Archiv für Kategorie Literaturbericht

Produziert die Wissenschaft zu viel Wissenschaft? Und wie neu ist das Phänomen des ‚Attention Decay‘ in der Wissenschaft?

Eine Anmerkung von Ben Kaden (@bkaden)

Bei der Süddeutschen Zeitung wurde eine kuriose Überschrift daraus: Studie: Wissenschaftler produzieren zu viele Studien. Aber ganz so selbstbezüglich wie das zunächst klingt, ist die unlängst auf arXiv.org publizierte Arbeit von Pietro Della Briotta Parolo, Raj Kumar Pan, Rumi Ghosh, Bernardo A. Huberman, Kimmo Kaski und Santo Fortunato zum Attention decay in science nicht. Verschiebungen in der Aufmerksamkeitsökonomie in der Wissenschaft wirken selbstverständlich erheblich auf die Frage zurück, wie wissenschaftliche Publikationen sinnvoll vermittelt werden können und sollen. Am Ende steht möglicherweise die Frage, ob die herkömmlichen Form des wissenschaftlichen Aufsatzes bzw. der wissenschaftlichen Monografie überhaupt noch auf die neuen Wahrnehmungs- und Filterkonventionen passen. Eine stärkere Öffnung hin zu dynamischen Formen im Social Web ist zumindest in den Geisteswissenschaften freilich noch nicht in Sicht, wie Thomas Thiel vergangenen Mittwoch in der FAZ von der Wissensspeicher-Tagung in Düsseldorf zu berichten wusste:

„Dass man die Schleusen der Wissenschaft nur für qualitativ gesichertes Wissen öffnen und Social Media und Blogs dem Experimentellen, Vorläufigen und Wissenschaftsjournalistischen überlassen solle, stieß unter Professoren auf große Sympathien.“ (Thomas Thiel: Die Neuvermessung des elektronischen Speicheruniversums. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.2015, S. N4. Für eine umfänglichere Auseinandersetzung mit diesem Bericht siehe LIBREAS-Tumblr)

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In Kürze: Das Journal of Brief Ideas publiziert 200-Wörter-Paper.

Vorhin argumentierte ich bezüglich Wissenschaftskommunikation und Twitter, dass es vermutlich ziemlich schwer ist, ein Argument in 140 Zeichen zu fassen. In 200 Wörtern soll es aber schon gelingen und zwar wissenschaftskommunikativ voll akzeptabel. Dies ist jedenfalls der Anspruch des Journal of Brief Ideas, das Chris Woolston in der aktuellen Ausgabe von Nature beschreibt. (Chris Woolston: Journal publishes 200-word papers. In: Nature 518,277, DOI: 10.1038/518277f) Das Journal verzichtet bislang auf ein Peer Review, was hier eigentlich wunderbar schnell gehen würde, rüstet die Beiträge jedoch so aus, dass sie in den Wissenschaftsdiskurs integrierbar sind. Nämlich mit einer DOI:

„Each article receives a DOI (digital object identifier), a unique number that allows the paper to be archived and cited.“

Der Verzicht auf Peer Review folgt der Einsicht, dass man 200 Wörter auch gleich selbst hinsichtlich ihrer Qualität bewerten kann. Was allerdings nur funktioniert, wenn sich nicht übermäßig viele Short-Read-Texte zu einer potentiell relevanten Long-Read-Gesamtheit addieren. Die Qualitätssicherung soll über ein Ranking/Rating, also post-publication, erfolgen. Geisteswissenschaftliche Inhalte sucht man bisher vergeblich. Aber es gibt einen durchaus interessanten Beitrag aus der Hochschulforschung: Why research reputation trumps teaching reputation in universities (Sean Leaver, http://dx.doi.org/10.5281/zenodo.15414). Generell zeigt dieses Beispiel natürlich vor allem, wie man mit neuen Publikationsformen schwindenden Zeitbudgets zu begegnen versucht.

University Presses, 1955 und 2015

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Wer die Rolle der Verlage in den Geisteswissenschaften verstehen möchte, profitiert möglicherweise von einem Blick zurück. Vor ziemlich exakt 60 Jahren erschien in der Zeitschrift The Nation ein kurzer Artikel von Victor Reynolds, damals Chef der Cornell University Press, über die Funktion der Universitätsverlage in den USA, also der University Presses, die zu diesem Zeitpunkt immerhin bereits auf eine 85-jährige Geschichte zurückblicken konnten. Die von der Association of American University Presses herausgegebene und von Reynolds zitierte Rollenbeschreibung umfasst drei Aspekte:

  1. Sie publizieren Forschungsergebnisse zum Nutzen anderen Wissenschaftler, also der Wissenschaftsgemeinschaft.
  2. Sie publizieren lesbare und authentische Interpretationen dieser Forschung für eine allgemeine Öffentlichkeit („for the layman“).
  3. Sie publizieren Bücher, die die regionale Kultur und Geschichte behandeln.

 

Interessant sind aus Sicht der Wissenschaftskommunikation vor allem die Punkte (1) und (2).Wer die Folien von Peter Bekery von dessen Vortrag auf der Academic Publishing in Europe (APE) aus dem Januar 2015 dagegen hält, entdeckt eine bemerkenswerte Kontinuität. Der Publishing-„Mix“ 2015 umfasst Monographien „by scholars, for scholars“, so genannte Crossover Monographies sowie regionalgeschichtliche Publikationen. Also exakt das, was man auch 1955 im Programm hatte. Dazu kommen Literatur (vorwiegend in Übersetzung), Lyrik, Lehrbücher und Zeitschriften.


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Social Media, Wissenschaftsforschung und das Kreditierungsproblem nicht-konventioneller Formen der Fachkommunikation

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Im Oktober 2013 veröffentlichte Diane Harley vom Center for Studies in Higher Education, University of California, Berkeley in Science einen Aufsatz, in dem sie sich mit Nachdruck für eine intensive Forschung zu den tatsächlichen Ansprüchen und Anforderungen von Fachgemeinschaften bei der wissenschaftlichen Kommunikation aussprach. Ausgangspunkt war die allgegenwärtige Prognose einer sich durch digitale Kommunikationstechnologien massiv verändernden Kommunikations-, Publikations- und letztlich auch Forschungspraxis:

„Over two decades many have predicted that models of scholarly communication enabled by emerging technologies will transform how research is conducted, disseminated, and rewarded. The transformation would be driven by new generations of scholars weaned on file sharing, digital piracy, Facebook, Twitter, and yet-unrealized social media technologies. „

Die wahrnehmbaren wirklichen Verschiebungen sind jedoch eher verhalten und weniger durch die technischen Möglichkeiten als durch persönliche Motivation, inhaltlichen Veränderungen im Wissenschaftsfeld und der Kreditierungspraxis der jeweiligen Disziplin geprägt. (vgl. Harley et al, 2010) Dies deckt sich weitgehend mit den bisherigen Erkentnissen aus den Fu-PusH-Befragungen, wobei sich die Rolle der technologischen Möglichkeiten dort verändert, wo sie tatsächlich zum Beispiel bei der Verbreitung von Inhalten maßgebliche Vorteile (bei überschaubarem Aufwand) bringen. In der Studie aus dem Jahr 2010 wird noch vermerkt:

„Blogs, RSS feeds, wikis, Twitter, etc., were not cited as common ways in which scholars broadcast and receive information.“ (Harley et al, 2010, S.14)

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Eric Steinhauer über einen Aufsatz zur Zukunft des geisteswissenschaftlichen Buches

Die Januarausgabe von Merkur – Zeitschrift für europäisches Denken ist etwas, was im Fu-PusH-Büro ebenso wie beispielsweise auch noch die #1 der Zeitschrift Grundlagenforschung auf dem To-Read-Stapel liegt. Wir beklagen uns natürlich nicht über das, was man Publikationsflut oder Information Overload nennt, denn wer in einer Disziplin sozialisiert wurde, die permanent über die Unmöglichkeit, das Publizierte möglichst zeitnah in eine einfache und handhabbare Form für die zeitnahe Benutzung als Bibliotheksbestand reflektiert, weiß, dass solche Überschwemmungseffekte keine Neuigkeit darstellen.

Betrüblich ist einzig, dass man viele Diskursbeiträge, die hochrelevant sind und die man eigentlich würdigen möchte, nicht zureichend würdigen kann. Plötzlich ist ein Monat vorüber und die nächsten Neuerscheinungen liegen auf dem Tisch und wollen gesichert, oft auch gelesen und hin und wieder auch wenigstens referiert werden.

Für einen Aufsatz aus dem Jahresauftaktschwerpunkt „Die Gegenwart des Digitalen“ hilft uns glücklicherweise Eric Steinhauer in seinem Weblog Skriptorium aus. Er hat nämlich den für Fu-PusH äußerst einschlägigen Aufsatz Die Gefährdung des geisteswissenschaftlichen Buches. Die USA, Frankreich und Deutschland im Vergleich. von Caspar Hirschi und Carlos Spoerhase nicht nur gelesen sondern referiert ihn auch gleich in etwa so, wie wir es gern längst getan hätten. Dabei kommt er zu folgender Einschätzung:

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Desiderate beim Umgang mit geisteswissenschaftlichen Forschungsdaten. Erkenntnisse einer Interviewreihe an der HU Berlin

Eine schönes und vor allem für Fu-PusH einschlägiges Beispiel für eine Forschungsdatenpublikation stellt die Dokumentation dar, welche die Informationswissenschaftlerin Elena Simukovic unlängst über Academia.edu verfügbar machte (PDF-Volltext). Sie enthält die Ergebnisse von Interviews, die von 2013 bis 2014 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfanden. Vom Thema her ergibt sich eine gewisse Selbstreferenzialität bzw. auch ein Best-Practice-Beispiel, wurden die 17 WissenschafterInnen doch zu ihrem Umgang eben mit Forschungsdaten befragt.

Die Ergebnisse an sich sind schon interessant für jeden, der sich mit dem Thema Forschungsdaten intensiver befasst. Da die Autoren aber die Zusammenfassungen der Interviews disziplinär differenziert vorliegen, wird es nun möglich, die Erkenntnisse gezielt für die vier Befragten aus den  Geisteswissenschaften Zeitgenössische Kunstgeschichte (7.9, Stefanie Gerke), Deutsche Literatur (7.10, Anne Baillot), Kunstgeschichte und Visualisierung (7.11, Erna Fiorentini) und Mittelalterliche Geschichte (7.16, Stefan Schlelein) zu betrachten.

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19. Januar 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | Kein Kommentar »
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Digitale Schrift und digitales Schreiben

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Wer sich mit der Zukunft des Publizierens in den Geisteswissenschaften befasst, die mutmaßlich grundlegend digital sein wird, befasst sich unvermeidlich auch mit den Beschaffenheiten digitaler Dokumente und digitalen Textes. Daher ist die Auseinandersetzung mit Text- und Schrifttheorien für Fu-PusH auch sehr relevant. Ein interessantes Beispiel für die Beschäftigung mit der Digitalisierung des Schreibprozesses und damit auch digitaler Autorschaft stammt von dem Medientheoretiker Mark Poster, der 1990 in seinem Buch The mode of information. Poststructuralism and Social Context. (Chicago: University of Chicago Press, 1990) schrieb:

Zitat Mark Poster - 1990
Zitat Mark Poster – 1990

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7. Januar 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | Kein Kommentar »
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Digital_Humanities, rezensiert in Design & Culture

Jeffrey L. Meikle (2014) Digital_Humanities. [Rezension] In: Design & Culture, Vol. 6 Nr. 3, S. 431-433. DOI: http://dx.doi.org/10.2752/175470814X14105156869746

In der Novemberausgabe (2014) der Zeitschrift Design & Culture rezensiert der Kulturwissenschaftler Jeffrey L. Meikle mit per Erscheinungsdatum ziemlich exakt zwei Jahren Abstand den Sammelband Digital_Humanities (herausgegeben von Anne Burdick, Johanna Drucker, Peter Lunenfeld, Todd Pressner und Jeffrey Schnapp, Cambridge: MIT Press, 2012). Diese Lücke erweist sich als relevant, da sich das Feld der Digital Humanities und der Diskurs dazu derart rasant entwickeln und verändern, dass Monographien vermutlich von vornherein mehr als Zeitdokumente denn als Gegenwartsabbildungen zu lesen sind. Dies relativiert die von Meikle herausgestellten Defizite des Sammelbandes ein wenig. Vieles darin dürfte naturgemäß nicht mehr der Forschungsfront der DH entsprechen.

Dennoch kann man ein paar Aspekte notieren, die insgesamt recht typisch für die Debatte sind. Zentral, auch in der Kritik Meikles, ist die Fassung der Digital Humanities als Utopie mit den Vorvätern Mashall McLuhan, Buckminster Fuller, Robert Theobald und Pierre Theilhard de Chardin. So vermerkt der Rezensent:

„The shift away from verbal understanding toward visual and spatial means of representing and mapping information in digital humanities recalls Fuller’s plan for imagining complex demographic and resource data as shifting patterns on a computerized model of the globe.“

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6. Januar 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | Kein Kommentar »
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Breaking Book. Wie Amazon das Lesen „enhanced“

Eine Anmerkung von Ben Kaden. (@bkaden) zu
Casey  Newton: THE EVERYTHING BOOK: READING IN THE AGE OF AMAZON. In: The Verge, 17.12.2014

In der vergangenen Woche publizierte der SPIEGEL eine Titelgeschichte zur Zukunft des Lesens (eine ausführliche Auseinandersetzung damit findet sich im LIBREAS-Tumblr). Heute findet sich ein weiterer Beitrag zum Thema auf der Seite The Verge, wobei Beitrag und Seite ziemlich deutlich die Differenz der Welten zwischen SPIEGEL und dem Vox-Media-Journalismus aufzeigen. Die so genannte Longform ist, wenn man sie im Digitalen angemessen abbildet, keineswegs eine Angelegenheit der Vergangenheit und The Verge zeigt wenigstens formal einen ziemlich medienadäquaten Ansatz.

Die Stärke von Casey Newtons Artikel zu sich entwickelnden digitalen Leseformen gegenüber dem SPIEGEL-Text liegt inhaltlich zunächst schon einmal darin, dass sich der Technikjournalist hauptsächlich auf einen Hauptakteur und dessen Leselabore und Buchmarktideen konzentriert. Und zwar auf einen, wenigstens in den USA und für viele bedauerlicherweise, Platzhirschen. Inhaltlich schürft er zwar nicht sonderlich tiefer als seine SPIEGEL-Kollegen. Aber er schürft weitaus aufgeräumter.

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Über Data Sharing und Open Humanities

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Der freie Zugang zu Forschungsdaten und damit die allgemeine Nachnutzbarkeit von Datenbeständen sind ein zentraler Aspekt des Diskurses zum zukünftigen Publizieren in den Geisteswissenschaften. Denn natürlich ist es gerade für Infrastrukturanbieter wie Hochschulbibliotheken aber auch für Wissenschaftsdienstleister wie zum Beispiel Verlage sehr wichtig, absehen zu können, in welcher Form Forschungsdatenrepositorien aufzubauen und zu implementieren sind, welche Werkzeuge und Infraststrukturen für welche Varianten des Data Sharing notwendig werden, auf welcher Basis die Frage der Langzeitarchivierung und idealerweise auch der Langzeitverfügbarkeit von Forschungsdaten adressiert wird und schließlich welche Datenstandards, Austauschformate u.ä. vorliegen oder noch entwickelt werden müssen.

Angesichts dieser Herausforderungen ist es möglicherweise gar nicht so schlecht, dass das Teilen von Forschungsdaten nach dem Open-Data-Konzept bisher keinesfalls der Regelfall ist, wie ein aktueller Aufsatz in der Zeitschrift Research Policy für die Wirtschaftswissenschaften nachweist. (Andreoli-Versbach, Mueller-Langer, 2014) Dort ist nur ein sehr kleiner Teil der Community bereit, sein Datenmaterial den Peers oder darüber hinaus der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.

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17. Dezember 2014 | Veröffentlicht von Ben Kaden | Kein Kommentar »
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