Die FAZ über Universitätsverlage und die Rolle der Bibliothek für die Wissenschaft.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht heute (Mittwoch, 02.09.2015) auf ihrer Seite Forschung und Lehre (N4) gleich zwei Beiträge, die unmittelbar für die Domäne, in welcher Fu-PusH forscht, relevant sind. Einerseits befasst sich Magnus Klaue mit dem Phänomen der Universitätsverlage und den Unterschieden zwischen den deutschen und den angloamerikanischen Modellen. Den Ausgangspunkt des Artikels bietet die Bedeutung solcher Verlage vor allem für die Publikation von Qualifikationsarbeiten, die es in den Geisteswissenschaften zeitnah und möglichst einschlägig mit Renommé umzusetzen gilt:

„Erscheint eine Dissertation später als drei Jahre nach Abschluss des Promotionsverfahrens, kann es Probleme mit dem Erhalt des akademischen Titels geben. Erscheint die Arbeit in einer wenig renommierten Reihe, mindert das die Chance von Rezensionen. Die meisten geisteswissenschaftlichen Dissertationen werden, obwohl digitale Publikationsmöglichkeiten bestehen, noch immer in traditionellen Wissenschaftsverlagen herausgebracht.“

In Deutschland ist das vergleichsweise teuer und mühsam. Die Hausverlage von Universitäten in den USA oder Großbritannien haben neben den offenbar einfacheren Publikationsmöglichkeiten gegenüber ihren deutschen Gegenstücken oft auch den Vorteil, dass sie als Verlag eine Reputation besitzen, die den deutschen Universitätsverlagen in der Regel fehlt. Zudem schlagen sie die Brücke zwischen der wissenschaftlichen und der außerakademischen Öffentlichkeit. Ein Fachbuch gelangt so auch auf den Sachbuchmarkt und ist, sofern das Lektorat gute Arbeit leistet, auch für ein allgemeines Publikum interessant.

In Deutschland, so merkt Magnus Klaue an, werden die beiden Öffentlichkeiten häufig streng getrennt gesehen. Tatsächlich bestätigen auch die Fu-PusH-Interviews, dass hierzulande wissenschaftliche Publikationen für den allgemeinen Publikumsmarkt eine große Ausnahme darstellen.

Zusammenfassend stellt der Autor fest:

„Insgesamt sind die neuen Universitätsverlage in Deutschland historisch jünger, konzeptionell aber weniger modern als ihre Vorbilder.“

Gleichzeitig gibt es in Deutschland einige akademische Verlage, die an eine weitaus ältere Tradition anknüpfen und ebenfalls im Vergleich zu den angloamerikanischen Universitätsverlagen in einer Sonderrolle aktiv sind: Sie sind quasi überinstitutionell, also nicht einer spezifischen Hochschule verpflichtet. Dass die Universitätsverlage in Deutschland in ihrer Entwicklung den angloamerikanischen hinterher sind, wäre, so lässt sich aus dem Artikel festhalten, also eine falsche Schlussfolgerung. Vielmehr existieren zwei Sonderwege, eine Form mehr als technischer Dienstleister für eine Hochschule und eine als übergreifend und sehr traditionsbewusst agierender Zweig mit starker Ausrichtung auf den Buchmarkt. Dennoch, so wünscht sich der Autor, könnten die Hürden für die Publikation von Qualifikationsarbeiten ruhig durchaus etwas sinken.

Im zweiten Artikel reflektiert Michael Knoche, Direktor der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek, über die Rolle der Bibliothek für die Wissenschaft und die „Tücken eine E-only-Politik“. Auslöser ist hier der Schritt der DFG, Sondersammelgebiete in Fachinformationsdienste zu transformieren. Michael Knoche fragt nun, was von der Idee des Bestandsaufbaus und der Sammlung bleibt und stellt fest:

„Der Aufbau einer umfassenden Sammlung im Sinne eines Reservoirs wird von der DFG nicht mehr gefördert.“

Ist das schlimm? Nun ja, es ist angesichts vor allem der vertragsrechtlichen Komplexität digitaler Angebote eine Herausforderung. So können Bibliotheken zum Beispiel elektronische Inhalte in der Regel nur von den Wissenschaftsverlagen lizenzieren, erwerben also kein Eigentumsrecht an Exemplaren. Die langfristige Bestandsperspektive ist somit weitgehend unklar. Zudem entstehen als Folge der Bildung von Einkaufskonsortien zwar umfangreiche aber nicht unbedingt durchgängige und vor allem selten vollständige Bibliotheksangebote. Bevor ein solches auf die Lizenzierung von elektronischen Publikationen setzendes Verfahren wirklich zweckmäßig sein kann, ist es notwendig, so der Autor, dass Bibliotheken, Verlage und – auch noch im Spiel – der Buchhandel neue Formen der Kooperation für die Absicherung der wissenschaftlichen Informationsversorgung entwickeln. Dies gilt für alle Wissenschaften. Für die Geistes- und Kulturwissenschaften aber noch in einer besonderen Weise:

„Erst recht gilt dies für die hermeneutisch-interpretierenden, begrifflich-theoretischen und gestaltenden Forschungsformen, also die Geistes- und Kulturwissenschaften. Eine E-only-Politik schlösse die Mehrzahl von Publikationen aus. Denn wissenschaftliche Publikationen oder relevante Primärtexte (z.B. in Literatur, Philosophie oder Musik) werden noch lange auf Papier erscheinen. Von den wissenschaftlich relevanten Zeitschriften liegt nur ein Drittel auch in einer digitalen Parallelversion vor.“

Auch diesem Befund können wir vor dem Hintergrund der Fu-PusH-Interviews nicht widersprechen. Es ist vielmehr ein an Komplexität nicht gerade abnehmendes Nebeneinander diverser Publikationsformen, sowohl klassisch in print, digital und hybrid, wie auch, man denke an digitale Editionen, in wachsendem Abstand zu den traditionellen Sammelobjekten von Bibliotheken stehend. Dazu kommen mit dem Nebeneinander von Verlags-, Open-Access- und Zweitveröffentlichungen auch unterschiedliche Erwerbungsmodelle für einzelne Publikationen. Michael Knoche fast dieses Vielfalt so:

„Neben gedruckten Verlagspublikationen sind E-Books, E-Journals, Datenbanken, Open-Access-Repositorien mit allen Zwischenformen, selbstpublizierte Titel und medial entgrenzte Inhalte jenseits des klassischen Publikationsbegriffs zu berücksichtigen.“

Und er betont:

„Es gibt für forschungsorientierte Bibliotheken aber alle guten Gründe, den Sammelauftrag auch künftig arbeitsteilig wahrzunehmen.“

Die Aufgabe der Bibliothek bleibt dabei die, die sie schon lange für die Wissenschaft übernommen hatte. Sie muss Forschungsinformationen:

„selektieren, aufbereiten, vertrauenswürdig archivieren, finanzieren und vermitteln.“

Das unterscheidet sich nicht sonderlich von der Definition, die Walther Umstätter vor fast zwanzig Jahren in einem Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung formulierte. Die Bibliothek ist danach

„eine Einrichtung, die unter archivarischen, ökonomischen und synoptischen Gesichtspunkten publizierte Information für die Benutzer sammelt, ordnet und verfügbar macht.“ (vgl. Walther Umstätter, Gisela Ewert (1997): Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung. Stuttgart: Hiersemann, S. 12)
Akuter wurde mit den Jahren vor allem der Aspekt der Finanzierung, der mehr oder weniger bewusst an die Stelle des Sammelns gesetzt erscheint. In den 1990er Jahren war er im Sinne des Bestandsaufbaus noch als Erwerbungsetat im Geschehen der Sammlung subsumiert. Ebenfalls neu sind im Vergleich die Anforderungen an die Organisation einer Publikationsvielfalt und -komplexität, für die die alten Bibliothekslehrbücher kaum mehr als Hilfestellung passen und für die es auch über ein von Michael Knoche angeregtes „neuformuliertes Sondersammelgebietsprogramm“ hinaus zeitgemäße Lösungen für die Bibliotheksdienstleistungen der Gegenwart zu entwickeln gilt.
Quellen:
Magnus Klaue: Die Vorbilder der neuen Universitätsverlage. In: FAZ, 02.09.2015, S. N4
Michael Knoche: Der Bibliothekar als Gatekeeper der Wissenschaft. In: FAZ, 02.09.2015, S. N4
2. September 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden
Veröffentlicht unter Allgemein, Literaturbericht

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