Geschlechterspezifische Lohnungleichheit auf dem Arbeitsmarkt

Am 11. Juni 2015 hielt Frau Christine Bauhardt einen Vortrag zum Thema Nachhaltigkeit aus politikwissenschaftlicher Perspektive. In Ihrem Beitrag mit dem Titel „Green Growth oder Degrowth? Feministisch-ökonomische Perspektiven auf gesellschaftliche Naturverhältnisse“ thematisierte sie die Endlichkeit natürlicher Res-sourcen und deren Ausbeutung durch die moderne kapitalistische Produktionsweise. Als Vertreterin der feministischen Ökonomiekritik fokussiert sie im Besonderen die von Frauen geleistete Verantwortungs- und Fürsorgearbeit in der Gesellschaft und deren selbstverständliche Aneignung als quasi- natürliche Ressource durch das kapitalistische System ohne die entsprechende Wertschätzung.

Drei kritische Positionen zu den krisenhaften Entwicklungen des Kapitalismus wurden auf deren implizites Gehalt über Geschlechterforderungen und Forderungen über Geschlechtergerechtigkeit untersucht sowie auf mittel- und langfristige Sicht qualitativ beurteilt.

Themen der anschliessenden Debatte waren unter anderem die stereotypischen Rollenbilder- und Hirarchien in der Gesellschaft und die unbezahlte, zumeist von Frauen geleistete Hausarbeit, die im kapitalistischen System trotz ihrer enormen Wichtigkeit kaum die nötige Anerkennung findet. Zudem wurden verschiedene Meinungen dazu geäussert, wiso auf dem moderenen Arbeitsmarkt nach wie vor eine enorme Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern besteht und wo denn die Ursache dafür liegt. Da ich mir zu diesem Thema öfters schon Gedanken gemacht habe und die Ansichten in der Disskussion stark auseinanderliefen, habe ich in wissenschaftlichen Berichten recherchiert und einige Erklärungsansätze und Forschungsstandpunkte zusammengestellz zu der Frage:

Wie kommt die Lohnungleichheit von Frauen und Männern auf dem Arbeits-markt zustande und durch welche Umstände in der gesellschaftlichen Ordnung wird sie verursacht?

In der Soziologie werden geschlechterspezifische Lohnunteschiede vor der genaueren Analyse oft in einen erklärbaren und einen nicht erklärbaren Teil zerlegt; Durch Verfahren wie die „Blinder-Oaxaca- Dekomposition“ (Blinder 1973, Oaxaca 1973) wird festgelegt, welcher Teil sich durch produktionsrelevante Merkmale wie Bildung und Berufserfahrung erklären lässt und welcher Teil durch das Fehlen solcher Merkmale auf verschiedene Arten von Lohndiskriminierung zurückzuführen ist.

Eine mögliche Erklärung für die Entstehung solch einer Lohndiskriminierung liefert Gary Becker mit der „Taste-based discrimination“ (Becker 1957). Nach diesem Ansatz entsteht Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt dadurch, dass Arbeitnehmer, Arbeitgeber, andere Angestellte und Kunden mehr oder weniger grosse Vorurteile gegenüber Frauen haben. Folglich ist ein diskriminierender Arbeitgeber nur dann dazu bereit, in seinem Unternehmen eine Frau einzustellen, wenn der entsprechende Lohn für die geleistete Arbeit tiefer liegt als bei einem Mann. Aus der Verteilung dieser Diskriminierungspräferenzen und dem Anteil von Frauen auf dem Arbeits-markt ergibt sich bei gleicher Produktivität ein Gleichgewichtslohn für Frauen, der deutlich unter jenem der Männer liegt.

Die monopsonistische Diskriminierung erklärt geschlechterspezifische Lohnunter-schiede weniger durch Vorurteile als viel mehr durch Hinweise aus der empirischen Literatur, die betonenen, dass das Arbeitsangebot von Frauen wesentlich weniger lohnelastisch ist als das von Männern. Gründe für diese geringe Lohnelastizität lassen sich aus der weilblichen Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ablesen. Beispiels-weise werden Jobs bevorzugt, die sich gut mit der Familie vereinbaren lassen. Ausserdem erigbt sich ein erhöhteter Konkurrenzdruck, da sich Frauen auf weniger Berufe konzentrieren als Männer oder weniger mobil sind. Durch die geringe Lohnelastizität erhalten rationale Unternehmen mehr Spielraum für Lohn-diskriminierung und können weiblichen Angestellten weniger Lohnerhöhungen gewähren als männlichen Angestellten, ohne dass die Frauen das Unternehmen verlassen.

Bei der statistischen Diskriminierung (Aigner/Cain 1977) wird davon ausgegangen, dass Arbeitgeber begründete oder unbegründete Vorstellungen über durch-schnittliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern haben. Da die Produktivität einer Person im Bewerbungsverfahren nicht vollständig beobachtbar ist, greifen Arbeitgeber zur Beurteilung Ihrer Kantiaten/Kandidatinen auf Stereotype zurück. Ein Arbeitgeber erwartet beispielsweise, dass eine Frau ein Unternehmen aufgrund von Familienplanung oder Schwangerschaft schneller wieder verlässt oder dass sich durch familiäre Pflichten mehr Absenzen ergeben als bei männlichen Mitarbeitern. Dementspechend entstehen für weibliche Bewerberinnen schlechtere Anstellungs-chancen und tiefere Lohnangebobe. Dieser Prozess kann zudem zu einer selbst-verstärkenden Dynamik führen, wenn eine Frau in diesem Szenario aufgrund schlechterer Jobangebote tatsächlich zugunsten der Familie das Unternehmen verlässt.

Nach Erklärungssätzen der beruflichen Segregation wird die geschlechterspezifische Lohnungleichheit dadurch geschaffen, dass sich Männer und Frauen auf unter-schiedliche Berufe spezialisieren, die ihrerseits unterschiedliche Lohnnniveaus auf-weisen. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Positionen stehen sich unter dieser An-nahme gegenüber:

  1. Frauen suchen sich in Antizipation Ihrer späteren Familienverpflichtungen bereits diejenigen Berufe aus, welche sich besonders gut mit den späteren familiären Verpflichtungen vereinbaren lassen oder bei denen Erwerbsunterbrechungen weniger problematisch sind. (Becker 1985, Polacheck 1979, 1981).
  2. Frauen spezialisieren sich auf andere Berufszweige als Männer und das „Weibliche“ wird schlichtwegganzheitlich abgewertet.

(Kilbourneetal.1994).

Meiner Ansicht nach kann sich die geschlechterspezifische Lohnungleichheit aus sehr vielen verschiedenen Gründen so eingependelt haben, wie sie momentan ist und muss jeweils im Einzelfall und nicht als ganzes Phänomen mit exakt gleicher Ursache und Kausalität beurteilt werden. Voraussetzung für jegliche Arten der Lohn-diskriminierung ist aber die Auffassung, dass die Frau als Haupternährerin zwangs-läufig an die Familie gebunden ist und implitzit für die häuslichen Pflichten verant-wortlich gemacht wird. Um eine Basis für faire und gleiche Löhne innerhalb des kapitalistischen Systems zu schaffen, müsste dieses stereotypische Rollenbild erst-mal aus den Köpfen der modernen Gesellschaft verschwinden.

 

Literaturverzeichniss

Aigner, Dennis, Glen Cain (1977). Statistical Theories of Discrimination in Labor Markets. Industrial and Labor Relations Review 30: 175-187.

Oaxaca, Ronald (1973). Male-Female Wage Differentials in Urban Labor Markets. International Economic Review 14(3): 693-709.

Polachek, Solomon W. (1979). Occupational Segregation among Women: Theory, Evidence, and a Prognosis. In Cynthia B. Lloyd, Emily S. Andrews, and Curtis L. Gilroy (Eds.), Women in the Labor Market (pp. 137-157). New York: Columbia University Press.

Polachek, Solomon W. (1981). Occupational Self Selection: A Human Capital Approach to Sex Differences in Occupational Structure, in: Review of Economics and Statistics 63, S.60-69.

Becker, Gary S. (1957). The Economics of Discrimination. Chicago: University of Chicago Press.

Becker, Gary S. (1985). Human Capital, Effort, and the Sexual Division of Labor. Journal of Labor Economics 3 (Supplement)(1): S33-S58.

Blinder, Alan S. (1973). Wage Discrimination: Reduced Form and Structural Estimates. The Journal of Human Resources 8(4): 436-455.

Kilbourne, B.S., G. Farkas, Beron Kurt, D. Weir, P. England (1994). Returns to Skill, Compensating Differentials, and Gender Bias: Effects of Occupational Characteristics on the Wages of White Women and Men. The American Journal of Sociology 100: 689–719.

[Simon Unternährer]

18. Juni 2015 | Veröffentlicht von nachhaltigkeitsbuero
Veröffentlicht unter Blog zu "Humboldts Fußabdruck"

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