Mediaresearch@IAAW – Blog von und für Studierende & Lehrende

TikToks Zensur queerer Begriffe

Die chinesische Social Media Plattform TikTok wuchs in den letzten Jahren zu einer der umsatzstärksten Apps heran (Quelle: Datareportal, 2020). 2014 wurde die App von Luyu Yang und Alex Zhu unter den Namen Musical.ly auf den Markt gebracht, damals noch als Tool, um 15-sekündige Lip-Sync-Clips aufzunehmen, zu bearbeiten und zu teilen. Im August 2018 löste die App TikTok (Douyin (chinesisch 抖音短视频) Musical.ly ab. Der Content veränderte sich, die Inhalte der Videoclips auf TikTok hatten nun nicht zwangsläufig etwas mit Musik zu tun, auch andere Inhalte wurden vermehrt produziert und geteilt.

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Die Zielgruppe TikToks ist jedoch mit der von Musical.ly gleichgeblieben, die meisten User*innen sind aus der Generation Z. (Quelle:Globalwebindex, 2019).TikTok ist leicht zu bedienen, Inhalte sind aufgrund der Länge von 15 Sekunden schnell zu erstellen, zu konsumieren und zu teilen, was zu dem Erfolg ebenfalls beiträgt. Im Jahr 2021 konnte die Betreiber*innen ganze 58 Milliarden Dollar verzeichnen (Quelle: Reuters) – und das trotz strenger Regulierungen, die von der chinesischen Regierung ausgingen. Die Möglichkeit, endlos zu scrollen, in Kombination mit einem smarten Algorithmus, der User*innen immer weitere spannende Inhalte präsentiert, funktionierte schon auf Plattformen wie Instagram. Die Videofunktion von TikTok ist jedoch bei der jungen Zielgruppe so beliebt, dass selbst die Mega-Plattformen Instagram und Youtube diese in ihren Reels und Shorts nachahmen.

Dennoch gibt es seit Release der App immer wieder Negativschlagzeilen. TikTok stand mehrfach in Kritik, nicht genug Jugend- und Datenschutz zu bieten. Nach einer Sammelklage im Dezember 2019, eingereicht von einer Gruppe Eltern, die den mangelnden Datenschutz von Minderjährigen anklagten, musste TikTok 5,7 Millionen US-Dollar Strafe zahlen (Quelle: heise online) . Expert*innen sehen die Platform kritisch – leicht beeinflussbare Kinder und Jugendliche bekommen oft Inhalte angezeigt, die ihrer mentalen Gesundheit schaden können. Kritisiert wird auch, dass sexistische Kommentare und Cybermobbing nicht streng genug behandelt werden. Dabei hat die Plattform strenge Richtlinien – die Zensur findet nur oft an anderen Stellen satt. Nachdem TikTok immer wieder politische Inhalte wie etwa Aufnahmen von den Protesten in Hong Kong verboten hat, wurde auch immer mehr Begriffe zensiert, sodass man diese nicht in Kommentare schreiben kann und nicht als Hashtags und Suchbegriffe verwenden kann. Zusätzlich gibt es länderspezifische Regeln mit Worten und Themen, die nicht kritisiert werden dürfen – in der Türkei beispielsweise Präsident Erdoğan. Der bekannteste Fall war jedoch die Tennisspielerin Peng Shuai, dessen Namen auf TikTok zensiert wurde, nachdem sie dem chinesischen Funktionär Zhang Gaoli vorwarf, sexuelle Gewalt an ihr ausgeübt zu haben. Nach diesem Skandal verschwand Shuai einige Wochen.

Auch in Deutschland werden Wortfilter auf TikTok angewandt. Unter der Angabe des Jugendschutzes sind Nacktheit und Alkohol auf TikTok verboten, jedoch aber auch die Verbreitung von queeren Inhalten. Diese Zensur umfasst auch wertfreie Begriffe wie schwul, homosexuell oder trans. Schreibt man diese Begriffe bespielsweise in einen Kommentar, so wird man blockiert, ohne dies sofort zu merken. Der Beitrag bleibt für den*die Verfasser*in einsehbar, auch wenn er für weitere User*innen nicht mehr sichtbar ist. Diese Art von verdeckter Zensur nennt sich Shadow-Banning. Um den Wortfilter zu umgehen, nutzen viele User*innen eine falsche Schreibweise der Begriffe.

Deutsche Journalist*innen vom NDR, WDR und der Tagesschau haben TikToks Zensur im deutschsprachigen Raum in einer Recherche untersucht. Neben queeren Begriffen stellten sie auch die Sperrung von Begriffen um den Nationalsozialismus fest. Die Zensur der LGBTQ-Begriffe sorgte für besonders viel Aufruhe, schließlich schmückte sich die Plattform immer gerne mit queeren Influencer*innen, welche teilweise auch finanzielle Föderungen von TikTok erhalten haben und auch Tobias Henning, der Chef TikTok Deutschlands, der selbst offen mit seiner Homosexualtät umgeht, betonte öffentlich immer wieder positiv die Diversität der Plattform.

Expert*innen wie Frederike Kaltheuner von der Human Rights Watch sind sich einig – die Zensur greift stark in die Meinungsfreiheit der Nutzer*innen ein (Quelle: Tagesschau). Durch das Zensieren queerer Begriffe wird der Diskurs auf TikTok unmöglich gemacht. Aufklärungsarbeit, Vernetzung und Empowerment queerer Personen werden so ebenfalls verhindert. Dies ist höchstproblematisch, da vorallem Jugendliche und junge Erwarchsene die App nutzen. Durch den Wortfilter fallen queere Begrifflichkeiten in die selbe Kategorie wie die ebenefalls auf TikTok zensierten Wörter Terrorismus, Drogen oder Schimpfwörter. Die Zensur queerer Wörter lässt vermuten, dass diese Bezeichnungen mit Beleidigungen gleichzusetzen wären und dass Querness etwas wäre, wovor man die Heranwachsenen schützen müsse.

TikToks Pressesprecher*innen reagierten auf die Vorwürfe, man werde die Kritik überprüfen und Fehler korrigieren, TikTok sei jedoch eine reine Unterhaltungsapp und man wolle keine politische Plattform sein. Den Versuch, die Zensur durch eine angestrebte politisch „neutrale“ Haltung zu rechtfertigen, ist mehr als fragwürdig – zumal Zensur selbst ein höchstpolitisches Instrument der Unterdrückung ist. Das Ausmaß von TikToks Einfluss, speziell auf ihre junge Zielgruppe, lässt sich nur schwer fassen. Fakt ist, mit bereits 1,5 Milliarden User*innen weltweit, die bis 2022 verzeichnet worden sind, hat TikTok eine enorme Reichweite und Verantwortung (Quelle: Business of Apps).


Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.

7. Juli 2022 | Veröffentlicht von | Kein Kommentar »
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Auf den Spuren von May Ayim im Oyoun Berlin

Akinbode Akinbiyi – May Ayim: Dichterin. 1996 © Oyoun Berlin, 2022

Am 10. Juni fand in dem migrantisch queerfeministischen Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln die Vernissage der Ausstellung Akinbode Akinbiyi – May Ayim: Dichterin. 1996 statt. Die Ausstellung zeigt eine von dem nigerianisch-britischen Fotografen Akinbode Akinbiyi ausgewählte Sammlung von Dokumentationen. Die Schwarz-Weiß Fotografien entstammen seinem persönlichen Archiv und geben spannende Einblicke in das letzte Lebensjahr der afrodeutschen Dichterin und Aktivistin May Ayim. Akinbiyi zeigt uns einen persönlichen, wie auch kollektiven Verlust, der durch Ayims frühes Ableben geschah.

So entwickelt sich das Leben: in ständigem Umherirren, in ständiger Sinnsuche, auf niemals endenden Wegen, Straßen und Gassen, Autobahnen und Nebenstraßen – labyrinthisch in ihrer Unendlichkeit, in ihrer Aufforderung an die Wandernden: hier, noch eine weitere faszinierende Ecke, kaum sichtbare Fußabdrücke auf der Erde, Spuren lautloser Schwingungen auf dem unerbittlichen Pflaster. 1996 war so ein Jahr. Die traurige, ja niederschmetternde Nachricht ihres Ablebens. Eine junge Neophytin, die an einem ausrangierten Keyboard übte.

Akinbode Akinbiyi

„May Ayim: Dichterin. 1996.“ ist Teil der künstlerischen Intervention rongin shagor  রঙিন সাগর, in welcher verschiedene multilingualer Künstler*innen auf ein Gedicht von May Ayim antworten. Rongin shagor  রঙিন সাগর entstand im Rahmen von „dive in. Programm für digitale Interaktionen“ der Kulturstiftung des Bundes und wurde durch die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm NEUSTART KULTUR und der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert.

May Ayim (* 1960 in Hamburg, † 1996 in Berlin) ist eine der bekanntesten Vertreterinnen der Schwarzen Community in Deutschland. Mit ihrer Ihre Diplomarbeit Afro-Deutsche: Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen schuf sie die erste wissenschaftliche deutschsprachige Arbeit in diesem Bereich. Ihre Diplomarbeit veröffentlichte sie später auch in der Anthologie ‚Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte‘.

Mitte der 80er Jahre gründete sie mit weiteren Aktivist*innen die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, Ende der 80er Jahre den LiteraturFrauen e.V. Verein zur Förderung von Autorinnen. Während der 90er Jahre veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband, ‚Blues in Schwarz Weiss‘ und lehrte an verschiedenen Hochschulen Berlins.

August 1996 nahm Ayim sich in Berlin-Kreuzberg das Leben. Die Ausstellung, welche uns in ihr letztes Lebensjahr mitnimmt, gibt Raum zum Gedenken und Trauern, aber auch um Ayims herausragendes Lebenswerk zu ehren.

In ihren Werken erforschte Ayim Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus, Kolonialismus und ihre eigene Lebensrealität als Schwarze Frau, der das Deutschsein abgesprochen wurde. 2010 wurde sie mit der Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer geehrt, wo eine Gedenktafel Infos über ihr Leben und Werk gibt. Mit dem Ersetzung des kolonialen Straßennamens durch den Namen Ayims wurde ein wichtiges Zeichen auch in Hinblick der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte gesetzt.

Über den Künstler: 

Akinbode Akinbiy wurde in Oxford in eine nigerianische Familie geboren und lebte unter anderem in England, Nigeria und Deutschland. Heute ist er freiberuflicher Fotograf und Kurator in Berlin. Hauptthema seines künstlerischen Werks sind Megastädte, diese dokumentiert er primär auf dem afrikanischen Kontinent in Ländern wie Südafrika, Mali und Ägypten.

Im Oyoun nahm Akinbiy mit Akinbode Akinbiyi – May Ayim: Dichterin. 1996 Abschied von seiner Freundin. Im Künstlergespräch, welches am 10 Juni ab 20 Uhr bei der Vernissage mit ihm und Muhammad Salah stattfand, gab er dem Publikum weitere Einblicke zu der Ausstellung.


AKINBODE AKINBIYI – MAY AYIM: DICHTERIN. 1996. | AUSSTELLUNG

10. bis 30. Juni 2022

Oyoun Berlin
Lucy-Lameck-Straße 32
12049 Berlin

täglich 12:00 – 20:00 Uhr
Eintritt frei


Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.

7. Juli 2022 | Veröffentlicht von | Kein Kommentar »
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एक लड़की को देखा तो ऐसा लगा „How I felt when I saw that girl“ – film review by Lara Kauter

The film Ek Ladki Ko Dekha To Aisa Laga, directed by Shelly Chopra Dhar (2019), tells the story and struggles of a young woman named Sweety who is trying to keep her secret of being in love with a woman. The Hindi film title translates to “How I Felt When I Saw That Girl”, which doesn’t just apply to Sweety´s love story – she also meets an admirer called Sahil who doesn’t know about Sweety´s secret and will try to win her heart.

The film portrays the struggle of the LGBTQIA+ community to gain acceptance in society and was released in 2019, shortly after the decriminalization of same-sex relationships in India on September 6th, 2018. Nevertheless, same-sex and queer marriages are not yet recognized under Indian law and people from the LGBTQIA+ community still face discrimination and lack of understanding in society.

The story begins at a wedding, where Sweety meets Kuhu – the woman she falls in love with. They become a couple and meet secretly, while trying to plan their future together in London. Complications arise when Sweety´s controlling brother Babloo finds out and tries to restrict Sweety´s life in an aggressive manner, thinking of her sexual orientation as a disease.

Source image: https://www.hollywoodreporter.com/movies/movie-reviews/how-i-felt-i-saw-girl-ek-ladki-ko-dekha-toh-aisa-laga-review-1242403/

Throughout the storyline various social aspects and norms are themed, such as patriarchal hierarchies within families, family´s expectations of traditional and heteronormative dating, interreligious relationships, homophobia and social acceptance of the LGBTQIA+ community in the Indian context.

Beginning with the character of Babloo as the overcontrolling brother, a patriarchal family hierarchy is shown: he is restricting his younger sister´s sexuality, freedom and life choices by talking down to Sweety and threatening her; he wants to “cure” her by marrying her off to a friend of his.

While trying to escape her brother on her way to the British embassy in Delhi, Sweety meets the theater director Sahil, who helps her run away and immediately falls in love with her. Their ways separate, but Sahil tracks her address down in a supposedly romantic, yet somewhat creepy manner and travels to Moga in Punjab where Sweety lives with her family. Sahil tries to get in contact with Sweety, who is locked in the house by her brother. He doesn’t remain unseen by her family, who is strictly against him dating Sweety, after they find out he is a Muslim and not a Hindu like Sweety.

Traditional, heteronormative and conservative imaginations of dating and marriage come up multiple times in the film, as is already shown by the family´s active role in negotiating a marriage for Sweety and restricting her free choice. Sweety´s father forbids Sahil to marry his daughter, since he believes interreligious marriages cannot work out and lead to complications, while emphasizing at the same time that he doesn’t have any problems with Muslims in general.

As Sahil doesn’t give up trying to win Sweety´s heart, she finally tells him in tears about her being in love with a woman – to which Sahil reacts in insensitive drunk laughter. He apologizes on the next day after realizing his inappropriate reaction and tries to support her by suggesting to produce a local theater play in Moga, which would be about a lesbian relationship and homophobia in society, hoping to raise social awareness and acceptance.

https://www.youtube.com/watch?v=pKcamCgBvMo

Loneliness and feeling misunderstood as a queer person are portrayed at many points of the film, which enables the audience to grasp Sweety´s helplessness and sadness. Throughout her life she has been misunderstood; she has experienced bullying at school and being an outcast for years, after classmates found her diary with love messages directed to a girl. She thinks that she will never be loved and wishes she could just be “normal”, so that life wouldn’t be so suffocating for her. Sweety´s experiences allow the audience to experience the closeted feeling of hiding oneself and the fear of disappointing one´s family´s and society´s expectations.

Sweety´s relationship with her father demonstrates the fear of disappointing and not being accepted. The father´s character is shown as loving, caring and only wishing the best for his daughter´s future. Yet, he still supports brother Babloo in restricting Sweety´s life and convincing himself that it will be for her best, despite seeing her suffer in silence. As Sweety finally comes out to him during rehearsals for the theater play, he is shocked and shames her for humiliating him and destroying her family´s reputation. Later on, he is conflicted within himself: on the one hand he doesn´t want to accept his daughter being lesbian, yet on the other hand he sees for the first time how sad and lonely she has been in her life while skipping through her diaries.

At the premiere day of the play, the cast, with Sweety and Kuhu as the main characters, is confronted with reactions of homophobia from the audience, as they slowly understand what kind of love story they are seeing. As the first people are leaving and condemning the play for showing a lesbian love story, surprisingly Sweety´s father and brother are showing up, after having rejected Sweety earlier. Seeing his daughter being vulnerable on stage and fighting for her right to love, the fathers view is changing, as his love for her is stronger than his heteronormative expectations. The play comes to an end with a surprisingly heartwarming reaction of the father, positive feedback by the remaining audience and a hopeful ending for Sweety´s and Kuhu´s relationship.

The film shows a well-made lesbian coming out story of courage, love and being true to oneself. The much-needed lesbian and queer visibility shown in this film not only portrays the struggle of LGBTQIA+, but also explores patriarchal norms and gender expectations women are facing in society and in their families. The film is accessible on Netflix and is made well in its acting, music and scenery; it is located in the genre of comedy-drama, which succeeds at making the audience laugh at certain times, and cry at heartfelt moments. With the famous and popular actors Sonam Kapoor, her real-life father Anil Kapoor and Rajkummar Rao, and with music by well-known musicians such as Darshan Raval, Sukhwinder Singh, Arjun Kanungo and many more, the film is a full success and fun to watch.

Nevertheless, there is some critique worth mentioning, as for example the genre of comedy-drama seems to romanticize and play down certain points about Sweety´s coming out and all the complications she has to go through to be accepted by her family. Sweety´s character is also oftentimes portrayed as passive and as being in need for help from her charismatic cis hetero male admirer Sahil. Furthermore the storyline and film would have been more authentic and empowering if the characters of Sweety and Kuhu would have been played by openly queer actresses. I had also hoped to see more about the relationship of Sweety and Kuhu, yet Kuhu barely appears and the movie focuses instead more on Sweety´s family. Moreover, the emotional happy ending seemed even for a comedy-drama film somewhat exaggerated to me, which nonetheless doesn´t make this film in any way less worth seeing or less important. All in all, Ek Ladki Ko Dekha To Aisa Laga is an exciting contribution to queer-lesbian movies and a very much fun and heartwarming film to experience.

About the author:

Lara Kauter is a student of Geographical Development Research (M.Sc.) at Freie Universität Berlin. She holds a bachelor degree in Area Studies Asia/Africa from Humboldt-Universität zu Berlin. Her research interests focus on critical development research, global inequalities, protest movements and gender studies. 

24. Mai 2022 | Veröffentlicht von Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider | Kein Kommentar »
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#Mein Schreibtisch: Dr. Fritzi-Marie Titzmann

Auf dem Genderblog der HU teilt Dr. Fritzi-Marie Titzmann spannende Einblicke in ihre aktuelle Forschung und zeigt ihren Arbeitsplatz am IAAW, wo sie seit Mai 2021 im Querschnittsbereich Gender and Media Studies for the South Asian Region im BUA-Verbundprojekt RePLITO („Beyond Social Cohesion: Global Repertoires of Living Together“) tätig ist.

Titzmann berichtet von den Hürden der qualitativen Forschung in Zeiten der Pandemie und wie vermeintliche Einschränkungen neue Perspektiven ermöglichen. Sie erklärt, wo sie Motivation für ihre Arbeit schöpft und was sie an ihrem akuellen Forschungsthema der Medienpraktiken indischen Protestbewegungen besonders interessiert. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind dabei die Protestbewegung von 2019-20 in Shaheen Bagh, Neu-Delhi, gegen die Einführung eines neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes und die Bewegung gegen drei neue Agrargesetze von 2020-21.

Wer mehr über Titzmanns Projekt und Arbeitsweisen erfahren möchte, findet ihren vollständigen Artikel hier.


Dr. Fritzi-Marie Titzmann ist seit Mai 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin im BUA-Verbundprojekt „Beyond Social Cohesion: Global Repertoires of Living Together“ (RePLITO, www.replito.de) und Lehrende am Bereich Gender and Media Studies for the South Asian Region (GAMS) am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.


Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.

24. Mai 2022 | Veröffentlicht von | Kein Kommentar »
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Forschungsreise trotz Pandemie – Ein Erfahrungsbericht aus Kapstadt

Als ich nach meinem Bachelorstudium drei Monate in Südafrika verbracht hatte, fasste ich bereits im Flieger nach Deutschland den Entschluss, im Rahmen meines Masterstudiums für einen zweiten Aufenthalt zurückzukehren. Mit der Corona-Pandemie, die gegen Ende meines ersten Mastersemesters beginnen sollte, wurde aber schnell klar, dass Auslandssemester und Praktika erstmal nicht wie gewohnt stattfinden können. Mit dem Förderungsprogramm PROMOS des DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) werden jedoch auch Forschungsaufenthalte im Rahmen von Abschlussarbeiten finanziert. Unter diesem Thesis-Programm hat man noch gute Chancen, auch in pandemischen Zeiten studienbedingt ins Ausland zu reisen – zumindest, solange die Partner*innen und Institutionen vor Ort einen noch empfangen können und dürfen und die lokalen Einreisebestimmungen eine Reise zulassen. Für die Forschung meiner Masterarbeit passte das gut, mein Thema der queeren Performing Arts in Südafrika mit den Schwerpunkten Spoken Word Poetry, Tanz (speziell Vogueing) und Performance Art ließ mich von Universitäten und Institutionen weitgehend ungebunden forschen. Da ich mein Thema auf das heutige Südafrika beziehe, strebte ich für meine Forschung den direkten Austausch mit Akteur*innen der Szene vor Ort an.

Meine Motivation war es also, mit verschiedenen Künstler*innen in Kapstadt in Kontakt zu treten und diese mithilfe von Leitfadeninterviews zu ihren Erfahrungen, Erfolgen und Kämpfen zu befragen, die sie als queere Personen erleben und durch ihre Kunstform zum Ausdruck bringen. Dabei wollte ich unter anderem erfahren, ob und warum sie ihre Kunst als politisch verstehen, wie ihre queere Identität mit ihrer Kunst zusammenhängt und was ihre persönlichen Beweggründe als Künstler*innen sind. Nachdem mein grobes Konzept samt Fragenkatalog stand, fragte ich die ersten Personen für Interviews an. Mein Wunsch war es möglichst intersektional zu arbeiten, ich wollte ein breites Spektrum von Menschen interviewen, um in viele verschiedene Perspektiven Einblick zu erhalten. Ich musste mir jedoch schnell eingestehen, dass dies nicht so leicht umsetzbar ist. Südafrikanische queere Tänzer*innen, Poet*innen und Performancekünstler*innen, die der Interviewanfrage zustimmten, ließen sich erstaunlich leicht finden – durch meinen letzten Südafrika-Aufenthalt kannte ich noch einige aus der Szene und so ließ sich über Freund*innen und Bekannte schnell ein Netzwerk aufbauen. Weitere Personen fand ich über Instagram, was überaus praktisch war, da die Kommunikation dort in der Regel sehr schnell abläuft und viele Künstler*innen das Social Media Portal als Online Portfolio nutzen, sodass ich direkt einen guten Einstieg in ihre Arbeiten erhielt. Leider wurde meine Liste von Interviewpartner*innen jedoch nicht so divers, wie ich sie gerne gehabt hätte – zwar unterscheiden sich meine Interviewpartner*innen in Aspekten wie dem sozialen Hintergrund, Gender und sexueller Orientierung; was Alter und Race angeht, hatten sie jedoch alle gemeinsam, dass sie PoCs zwischen 20 und 30 Jahre alt sind. Ich hatte auch weiße Personen angefragt, hier jedoch Absagen erhalten. 

Nachdem die erste Liste mit Interviewpartner*innen samt Konzept fertig war, schrieb ich meine Bewerbung für PROMOS. Die HU-Beauftragte Frau König war dabei meine Ansprechpartnerin, die mir schnell und zuverlässig bei Fragen und Problemen mit der Bewerbung zur Seite stand. 

Ein Problem war beispielsweise, wie kurzfristig das Geld ausgezahlt werden konnte. Dies war der Pandemie geschuldet; da sich die pandemische Lage inklusive eines eingeschränkten Flugverkehrs täglich ändern kann, warteten wir ab, bis es ersichtlich war, dass ich überhaupt nach Südafrika einreisen konnte. So kam es, dass ich keine zwei Wochen vor Ankunft in Kapstadt meine Flüge und Unterkunft buchte.

Bei der Wahl meines Fluges achtete ich darauf, flexibel umbuchen zu können. Eine Unterkunft ließ sich für Kapstadt leicht selber organisieren. Ich wählte ein kleines Apartment im CBD von Kapstadt, um zentral gelegen zu sein und mich flexibel im relativ sicheren inneren Stadtteil bewegen zu können. 

Die Durchführung der Interviews war eine spannende Erfahrung, die bis auf die eine oder andere spontane Termin- oder Ortsänderungen meiner Interviewpartner*innen problemlos ablief. Tatsächlich war ich sogar positiv überrascht, wie hilfsbereit die interviewten Personen waren. Oftmals haben sie mich an andere Künstler*innen weitervermittelt, mir interessante Werke und Orte gezeigt, mich auf Performances mitgenommen, mir Veranstaltungen empfohlen und mir wichtige Tipps und Hinweise auch in Fragen der persönlichen Sicherheit als queere Person in Südafrika gegeben, wofür ich sehr dankbar bin.

Neben den Interviews habe ich in meiner Freizeit das kulturelle Angebot Kapstadts wahrgenommen, wie beispielsweise die First Thursdays, ein Kunstevent am ersten Donnerstag des Monats, an dem zahlreiche Galerien in der Church und Bree Street kostenlos öffnen und sich die Stadt abends zum Ausstellungs-Hopping trifft. Das noch relativ neue Kunstmuseum Zeitz Museum of Contemporary Art Africa an der Waterfront ist auch ein Muss, ebenso die Stevenson Gallery, in der Zanele Muholis fantastische Kunst ausgestellt wird. 

Die derzeitige Pandemie hatte aber natürlich auch Einfluss auf meinen Aufenthalt. Kurz vor meiner Abreise erkrankte ich selbst, zum Glück jedoch nur recht leicht, sodass ich eine Quarantäne-Unterkunft problemlos organisieren konnte und die weiteren Schritte einzuleiten wusste. Im Nachhinein denke ich, dass es sinnvoll gewesen wäre, schon vor Beginn der Reise eine Art Notfallplan zu erstellen, um dann besser handeln zu können. Ich denke, jede*r sollte sich bewusst sein, dass Reisen, speziell Fernreisen, während einer Pandemie ein Risiko mit sich bringen, von einer möglichen Erkrankung, plötzlich eintretenden Flugverboten, bis hin zu erschwerten Arbeitsweisen. Ich hatte ursprünglich auch einen Kurztrip von Kapstadt nach Johannesburg für weitere Interviews organisiert. Nachdem genau in der Provinz von Gauteng die neue Virusvariante Omikron entdeckt wurde, plante ich jedoch schnell um, sagte die Präsenzinterviews dort ab und wechselte mit diesen Personen auf ein Online-Format, was natürlich sehr schade war. Bei Forschungsreisen in diesen Zeiten halte ich es jedoch für notwendig, diese Flexibilität zu haben und ein paar Schritte vorauszudenken – was tue ich, wenn Veranstaltungen spontan abgesagt werden müssen, Reisen innerhalb des Landes verboten werden oder eine große Zahl meiner Interviewpartner*innen krank werden oder in Quarantäne sind? In meiner Arbeit hatte ich durch die Interviewform die Möglichkeit, Termine innerhalb meines Aufenthaltes zu verschieben oder im Notfall online zu legen, dies musste ich zum Glück nur bei den Interviews mit den Johannesburger Künstler*innen wahrnehmen. Dass ich alle Interviews in Kapstadt vor Ort durchführen konnte, war ein großes Glück und riesiges Privileg, was ich sehr zu schätzen weiß. 

Mein Forschungsaufenthalt in Kapstadt ist definitiv ein prägendes Highlight meines Masterstudiums, an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an PROMOS, den DAAD und an Frau König aus der Vermittlungsstelle der HU. Es war eine lehrreiche Erfahrung, selbstständig meine Arbeit zu organisieren, mit spannenden Personen in den Dialog zu treten und meine Forschung zu vertiefen. Dementsprechend wünsche ich jeder Person, die einen solchen Aufenthalt gerne absolvieren möchte, die Chance dazu.


Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.

9. Januar 2022 | Veröffentlicht von | Kein Kommentar »
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Becoming an altruistic mother: ‘Mimi’, now streaming on Netflix and Jio Cinema. But why exactly now?

Nadja-Christina Schneider

Mimi (2021, dir. Laxman Utekar) is not the first remake of the 2011 Marathi feature film Mala Aai Vhhaychy! (“I want to be a mother”), directed by Samruoddhi Porey. In 2013, a Telugu remake by director Singeetam Srinivasa Rao was released under the title Welcome Obama. Single persons, same-sex and unmarried couples from abroad had already been excluded from legal access to surrogacy in India before the complete ban of commercial surrogacy in 2016. This may partly explain why in the Hindi remake Mimi, it is not a single woman from the United States who commissions the surrogacy, unlike in the Marathi original. Rather, it is now an involuntarily childless married couple who are nevertheless conveniently able to contribute the necessary gametes themselves – sperms, egg cell – on site so that the fertilized egg can then be transferred to Mimi’s uterus in a specialized clinic in Jaipur. Mimi had never planned on becoming a gestational mother but the experience of becoming a mother will change her life forever.

Read the whole article on Doing Sociology: https://doingsociology.org/2022/01/05/becoming-an-altruistic-mother-mimi-now-streaming-on-netflix-and-jio-cinema-but-why-exactly-now-nadja-christina-schneider/

6. Januar 2022 | Veröffentlicht von Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider | Kein Kommentar »
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Kai Mata – Being a Queer Activist in Indonesia

By Alice Picco, October 15th, 2021

“My voice is loud because there are not many voices.”

Growing up queer is certainly something that shapes your whole life. Especially in your younger years, discovering and accepting your own queer self might not be easy at all. Young queer people often feel alone, misunderstood and left out, and not everyone is lucky to live in a queer-friendly environment or have supportive families. This is the main reason why I chose to interview Kai Mata for my research project: her activism relies on the concept of “being who you needed when you were younger.” Kai Mata is an Indonesian singer/songwriter and an openly queer activist. She has chosen to make her queerness an important part of her artistic and musical production and uses social media to spread awareness on LGBTQ+ issues in Indonesia. Kai Mata has an Instagram account of nearly 6K followers, of which the bio reads “Indonesia’s openly LGBTQ+ musician.” In her account, we see the co-existence of her international fanbase as well as her attention to Indonesian issues and language. The captions to her Instagram posts and the subtitles to her videos are often both in English and in Indonesian, and there are numerous references to events or policies happening in Indonesia. However, the contents Kai Mata creates and the way she expresses herself are very international. As we will see, Kai’s primary activist strategies include re-appropriation of counternarratives and the use of recurrent visual symbolism.

Together with the interesting network of queer Indonesian activism and the historical peculiarities of the country’s views and policies on gender and sexuality, Kai Mata’s activism strategies interested me because of their ability to reach a wide audience, both Indonesian and international. Being a queer person myself, I too have struggled with both self and external acceptance. I often think about other peoples’ stories when it comes to acceptance, coming out and participation in queer activism.

The experience of queerness varies in different settings and backgrounds. These settings can change the way in which queerness expresses itself and the challenges queer individuals might face. How can a queer person’s story develop, according to the environment they live in? How does having a support network of organizations or familiar/peer support influence queer people’s lives? Having all these questions in mind, I decided to conduct a study that combines Kai Mata’s personal story and her activism strategies.

To conduct my research, I focused on digital techniques of communication, social media representation and data analysis of Instagram reels and posts. My digital ethnography also included Kai Mata’s music and video content. Since Kai Mata’s communication technique combines her career as a singer and musician with her activism, her musical work is explicit and unapologetic in explaining queer struggles and defending queer rights. Along with the cover tracks, Kai Mata’s music is explicitly directed at an LGBTQ+ audience. The song “So Hard” for example, explicitly refers to the struggles of queer women in heteronormative society. The main resources utilized in this study are the audio recording of the zoom interview I had with Kai Mata and her Instagram account, in particular the reel “Reaksi 🏳️‍🌈 Lesbi Terhadap ‘Bahaya LGBT’”.

I conducted my research along two main lines of inquiry. My first aim was to analyse the figure of Kai Mata biographically in terms of her story, what it meant for her to grow up in Indonesia, how and when she started her career and her activist activity, and what were the challenges she encountered. The second part of my research focused on online communication, social media and digital activism.

I loved conducting the interview because I instantly felt like Kai Mata enjoyed speaking about her career and activism, which definitely helped me to come up with new questions spontaneously.

When asked for her definition of “queer” and what this term means to her, she replied:

I think “queer” for me… Is my sexual orientation, is the identity that my love isn’t bounded by gender and that I am open to loving people of various sexual orientations and gender identities.

Kai Mata argues that “queer” encapsulates all kinds of sexualities, whereas terms like “gay” or “lesbian” may be limiting. She adds that she stopped identifying as gay or lesbian because she wants people to know she is not referring only to cisgender people: she argues that she is able to love people of various genders. Kai Mata specifies that although she identifies as queer, she would never call someone else queer, since it was used as a derogatory term in the past. Kai Mata argues that to some people, especially the elders, the term queer could still hold emotional value. Therefore, it is better not to use it unless someone uses it for themselves.

When I asked her about her about growing up in Indonesia, she told me about the discovery of her sexual orientation. She told me how she had trouble admitting to herself or other people that she was in love with a girl, how she felt confused, scared and alone. She felt like she had no one she could talk to. Kai Mata describes coming to terms with her sexuality while living and growing up in Indonesia as one of the most significant experiences of her life and thus inevitably present in her song writing. For this reason, the concept of “being who you needed when you were younger” is a recurring idea in Kai Mata’s activism strategy. She has taken on the mission to get into contact with young LGBTQ+ people coming out for the first time, and put them in touch with Indonesian LGBTQ+ networks.

When speaking about queer activism in Indonesia, what emerges from the interview is that although there is a variety of Indonesian LGBTQ+ networks, most of these operate underground. Kai Mata always highlights how she is grateful she has an international fanbase, but her focus is mainly on Indonesian issues: “Here is where I’m more present, because here is where I’m needed the most.”

Another prominent aspect of Kai Mata’s communication on social media platforms is that of the focus on Indonesian issues and problems, together with references to Indonesian tradition and diversity. In the interview, for example, she explained that she could move to the US or a European country and live a more relaxed life, face less backlash and continue her music and activism career without having to worry – or worry less – about homophobic attacks. Although her communication strategies and her audience are largely international, she has a strong focus on Indonesian issues, and a strong sense of belonging to Indonesia. She stays in Indonesia because while she has the possibility of moving, other people don’t have this possibility. Kai acknowledges that the critique that could be directed to her activism is related to her coming from privilege. Not every queer person in Indonesia would want the degree of exposure that she has; “visibility” does not sound like a promising perspective for everyone. Some would feel in danger with increased visibility, others would feel uncomfortable, and again others would just not be interested in sharing their sexual preferences with the world.

A recent example that illustrates Kai’s online activist strategy is her Instagram reel “Reaksi 🏳️‍🌈 Lesbi Terhadap ‘Bahaya LGBT’”. This reel is an example of Kai Mata’s visibility techniques to counter homophobic attacks and backlash. In fact, it is meant to be a reply to an offensive and homophobic video of a song saying “lesbians are singing” which displayed the “dangers of the LGBT”. This video was sent to her, challenging Kai Mata to reply to the backlash. She did so with her own version of the song.

When confronted with the video “Bahaya LGBT” and asked to respond to it, Kai Mata said: “despite the fact that is mocking us and saying that we don’t deserve the right to be legal, it kind of sounds like a queer anthem”. The re-appropriation of counternarratives is an effective way to respond to this kind of internet backlash. Kai Mata uses the offensive parody to create a musical celebration of being LGBTQ+: “Lesbians are singing, transgender women are dancing. Because we are happy, proud to be LGBT.”

This celebratory song Kai Mata has composed is useful to understand her focus on Indonesian issues and her attention to Indonesian history and culture. Hereby, she mentions Indonesian diversity and tradition and states the contradiction between the country’s history and its current policies (such as conversion therapy):

So come take a look at the culture of our country: the Bugis tribe tradition, the Lengger’s tradition…if this makes you alarmed, remember our nation’s motto: “Unity in Diversity”. Rainbows also shine in our skies, don’t forget the 5th principle of our nation’s philosophy: “Social Justice for all Indonesians”.

Her communication strategy focuses on re-appropriating backlash and homophobic attacks and responding to them with positivity. Positivity, re-appropriation, and visibility form key parts of Kai’s activist strategy. For example, she relies heavily on the use of symbols like the LGBTQ+ flag.

She frequently uses this symbol both in the photos she posts, as well as in emoji form on her Instagram account. She also had a small pride flag on her desk when I interviewed her. Kai Mata argues that she uses the pride flag as a mean of representation:

I wear rainbow paraphernalia in hopes any queer individuals around recognize they are not alone. When I was first accepting the fact I wasn’t straight, I had no idea queer Indonesian women existed. It felt isolating and lonely. So now, I use the rainbow socks or mask to showcase to any LGBTQ+ individuals walking down the street that there is someone around that may relate to them, and that their sexual/gender identities do not need to isolate them.

In her perspective, the rainbow flag serves as a means to visibility and a reminder of pride. Coming from left-wing queer-punk activism in Italy, this aspect was especially interesting for me personally. In my particular context, the use of rainbow paraphernalia is often associated with rainbow-capitalism and companies appropriating queer culture. Visually, queer-punk activism tends to use the classic aesthetics of punk combined with the colours red and pink. The use of rainbow colours has actually become more diffused in mainstream communication during the last years, for example when companies started creating limited edition “pride” product lines.

In the context of Indonesia, however, Kai uses the rainbow flag to be recognizable to people who – for many reasons – are not comfortable openly expressing their sexuality. This shows that the experience of queerness varies from context to context, together with the necessities and strategies of representation as well as the mechanisms of recognition between queer individuals.

Kai Mata’s persona and music are part of a wider trend of the increasing popularity of online community building and activism. Especially since the start of the pandemic, the internet has substituted public spaces in creating and expanding networks. When we talk about LGBTQ+ activism, we talk about networks of care: connections that can help people struggling with their sexuality to find someone they can talk to and receive emotional and material assistance, without necessarily having to meet in person. Some of the most prominent associations in Indonesia are GAYa NUSANTARA and Arus Pelangi. These networks often help young queers with any kind of emergency that can occur in coming out in a non-accepting environment, such as housing or financial problems. Kai Mata is often contacted by these young LGBTQ+ individuals, and helps them to get in touch with these networks.

Through this research, I discovered that it is possible to conduct an ethnography without necessarily being physically present on the field. Digital and social media technologies can also help create networks of aid and care that go beyond physical distance, as Kai Mata explains when she speaks about young queers needing housing or financial help.

One of the most interesting aspects that is present in Kai Mata’s communication strategy is that of the re-appropriation of counter narratives, as seen on the reel where she replies to backlash in a “positive” way. Re-appropriation is something very prominent and discussed in the queer community, especially when it comes to slurs and derogatory terms. Furthermore, her social media strategy emphasises visibility and visual symbolism, and has a decidedly international outlook – evidenced by for example her repeated use of the rainbow flag, and her use of both English and Indonesian language.

I would like to thank Kai Mata for wanting to share her story with me and help me with this project. This research has been an interesting moment of reflection on the struggles of the LGBTQ+ community in Indonesia, as well as the caring networks and activist strategies that can be cultivated on social media.


3. November 2021 | Veröffentlicht von | Kein Kommentar »
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Graffiti im urbanen Raum Berlin Kreuzberg Sozi36 – soziale und gesellschaftskritische Botschaften als Zukunftsvision?

Eine kommentierte Fotostrecke von Tamara Fina, die im Rahmen des Projektseminars Zukunftsentwürfe des Zusammenlebens: Konzepte, künstlerische Interventionen, mediale Utopien (BA Regionalstudien Asien / Afrika) unter der Leitung von Prof. Dr. phil. Nadja-Christina Schneider entstanden ist.


In Zeiten der Digitalisierung und Corona-Pandemie findet soziale Interaktion und Austausch mehrheitlich im virtuellen Raum statt. Dialoge verkommen zu Monologen, Diskussionen driften in Hetzereien ab, das Zusammenleben „vereinsamt“ hinter einem Bildschirm – was also kann in die Zukunft gedacht werden, um das Miteinander und Zusammenleben visionär zu gestalten?
Diese Fragestellung begleitet mich seit Beginn der Pandemie noch stärker als sonst und hat dazu geführt, dass ich mich im Rahmen dieses Projekts mit dieser Thematik befassen möchte. Digitalisierung ermöglicht einen schnellen, vereinfachten und globalen Austausch, was aber auch seine Kehrseite hat. Dies beleuchtet Netflix mit einer Dokumentation über Soziale Medien. Netflix wiederum wird von vielen Menschen als Unterhaltungsmedium genutzt, dabei kann in eine fiktive Welt eingetaucht werden, welche den Alltag vergessen lässt. Für jeden Geschmack hat Netflix etwas anzubieten, es wird sozusagen auf dem Silbertablett serviert. Ein paar wenige Mausklicks und die Realität verschwimmt mit der Fiktion, schnell und unproblematisch. Es wäre gelogen, würde ich mich von dieser virtuellen Welt ausschließen. Dabei ertappe ich mich, wie ich Freund*innen auf Serien und Dokumentationen anspreche und wir uns darüber unterhalten und diskutieren. Die scheinbare Welt von Netflix also, bestimmt gewissermaßen auch ein Stück meines Lebens. Ist dies besorgniserregend? Vereinsame auch ich hinter meinem Bildschirm? Wie oft treffe ich überhaupt noch meine Freund*innen? Ziehe ich Netflix Verabredungen mit Bekannten vor? Hemmt Netflix meine sozialen Interaktionen? Während mir diese Fragen durch den Kopf schwirren, überlege ich mir, welche Alternativen geschaffen werden können, um die gemeinsame Zukunft entscheidend zu gestalten.

     Sozi36 – Pic ©Sozi36
„Die Doku ist gut und ich bin jetzt ein kritischer Zeitgeist. Aber daraus gelernt habe ich nichts, also gebt mir trotzdem Dopamin.“
Sozi36
 (https://www.instagram.com/p/CMrQNboHF20/)

Im Fokus des Projektseminars steht der Grundgedanke respektive die Idee nach Asante, nach dem sich der Mensch frei denkend und kreierend, aber nicht hierarchisierend in die Zukunft entwickeln solle. Diese Idee soll als Ausgangslage benutzen werden. Nur wer sich selbst kenne so Asante, sei in der Lage eine Zukunftsvision hervorzubringen. Radikale Bewegungen müssten mit der Vergangenheit brechen können und mit einer provokanten Agency beginnen (1 vgl. Asante 52ff.). Diese Anschauung soll im urbanen Raum konzeptualisiert werden. Dafür eignet sich die Kunst des Graffiti-Künstler Sozi36, welcher in Berlin Kreuzberg immer wieder mit seinen Botschaften grössten Teils auf Matratzen verfasst, auffällt. Diese provozieren, regen zum nachdenken an, rufen Reaktionen hervor – für mich eine Form der aktivistischen Kunst, und ebenso ein Raum der die Möglichkeit erschafft zu diskutieren. Sozi36 verkörpert für mich mit seinen Äusserungen genau die Idee, dass der Mensch „out of the box“ denken sollte. Und dass er sich durch Botschaften vielleicht provoziert fühlt daraus aber eine Diskussion und auch ein sich weiterentwickeln stattfinden kann. Denn seine Aussagen sind unmissverständlich oder stellen eben Fragen gezielt missverständlich.

„Bei manchen Arbeiten versuche ich mit Metaebene (also durchaus missverständlich) zu arbeiten. Da verliere ich einige Leute, weil sie Meta nicht mitbekommen, aber das ist mir egal. Ich habe gehört, als Künstler müsse man auch etwas Denkleistung beim Betrachter lassen. Ich führe den Punkt nicht aus Klugscheißerei an, sondern weil ich mittlerweile sehr gerne und auch öfter mit Missverständnissen arbeite.“
Sozi36


Die Aussagen von Sozi36 prangern Ungerechtigkeiten an und sind sozial und gesellschaftskritisch geprägt. Für mich von enormer Aussagekraft. Sozi36 lässt aber auch in sein Inneres blicken und die Betrachter*innen ein Stück weit an sich heran. Im Projekt soll herausgearbeitet werden, inwiefern seine Kunst im öffentlichen Raum als dialogisches Medium und als Zukunftsvision verstanden werden kann.

Folgende Fragen sollen überprüft werden:

„Inwiefern kann die Graffiti Kunst von Sozi36 als dialogisches Medium im urbanen Raum Kreuzberg verstanden werden?“
„In welcher Hinsicht kann die Graffiti Kunst von Sozi36 im urbanen Raum Kreuzberg als Zukunftsvision betrachtet werden?“
Daraus resultiert folgende Hypothese:
„ Die Botschaften von Sozi36 sind visionär und bringen die Menschen im urbanen Raum zum Nachdenken, sie provozieren und rufen Reaktionen hervor, die einen Dialog ermöglichen.“

Graffiti hat ohne Zweifel einen interaktiven Charakter. Geschriebenes begegnete den Menschen bereits im antiken Alltag vor allem in Form von Inschriften. Schriftliche Informationen die nicht auf Papier verfasst waren, zierten Häuserfassaden, öffentliche Plätze, Ladenschilder u.ä. Die Beschaffenheit des/der Inschriftenträgers*in bestimmte die Beschaffenheit der Inschrift und damit auch deren Wahrnehmung. Eine Inschrift ist aber nicht nur ein einfacher Text (Inhalt) sondern hat auch ihren ganz eigenen Stil und Design welches das Produkt menschlichen Handelns ist. Die Intentionen der Hersteller*innen wird weiter transportieren und ruft somit auch Reaktionen hervor. Inschriften sind nicht einfach passive Dinge, sondern auch selbst Akteur*innen. Inschriften haben oft enge Bezüge zur gesprochenen Sprache, da sie das Merkmal besitzen, sich direkt an Passanten*innen und Leser*innen zu wenden. Auch Graffiti hat diese Eigenheit der Interaktion zwischen Text und Rezipient*in inne, wodurch ein Dialog entstehen kann. Die Botschaften und Inschriften laden Leser*innen einerseits zum Lesen und Verbleiben ein, können aber durch abschreckend formulierte Warnungen oder Provokationen, auch Wut oder Unbehagen auslösen. Beide Formen nutzen die Dialogform, denn sie treten direkt mit dem Lesenden in Kontakt. Graffiti steht in einem besonderen Verhältnis sowohl zu seinen Inschriftenträgern*innen als auch seiner Leserschaft, denn es wird ungefragt und auf primär nicht dafür vorgesehenen Flächen angebracht. Die Inschriften treten mit bereits Vorhan- denem in Interaktion, dies unter anderem im öffentlichen Raum. Oft ist nicht nur der/die Leser*in, sondern auch der/die unbeteiligte Passant*in mit einbezogen. Die Botschaften fordern ganz gezielt Aufmerksamkeit ein und ertappen die Leserschaft nicht selten „in flagranti“ beim Lesen der Botschaften. Provozieren diese, machen sich über die Betrachter*innen lustig, stellen ihr Weltbild in

Frage, hinterfragen ihre Werte und Normen. Graffiti kann wütend machen, stösst auf Unverständnis, löst Diskussionen aus. Graffiti Kunst stellt also eine Interaktion zwischen Verfasser*innen, Adressaten*innen her und ist dabei gleichzeitig Träger, Auslöser und Ergebnis von Interaktionen (2 vgl. Lohmann 2018: 103ff.). Graffiti dient sowohl als Medium, aber auch als Vermittlungsinstanz einer dialogischen Intention zwischen Machern*innen und Empfänger*innen. Ebenso werden Botschaften direkt oder indirekt, schriftlich zum Beispiel auf Social Media oder mündlich vor Ort kommentiert. Die Informationen und Aussagen werden weiter gegeben was weitere Interaktionen anregt. Die gesendeten Botschaften der Verfasser*innen entsprechen nicht immer den Nachrichten die empfangen werden. Graffiti im öffentlichem Raum ist nämlich nicht nur für einen bestimmten Personenkreis gedacht und demnach auch nicht nur für diesen rezipierbar. Die gesendeten Nachrichten können je nach Rezipient*in basierend auf dessen/deren Wissen, Wertvorstellungen, Idealen und Lesefähigkeit unterschiedlich interpretiert und weiter gegeben werden (3 vgl. Lohmann 2018:106f.). Es kann durchaus auch geschehen, dass der/die Empfänger*in dem Inhalt eine ganz andere Bedeutung beimisst als der/die Schreiber*in oder der/die Künstler*in intendiert hat (4 vgl. Burkart 1995: 38-41). „Deutschland dein Konzentrationslager brennt.“ Ein kurzer, aber prägnanter Satz, der Unverständnis, Unbehagen, aber auch Wut auslösen kann.

Gewisse Personen fühlen sich durch den Satz getriggert, andere vielleicht nicht. Die Aussage macht auf das brennende Flüchtlingslager in Moria aufmerksam. Eine Botschaft, die extrem viele Kommentare über Social Media erlangt hat. Es wurde diskutiert und argumentiert, und teilweise entstand der Eindruck, dass die von Sozi36 gesendete Botschaft nicht immer dem entsprach, was empfangen wurde. Die Nachricht kann in viele Richtungen gelesen, verstanden und interpretiert werden, und hat auf den ersten Blick einen abschreckenden Charakter. Dadurch kann aber eine Interaktion zustande kommen, aus der sich, aufgrund der Thematik, eine hitzige Diskussion entwickeln kann. Die Kommentarfunktion überlässt hier Adressaten*innen die Möglichkeit, schriftlich zu reagieren, aber auch dem Verfasser Sozi36 auf die Reaktionen einzugehen. Da die Botschaft im öffentlichen Raum platziert ist und ebenso auf Social Media zugänglich für alle, werden sozusagen auch unbeteiligte Personen mit einbezogen. Dies führt zu einem Diskurs, wobei die Botschaft den Auslöser einer Interaktion darstellt. Spannend dabei ist festzustellen, dass die Interpretationen konträrer und die Beiträge vielfältiger sind, wenn die Botschaft kontrovers ist. Dies führt unweigerlich zu einer Diskussion, in welcher verschiedene Positionen vertreten sind, und auch so zum Ausdruck gebracht werden können. Setzt man sich grundlegend mit Stadttext auseinander, so ist zu erkennen dass nicht nur unterschiedliche Formen der Aneignung von öffentlichem Raum sichtbar wird, sondern vielmehr wird auch verdeutlich, wie Machtbeziehungen im urbanen Raum zustande kommen. Der öffentliche Raum ist grösstenteils durch Reglementierung gekennzeichnet, welche vor allem von Ökonomie und Politik beeinflusst ist (5 vgl. Riegler 2020: 60). Monja Müller beschreibt den urbanen Raum als ein Ort in dem visuelle Kommunikation fast ausschliesslich politischen und kommerziellen Zwecken dient und der öffentlichen Raum nach Kriterien die dem Verkehr, den Massenkonsumkultur sowie der Repräsentanz politischer und ökonomischer Herrschaft untergeordnet sind gestaltet wird (6 vgl. Müller 2017: 445). Die Stadtpolitik hat sich die Aufgabe gemacht für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, diese Funktion wird in Zeichen die im öffentlichen Raum platziert werden übersetzt (Verkehrs- und Hinweisschilder, Verbote und Gebote). Neben diesen Zeichen die in erster Linie für Sicherheit und Ordnung sorgen sollen, werden auch zahlreiche Werbebotschaften im urbanen Raum platziert, denn Werbung besitzt einen wichtigen Stellenwert und bringt die wirtschaftliche Validität einer Stadt zum Ausdruck. Der öffentliche Raum also fungiert als Aussenauftritt der Wirtschaftstreibenden (7 vgl. Werle 2013: 30f.). Unabhängige und individuelle Zeichenproduktion ist im

Stadtraum grundlegend nicht vorgesehen. Dennoch bringen sich Akteur*innen unautorisiert in den politischen und ökonomisch konstruierten Stadttext mit ein und nutzten damit das kommunikative Potential der urbanen Außenflächen. Die Intentionen und Motive dafür sind unterschiedlich: persönliche, politische, künstlerischer oder auch einfach kommerzielle. Dabei werden unterschiedliche, legale sowie illegale Aneignungsstrategien sichtbar. Bourdieu unterscheidet drei Raumkategorien: den physischen, den sozialen und den angeeigneten physischen Raum. Das Konzept des angeeigneten physischen Raum beschreibt die räumliche Verteilung von Gütern und Dienstleistungen sowie die Möglichkeiten von Akteur*innen mit ihren unterschiedlichen Möglichkeiten sich Räume anzueignen (8 vgl. Bourdieu 2010: 160). Der angeeignete physische Raum ist einerseits Ergebnis von sozialen Praktiken im Raum selbst aber auch Gegenstand von Kämpfen und Aushandlungsprozessen zwischen Akteuren*innen und unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten. Individuen nehmen öffentliche Räume, die auch der Repräsentation dienen, unterschiedlich war. Dies zum Beispiel aufgrund der eigenen Biographie. Entsprechend wird bestimmten Räumen eine mehr oder weniger grosse Bedeutung zuge-

schrieben (9 vgl. Etzold 2011: 193-196). Die staatlichen Institutionen sind für die Kontrolle und Überwachung des öffentlichen Raums zuständig. Die Reglementierung des öffentlichen Raums wirkt sich auch auf die Beschaffenheit des Stadttextes und die soziale Positionierung der Akteur*innen aus. Dies wiederum prägt räumliche Praktiken und somit auch die Ausdrucksform bei der Aneignung von öffentlichen Raum und kann als sozialer Kampf um städtisches Territorium verstanden werden. Unautorisierte Eingriffe in das Stadtbild untergraben die Autorität und Kontrolle der Stadtpolitik.

Sauberkeit und Sicherheit gelten primär als Argument um gegen die unerwünschten Verhaltens- und Nutzungsformen juristisch vorzugehen (10 vgl. Riegler 2020: 71). Der öffentliche Raum fungiert in erster Linie als Aushängeschild eines wirtschaftspolitischen Systems. Ordnung, Kontrolle und Sauberkeit sind vorgesehen und werden von staatlichen Institutionen umgesetzt. Dabei ist die Inneneinrichtung eines Wohnzimmers auf dem Bürgersteig nicht das vorgesehene Bild eines Stadttexts. Die Autorität der staatlichen Institutionen wird durch die Installation untergraben, denn Sofa und Sessel gehören grundsätzlich ins Wohnzimmer und nicht auf die Straße. Die Inneneinrichtung auf der Straße provoziert, denn es handelt sich dabei nicht um Sperrmüll, der zum Entsorgen in ein Hinterhaus geworfen, oder vor dem Haus hingestellt wurde, sondern vielmehr um bewusst in Szene gesetzte Kunst. Dabei hebt sich die Installation von sonst oft hingeworfenem Sperrmüll ab, indem sie einerseits Aneignung von sozialem Raum widerspiegelt, provoziert und Autoritäten untergräbt, anderseits durch das sehr ordentliche Anordnen der Möbel wiederum Ordnung und Sauberkeit verkörpern könnte. Mit dem Satz aber „Jetzt ist es Protestkunst“ diese vermeintliche Idealvorstellung sofort wieder zerschlägt. Die Installation, welche nicht aufgrund einer direkt ins Auge stechenden und provozierenden Botschaft auffällt, hat in ihrer Aussagekraft aber nicht weniger Stärke, denn sie stellt eine Form der Aneignung von sozialem Raum dar, wobei der Grundsatz von Ordnung und Sauberkeit aber nicht elementar verletzt wird, denn weder die Möbel noch die Anordnung der Möbel können als unordentlich oder schmutzig betrachtet werden. Setzt man sich abschliessend nochmals mit dem Ansatz von Asante auseinander, nach dem Zukunftsvisionen durch radikalen Bruch mit der Vergangenheit und provokanter Agency in die Zukunft entstehen können, so ist zu erkennen, dass Graffiti-Kunst mit dem Ansatz vereinbar ist: Gesendete Graffiti-Botschaften können konventionelle Werte und Normen in Frage stellen, sie hinterfragen, stossen auf Unverständnis, provozieren und lösen damit auch immer wieder Diskussionen aus. Graffiti stellt also eine Interaktion zwischen Schreibern*innen, Adressaten*innen und Dritten her. Dabei fungiert Graffiti als Träger, Auslöser und Ergebnis von Interaktionen und als dialogisches Medium zwischen Verfasser*in und Empfänger*in in Einem. Ebenso werden Botschaften direkt oder indirekt, mündlich oder schriftlich, zum Beispiel auf Social Media

(https://www.instagram.com/p/CMyorESnG7-/)

kommentiert. Informationen und Inhalte werden weiter getragen was weitere Interaktionen mit sich bringt. Durch Provokation kann Dialog entstehen. Der dadurch entstandene Prozess kann durchaus als provokante Agency verstanden werden, denn Dialog entsteht nicht innerhalb eines vorgegebenen Rahmens wie der Universität oder geleiteten Podiumsdiskussionen, sondern entwickelt sich durch einen ausserhalb dieses Rahmens befindenden Prozesses im urbanen Raum. Asante besagt weiter, dass der Mensch sich kreierend aber nicht hierarchisierend in die Zukunft entwickeln sollte. Ich möchte hier nochmals auf Monja Müller zurück greifen, denn sie beschreibt den urbanen Raum als ein Ort in welchem visuelle Kommunikation fast ausschliesslich politischen und kommerziellen Zwecken dient. Die Gestaltung des öffentlichen Raums wie oben erläutert erfolgt nach Kriterien, die dem Verkehr, der Massenkonsumkultur sowie der Repräsentanz politischer und ökonomischer Herrschaft untergeordnet sind. Diese politische und ökonomische Herrschaft basiert auf einem hierarchischen System. Dieses steht im Widerspruch zu Asante, der eben diese Hierarchisierung, welche auf dem Prinzip der ungleichen Verteilung von beispielsweise Gütern und Dienstleistungen basiert, kritisiert.

Betrachtet man nochmals das Konzept des angeeigneten physischen Raum nach Bourdieu, welches die räumliche Verteilung von Gütern und Dienstleistungen sowie die räumliche Verteilung von Akteur*innen, die unterschiedliche Möglichkeiten haben sich Räume anzueignen ausführt, kann eine Verbindung zu Asante gezogen werden. Der angeeignete physische Raum ist einerseits Ergebnis von sozialen Praktiken im Raum, aber auch Gegenstand von Kämpfen und Aushandlungsprozessen zwischen Akteuren*innen und unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten. Unautorisierte Eingriffe in den Stadttext untergraben die Autorität und Kontrolle der Stadtpolitik. Sauberkeit und Sicherheit gelten primär als Argument, um gegen die unerwünschten Verhaltens- und Nutzungsformen juristisch und exekutiv vorzugehen. Unabhängige und individuelle Zeichenproduktion ist im Stadtraum unerwünscht. Dennoch nehmen Akteur*innen umautorisiert diesen Raum als kommunikatives Potential in Anspruch im gleichzeitigen sozialen Kampf um städtisches Territorium. Dies ist Ausdruck einer Bewegung, die sich gegen den ökonomisch und politisch konstruierten Stadttext welcher auf Hierarchisierung beruht, stellt und somit auch der Zukunftsvision von Asante entsprechend gerecht wird. In meinem Projekt habe ich mich bewusst mit den Botschaften des Graffiti- Künstlers Sozi36 auseinander gesetzt, denn für mich verkörpert er die Attribute provokant, Aneignung von Raum oder aber auch das Infragestellen von Autorität und Kontrolle durch staatliche Institutionen. Sozi36 polarisiert mit seinen Botschaften. Schon das Verfassen von Botschaften auf Matratzen führt zu Diskussionen unabhängig davon ob es angemessen ist Sperrmüll zu bemalen oder nicht. Hier prallt der kommerzielle Gedanke von Stadtbild auf einen innovativen. Seine Aussagen wiederum spielen mit Missverständnissen und provozieren, lassen Nachdenken, stellen die Gesellschaft mit ihren Normen und Werten in Frage. Seine Kunst kann zweifelsohne als dialogisches Medium verstanden werden. Adressat*innen fühlen sich provoziert, diskutieren über Social Media über die Inhalte der Botschaften, posieren vor Aussagen auf Matratzen, während andere wiederum die Polizei rufen um den „Unruhestifter“ möglichst aus dem Stadtbild entfernen zu lassen. Zu guter Letzt gibt es auch noch diejenigen die selbst Hand anlegen um wieder Kontrolle und Sicherheit zu erlangen und seine Arbeiten entsorgen.

Seine Botschaften polarisieren, bringen Interaktionen verschiedenster Formen hervor und fungieren somit als dialogisches Medium. „No More Moria Europäische Werte siechen in den Lagern und liegen auf Grund des Mittelmeers.“ Die Botschaft ist unmissverständlich. Europäische Werte werden klar und deutlich in Frage gestellt. Der Satz regt zum Nachdenken an, denn er erinnert unumgänglich an die geflüchteten Menschen, welche in Moria festsitzen, oder auf dem Weg dahin auf tragische Weise ihr Leben verloren haben. Menschen, die auf der Flucht Richtung Europa sind. Im Kontrast dazu das Posieren vor einer Matratze, in Berlin, Europa. Ein Bild, welches fast schon etwas Geselliges und Fröhliches ausstrahlt. Zwei Formen Botschaften an Adressat*innen zu bringen, beide auf ihre eigene Art und Weise. Beide aber rufen Reaktionen hervor, wodurch ein Dialog entstehen kann. Und obwohl die beiden Aussagen auf den ersten Blick konträr erscheinen, kann eine Verbindung hergestellt werden. Denn auf gewisse Weise werden in beiden Botschaften die europäischen Werte und Normen in Frage gestellt.

Die eine Botschaft ist beim Lesen eindeutig, denn der Begriff Moria assoziiert Lager, geflüchtete Menschen, Brand, Kritik an der Europäischen Union. „Ist mir zu deutsch in Kaltland. Ich gönn mir Namibia“ kann mit Urlaub assoziiert werden, aber auch mit der Deutschen Kolonialgeschichte in Namibia. Es ist also zu erkennen, dass die gesendete Nachricht je nach Rezipient*in, basierend auf dessen/deren Wissen, Wertvorstellungen, Idealen und Lesefähigkeit, unterschiedlich interpretiert und weiter gegeben werden kann. Und dass die eine Person die Nachricht mit Urlaub in Verbindung bringt, eine andere aber mit Kritik an der deutschen Kolonialgeschichte und somit auch europäische, respektive Deutsche Werte und Normen in Frage stellt. Die verschiedenen Interpretationen lassen Raum für Aus- tausch und Diskussion.

Die Frage also

„Inwiefern kann die Graffiti Kunst von Sozi36 als dialogisches Medium im urbanen Raum Kreuzberg verstanden werden?“
kann damit beantwortet werden, dass Dialog über die Botschaften, die er versendet entstehen kann, weil die Inhalte seiner Aussagen nicht dem gängigem Stadtbild und -text entsprechen und sie auf nicht dafür vorgesehenen Objekten (Sperrmüll) platziert werden. Ein Dialog muss nicht immer positiv konnotiert sein. Darum ist auch diese radikale Bewegung, die Asante beschreibt, in dem von mir gewählten Beispiel so zwingend nötig und wichtig zu erwähnen. Denn ich verbinde radikal und provokant als Zukunftsvision eben genau mit den Botschaften von Sozi36, die oft sehr provokant sind und entsprechend auch starke Reaktionen hervorrufen können. Und dieser Ansatz führt dazu, dass die Menschen wieder miteinander in Dialog treten können auch wenn dieser kritisch und manchmal auch eher konfrontativ oder bisweilen sogar aggressiv sein sollte. Es findet Austausch und zwischenmenschliche Reibung statt, welche wichtig für eine visionäre Zukunftsgestaltung ist.

Folglich lässt sich folgende Fragestellung beantworten

„In welcher Hinsicht kann die Graffiti Kunst von Sozi36 im urbanen Raum Kreuzberg als Zukunfts- vision betrachtet werden?“

Seine Kunst ist visionär, weil sie sich aus der Normalität, also den hierarchischen Strukturen die für Ordnung, Sauberkeit Kontrolle und Autorität sorgen sollen, heraus bewegt. Diesen Kampf um städtisches Territorium trägt er insofern aus, indem er Sperrmüll, welcher das Gegenteil von Ordnung und Sauberkeit bedeutet, gekonnt in Szene setzt und sich dabei auch nicht vor negativen Reaktionen scheut. Mit seinen Aussagen und den dafür ausgesuchten Mitteln (Matratze, Wahlplakate, Sofa usw.) bringt Sozi36 die Kontrolle und Autorität der Stadtpolitik ins wanken und stellt somit ein Gegenpol zum politisch und ökonomisch konstruierten Stadttext dar. Seine Kunst hat auch einen vi- sionären Charakter, weil es ihm gelingt Dialog und Aushandlungsprozess von urbanen Räumen und deren Verteilung von Gütern und Dienstleistung durch seine ganz eigene individuelle Aneignungsform und auf seine Art und Weise zu erschaffen. Trotzdem wird seine Kunst von gewissen Institutionen kriminalisiert, vielleicht gerade deshalb, weil er Autoritäten untergräbt und sich aus der Normalität heraus bewegt. Denn seine Botschaften sind kritisch, mutig, unkonventionell. Dialoge können entstehen, und ebenso wird Raum für Aushandlungsprozesse durch seine Kunst erschaffen. „Graffiti is a crime and someone has to pay for it.“ Ich stelle mir abschliessend die Frage, wer am Ende dafür zu bezahlen hat? Vielleicht wir alle, wenn wir uns nicht aus unserer angenehmen „Bubble“ heraus bewegen und uns mutig aufeinander zu, anstatt immer mehr nur dem Bildschirm zuwenden.


Über die Autorin: Tamara Fina ist Studentin der Asien/Afrikastudien (MA) der Humboldt Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Identität und postkoloniale Strukturen in zentralafrikanischen Regionen.


Literatur:
Asante
, Molefi Kete (2021). Afrocentricity and Afrofuturism 2.0: Countdown to the Future In: Natasha A. Kelly (2021). (ed.) The Comet – Afrofuturism 2.0. bpd, Bonn. S. 47-77.

Bourdieu, Pierre (2010). Ortseffekte. In: Ders. et al. (Hg.): Das Elend der Welt. Gekürzte Studienausgabe, 2. Auflage. UTB GmbH, Konstanz. S. 159-167.

Burkart, Roland (1995). Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder; Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. 2. Aufl. Böhlau Verlag, Wien.

Etzold, Benjamin (2011). Die umkämpfte Stadt – Die alltägliche Aneignung öffentlicher Räume durch Straßenhändler in Dhaka (Bangladesch) In: Holm A. & D. Gebhard (Ed.): Initiativen für ein Recht auf Stadt: Theorie und Praxis in städtischer Aneignungen. VSA Verlag, Hamburg. S. 187-220.

Kappes, Mirjam (2014). Graffiti als Eroberungsstrategie im urbanen Raum. In: Warnke, Ingo H./ Busse, Beatrix (Hrsg.): Place-Making in urbanen Diskursen – Interdisziplinäre Beiträge zur Stadtforschung. Walter de Gruyter GmbH, Boston / Berlin. S. 443-476.

Lohmann, Polly (2018). Graffiti als Interaktionsform. Geritzte Inschriften in den Wohnhäuser Pompejis. Walter de Gruyter GmbH, Boston / Berlin.

Müller, Monja (2017). Reclaim the Streets! Die Street-Art-Bewegung und die Rückforderung des öffentlichen Raumes. Am Beispiel von Banksys. Better out Than In. Und Shepard Faireys Obey Giant-Kampagne. Books on Demand, Norderstedt.

Riegler, Anna (2020). Die urbane Zeichenlandschaft. Aushandlungsprozesse um Stadttext. In: Jg. 1 (2020), H. 1: Sonderband 1. msc_lab b: Die Strasse S.59-72 Elektronische Ressource.

Werle, Bertram (2013). Werbung und Baukultur: Stadt im Spannungsfeld. In: Internationales Städteforum Graz (Hg.): Die umworbene Stadt. Stadtgestalt und Werbung im Fokus von Denkmalpflege und Baukultur, ISG Tagungsband 2013, Graz. S. 27-33.

Onlinequellen: http://www.melodieundrhythmus.com/mr-1-2018/attacken-auf-die-linksliberale-komfortzone/

[Zugriff: 22.05.21]

https://www.urbanpresents.net/2020/04/der-eigenweg-von-sozi36/ [Zugriff: 22.05.21]

https://www.instagram.com/sozi.36/ [Zugriff 12.06.21]

13. Oktober 2021 | Veröffentlicht von | Kein Kommentar »
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RePLITO Conversations: „How to Live Together? Circulations, Practices and Spaces in Indian Contexts“ (Aug-Sep 2021)

https://www.youtube.com/watch?v=9JL3tDcNAoE

Navkiran Natt, who was originally trained as a dentist and has a degree in film studies, is an activist who is involved in the current farmers‘ movement against three new, highly controversial agricultural laws in India. She actively participates in protests on the ground and co-edits Trolley Times, a creative multilingual newsletter by and for the movement.

In this conversation, Dr. Fritzi-Marie Titzmann, postdoctoral fellow of the RePLITO project at Humboldt University in Berlin, talks with Navkiran Natt about the current scenario of the farmers‘ protest, the motivation for her own activism, and especially the media practices she uses to circulate information about and solidarity with the movement.

Navkiran Natt describes the social dynamics of the physical protest sites as marked by mutual solidarity and community spirit that can serve as a model of peaceful human coexistence. In this, they also bear resemblance to neglected and marginalized repertoires of living together. In the context of social movements such as the ongoing Indian farmers’ protest, mediatized expressions of solidarity have the ability to enhance and transnationally circulate this experience of togetherness characterized by acceptance and support.

https://www.youtube.com/watch?v=LN-fbUlR-8s

“Claims to loitering are fundamentally imagined as collective rather than individual. This sense of the collective is often missed by arguments that understand such protests as individualistic and neo-liberal (Shilpa Phadke, “Defending Frivolous Fun: Feminist Acts of Claiming Public Spaces in South Asia”, 2020:289).

Shilpa Phadke is a Professor at the School of Media and Cultural Studies, Tata Institute of Social Sciences, Mumbai. She is co-author of the critically acclaimed book Why Loiter? Women and Risk on Mumbai Streets (2011) (together with Sameera Khan and Shilpa Ranade) and co-director of the documentary film Under the Open Sky (2016).

Today, shrinking city-space, an increasing privatization and surveillance of public space as well as the ongoing socio-spatial segregation make it even more difficult to imagine an inclusive space where different marginalized groups and communities can come together to disrupt the taken-for-granted segregation of people, hierarchies, boundaries and build new alliances.


Ten years after the publication of “Why loiter?” and subsequent emergence of a loitering movement in South Asian cities, Shilpa Phadke reflects in her conversation with Nadja-Christina Schneider on the continued relevance of key claims of the path-breaking book.
https://www.youtube.com/watch?v=Ha32kXQZD-o

Cinema of Resistance (COR) is a grass roots film screening collective from India that focuses on forming new cultural spaces in small towns and villages through the screening of alternate films. The collective’s journey that began in 2006 with the Gorakhpur Film Festival has been instrumental in creating new circulatory networks around such films that deal with issues including labor rights, gender justice, human rights and environmental issues. Within this network, the screening of films become a catalyst for creating discussion spaces around such issues. Cinema of Resistance festivals are a regular event in the cultural calendar of many cities and towns outside the major metropolises of India including Udaipur, Patna, Gorakhpur, Allahabad, Lucknow, Ramnagar and Nainital.

In this interview with Dr. Shweta Kishore, the national convenor of Cinema of Resistance, Mr.Sanjay Joshi talks about the importance of alternate cinema in building interactive spaces where ordinary people can find ways of expression that goes beyond limits of state censorship and neoliberal logic of engagement. Dr. Shweta Kishore is a lecturer of Screen and Media at RMIT, Australia. Sanjay Joshi has made several documentaries and he has so far curated over 71 film festivals and screenings for cinema of resistance.

https://www.youtube.com/watch?v=uf87NgfZpHA

Shabnam Virmani is a documentary filmmaker from India and the initiator of the Kabir Project. Through the Kabir Project she has been exploring the philosophy of Kabir, Shah Latif and other mystic poets through a deep engagement with their oral folk traditions for close to two decades, ever since the riots of Gujarat in 2002 propelled her on this quest. Her inspiration in this poetry has taken the shape of 4 documentary films on Kabir, a digital archive called Ajab Shahar, writing books, organising urban festivals and rural yatras, singing and performing herself and infecting students with the challenge of mystic poetry. Currently she is working on a new idea to bring the power of mystic poetry and folk singers into school classrooms.

In this conversation, Dr. Fathima Nizaruddin, a postdoctoral researcher with the International Research Group on Authoritarianism and Counter Strategies (IRGAC) of the Rosa Luxemburg-Stiftung interviews Shabnam Virmani about her journey with the Kabir Project for almost two decades. Shabnam talks about the relevance of the world view of Kabir and other mystics in contemporary times and the way in which Kabir Project has been able to carve out spaces of co-existence through the use of various means including songs, films, books, journeys as well as online platforms and a digital archive. She expands on the possibilities of creating circulations that can provide new repertoires of living together by drawing from poetic traditions around the work of mystics like Kabir who question the very basis of distinctions between the self and the other.

11. Oktober 2021 | Veröffentlicht von Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider | Kein Kommentar »
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She Said – Die queerfeministische Buchhandlung im Herzen Neuköllns

Im vergangenen Winter eröffnete Emilia von Senger unweit des Hermannplatzes ihre erste eigene Buchhandlung – mitten in der Pandemie, während Einzelhändler*innen bundesweit um ihre Existenzen bangten. In von Sengers Buchhandlung She Said brachen jedoch noch bevor die Bauarbeiten überhaupt abgeschlossen waren schon scharenweise Kund*innen herein. Besonders während der Wochenenden im Lockdown standen die Berliner*innen teilweise über eine Stunde in der Schlange, um in den schicken Laden zu gelangen. Vermutlich trugen die im Lockdown sehr begrenzten Freizeitmöglichkeiten auch ihren Teil zum Andrang bei, Hauptgrund wird aber nichtsdestotrotz das feministische Konzept der Buchhandlung sein – bei She Said finden Kund*innen zeitgenössische und diverse Literatur. Der Clou, es werden nur Bücher von weiblichen und queeren Autor*innen verkauft. Neben deutsch- und englischsprachiger Prosa findet man auch unterschiedliche Sachbücher zu Themen wie kritische Männlichkeit, Arbeit, Soziales und Anti-Rassismus. Eine kleine Lyrikabteilung gibt es ebenfalls, genauso wie eine besonders schöne Ecke mit diversen Kinderbüchern, die Gendernormen aufbrechen und eine Vielfalt von Identitäten abbilden. Weitere Kategorien sind auch „Non-Western“-Bücher und postmigrantische Literatur. She Said hat zusätzlich zwei Onlineshops – einen für Bücherpakete mit den Lieblingsbüchern des Teams, Postkartenkollektionen und T-Shirts. Der zweite Onlineshop dient für weitere Buchbestellungen, die man bis 18 Uhr einreichen kann und am nächsten Tag bereits vor Ort abholen kann.

Wer in der Buchhandlung mit dem Lesen nicht warten möchte, kann sich im integrierten Café von She Said setzen und bei einem Kaffee direkt die neuerworbene Literatur aufschlagen. She Said ist nämlich eine Buchhandlung zum Verweilen, hier trifft sich ein aufgeklärtes Publikum, das bewusst Literatur konsumiert. Die Literatur und das Café sind dabei nur ein Teil von She Said. Ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm lässt die Buchhandlung zu einem Community-Ort werden, an welchem Lesungen von Autor*innen wie Emilia Roig („Why We Matter – Das Ende der Unterdrückung“) und Şeyda Kurt („Radikale Zärtlichkeit“), aber auch Talks und Livestreams stattfinden. Der Standort der Buchhandlung – der Kottbusser Damm, der die Berliner Szenebezirke Kreuzberg und Neukölln vereint, bringt zusätzlich das moderne Großstadtpublikum, welches man sicherlich zur Zielgruppe von She Said zählen kann. Wie zeitgemäß She Said ist, lässt sich an der Onlinepräsenz der Buchhandlung gut erkennen. Schon während der Bauarbeiten konnte man über Instagram mitverfolgen, wie She Said Stück für Stück entsteht und wer an den jeweiligen Prozessen beteiligt ist. Über ihre Social Media Kanäle promoten sie nicht nur die Veranstaltungen, Literatur und die hausgemachten Spezialitäten des Cafés, sie vernetzen sich so auch mit der Community, holen sich Feedback und stehen im direkten Austausch mit den Besucher*innen und Kund*innen. Von Senger selbst gab an, vor der Entstehtung von She Said bereits auf Instagram in der sogenannten Bookstagram-Community vernetzt gewesen zu sein, selbst die erste Idee von der Buchhandlung habe sie auf ihrem Account geteilt.

She Said Berlin
Copyright: @shesaidbooks

Inspiration für das queerfeministische Konzept von She Said ist die cishet männlich dominierte Literaturindustrie samt Kanon gewesen, dem von Senger sich widersetzen wollte. Noch immer sind FLINTA* und queere Männer in der Literaturwelt unterpräsentiert; sie werden im Vergleich zu ihren cishet männlichen Kollegen seltener bei Literaturagenturen unter Vertrag genommen, veröffentlicht und mit Preisen und Förderungen ausgezeichnet. Handfeste Zahlen zu der Benachteiligung von Frauen lieferte dazu unter anderem die Pilotstudie „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ unter dem Stichwort #Frauenzählen von der verbandsübergreifenden AG DIVERSITÄT, welche 2018 ins Leben gerufen wurde. Im März 2018 wurden im Rahmen dieser Studie 2036 Rezensionen aus 69 deutschen Medien (Print, Hörfunk und TV) analysiert. 

Die Ergebnisse sind sicher nicht sonderlich überraschend, aber dennoch ernüchternd – es wurden erheblich mehr Bücher männlicher Autoren besprochen und auch die Kritiker*innen waren überwiegend männlich. In konkreten Zahlen heißt das: Zwei Drittel der thematisierten Bücher stammten von Autoren. Obwohl diese Studie auch große Schwachstellen hat – so ist Gender hier komplett binär dargestellt,  beispielsweise nichtbinäre Autor*innen werden schlichtweg gar nicht einbezogen, ein intersektionalerer Ansatz wäre natürlich wünschenswerter gewesen.
Dennoch schafft es die Studie auf den Sexismus in deutschen Literaturbetrieben aufmerksam zu machen und Impulse zu setzen, gegen diesen zu vorzugehen. Läden wie She Said tragen ebenfalls einen erheblichen Teil dazu bei, Autor*innen zu stärken, die queer oder nicht männlich sind.

Emilia von Senger
Copyright: @shesaidbooks

Trotz alledem wurden auch kritische Stimmen gegen She Said erhoben. Die meiste Kritik, die gegen von Senger ausgesprochen wurde, bezieht sich allerdings auf ihren zuerst intransparenten Umgang mit ihrer Familiengeschichte. Ihr Urgroßvater war während der NS-Zeit als Wehrmachtsgeneral und als Kommandant einer Panzerdivision tätig. Die Vermutung lag schnell nah, dass die Gelder für die Finanzierung der Buchhandlung von den geerbten Nazi-Geldern der Familie stammen könnten.

Die Diskussion um von Sengers Familienhintergrund starteten die Künstlerin Moshtari Hilal und der Autor und politische Geograf Sinthujan Varatharajah auf Instagram. In einem Video thematisierten sie die Problematik um Nazi-Gelder im Kunstbetrieb im Allgemeinen und nahmen She Said hier als Beispiel. Von Senger reagierte schnell auf den medialen Druck und räumte den Fehler ein, diesen Teil ihrer Familiengeschichte nicht transparenter offengelegt zu haben. Auf ihrem Instagram-Account veröffentlichte sie das Statement, „Einen queerfeministischen Buchladen zu eröffnen und gleichzeitig nicht über seine Nazi-Familiengeschichte zu sprechen, geht nicht“.

Sie beteuerte jedoch, die Gelder für She Said stammten aus einer anderen Quelle. Darüberhinaus sollte man nicht außer Acht lassen, dass die queerfeministischen Bücher, welche von Senger in She Said verkauft, zur NS-Zeit verboten und verbrannt worden wären; nichtsdestotrotz ist es wichtig diese Debatten zu führen und auch bei feministischen Projekte wie She Said genau hinzuschauen und nicht nur die Konzepte, sondern auch die Mittel, mit welchen sie umgesetzt werden, zu reflektieren. 


Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.

16. September 2021 | Veröffentlicht von | Kein Kommentar »
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