Schamanismus

Kind der Natur

“Ich bin natürlich nie wirklich auf Augenhöhe mit dem Naturraum.

Ich bin ihm sozusagen Kind.”

Linda Driemel und Charlotte Munk[1]

Abb. 1: Mondtrommel mit Spiegel, Berlin. Foto: Charlotte Munk, Linda Driemel, 2022.

This blog entry summarizes an ethnological field study of a shaman’s imagination of nature and climate, including quotes of a semi structured guided interview as well as an extract of a participating observation. Furthermore, the blog entry frames its content by discussing the methodical approach of the study. The key messages of the interviewed shaman will be highlighted.


Einblick in die schamanistische Weltanschauung

“Das ist letztendlich das Resultat davon, wenn ich alles für entseelt und tot erkläre, kann ich auch alles beliebig zerstören, benutzen, missbrauchen, mir einverleiben, ohne Scham, ohne Reue, ohne Gewissen, um dann im Endeffekt bei mir selbst anzukommen und zu merken: oh, ich lebe noch drei Tage. […] Also das ist das, wo wir als Menschheit uns immer mehr annähern an diesem Punkt – point of no return“ (Saskia Baumgart im Interview mit Linda Driemel und Charlotte Munk, Berlin, 22.01.2022)

Das Zitat erläutert den gravierenden Unterschied zu einer schamanischen Weltanschauung. Im Schamanismus wird jeder Gegenstand oder jedes Wesen als lebendig gesehen. Alles besitzt eine Energie. Saskia schildert, dass genau das häufig in der heutigen Gesellschaft vergessen wird. Viele Dinge werden als leblos bezeichnet, und somit nicht genügend wertgeschätzt. Das führt dazu, dass man eher dazu im Stande ist, es nicht zu beachten oder gar zu zerstören.


Natur ist Lebensraum

“(…) Der Naturraum ist ja keine Person in diesem Sinne, also ist er wirklich, ein Lebensraum, der Lebensraum schlechthin! Und, wenn ich merke, der ist mir übergeordnet [kann] ich [mich] da (…) maximal verneigen und dankbar sein und mich dem auch hingeben, was mir da so gegeben wird. Dann kann ich mich tatsächlich auch (…) aufgefangen und getragen fühlen.” (Saskia Baumgart im Interview mit Linda Driemel und Charlotte Munk, Berlin, 22.01.2022)

Durch dieses Zitat aus dem semistrukturierten Leitfadeninterview mit der schamanischen Heilerin, Saskia Baumgart, kann ein erster Eindruck über die Vorstellung gewonnen werden, in welcher Beziehung der Mensch im Schamanismus zur Natur steht. Im dem aktuellen Q-Team „Vorstellungen von Natur und Klima in spirituellen, sozialen und religiösen Gruppen“ konnte eine Gruppierung von den Seminarteilnehmer*innen selbstverantwortlich ausgewählt werden. Warum also Schamanismus? Grundsätzlich ging dieser Entscheidung das begrenzte Vorwissen voraus, dass Natur und Schaman*innen auf eine Art und Weise eng verbunden sind. Doch welche Bedeutung hat die Natur im Schamanismus und welche Perspektiven werfen diese Naturvorstellungen auf die Klimakrise?


Ethnografie und Schamanismus

Auch viele andere ethnographische Forschungen beschäftigen sich mit dem Weltbild des Schamanismus. Zum Beispiel setzte sich Mirko Uhlig (2016) mit den praktizierten Kulturtechniken des Schamanismus im Gebiet der Eifel auseinander. Er versuchte anhand einer qualitativen Kulturanalyse die Beweggründe und die inneren Logiken der Erforschten darzustellen (vgl. Uhlig, 2016, S. 63). In seinem Buch “Schamanische Sinnentwürfe” (2016, S. 63f.) präsentierte Uhlig die Erzählungen der Informant*innen und seine eigenen Erfahrungen im Feld durch 21 verschiedene Fallvignetten. Einblicke in das schamanische Weltbild durch Feldforschung sind somit auch in der Literatur gehäuft wiederzufinden und von aktuellem Interesse.


Feldforschung als methodische Vorgehensweise

Bei der Feldforschung geht es darum, in Felder einzutauchen und nicht nur von außen zu betrachten. Eine Teilnehmende Beobachtung ist von Nöten, welche aus einer aktiven Teilnahme am Geschehen und einer exakten Beobachtung der Vorkommnisse und Umstände besteht (vgl. Thomas, 2019, S. 69). Das Zusammenspiel aus distanzierter und objektiver Beobachtung und gleichzeitig empathischer Teilnahme an dem Forschungsfeld kann zu Widersprüchen führen (vgl. ebd.).

Forschung ist häufig eher aus distanzierter, wissenschaftlicher Sicht bekannt und es wird oft davon ausgegangen, dass alles, was „zu nah“ am Forschungsgegenstand ist, nicht mehr wissenschaftlich ist. Durch diesen Vorgedanken entsteht häufig eine innere Distanz zum Forschungsfeld. Diese Gedanken galt es bei unserer Forschung abzulegen, da es dieses Mal viel eher darum ging, sich auf das Feld einzulassen, um aus der Perspektive der Erforschten wahrzunehmen. Eigene Gedanken aus einem Emotionstagebuch vom 04.01.2022 reflektieren diesen Umstand folgendermaßen:

“Ich glaube bei unserem Forschungsthema ist häufig die Schwierigkeit da, sich nicht so richtig darauf einlassen zu können. Viele der Dinge, die unsere Kontaktperson uns erzählt hat, wirken beim ersten Hören sehr abstrakt. Ich habe gemerkt, dass ich auch häufig eine innerliche Distanz zu dem Thema aufbaue, einfach weil ich es einfach nicht komplett nachvollziehen kann. Dieser Prozess ist jedoch sehr interessant. Sich versuchen auf etwas einzulassen, dem man vielleicht auch etwas skeptisch gegenüber steht.” (Linda Driemel, Emotionstagebuch, Berlin, 04.01.2022)


Was ist Schamanismus?

Schamanismus kann als kulturübergreifendes Phänomen verstanden werden, „das sich qua seines Selbstverständnisses universalisiert und globale Wirkungen verzeichnet” (Grünwedel, 2015, S. 28). Dabei gibt es eine Vielzahl an verschiedenen schamanischen Strömungen bspw. den westeuropäisch-amerikanischen, sibirischen oder auch den Neoschamanismus (ebd.).


Feldforschung/ Interview

Ein Ausschnitt aus einem Beobachtungsprotokoll vom 22.01.2022:

“Saskia erklärte die Krafttiersuche: Es geht um das Treffen eines Tieres in der Natur. Die Begegnung kann kurz (bspw. Blickkontakt mit einem Vogel, der dann schnell weiterfliegt) oder länger und auch wiederholend sein (bspw. eine Libelle, die neben einem Platz nimmt, wegfliegt und wiederkehrt). Saskia erklärt dann die Trommelreise: Sie sagt, wenn sie anfängt zu Trommeln, sollen wir uns einen Fluss vorstellen, auf dem ein Schiff fährt. Wir stehen vorne auf dem Schiff und blicken in Fahrtrichtung. Links und rechts am Ufer ist alles wild bewachsen. Dann sehen wir am Ufer ein Tier stehen. Sie trommelt schneller. Wir fahren zu dem Tier und bauen Kontakt auf. (Beobachtungsprotokoll, Charlotte Munk, Berlin, 22.01.2022)

Wir hatten Saskia vorab gebeten, eine praktische Erfahrung mit uns durchzuführen. Sie wählte die Trommelreise mit Krafttiersuche aus. Saskia arbeitet hierfür mit einer runden Trommel, die mit einem Mondmotiv bedruckt ist. Bei Trommelreisen handelt es sich um eine Technik des „core shamanism“, was als „Kern-Schamanismus“ übersetzt werden kann (vgl. von Stuckard, 2019, S. 170). Dieser soll so etwas wie den kleinsten gemeinsamen Nenner aller schamanischen Kulturen bilden (ebd.). Im core shamanism wird mithilfe von musikalischer Begleitung wie bspw. einer Trommel oder auch einer Rassel, ein Zustand der erweiterten Wahrnehmung geschaffen (ebd.). Dies ist jedoch nicht notwendigerweise ein Trancezustand, sondern eine Reise in das Unter- und Oberbewusstsein der Praktizierenden (ebd.). Bevor wir mit der Trommelreise begonnen hatten, wies uns Saskia an, auf einem Blatt eine uns derzeit beschäftigende Frage aufzuschreiben. Durch Reisen in das Unter- und Oberbewusstsein können Praktizierende nämlich auch mit Weisheiten in Berührung kommen, die dem Bewusstsein verborgen bleiben (ebd.). Dabei ist es bei diesen Reisen möglich, Hilfsgeister, Lehrer oder Krafttiere kennenzulernen (ebd.). Krafttiere sind Helfer aus einer anderen Wirklichkeit und können bei der Klärung der vorab gestellten Frage behilflich sein (ebd.). Die Verbindung zu ihnen ist Grundlage für die weitere schamanisch-therapeutische Arbeit (ebd.).


Wer ist die schamanische Heilerin?

Mit Bezug auf den Titel des Q-Teams “Vorstellungen von Natur und Klima in religiösen, sozialen und spirituellen Gruppen” zählt die schamanische Heilerin zu einer religiös-spirituellen Gruppierung. Saskia Baumgart ist Sängerin, Vocal Artistin und Klangheilerin (vgl. Gesellschaft und Spiritualität, o.J.). Sie ist in Gesang, Musiktherapie und Somatic Movement Arts (Tanz/ Performance & heilende Bewegungskunst) ausgebildet. Außerdem arbeitet sie schamanisch-heilerisch (ebd.).


Frage nach Natur und Nachhaltigkeit, Ontologie und Handlungsmuster

Durch die nachfolgenden Ausschnitte des Interviews soll die Haltung der schamanischen Heilerin gegenüber der Natur deutlich werden. Um eine Beziehung zur Natur zu erhalten, spricht Saskia von dem „Rückzug ins Alleinsein.“ Einen Rückzug in die unberührte Natur fern von jeglichen Sicherheiten und Gewohnheiten aus dem Alltag.


„Also sprich diese verschiedenen Punkte sind wichtig: Rückzug ins Alleinsein, raus aus den Komfortzonen und den Sicherheitsvorkehrungen des zivilisierten Lebens, was uns ja ständig eine bestimmte Erleichterung oder Vereinfachung beschert. (…) eine gewisse Sicherheit und ganz wichtig natürlich die direkte Berührung mit der Natur – mit dem Naturraum und dieser Art der Intelligenz und Logik, die da vorherrscht, die ja tatsächlich vom Menschen in dieser Form ziemlich unberührt ist.“(Saskia Baumgart im Interview mit Linda Driemel und Charlotte Munk, Berlin, 22.01.2022)

Die unberührte Natur soll erkundet werden. Was sich jedoch als sehr schwierig gestaltet, da vieles bereits von den Menschen verändert wurde. Saskia schildert inwiefern sich Naturräume und dessen Energie durch den Einfluss der Menschen verändern und welche negativen Konsequenzen dadurch ausgelöst werden.

 „(…) und scheinbar natürlichen Räume sind ja total behandelt sozusagen. Da ist ja kaum noch irgendwas ursprünglich und wild und natürlich. Fast alles ist durch die Hand des Menschen gegangen und wurde dementsprechend verformt. (…) dadurch verändert sich es ja immer auf eine Art, oder dadurch hat es auch nicht mehr die Kraft, die es hat, wenn es wirklich sich selbst überlassen ist und bleibt und der Mensch sich da nicht ständig überall reinhängt und meint irgendwas machen, verändern, optimieren zu müssen. Womit er es oft eben nicht zum Besseren hin verändert, sondern oft auch wirklich sehr negative Effekte in Gang setzt und seine begrenzte Intelligenz für übergeordnet hält. Was in Wirklichkeit natürlich genau andersrum ist. Aber, da kommen wir ja so langsam dahinter, da sind wir ja gerade schmerzhaft darauf gestoßen, dass die Krone der Schöpfung dann doch anders aussehen muss, als das, was wir gerade an menschlicher Intelligenz so vorherrschen haben.“ (Saskia Baumgart im Interview mit Linda Driemel und Charlotte Munk, Berlin, 22.01.2022)

Saskia erklärt den Gedanken, dass eine neue Beziehung und Perspektive zu der Natur, die Menschen davon abhalten könnte, sie weiter als etwas niederes zu behandeln.

„Und für mich war natürlich auch immer interessant (…)  wie ist es, wenn ich mir eben nicht den Naturraum Untertan mache und die Spinne bekämpfe und (…) den Dschungel abbrenne, damit ich da irgendwie im sicheren Bereich sitze. Sondern wie kann ich auf Augenhöhe, quasi partnerschaftlich, maximal, weil ich bin natürlich nie wirklich auf Augenhöhe mit dem Naturraum. Ich bin ihm (…) sozusagen Kind. (…)  Das ist eher so die hierarchische Verknüpfung. Ich kann es mir höchstens einbilden, dass ich (…) damit auf Augenhöhe (…)  bin.”(Saskia Baumgart im Interview mit Linda Driemel und Charlotte Munk, Berlin, 22.01.2022)

Für uns war diese Feldforschungserfahrung sehr spannend und neu. Wir hatten beide vorher noch nichts davon gehört und haben daher vor allem methodisch viel aus diesem Projekt gelernt. Vor allem den Aspekt, sich wissenschaftlich auf etwas einzulassen und nicht nur von außen anhand von der Literatur zu beobachten, hat uns sehr bereichert. Ein großer Dank geht natürlich auch an Saskia, die bei all unseren Ideen mitgemacht hat, und uns für uns sehr neue Gedanken mitgeben konnte.


Referenzen

Literaturverzeichnis

Gesellschaft und Spiritualität (o.J.). Saskia Baumgart. Zugriff am 08.02.2022 unter https://www.gesellschaft-und-spiritualitaet.de/slp/saskia-baumgart/.

Grünwedell, Heiko (2015). Schamanismus zwischen Sibirien und Deutschland. Kulturelle Austauschprozesse in globalen religiösen Diskursfeldern. Bielefeld: Transcript Verlag.

Thomas, Stefan (2019). Ethnografie. Eine Einführung. Potsdam: Springer VS.

Uhlig, Mirko (2016). Schamanische Sinnentwürfe? Empirische Annäherungen an eine alternative Kulturtechnik in der Eifel der Gegenwart. Münster, New York: Waxmann.

Quellenverzeichnis

Driemel, Linda / Munk, Charlotte (22.01.2022): „Vorstellungen von Natur und Klima einer schamanischen Heilerin“. Saskia Baumgart im Interview mit Linda Driemel und Charlotte Munk. Berlin, 45 min.

Munk, Charlotte (22.01.2022): Beobachtungsprotokoll. Berlin.

Linda, Driemel (04.01.2022): Emotionstagebuch. Berlin.


[1] Linda Driemel und Charlotte Munk studieren beide Rehabilitationspädagogik an der Humboldt Universität zu Berlin.

22. Februar 2022 | Veröffentlicht von Dr. Inga Scharf
Veröffentlicht unter Allgemein

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