschaftlichen Publikationen liegt bei 50% (immer vor dem Hintergrund der Datenbasis des Web of Science).

Die Fu-PusH-Interviews legen darüberhinaus nah, dass es in den unterschiedlichen Disziplinen durchaus Konzentrationen gibt, die eng an die Reputation eines Verlages gebunden sind, was insbesondere auch für monografische Publikationen zutrifft. So hat man selten mehr als drei bis vier prestigeträchtige Verlage, die als Publikationsorte für das erste und das zweite Buch als wirklich reputationsbildend gelten. Allerdings eben oft spezialisiert pro Disziplin, was die geisteswissenschaftliche Verlagsvielfalt begründet. Insgesamt gilt auch hier:

„researchers are still dependent on one essentially symbolic function of publishers, which is to allocate academic capital“

was es für neue Akteure und insbesondere das Publizieren abseits etablierter Verlagsstrukturen sehr schwer macht. Open Access ist etwas, das prinzipiell sehr viele Wissenschaftler_innen begrüßen. Wenn es aber darum geht, karrierewirksame Publikationslisten zu kumulieren, bleibt man lieber auf Distanz, jedenfalls dann, wenn die entsprechenden Verlage auf diese Distanz bestehen. Dies betrifft ausdrücklich auch die Generation der mutmaßlichen Digital Natives. Denn bis heute belohnen die Wissenschaftsgemeinschaften im Zweifelsfall eine traditionellen Mustern folgende Publikationskonformität. Vincent Larivière, Stefanie Haustein und Philippe Mongeon schreiben beschreiben die gegenwärtige Situation entsprechend nicht überraschend so:

„Young researchers need to publish in prestigious journals to gain tenure, while older researchers need to do the same in order to keep their grants, and, in this environment, publishing in a high impact Elsevier or Springer journal is what ‘counts’. In this general context, the negative effect of various bibliometric indicators in the evaluation of individual researchers cannot be understated.“

Wobei die Reputationseffekte geisteswissenschaftlicher Verlage in Deutschland eher auf Ruf, persönlichen und wissenschaftssozialen Netzwerken sowie den fachgemeinschaftlichen Stellungen der Herausgeber beruhen, als auf Impact-Messungen. Die Frage, was besser ist – vermeintlich harte Evaluationskriterien mit einem oft fragwürdig konstruierten Hintergrund (Impact-Factor) oder weiche traditionsbasierte Anerkennungsmechanismen – ist derzeit kaum entscheidbar. Beides funktioniert für bestimmte Akteure recht gut und für andere gar nicht und reproduziert jeweils weitgehend bestehende Strukturen. Die breite Ablehnung von Evaluationsansätzen und die Warnung vor einer Szientifizierung, wie sie in den deutschen Geisteswissenschaften (und Wissenschaftsfeuilletons) häufig zu beobachten bzw. zu hören ist, fußt ja nicht zwingend im Willen, Wissenschaft anders und weniger deterministisch zu denken, sondern durchaus hin und wieder im Bestreben, den eigenen Status mitsamt einem sehr spezifischen wissenschaftskulturellen Idealbild abzusichern. Das Pochen auf Qualitätssicherung und zwar nach Ansätzen, die bisher alternative Publikationskanäle mit anderen Sichtungskriterien weithin ausklammern, lässt sich durchaus auch als ein Pochen auf die eigene Auswahlkompetenz interpretieren. Es gibt selbstverständlich auch andere Diskursformationen. Wer jedoch schon einmal Zeuge erbitterter fachgesellschaftlicher Diskussionen darüber wurde, ob man E-Only-Publikationen als wissenschaftswürdig anerkennen sollte, der schüttelt solche Vermutung nicht ganz leicht wieder ab.

Publikationsqualitativ ist nach dem weitgehenden aus Spargründen (und weil die Wissenschaftler_innen einfach mitspielen) Aussterben eines soliden Wissenschaftslektorats spielt die Publikationsinstanz im digitalen Publizieren kaum mehr eine Rolle. Der Scholar-2.0 übernimmt dank eigenem Blog- und Twitternetzwerk sogar die Öffentlichkeitsarbeit in die Zielgruppe. Die Hauptfunktion der Verlage scheint heute an sehr vielen Punkten darin zu liegen, in einer prinzipiellen Unübersichtlichkeit wissenschaftlichen Outputs als allgemeines Orientierungs- und Filterlabel zu fungieren. Das kann durchaus sinnvoll sein. Die aktuelle Frage ist allerdings, wie viel sich die Wissenschaft dies kosten lassen möchte. Das aktuelle Desiderat, dass angesichts der zweifellos vorliegenden Konzentrationsprozesse deutlich im Raum steht, sind alternative Mechanismen, zur Ermittlung der Güte wissenschaftlicher Publikationen. Digitale Datenkulturen bieten dafür weit über herkömmliche Zitationsmessungen hinausreichende Ansätze. Eine zeitgemäße Bibliothekswissenschaft (in Kooperation mit weiteren Akteuren) wäre sicher ein naheliegendes Feld, dass sich systematisch an die Entwicklung von Alternativen sowohl zu dem in die Jahre gekommenen Science Citation Index und zu den bisher sehr kurz greifenden altmetrischen Ansätzen begeben könnte. Bestandsanalysen wie die vorliegende schaffen es in jedem Fall, die Notwendigkeit solcher Entwicklungen zu verdeutlichen.

 

15. Juni 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden
Veröffentlicht unter Allgemein

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