Über die Tücke des Green Growths & die Rolle der Frau für eine Abkehr vom Wachstum

Ein Kommentar zur Vorlesung „Green Growth oder Degrowth? Feministisch ökonomische Perspektiven auf gesellschaftliche Naturverhältnisse“ von Prof. Christine Bauhardt

Frau Prof. Christine Bauhardts Vortrag beschäftigte sich mit der Krise des neoliberalen Kapitalismus und der Analyse dreier konkreter Lösungsansätze, dem Green New Deal, der Postwachstumsgesellschaft und der Solidarischen Ökonomie. Betrachtet wurden das Krisenverständnis dieser drei Konzepte, deren programmatischen Ziele sowie erste Lösungsansätze. Abschließend wurden die angestellten Überlegungen in den Kontext der feministischen Ökonomie gesetzt. Hierfür wurden die zentralen Bestandteile feministische Ökologie behandelt, sowie die Problemstellung und Lösungsansätze unter feministischer Sicht analysiert und bewertet.
Eine vollständige Zusammenfassung des Vortrags wurde bereits von Frau Prof. Bauhardt zur Verfügung gestellt, weshalb hier die drei Konzepte GND, PWG und SO sowie die Grundzüge feministischer Ökonomie nur kurz skizziert werden und viel eher auf zwei Aspekte der dem Vortrag gefolgten Diskussion eingegangen wird.
Unter dem Green New Deal (GND) versteht man die Forderung nach einer Rekonstruierung des Finanz- und Steuersektors sowie des Energiesektors hin zu einer ökologischen und sozialen Wirtschaft. Hauptziele sind u.a. die unabhängige Vollversorgung mit erneuerbaren Energien, eine veränderte Verkehrspolitik und eine Erneuerung des sozialen Ausgleichs zwischen Arm und Reich. Der Lösungsansatz einer Postwachstumsgesellschaft (PWG) beschäftigt sich mit der Neuinterpretation von gesellschaftlichem und individuellem Wohlstand sowie von Lebensqualität unter der Abkopplung von jeglicher ökonomischer Wachstumsdynamik. Die Solidarische Ökonomie (SO) widmet sich stärker den sozialen als ökologischen Aspekten des Wirtschaftens und sucht nach praktischer Umsetzung eines menschenfreundlichen, am direkten Nutzen orientierten, lebendigen Arbeitsbegriffs. Allen drei Aspekten ist die Orientierung an der Endlichkeit natürlicher Ressourcen sowie eine Beendigung der Investitionen in den Spekulationssektor gemein. Eine Reflektion der Krise sowie der Lösungsansätze unter feministischer Sicht findet in keinem dieser Aspekte eine konkrete Anwendung. Zwei zentrale Problemstellungen gilt es jedoch in der Debatte um alternative Wirtschaftsformen zu berücksichtigen, einerseits die Krise der sozialen Reproduktion, also der Beschäftigung im Care-Sektor (Hervorbringung, Aufrechterhaltung und Beendigung von Leben), andererseits die vorherrschende Geschlechterordnung in Wirtschaft und Gesellschaft und deren Transformation.
In der anschließenden Diskussion wurden die Interpretationen und Gedanken der studentischen Zuhörerschaft zu einigen der zentralen Punkte des Vortrags gesammelt und besprochen. Darunter fanden sich u.a. die kritische Betrachtung eines Green Growths als idealen und ausreichenden Lösungsansatz sowie die Frage nach dem Mehrwert von Care-Arbeit und deren Bedeutung für eine Abkehr von ökonomischen Wachstum.
Ersteres behandelte folgenden konkreten Gedanken:
Ist es mit der Entkoppelung und Verlagerung der Energieversorgung aus fossiler Energie auf erneuerbare Energie nicht bereits getan? Worin liegt dann noch das Problem, wofür brauchen wir dann noch Postwachstum? Es handelt sich hierbei doch um gutes Wachstum.
Die Meinungen des Plenums hierzu divergierten. Meine persönliche Antwort lautet:
Nein, damit ist es nicht getan. Der GND reduziert die ökologische und soziale Transformation unserer Wirtschaft lediglich auf eine weitere Industrieentwicklung. Zwar handelt es sich hierbei um einen progressiven Schritt hin zu einem umweltfreundlicherem Wirtschaften und Lebenswandel, gleichermaßen begreife ich diesen Ansatz aber auch als eine „Flucht nach vorne“. Das Individuum wird hierbei nicht genug mit sich selbst und der kritischen Hinterfragung seines Konsums sowie seiner ökologisch-gesellschaftlichen Verantwortung konfrontiert. Dieser Ansatz rührt viel eher her aus der Frage „Wie kann ich den ökologischen Fußabdruck meines Wirtschaftens maximal reduzieren bei minimaler Veränderung meiner Verhaltensweisen?“. Das Problem dieser Sichtweise liegt auf der Hand. Solange das Individuum sich nicht selbst als Verursacher der ökologischen Krise versteht und es nicht schafft, die Lethargie der eigenen Bequemlichkeit zu überwinden, findet nur eine oberflächliche Verlagerung der Probleme und deren Prokrastination statt. Der GND berührt nicht den Kern der Problematik – uns selbst.

Konzepte, die uns sich mehr mit uns selbst beschäftigen lassen sind die PWG und SO. Hier gilt es, eine eigene Antwort auf die Frage zu finden: „Was bedeutet eigentlich Lebensqualität für mich und wie schaffe ich es, diesen Werten gerechter zu werden?“ Unter den Indikatoren für Lebensqualität können u.a. Freundschaften, Glück, Beziehungen, Anerkennung in der Gemeinschaft, Naturverbundenheit oder das Ausleben von Kreativität sein. Es ergibt sich eine Vielfalt an Bedürfnissen und Interessen, die nicht in erster Linie in einer Beziehung mit wirtschaftlicher Kaufkraft und finanzieller Sicherheit stehen. Das Individuum befindet sich hierbei also auf der Suche nach etwas Anderem, nach einem Mehrwert unabhängig von Geld. In der Diskussion wurde festgestellt, dass besonders die Care-Arbeit durch Erfahrungen mit solchen Mehrwerten geprägt ist. Einerseits erscheint es somit schlüssig, dass die Konzepte der PWG und SO eine Fokussierung und Stärkung der Care-Arbeit anstreben, andererseits offenbart sich hierdurch noch eine andere wichtige Begebenheit. In der Care-Arbeit sind bisweilen überwiegend Frauen tätig. Das legt die Vermutung nahe, dass Frauen allgemein gesprochen erfahrener im Umgang mit denen in der PWG und SO gesuchten Mehrwerten sind als auch bereits einen Zielsektor dieser Lösungswege dominieren. Das impliziert ein enormes Potential in zweierlei Richtungen: Zum einen sind für eine Entwicklung hin zur PWG oder SO bereits essentielle Kompetenzen vorhanden, die eine solche Transformation beachtlich fördern und tragen können, zum anderen bietet sich hierin gleichermaßen eine große Chance für die Frau zu einer nachhaltigen Emanzipation und einer entscheidenden Veränderung der Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft.
Aus diesem Grunde ist die Initiative der Frau für eine erfolgreiche Entwicklung hin zu einer Postwachstumsgesellschaft oder einer Solidarischen Ökonomie und somit hinaus aus der Krise des neoliberalen Kapitalismus unentbehrlich.

[Luca Kunz]

17. Juni 2015 | Veröffentlicht von nachhaltigkeitsbuero
Veröffentlicht unter Blog zu "Humboldts Fußabdruck"

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