Neue Geber, neue Diskurse? Entwicklungsdiskurse im Rahmen von Süd-Süd-Kooperationen am Beispiel Indien

7. DGA-Nachwuchstagung „Umbruch und Entwicklung in Asien“
Vortrag von Nina Khan, 18. Januar 2015, Burg Rothenfels

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Neue Geber, neue Diskurse? Entwicklungsdiskurse im Rahmen von Süd-Süd-Kooperationen am Beispiel Indien

 

Abstract:

Das „neue“ Geberland Indien
Im Mittelpunkt meines Projekts steht der Neue Geber Indien, ein Land, das lange Zeit zu den größten Empfängern von „Entwicklungshilfe“ weltweit zählte[i]. Seit einigen Jahren tritt Indien nun vermehrt als Geberland in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) auf und hat den Erhalt von Entwicklungsgeldern drastisch reduziert. Obwohl als Neuer Geber gehandelt, reichen Indiens Geberaktivitäten bereits bis in die 1950er Jahre zurück. Zunächst im Rahmen ökonomischer und militärischer Hilfe auf Nachbarländer gerichtet, weiteten sich diese ab den 1960er Jahren auf afrikanische Länder aus. Dennoch verschob sich erst mit dem 2003 eingeleiteten Wendepunkt in der staatlichen indischen EZ[ii] der Fokus von Indiens Nehmer- auf seinen Geberstatus, von Armut innerhalb Indiens auf seine Rolle als aufstrebende Wirtschaft (Kragelund 2010). „To brand India anew“ (Kragelund 2010, 3) war ein Ziel dieses Wandels, der im Kontext der wirtschaftlichen Liberalisierung Indiens in den 1990er Jahren und seiner wachsenden politischen Bedeutung auf internationaler Ebene zu sehen ist (Jobelius 2007; Hoepf Young 2008)[iii].

Die Neuen Geber
Indiens Erstarken als Geberland ist eingebettet in den größeren Kontext des Wandels in der globalen Entwicklungshilfearchitektur, der durch das vermehrte Engagement der sogenannten Neuen Geber (u.a. China, Brasilien, Südafrika und Venezuela) im Rahmen von Süd-Süd-Kooperationen gekennzeichnet ist. Bei den unter diesem Begriff subsumierten, höchst diversen Gebern handelt es sich um Länder, die teilweise selbst (ehemalige) Empfänger sowie ehemals kolonisiert sind und sich nicht den Normen und Standards des „westlich“[iv] dominierten OECD-Entwicklungshilfeausschusses DAC (Development Assistance Committee)[v] verpflichtet haben. Die oftmals generalisierenden Charakterisierungen der Neuen Geber nennen die ausdrückliche Verknüpfung ihrer EZ mit wirtschaftlichen Eigeninteressen, die Ausrichtung auf sogenannte win-win-Ergebnisse, die Fokussierung auf Infrastrukturprojekte und die Abwesenheit politischer Konditionalität (Klingebiel 2013, 23). Während die Nehmerländer dies oftmals begrüßen, stellt dies eine Hauptangriffsfläche für Kritik dar und wird als in Opposition zu den DAC-Normen und Standards stehend gesehen.

Das Erstarken der Neuen Geber ist nicht nur im Hinblick auf zukünftige steigende Entwicklungsetats, sondern insbesondere in Bezug auf einen „Neuentwurf“ der EZ insgesamt relevant, welcher neben der Praxis auch die normative Ausrichtung betrifft. Diese normative Dimension ist das zentrale Thema meiner Dissertation, in der ich den staatlichen indischen Entwicklungsdiskurs untersuchen möchte.

Wenngleich kein mit dem DAC vergleichbares Gremium der Neuen Geber zur Standardisierung und Förderung der Wirksamkeit von EZ existiert[vi], so lassen sich laut Mawdsely (2011) grundlegende Gemeinsamkeiten in ihrer normativen Ausrichtung feststellen. Hierzu zählen die Beteuerung einer geteilten Erfahrung kolonialer Ausbeutung, postkolonialer Ungleichheit und der daraus entstandenen Identität als „Entwicklungsland“, eine spezifische Expertise in angemessenen Entwicklungsansätzen, die Ablehnung hierarchischer Geber-Nehmer-Beziehungen und Betonung von Respekt, Souveränität und Nicht-Einmischung sowie das Bestehen auf gegenseitigen Nutzen (Mawdsley 2011, 256, 263).

Die Neuen Geber stellen also nicht nur etablierte Arbeitsweisen der traditionellen Geber infrage sondern fordern ihre Dominanz auch durch eine offen kommunizierte Abweichung vom dominanten westlichen Entwicklungsdiskurs als Ganzem heraus.

Entwicklungsdiskurse und Machthierarchien in der EZ
Bevor ich nun exemplarisch auf die Entwicklungsdiskurse des Neuen Gebers Indien zu sprechen komme, möchte ich kurz auf die Grundannahmen meiner Arbeite eingehen. Ich gehe davon aus, dass die traditionellen Nord-Süd-Beziehungen der EZ von überwiegend asymmetrischen, rassifizierten Machtbeziehungen gekennzeichnet sind, die durch Entwicklungsdiskurse gestützt werden und wiederum ihren Ausdruck darin finden. Entwicklungsdiskurse spielen also in der Konstitution der Praxis der EZ eine entscheidende Rolle – sie besitzen jenseits einer rein linguistischen auch eine operative Dimension. Diskurse können Machthierarchien stützen, aber diskursive Verschiebungen können auch die soziale Praxis verändern.

Der „westliche“ Entwicklungsdiskurs gründet – trotz Veränderungen im Laufe der Geschichte der EZ – auf der Denkstruktur des Kolonialdiskurses, auf der „Zweiteilung der Welt in einen fortgeschrittenen, überlegenen Teil und einen zurückgebliebenen, minderwertigen Teil. Das Eigene dient als Norm, anhand derer die Minderwertigkeit des Fremden objektiv nachgewiesen wird.“ (Ziai 2004). Forschungen zur Nord-Süd-EZ haben zudem die stereotype und rassifizierte Darstellung von Zielgruppen aufgezeigt (u.a. Goudge 2003; Eriksson Baaz 2005), die sich aus dem Entwicklungsdiskurs speist. Dies verstehe ich als diskursive Wissensproduktion über Entwicklung, welche die Geber in eine Machtposition versetzt, indem sie autoritative Sprecherpositionen einnehmen.

In Bezug auf Indien, das ehemals kolonisiert sowie lange Zeit ein bedeutendes Empfängerland war, stellt sich die Frage, wie es als Geber Entwicklung definiert und inwiefern damit zusammenhängende Hierarchien fortbestehen, aufgeweicht werden oder abwesend sind. Weiterführend und vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von Diskursen und sozialer Praxis, stellt sich dann die Frage nach der Bedeutung einer Pluralisierung von Entwicklungsdiskursen für die Machtbeziehungen in der EZ.

Entwicklungsdiskurse des Neuen Gebers Indien
Während das Empfängerland Indien dementsprechend als unterentwickelt und rückständig konstruiert wird, ist seine Gebermentalität geprägt von ebendiesen Erfahrungen als Nehmer und ehemalige Kolonie. Vor dem Hintergrund dieser historischen Verortung kann es nicht die westliche Entwicklungsrhetorik zur Legitimation gebrauchen (Six 2009, 1109). Die bereits genannten, stark verallgemeinerten Merkmale der Süd-Süd-EZ, lassen sich in der von Indien geführte Kommunikation über Entwicklung wiederfinden. Auch Indien bettet seine EZ in eine starke Rhetorik des Respekts für die Souveränität anderer Regierungen (Woods 2008, 13) und vermeidet bewusst die hierarchische, neo-imperialistischen Mentalität westlicher Geber (Mawdsley 2011). Hauptmerkmale indischer Entwicklungsaktivitäten sind Nicht-Einmischung, gegenseitiger Respekt für Souveränität, gegenseitiger Nutzen und Gleichheit (Katti, Chahoud, and Kaushik 2009). Diese Prinzipien der indischen Außen- und Entwicklungspolitik sind geprägt von den 1955 auf der Bandung-Konferenz formulierten Grundsätze der Blockfreien Staaten und geben dem Entwicklungsdiskurs damit eine historische Dimension. Diese fehlt den Post-Development-Vertreter_innen zufolge dem dominanten, westlich geprägten Entwicklungsdiskurs (Six 2009, 1107).

Drei Beispiele geben einen Einblick in die staatliche indische Entwicklungsrhetorik:

In der Rubrik „Development Partnerships“ der Zeitschrift India Perspectives des Indischen Außenministeriums wurde in einem Artikel anlässlich des zweiten Africa-India Summit 2011 gegenseitiger Nutzen und Reziprozität als Bestandteil indischer EZ in Afrika offen benannt. Im Gegenzug zu den von Indien angekündigten capacity-building Initiativen auf dem afrikanischen Kontinent im Wert von US$ 5,7 Milliarden versicherte die Afrikanische Union die Unterstützung Indiens in seiner UN Politik:

“The African Union reciprocated by telling India that it can ‚count on its support‘ for the UN reforms. It also declared support for New Delhi’s claim for a permanent seat in the UN Security Council.“ (Chand 2011, 18)

Mawdsley verdeutlicht die Implikationen dieser kommunizierten Reziprozität aus dem Blickwinkel der gift theory[vii] in Anlehnung an Marcel Mauss (2000). Indem Indien den eigenen Nutzen seiner EZ offen benennt betont es die Fähigkeit des Empfängers zur Reziprozität und erhöht somit dessen Status. So entsteht eine gleichberechtigte soziale Beziehung im Gegensatz zur Minderwertigkeit, die die (vermeintlich) nicht vergoltene westliche Hilfe auf Dauer erzeugt (Mawdsley 2011, 264).

Weiterhin grenzt sich Indien explizit von der traditionellen Nord-Süd-EZ ab:

„We do not like to call ourselves a donor. We call it development partnership because it is in the framework of sharing development experiences. It follows a model different from that followed in the conventional North-South economic cooperation patterns (…).“ (Syed Akbaruddin, Joint Secretary des MEA anlässlich der Gründung der Development Partnership Administration 2012)

Doch nicht erst mit der Gründung der DPA im Jahr 2012 und im Zusammenhang mit dem Erstarken des Gebers Indien ist eine von Partnerschaft und gegenseitigen Nutzen geprägte Rhetorik zu verzeichnen. Bereits bei der Gründung des ITEC-Programms im Jahr 1964 lassen sich diese Themen in einem Statement des Indischen Kabinetts wiederfinden:

„(…) a programme of technical and economic cooperation is essential for the development of our relations with other developing countries on the basis of partnership and mutual benefit.“ (Ministry of External Affairs 2014)

Fazit
Indiens Empfänger werden (zumindest rhetorisch) als Entwicklungspartner behandelt, die auf der Basis gleichberechtigter Partnerschaft und gegenseitigen Nutzens solidarisch unterstützt werden. Ungeachtet der Machtbeziehungen in der Praxis der indischen Süd-Süd-EZ lässt sich daran ein vom dominanten westlichen abweichender Entwicklungsdiskurs erkennen.

Ausgehend von der Annahme, dass die konstatierten Machthierarchien in der traditionellen Nord-Süd-EZ in entscheidendem Maße von Entwicklungsdiskursen getragen werden und diese perpetuieren, birgt ein egalitär ausgerichteter Diskurs die Chance, diese Hierarchien zu verändern.

Umso relevanter ist die Untersuchung der normativen Dimension indischer EZ, die den bisherigen Fokus auf politische und ökonomische Aspekte erweitert. Es bleibt zudem zu untersuchen, inwiefern sich ein gleichberechtigter Entwicklungsdiskurs auch in der Praxis indischer EZ niederschlägt.

 

Endnoten
[i] Ende der 1960er Jahre erhielt Indien ca. US$ 5,5 Mrd. Entwicklungshilfe jährlich (Kragelund 2011, 590).

[ii] Der damalige Finanzminister Singh beschränkte den Erhalt bilateraler Hilfe auf fünf Staaten, kündigte vermehrte Unterstützung für sogenannte „Entwicklungsländer“, Schuldenerlass sowie die gesamte Rückzahlung der eigenen Schulden an.

[iii] Der forcierte Imagewandel vom krisengeschüttelten „Entwicklungsland“ hin zur ökonomisch und politisch aufstrebenden Macht wurde mit der 2004 ins Leben gerufenen „Brand India“-Kampagne weiterverfolgt (Schneider 2011).

[iv] Die Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten, wie z.B. Nord/Süd, westlich/nicht-westlich, Neue und Traditionelle Geber weist einige Fallstricke auf, die jedoch aufgrund des begrenzten Umfangs dieses Vortrags nicht ausführlich erörtert werden können. Es sei an dieser Stelle nur auf den binären Konstruktionscharakter dieser Terminologie und die damit verbundenen Wertungen sowie das Problem der Verallgemeinerung verwiesen. Dennoch kann ich dem Gebrauch essentialisierender Begrifflichkeiten vorerst nicht entkommen, da genau diese Grundlage und Ausdruck bestehender und zu kritisierender Machthierarchien sind. „The available language is imperfect but, (…), it is reflective of existing power imbalances on a global scale, in both the discursive and material realms.“ (Goudge 2003, 46 Fn 2).

[v] Das DAC hat derzeit 29 Mitglieder und wird von europäischen Staaten sowie den USA dominiert. Ausnahmen bilden Japan (seit 1961 Mitglied) und Korea (seit 2010 Mitglied). http://www.oecd.org/dac/dacmembers.htm (Zugriff am 03.11.2014).

[vi] Zwar definierte die Gruppe der G77 im Yamoussoukro Consensus von 2008 grundlegende Prinzipien der Süd-Süd-Kooperation (Gleichheit, Solidarität, gegenseitige Entwicklung und Ergänzung), doch gehen damit anders als beim DAC nicht gemeinsamen Standards für Monitoring und Evaluierung einher (Morazán and Müller 2014, 15, 26; http://www.g77.org/ifcc12/Yamoussoukro_Consensus.pdf (Zugriff am 01.07.2013)).

[vii] Die gift theory wurde bereits mehrfach in der Untersuchung der Nord-Süd-EZ angewandt, u.a. im Hinblick auf Machtbeziehungen (Mawdsley 2011, 256; Mawdsley and McCann 2011, 169).

Literatur

Chand, Manish. „Enduring Partnerships“. India Perspectives, August 2011, 18–23.

Eriksson Baaz, Maria. The paternalism of partnership: a postcolonial reading of identity in development aid. London: Zed Books, 2005.

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Goudge, Paulette. The Whiteness of Power: Racism in Third World Development and Aid. London: Lawrence & Wishart Ltd, 2003.

Hoepf Young, Malea. “ New” Donors: A New Resource for Family Planning and Reproductive Health Financing?. Research Commentary. Population Action International, August 2008.

Jobelius, Matthias. New Powers for Global Change? Challenges for the International Development Cooperation. The Case of India. FES Briefing Paper 5, FES Berlin., März 2007.

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Ziai, Aram. „Imperiale Repräsentationen Vom kolonialen zum Entwicklungsdiskurs“. sopos 4/2004, 2004.

27. Januar 2015 | Veröffentlicht von Alexa Altmann
Veröffentlicht unter Allgemein

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