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Digitale Fachkommunikation in der Anthropologie. Die Zeitschrift American Anthropologist stellt 2016 (fast) auf e-only um.

„The demographic of print readers is thought to be an aging, behind-the-times cohort of the sort of people who still get paper copies of newspapers.“

Mit dieser mehr oder weniger selbstinduzierten Einschätzung erläutert Michael Chibnik als Herausgeber der Zeitschrift American Anthropologist (AA) in der Early-View-Fassung des Editorials für die nächste und offenbar letzte gedruckte Ausgabe, warum sich die Zeitschrift demnächst als reine Digitalausgabe versteht. Er rettet die leicht pejorativ anmutende Rhetorik ein wenig dadurch, dass er sich per Fußnote selbst zum Angehörigen dieser verschwindenden Epoche zählt. Interessant ist in der Nebensache, wie auch hier die Digitalisierung von Journalismus (=newspapers) und dem wissenschaftlichen Publizieren im selben Kontext, nämlich dem des Trends zur digitalen Rezeption, erscheint. In der Hauptsache lässt sich im Goodbye to Print betitelten Editorial aber auch erkennen, wie eine Triebkraft hinter dem Schritt eine ökonomische ist:

„The association will be able to save the significant amounts of money that have been spent printing and distributing paper copies of AA.“

Die andere Kraft ist die des tatsächlichen Nutzungsverhaltens. Offenbar hat beispielsweise an Chibniks Universität für eine ganze Weile niemand gemerkt, dass die Printausgabe längst abbestellt worden war. Man liest, wie ich übrigens auch, heute mehrheitlich wissenschaftliche Fachaufsätze über den Onlinezugang der Bibliothek und wenn ein Text interessant erscheint, dann druckt man ihn eben am Schreibtisch extra aus.

Eine aus Sicht unseres Projektes interessante Überlegung ist die Ablösung der Idee der Einzelausgabe (issue), die im Digitalen formal ein Anachronismus ist, und die Ersetzung durch content streams. Letztere sind in Grundzügen dank der Early-View-Angebote auf vielen Publikationsplattformen bereits realisiert. American Anthropologist wird die ausgabenbasierte Erscheinungsweise dennoch, wenn auch mit antizipiert schwindender Bedeutung, vorerst beibehalten:

„The primarily digital nature of AA in the future can only accelerate the diminishing importance of “issues.” Readers will no longer be able to browse through a paper copy of the journal that arrives in the mail, looking at whatever catches their eye. Instead, they will likely receive electronic alerts when an issue comes out accompanied by a list of contents. „ 

Die Folgefrage, inwieweit nach dem angekündigten Abschied vom Print und von der Erscheinungsform in Issues das Format der Zeitschrift selbst zeitstabil bleiben kann, wird vorerst ausgespart. Diese Überlegung käme möglicherweise auch zu zeitig. Denn bisher geht es allein darum, die digitale Präsenz der Zeitschrift allgemein zu verstärken. Michael Chibnik betont die forcierte Umstellung auf die Online-Variante damit, dass beim American Anthropologist bisher wenig in dieser Richtung geschieht. Der Schritt setzt dahingehend ein Zeichen und zwar explizit für die ihm nachfolgenden Herausgeber.

Das man laut Selbsteinschätzung bei den Ausgaben hinter den digitalen Möglichkeiten zurückbleibt, liegt nicht unbedingt an der Redaktion selbst, die durchaus Möglichkeit zum erweiterten Publizieren anbietet:

„Right now AA does relatively little online. Authors of research articles have the option of providing online-only, unedited “supplementary information.” This can include material such as interview transcripts, large tables, complex figures, and videos. Despite my urging, few authors have taken advantage of the opportunity to present material in this way.“

Die enhanced-article-Optionen von Blackwell-Wiley werden für die Rezipienten angeboten, wobei ebenfalls nicht klar ist, wie intensiv diese Funktionalitäten genutzt werden.

Etwas wird Michael Chibnik allerdings vermutlich vermissen:

„One minor casualty of the switch to digital may be AA’s cover. … The small cover image on the journal website cannot be enlarged. It would probably not be difficult to provide an enlargeable cover on the website in the future. Even so, the impact of an electronic cover seems considerably less than that of a print cover.“

Das wäre dann so eine Art Schallplatteneffekt. Aber glücklicherweise, auch für den Editor-in-Chief selbst, geht man bei der Neuorientierung auf e-only am Ende doch nicht aufs Ganze. Wer mag, kann sich die Zeitschrift gegen Aufpreis nach wie vor als Printausgabe zusenden lassen. Michael Chibnik wird dies tun. Ob der American Anthropologist dann mit oder ohne Cover im Postfach landet, ist aktuell nicht bekannt.

(bk, Berlin, 02.11.2015)

Quelle:

Michael Chibnik (2015): Goodbye to Print. In: American Anthropologist. Early View (28 September 2015) DOI: 10.1111/aman.12334