Archiv für Kategorie Literaturbericht

Wort, Material und Distant Reading

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

In der Tech-Rubrik der Zeitschrift The Atlantic erschien in der vergangenen Woche ein Aufsatz von Michael Erard über die Bedeutung von … Wörtern. Er beleuchtet die Rolle dieser Kerneinheit der Sprache aus diversen Perspektiven und landet nicht ganz unerwartet auch im Bereich der Digital Humanities. Anlass sind ihm Verfahren des Distant Reading, das er folgendermaßen beschreibt:

„Taking advantage of the computer’s slant toward word-based analysis, these techniques reimagine literary works as stacks of words. For computer-aided distant readers, literary expertise now amounts to interpreting the patterns in those stacks—for example, the frequency of indefinite articles (“a”) versus definite articles (“the”) in the titles of 19th century novels. According to its proponents, such analysis yields new insights. (For example: Counter-French Revolutionary novel titles use the definite article predominantly, indicating a commitment to the established past rather than an anticipation of the unknown future.)” (Erard, 2014)

Wie belastbar solche Einsichten aus wissenschaftlicher Sicht sind, muss an anderer Stelle diskutiert werden. (vgl. zum Beispiel Kaden, 2012) Dass diese Verfahren in einer Publikumszeitschrift wie The Atlantic behandelt werden, lässt vermuten, dass sie sich langsam etablieren, auch wenn sie nach wie vor eher eine Randerscheinung bleiben. Dies kann auch an der Skepsis gegenüber dieser quantitativen Annäherung an die traditionell aus der Nahperspektive beforschten Gegenstände der Literatur liegen. Eine der ersten Erwähnungen in einer Publikation mit nennenswerter Reichweite über die Literaturwissenschaft hinaus fand es vor sieben Jahren in der THE Chronicle Review. Lindsey Waters schrieb buchstäblich giftig:

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Digital Humanities und buchhistorische Forschung. Zu einem Tagungsbericht

Ende September 2014 gab es in an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel eine Veranstaltung zu der Beziehung zwischen der Buchwissenschaft und den Digital Humanities. In H/SOZ/KULT erschien nun eine Zusammenfassung von Nikolaus Weichselbaumer mit Ergebnissen der Veranstaltung.

Aus Sicht von Fu-PusH ist besonders relevant, wie datenbasiert sich diese Art von Forschung darstellt. Inwieweit die klassische und auf der Forschung mit den Daten entstehende Publikation in Beziehung zu den Methoden der digitalen Geisteswissenschaften diskutiert wurde, geht aus dem Bericht nicht hervor, so dass die Vermutung naheliegt, dass die Frage des eigentlichen Publizierens in der derzeitigen Diskussion zumindest keine vordringliche Rolle spielt.

Man kann freilich genauso vermuten, dass der Publikationsschritt in einer derartig datenorientierten Wissenschaftspraxis in einer neuen und dauerhaften Visualisierungsform aufgeht. Ein Beispiel wäre der Atlas of Early Printing (http://atlas.lib.uiowa.edu/) der University of Iowa Libraries, den Gregory J. Prickman in Wolfenbüttel präsentierte. An ihm wird einerseits erahnbar, wie sich Forschungsnarrative in einer dynamischeren Variante abbilden lassen und andererseits deutlich, wie sehr sich die Infrastruktur- bzw. Forschungsdatenanbieter, also beispielsweise Bibliotheken, im Kontext der Digital Humanities zu direkten Forschungspartnern entwickeln (können).

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Die Zukunft der wissenschaftlichen Kommunikation wie sie David De Roure sieht. Eine Lektüre

von Ben Kaden (@bkaden)

I

Ist der wissenschaftliche Aufsatz noch das passende Format für Daten getriebene Forschung, für die neue, oftmals interdisziplinäre Methodologien (man denke an Digital Humanities) und zunehmende Automatisierung prägend sind? Das fragt sich David De Roure, Professor für e-Science in Oxford, und steuert zur breiten Diskussion über die Zukunft des wissenschaftlichen Kommunizierens einen weiteren Beitrag bei. (De Roure, 2014a) Bemerkenswert und relevant für die Perspektive von Fu-PusH ist er, da in ihm einige Aspekte der denkbaren Erweiterung wissenschaftlicher Publikationsformen Erläuterung finden. Allgemein bemerkenswert ist der Artikel, weil er exemplarisch den Stand der Diskussion um die Zukunft der wissenschaftlichen Kommunikation auch mit ihren Schwächen abbildet.

In seiner Auseinandersetzung mit der Frage nach der Wissenschaftskommunikation in der Zukunft geht De Roure sogar über die Idee des Enhancement hinaus und prognostiziert generell das Ende des wissenschaftlichen Artikels. Der Grund dafür liegt, mittlerweile kaum mehr überraschend, in der ubiquitären Digitalität, die massiv auch in die Wissenschaft hineinwirkt. De Roure spricht von einem „hybrid physical-digital sociotechnical system of enormous and growing scale”, also einem Beziehungsrahmen von Mensch und Maschine, in dem soziale Netzwerke in einer Form und unter dem Einfluss von Big Data repräsentiert werden, so dass man auch von „Sozialen Maschinen“ (social machines) sprechen kann.

Es gibt demnach einen allgemeinen Trend in der Wissenschaft zur datengetriebenen und datenintensiven Forschung, wobei De Roure als Referenz ausgerechnet ein Sammelband der Microsoft Research dient, der kontextgemäß einen, zurückhaltend formuliert, sehr spezifischen Blick auf die Entwicklung spiegelt.

Inwieweit das dort abgebildete Szenario eines vierten Paradigma (die Zahl vier spiegelt sich ja auch in der vierten Revolution, die Luciano Floridi der ubiquitären Rolle von Information zuschreibt, vgl. Floridi, 2014) repräsentativ und die Entwicklung derart geradlinig und zielstrebig ist, wie auch das Schaubild (De Roure, 2014b) suggeriert, muss an anderer Stelle reflektiert werden.

Hier kann immerhin vermerkt werden: Die Tendenzen zu einer sehr intensiv von Rechentechnologien und entsprechenden Datenverarbeitungswerzeugen geprägten Wissenschaft sind an sich gegeben und unstrittig. Offen bleiben die Intensität und Qualität. Spekulativ bleibt, was in zehn Jahren sein wird. Es dürfte allerdings ebenfalls unstrittig sein, dass die Ausweitung des Digitalen in der Wissenschaft zwangsläufig methodologische Folgen hat, wie De Roure betont. Und epistemologische, wie De Roure leider nicht erwähnt, dürften damit auch anstehen.

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Die Rolle einer Zeitschrift für eine Community. Das Beispiel des Journal of Feminist Studies in Religion

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Das Bradford Law of Scattering, vor allem in seiner trivialisierten Form, ist vermutlich einer der wertvollsten und handlichsten Beiträge, die die Bibliometrie einer inter- und transdisziplinären Wissenschaftspraxis schenkte. Denn es lehrt, dass potentiell interessante Aspekte zur eigenen Forschung zwar bevorzugt in einer kleinen Gruppe so genannter Kernzeitschriften erscheinen, aber eben auch weit verstreut.

Was in vordigitalen Zeiten aufwendige, oft ernüchternde und selten wirklich umfänglich realisierbare Sichtungsarbeit darstellte, ist dank der fachübergreifenden Datenbankerschließung problemlos invertiert als neuer Vorteil zu definieren: gerade die Blicke auf einen Forschungsgegenstand, die nicht durch den Tunnel der Core Journals zu einem gelangen, erweitern bisweilen das Verständnis für die eigenen Gegenstand erheblich. Und häufig kontextualisieren sie die eigenen Überlegungen bestätigend und/oder kritisch.

In der Bibliothekswissenschaft steht man ohnehin vor der Situation, dass es für viele Themenstellungen keine perfekt passenden Kernzeitschriften gibt. Untersucht man nun zukünftige Publikationsstrukturen in den Geisteswissenschaften, kann man natürlich im Journal of Digital Humanities blättern und fündig werden. Aber es ist keineswegs davon auszugehen, dass alsbald die Entsprechung Humanities = Digital Humanities erschöpfend ist.

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