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LGBTQI+

Verhalten sich LGBTQI+ Menschen ökologisch anders?

Queere Ökologie und Vorstellungen von Natur und Klima im zeitgenössischen Kontext in Berlin

Yulia Yurchenko und Veronika Peil[1]


Abbildung 1: Queer Berlin, Facebook Gruppe

Berlin is a very heterogeneous and diverse city nowadays. The problem of climate changes and nature within the city lies in the hands of all its residents. Therefore, it is necessary to understand what each of the representatives of different social groups thinks. In this context, we conducted cultural-anthropological field research among young people who identify themselves as LGBTQI+.

Berlin ist heutzutage eine sehr heterogene und diverse Stadt. Das Problem des Klima- und Naturschutzes liegt in der Hand aller seiner Bewohner*innen. Daher ist es notwendig zu verstehen, was jeder der Vertreter*innen verschiedener sozialer Gruppen denkt. In diesem Zusammenhang haben wir eine kulturanthropologische Feldforschung unter jungen Menschen durchgeführt, die sich als LGBTQI+ bezeichnen.

Unsere Forschung bespricht den Begriff LGBTQI+ und auch Queer, deswegen ist es auch wichtig zu betrachten, welcher Zusammenhang zwischen den beiden Wörtern besteht. LGBTQI+ ist eine Abkürzung für „lesbisch, schwul (engl. gay), bisexuell, transgeschlechtlich, intergeschlechtlich und queer“, während Queer ursprünglich ein englisches Schimpfwort für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen ist. Der Begriff wurde in politischen Emanzipationsbewegungen in den USA positiv angeeignet und kritisiert das Schubladendenken männlich/weiblich, homo/hetero (vgl. ABqueer Verein 11.02.2022).

Abbildung 2: Mind Map

Die Wahl dieser sozialen Gruppe erklärt sich aus der Tatsache, dass Berlin für uns Autor*innen eine der hellsten und buntesten Städte Europas ist, die eine große Anzahl kreativer und ungewöhnlicher Menschen versammelt, die aktiv ihre Meinungen und Ansichten über das Leben austauschen.

Uns als Autor*innen stört die Tatsache, dass alles in zwei Kategorien eingeteilt wird und diese menschengemachte Dichotomie überall präsent ist und als logisch erachtet wird. Die Welt wird dadurch in „männliche“ und „weibliche“ Personen und Dinge, schwarz und weiß, Natur und Kultur eingeteilt. Diese Dualismen ermöglichen eine besondere Denkweise, in der das Leben auf „natürlich“ und „unnatürlich“ eingegrenzt wird. Im Gegensatz dazu postuliert eine Queere Ökologie, dass die Welt nicht so begrenzt beurteilt werden kann, weil alles miteinander verbunden ist. Alles ist „natürlich“ und von daher sind auch die Menschen Wesen, die mit anderen Lebewesen zusammenleben und zusammenhängend angesehen sein sollen (vgl. Sandilands 2010: 1-48), Daly 2001: 470 S., Morton 2010: 273-282).

“Living here, I notice that nature is much queerer than we think. Birds do nor come paired, male and female, like in bird books. They come alone, in Hocks, in threes, in sevens. They pair off: females; males; male and female. Barnacles arc hermaphrodites. The slug, with amazing grace, is born male, has sex with other males, then changes to a female, pregnant with the seed of its male partner.

I come from a culture that says there is an ineluctable heterosexual fact at the core of nature. It isn’t so. No more than all the other, related myths. That nature is innocent, violent, illogical, endangered, female. That man pits himself against it, deciphers it, fashions it to his needs. That nature needs to be preserved.”

(Caffyn Kelly 2013:43)

Queere Ökologie spielt eine große Rolle für die Gesellschaft, in der die anthropozentrische Vorstellung sehr viel Macht hat (vgl. Ahrens 2020). In unserer kulturanthropologischen Feldforschung versuchen wir zu verstehen, ob die Gruppe von queeren Menschen auch solch eine anthropozentrische Ansicht teilt und sich womöglich besonders für Natur und Menschen sowie der Beziehungen zwischen beiden interessiert.

Unser Weg begann mit der Suche nach einem „Zugang“ ins Feld. Dies stellte sich im Vergleich zu den Inputs in anderen Bereichen, die von den Blogautor*innen bereits vorher während des Studiums erforscht wurden, als nicht so verschlossen heraus. Es war überhaupt nicht schwierig, Befragte zu finden, da es im Internet eine große Anzahl von LGBTQI+-Communities gibt, deren Mitglieder sehr offen und kommunikationsbereit sind. Wir haben eine kleine Nachricht mit einem solchen Vorschlag in der Gruppe „Queer Berlin“ auf Facebook gepostet, woraufhin wir gleich mehrere Rückmeldungen erhalten haben. Dies liegt vermutlich sowohl am Thema der Studie – relevant und interessant – als auch an der Dauer und dem Format des Interviews – 20 Minuten ungezwungenes Gespräch. In einem unserer Emotionstagebücher schreiben wir zum Beispiel:

„Ich war überrascht von der großen Menschenmenge und der angenehmen Atmosphäre in der Gruppe“. (Fragment aus einem Emotionstagebuch, 07.12.2021)

Es sollte beachtet werden, dass wir während der Forschung ein Emotionstagebuch geführt haben, in dem wir unsere Sorgen mit dem Eintauchen in das Feld und der Suche nach Gesprächspartner*innen geteilt haben. Wir verwenden bewusst das Wort Sorge, denn tatsächlich waren praktisch alle Emotionen, die wir vor dem ersten Interview beschrieben haben, genau die Emotionen der Sorgen. Das Emotionstagebuch ist ein methodischer Zugang zu Erfahrungen im Prozess der Feldforschung und das hat uns als Forscher*innen sehr geholfen, während der Analyse zu reflektieren, welche Emotionen wir zu unterschiedlichen Zeiten hatten (vgl. Lubrich / Stodulka 2019).

Die queere Gruppe stellte sich als sehr offen und gesprächsbereit heraus, wir haben keine einzige Absage eines Interviews erhalten, und auch kein einziges Interview ist ausgefallen. Obwohl solche Beispiele oft andere Forschungsgruppen begleiten, werden wir diese Idee nicht weiter ausführen, da dies nicht der Zweck unserer Forschung ist.

Bei der Vorbereitung auf die Interviews haben wir uns eine Reihe von Themen skizziert, die uns interessieren könnten. Wir haben einige der wichtigsten Fragen benannt, die jedem/r Gesprächspartner*innen gestellt wurden, aber gleichzeitig haben wir unseren Gesprächspartner*innen im Rahmen unserer kulturanthropologischen Forschung maximale Freiheit gelassen, über sich selbst und ihre Praktiken zu sprechen. Wir selbst als Interviewer*innen erlaubten uns, unsere Meinung mit unseren Gesprächspartner*innen zu teilen, da wir teilweise einen großen Bedarf an Unterstützung durch unsere Gesprächspartner*innen bemerkt haben.

Eine wichtige Rolle spielt nicht nur das Bewusstsein für die Probleme des Klimawandels und der Ökologie, sondern auch die allgemeine Einstellung zur Natur, der Grad der Verbundenheit mit ihr. Daher wurden den Befragten nicht nur Fragen zu Umweltthemen gestellt, sondern auch zu ihrer Beziehung zur Natur, Outdoor-Aktivitäten und möglichen Hobbys. Es war auch sehr wichtig zu hören, welche Möglichkeiten junge Menschen zur Lösung des Klimaproblems bieten können, sowie alltägliche Praktiken und ihren Beitrag zur Lösung dieses Problems festzuhalten. Als Einwohnerinnen und Einwohner Berlins tragen sie alle zum Leben der Stadt, ihrem Funktionieren und Wandel bei. Interessant ist auch ihre Sicht auf die Stadt in Bezug auf Stadtplanung, Komfort und Umweltfreundlichkeit.

Das Gespräch selbst wurde auf einem Diktiergerät aufgezeichnet, damit es später transkribiert und analysiert werden konnte. Offene Fragen wurden aus einem vorbereiteten leitfadengeführten Interview gestellt, um die Konsistenz zwischen den Interviews zu bewahren. Das Hauptziel bestand darin, den Befragten zu ermöglichen, ihre Meinung vollständig zu äußern. Insgesamt wurden über einen Zeitraum von etwa zwei Wochen drei Interviews geführt, auf deren Grundlage es möglich ist, erste Einblicke über die Wahrnehmung von LGBTQI+-Mitgliedern der Natur, das Problem der Lösung der Krise und ihre täglichen Umweltschutzpraktiken zu treffen. Am 30.11.2021 haben wir in unserer Gruppe diskutiert, wo und wie wir unsere Gesprächspartner*innen suchen wollen und haben es im Emotionstagebuch beschrieben:

„Ich werde anfangen, nach Interviewpartnern für unsere Interviews zu suchen. In anderen Forschungen war das einer der schwierigsten Momente, weil viele Gruppen einfach nicht kommunizieren wollen. Ich hoffe, dass unsere Suche erfolgreich sein wird.“. (Fragment aus einem Emotionstagebuch, Berlin, 30.11.2021)

Schon am 14.12.2021 haben wir das erste Interview geführt und haben sofort ein gutes Gefühl. Im Tagebuch schreiben wir:

„Welches Gefühl beschreibt mich heute am besten? Freude und Zuversicht“. (Fragment aus einem Emotionstagebuch, Berlin, 14.12.2021)

Insgesamt haben wir drei recht erfolgreiche Interviews geführt, bei denen wir viel Unerwartetes und Interessantes gehört haben. Wir tauchten durch eine kulturanthropologische Feldforschung in die Lebenswelt der untersuchten Gruppe ein und werden weiter versuchen, den Leser*innen mit unseren Gesprächspartner*innen und ihren Ansichten vertraut zu machen.


Einführung in die Fälle: Drei Interviews

Die Informanten*innen für unsere Forschung waren 3 Berlinerinnen und Berliner mit völlig unterschiedlichen Hintergründen: Eine Person hat ihr ganzes Leben in Deutschland gelebt, jemand kam aus einem EU-Land und die dritte interviewte Person aus Russland. Natürlich sind alle Lebensbereiche für die Befragten unterschiedlich. Vereint sind sie in ihrem Wohnort – Berlin – sowie die Zugehörigkeit zur LGBTQI+-Gruppe.

Interview 1: Frau, Mitte 20er Jahre, kommt aus Nürnberg und wohnt seit 2020 in Berlin.

Interview 2: Mann, Mitte 20er Jahre, kommt aus Portugal und wohnt schon für mehr als drei Jahren in Berlin.

Interview 3: Frau, Mitte 30, hat seit langer Zeit in Berlin gewohnt, jetzt wohnt sie in Essen, arbeitet in einem Beratungsunternehmen, das sich mit Polymeren beschäftigt.

Das erste Gespräch fand bei einem persönlichen Treffen in der Wohnung der Gesprächspartnerin statt. Das zweite und dritte Interview wurden jeweils auf Zoom durchgeführt. Natürlich könnte die kulturanthropologische Feldforschung bei einem persönlichen Treffen mit den jeweiligen Gesprächspartner*innen zu einem Interview bei ihr oder ihm zu Hause vollständiger sein, was Raum für Beobachtungen lässt. Aufgrund der steigenden Zahl von Covid-19-Fällen wurde jedoch entschieden, weitere Interviews online durchzuführen; nämlich das zweite und dritte, Interview.


Natur und Klima als Hauptprobleme für unsere Gesellschaft

Wir beschlossen, unser Gespräch mit den Gesprächspartner*innen mit einer allgemeinen Frage zu den schwerwiegendsten Herausforderungen der Menschheit zu beginnen. Das Gespräch über die Probleme, mit denen die moderne Gesellschaft konfrontiert ist, hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen, darunter natürlich die Pandemie und die soziale Ungleichheit. Die Hauptsorge, so die Gesprächspartner*innen, sei die mangelnde Bereitschaft der Gesellschaft, wirklich etwas für die Umwelt zu tun und die gewohnte Lebensweise zu ändern:

„Alle Menschen haben ein Bewusstsein darüber, dass wir alle mehr für den Klimaschutz tun sollten. Aber niemand will bei sich selbst anfangen“. (Interview 1)

Das öffentliche Bewusstsein, dass Klimaprobleme unvermeidlich sind, lässt seine Mitglieder immer mehr darüber nachdenken, was zu tun ist:

„I think lately people have been a little bit or getting a little bit more familiar with topics such as climate change, for example, and understanding the actual, you know, the actual danger there is there as opposed to think about it in a very abstract way <…> And now it’s I think people are getting a little bit more familiar with it and it becomes more real because of it.“ (Interview 2)

Gleichzeitig stellen die Gesprächspartner*innen fest, dass sie selbst versuchen, Verantwortung zu übernehmen und vorsichtig mit dem „ökologischen Fußabdruck“ umzugehen, den sie persönlich hinterlassen. Wie viele Menschen betrachtet die Gesprächspartnerin aus dem Interview 3 das Problem des Klimawandels und der Umweltverschmutzung als eines der Hauptprobleme unserer Gesellschaft. Dieses Problem hat ihrer Meinung nach zwei charakteristische Merkmale, die seine Lösung verlangsamen können. Der erste ist das mangelnde Bewusstsein der Menschen dafür, was wirklich nachhaltig ist, was wirklich Umweltschäden reduziert und was nicht:

„It seems to me that all this is somehow not enough, that society lacks knowledge on how to properly help the environment. <…> What is really green energy, what is the reduction of CO2 emissions, and so on.” (Interview 3)

So plädieren beispielsweise viele für einen kompletten Verzicht auf Plastik, berücksichtigen dabei aber nicht, dass Produkte ohne Plastikverpackung im Handel sehr schnell verderben, was ebenfalls falsch ist. Als zweiten Aspekt hebt sie die rasante Entwicklung der Konsumgesellschaft hervor. Sie betont auch, dass dieser Mangel an Wissen zu vielen Gerüchten und zu einer populistischen Politik in Bezug auf diese Probleme führt. Unter diesen Bedingungen sind alle gleich, sowohl Tiere als auch Menschen, da alles in der Natur miteinander verbunden ist: “ Everyone who lives on this planet, we are all connected in one way or another, you won’t get anywhere“.

Während des Gesprächs brachten queere Menschen eine Vielzahl von Themen zur Sprache, die für die Menschen heute wichtig sind. Sie sind zuversichtlich, dass sie zur Lösung dieser Probleme beitragen können. Im nächsten Teil unseres Blogbeitrages werden wir versuchen, darüber zu sprechen, was unsere Gesprächspartner*innen für die Umwelt tun, was die Gründe dafür sind und wie sie selbst zu ihren Praktiken stehen.


Der eigene Fußabdruck: Ernährung, Einkaufen und Sortieren

Machen queere Menschen etwas anders? Diese Frage stellen wir uns ganz am Anfang unserer Forschung. Und natürlich ist es eine gute Gelegenheit, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, der Vergleich der Gewohnheiten der Menschen in diesem Feld und der Gewohnheiten im Allgemeinen zu machen. Die Methodik unserer Forschung war ein semistrukturiertes Interview auf Basis eines vorgefertigten Fragebogens, das durch die Beobachtung der Gesprächspartner*innen sowie das Führen eines Emotionstagebuchs ergänzt wurde.

Die Gesprächspartner*innen listen während des Interviews eine Reihe von Alltagspraktiken auf, die sie anwenden, um dazu beizutragen, die Schäden, die Menschen der Umwelt zufügen, zu ändern. Es ist merkwürdig, dass sie sich vegetarisch oder vegan ernähren und dabei feststellen, dass sie dies genau zum Schutz der Umwelt tun. Darüber hinaus sind sie mit dem Sortieren von Müll beschäftigt und versuchen, ihre Einkäufe bewusst zu machen.

„Ich versuche schon meinen Teil zu leisten. <…> Na ja, ich meine, ich esse kein Fleisch, esse keine tierischen Produkte, dadurch verhalte ich mich auch in meiner Ernährung umweltbewusster als andere. <…> Und ja, ich glaube, mein individueller persönlicher Fußabdruck ist relativ okay noch so“. (Interview 1)

„I have been a vegetarian ever since I was like a teenager. <…> , I’ve also tried to be a vegan for a period of time successfully. But then but then I realized that it was a bit too restrictive for myself in terms of eating habits. <…> . I also recycle <…> And I guess one thing which is a little bit more recent has to do with being conscious about flying”. (Interview 2)

Die Gesprächspartner*innen stellen fest, dass sie keine scharfen Umweltschützer*innen sind und sich nicht in allem einschränken wollen. Was jedoch die Praktiken betrifft, die von ihnen abhängen und ihr Leben nicht beeinträchtigen, fahren sie mit sich selbst zufrieden damit fort, sie zu praktizieren.

Umweltprobleme werfen eine Reihe von Fragen auf, von denen einige durch menschliches Verschulden, andere durch natürliche Veränderungen entstanden sind. Als eines der Probleme, die durch das Verschulden der Menschen aufgetreten sind, betrachten die Gesprächspartner*innen das Problem des Plastikkonsums. Gleichzeitig nähern sie sich diesem Problem aufgrund unterschiedlicher Hintergründe aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der Gesprächspartner aus dem zweiten Interview sagt dazu:

“One of the main ones maybe would be the kind of like microplastics in the oceans, for example, and how that will endanger a lot of species and how that will actually affect our own lives <…>”. (Interview 2)

Seine Meinung über die Gefahren von Plastik und zusätzliche Praktiken zur Vermeidung der Verwendung von Plastik werden von der Gesprächspartnerin aus dem ersten Interview beschrieben:

„Aber ansonsten ich versuche wenig Kosmetik mit Mikroplastik zu kaufen. Ich versuche allgemein plastikfrei so ein bisschen. Also ich versuche nicht unnötig viel Plastik Zeug zu kaufen. <…> Aber ich habe auch kein schlechtes Gewissen, wenn ich mal irgendwie Einweg Produkte verwende oder so und das dann mal mit Plastikgeschirr in den Park gehe, wenn ich ein Picknick habe oder so. Also da sehe ich. Sehe ich nicht so das Problem.“ (Interview 1)

Da die Gesprächspartnerin aus dem dritten Interview in der Kunststoffindustrie arbeitet, hat sie eine interessante Sicht auf das Thema Plastik und die Notwendigkeit, Plastikverpackungen radikal abzuschaffen. Sie betont die Doppeldeutigkeit solcher Denkweisen, wenn Menschen zum Beispiel auf Lebensmittelverpackungen aus Plastik verzichten wollen, aber andere völlig unnötige Dinge aus Plastik machen wollen. So erzählt sie ein Beispiel aus dem Leben, das sich unmittelbar nach dem Umzug nach Essen ereignete. Diese Stadt ist eine der grünsten in Europa oder in Deutschland, und nach der Registrierung bekam sie ein Paket mit Souvenirs und Informationen über die „grüne Stadt“. Was drin war, traf sie aus negativer Sicht:

There was also a disk with some information about the city. A pen, a notepad, some other garbage, and the thing that struck me the most was a keychain, such a piece of plastic in the form of a house. It shocked me so much, because you have a green city, and you give me a full bag of plastic”. (Interview 3)

Diese irrationale Verwendung von Plastik hängt auch mit dem Problem des mangelnden Umweltbewusstseins der Gesellschaft zusammen.

Für die queere Ökologie ist der Mensch untrennbar mit der Natur und den Naturereignissen verbunden. Es wird postuliert, dass „natürlich“ und „unnatürlich“ nicht entgegengesetzt werden können (vgl. Sandilands 2010:1-48). Da die Menschen in dieser Theorie sowohl untereinander als auch mit der Natur sehr eng verbunden sind, gehen wir zum nächsten Teil des Blogbeitrages über, wo wir uns mit dem Thema der gesellschaftlichen Beziehungen untereinander und mit der Natur befassen.


Menschenbezogenes Bild, Ungleichheit und Informationsmangel: Gesellschaftliches Verhältnis zum Klimaschutzproblem

Wie sollte sich die Gesellschaft nach Meinung der Gesprächspartner*innen verhalten? Welche Lösungen können verwendet werden, um die Bewegung in Richtung einer Verbesserung der Umweltsituation zu ändern?

Als einen weiteren Aspekt der Plastikthematik und Umweltschutz stellt die dritte Interviewpartnerin die soziale Schichtung fest, die den Übergang zu einer Gesellschaft mit weniger Plastik erschwert. Produkte ohne Plastikverpackung oder mit umweltfreundlichen Inhaltsstoffen seien ihrer Meinung nach deutlich teurer, und viele Menschen könnten sich diese nicht leisten.

In general it is a difficult problem that not all people can afford to be ecological. Naturally people who count every euro in their shopping cart, naturally they will buy the cheapest, the cheapest are plastic ones, because plastic is still very cheap compared to any wood”. (Interview 3)

Solche unterschiedlichen Meinungen können gleichzeitig im öffentlichen Diskurs existieren. Und daran ist die Menschheit durchaus gewöhnt. Eine allgemeine Beachtung von Informationen und nicht nur eine oberflächliche Bekanntschaft mit den Schlagzeilen auf Nachrichtenseiten kann der Menschheit helfen, Umweltprobleme weiter voranzutreiben.

Die Gesprächspartner*innen selbst haben wiederholt erklärt, sie seien keine Umweltaktivist*innen, sondern bereit, umweltneutral zu leben, sofern ihre Grenzen nicht verletzt werden. Obwohl die Gesprächspartnerin aus dem ersten Interview viele Praktiken auflistet, die sie der Umwelt zuliebe tut, einschließlich einer veganen Ernährung, tut sie dies nicht nur der Umwelt zuliebe. Sie erklärt ihr Weltbild wie folgt:

„Ich sehe es aber schon so, dass der Mensch wichtiger ist. Für mich ist auch Klimaschutz kein Zweck an sich, sondern Klimaschutz ist sinnvoll, weil Menschen in Gefahr sind und nicht, weil Tiere in Gefahr sind. Mir persönlich ist es egal, wenn eine Tierart ausstirbt. <…> Das Problem ist, dass der ökologische Kreislauf dadurch gestört wird und wieder der Mensch darunter leidet. Ich habe ein… mein Weltbild… ist einen Menschen geführtes Bild“.

Gleichzeitig sieht der Gesprächspartner aus dem zweiten Interview einen der Möglichkeiten, das Umweltproblem in der Gesellschaft zu lösen, in einem größeren öffentlichen Bewusstsein. Er sagt dazu: „You know, knowledge is key”. Und auch: “the more freedom of speech that is given about topics like this, the better”. (Interview 2). Und wenn Informationen der Schlüssel zur Lösung der Umweltprobleme sind, wer sollte dann nach Meinung der Gesprächspartner diese Informationen verbreiten und wer sollte sie erhalten? Die Gesprächspartner*innen glauben, dass der Schwerpunkt auf der jüngeren Generation liegen sollte. Die jüngere Generation ist offen und bereit, ihre Gewohnheiten zu ändern.

„Die junge Generation ist wichtig für den Umweltschutz, weil Menschen, die über 40-50 sind… Denen jetzt klar zu machen, ihr Konsumverhalten nachhaltig zu verändern, ist glaube ich deutlich schwieriger, als ein Bewusstsein dafür bei jungen Menschen zu schaffen“. (Interview 1)

Der Gesprächspartner aus dem zweiten Interview stellt fest, dass Greta Thunberg die Meinungsführerin in der Umweltbewegung ist:

“I mean, obviously, obviously, Greta Thunberg has a huge visibility also because of her age and how she articulates herself and whatnot. So she has a huge visibility, and I think it’s very important to have someone like that who’s very young but very conscious at the same time and also having a certain speech that caters to people that are younger and that can still make a difference”. (Interview 2)

Wir sehen, dass die Gesprächspartner*innen die jüngere Generation als die Hoffnung für die Zukunft betrachten. Wenn wir uns die Gründe anschauen, sehen wir, dass es vor allem um die Offenheit für sich ändernde Gewohnheiten und Weltanschauungen geht, sowie um die Bereitschaft, das Gewohnte irgendwo zugunsten einer allgemeinen Verbesserung der Klimasituation aufzugeben.

Es sei darauf hingewiesen, dass die Gesprächspartner*innen die aktuelle Umweltsituation als Krise und nicht nur als Problem bezeichnen. Dies gilt es zu beachten und zu erfassen, wie wichtig Klimathemen für Vertreterinnen und Vertreter der queeren Gruppe sind. Diese Beobachtung kann sicherlich nicht die Einzigartigkeit der Erfahrung der untersuchten Gruppe postulieren. Es kann jedoch eine bestimmte Denk- und Handlungsrichtung seiner Mitglieder zeigen. Im nächsten Teil sprechen wir weiter über die Einstellungen unserer Gesprächspartner*innen aus der Sicht des Ortes, in dem sie leben und mit dem sie in Kontakt kommen, nämlich der Hauptstadt Deutschlands, Berlin.


Ist Berlin eine grüne Stadt?

Im Zusammenhang mit dem Leben in der Stadt verstehen sich alle Gesprächspartner*innen als „urbane“ Menschen, die sich ein Leben außerhalb der Hektik der Stadt nicht vorstellen können.

„Ich bin ein Stadtmensch und ich will niemals auf dem Dorf leben, ich will niemals irgendwo leben, wo ich aus dem Haus gehe und hinter mir ist Wald oder so“. (Interview 1)

Während des Interviews stellen sie jedoch fest, dass sie auch oft Zeit in der Natur verbringen, was ihnen hilft, sich zu beruhigen, neu zu starten und sich vom Lärm der Stadt fernzuhalten. Wenn es darum geht, ob Berlin eine grüne Stadt ist, stimmen die Gesprächspartner*innen der Aussage eher zu und äußern ihre Meinung dazu, was eine „grüne Stadt“ ist.

“In comparison to what? So I mean, I think yes. If you take it from the point of view of like a European capital, I think it’s quite green. <…> But then there is… other cities that are also in European capitals that I think from my perspective, are doing a better improvement there. Like, for example, Copenhagen, where everyone just rides their bike <…>”. (Interview 2)

Und auch:

“Berlin ist dafür, dass es eine große Stadt ist, auf jeden Fall sehr grün. Gerade so hier die Ecke Volkspark Wilmersdorf, Preußenpark. Das ist nicht besonders naturbelassen, sondern relativ plan, man hat vor allem eine große Wiese, aber auch da hat man irgendwie einen Entspannungs- und Rückzugsort aus dem städtischen Leben so gut wie es eben geht in so einer Großstadt“. (Interview 1)

Abbildung 3. Volkspark Wilmersdorf

Die dritte Interviewpartnerin ist ziemlich skeptisch gegenüber dem Konzept einer grünen Stadt, weil sie nicht wirklich versteht, was die Leute dort investieren. Oft bedeutet dies das Vorhandensein einer großen Anzahl von Parks und Wäldern in der Stadt und nicht einige Maßnahmen zur Verbesserung der Umwelt. So gesehen ist Berlin eine grüne Stadt, aber:

If you dig deeper and look again at all this garbage, plastic consumption, all these CO2 and other exhaust gases, then it’s like no. Everything that lies on the floor, that is, on the pavement, sooner or later, if not picked up, then definitely water into the sewer and forward into the oceans”. (Interview 3)

Nur Bäume und Grün reichen ihrer Meinung nach nicht aus, um die Stadt „grün“ zu machen. Eine grüne Stadt ist Natur, Grünflächen und eine Möglichkeit für eine Person, sich vom Trubel der Stadt zu erholen, glauben die Gesprächspartner*innen. Eine grüne Stadt ist jedoch ein sehr relativer Begriff. Berlin als große Entwicklungsstadt und Hauptstadt ist eine grüne Stadt, die jedoch noch viel zu erreichen hat (vgl. Breuste 2019:373, Grüne Hauptstadt Europas 2012).


Lösung des Klimaproblems

Zum Fazit unserer kulturanthropologischen Feldforschung möchten wir anmerken, dass queere Ökologie und die Sichtweisen von Vertreterinnen und Vertretern einer großen und heterogenen queeren Gruppe durchaus unterschiedlich sind. Dass unsere Gesprächspartner*innen Apologet*innen der queeren Ökologie sind, hatten wir nicht erwartet und wären über diesen Zufall sogar sehr überrascht. Fakt ist, dass queere Menschen eine riesige Gruppe sind, die aus völlig unterschiedlichen Menschen besteht, die durch ihre Einstellung zur Natur überhaupt nicht vereint sind.

Die Hypothese unserer Studie war eine genauere Beobachtung von Umweltproblemen durch die Vertreter*innen der Gruppe und eine progressivere Sicht auf Umweltfragen. Ausgehend von der Forschung des Themas der grünen Stadt erwarteten wir eine Vielzahl von Aktivitäten, mit denen sich die Befragten zum Schutz der ökologischen Vielfalt und der Menschheit insgesamt engagieren. Das damit verknüpfte Thema ist das der Gerechtigkeit, das für queere Menschen eine große Bedeutung ausmacht.

“The economy counterposes male and female, black and white, human and nature. But we are everywhere.

Homosexual oppression might be the matrix of all oppressions. Revealing the preposterous quality of sexual difference, we show the coercion masked by it. And we show the lie inside the heterosexual fact at the core of nature: the one that lends credence to the vilest institutions of humanity, from motherhood to the cutting down of thousand-year-old trees for apple crates.” (Caffyn Kelly 2013:44)

Als Vertreter*innen der LGBTQI+-Community haben unsere Gesprächspartner*innen sicherlich den großen Wunsch, sich und der Gesellschaft beim Umweltschutz zu helfen. Sie ändern ihr Essverhalten, geben Gewohntes auf und ändern ihre Bedürfnisse. Die Hauptlösung für das Problem des Klimawandels und der Umweltverschmutzung besteht darin, die Lebensweise der Menschen zu ändern und eine Lösung zur Anpassung an neue Bedingungen zu entwickeln:

“That is, we can see that over the past 100 years there has been a huge leap, over the past 50 years there has also been even more, over the past 30 it’s scary to talk at all, and it’s just that this whole society, this whole system was not ready for this“ (Interview 3)

In dieser Sichtweise sehen wir eine Parallele zur queeren Ökologie und zum Verständnis des Menschen als Teil der Gesellschaft und der Natur. Wir sehen, dass die Befragten keine Aktivist*innen der Umweltbewegung sind, aber sie waren sehr offen für das Gespräch und daran interessiert, ihre Meinung zu äußern. Diese Offenheit der queeren Gruppe und der Wunsch. zur Bewältigung der Umweltkrise beizutragen, verdienen Aufmerksamkeit. Wir freuen uns jedenfalls sehr, dass wir gerade ein solches Untersuchungs- und Fragestellungsthema für unsere Feldforschung ausgewählt haben. Die weitere Erforschung des Themas kann durch weitere teilnehmende Beobachtung im Rahmen einer längeren Feldforschung über das Leben queerer Menschen in Berlin sowie durch zusätzliche Interviews ergänzt werden.


Literatur:

ABQUEER VEREIN (11.02.2022): Begriffe. In: https://abqueer.de/informieren/begriffe/#6.AHRENS, Jörn (2020): „Der Mensch im Klima: Klimawandel und Kultur„. In: Paragrana, vol. 29, no. 1, 2020, pp. 36-49. https://doi.org/10.1515/para-2020-0002.

BISCHOFF, Christine (2014): Methoden der Kulturanthropologie. Bern: Haupt.

BREUSTE, Jürgen (2019): Was Stadtnatur im Konzept der Grünen Stadt ausmacht. Berlin: Springer, 245-98.

DALY, Mary (2001): Pure Lust: Elemental Feminist Philosophy. London.

Grüne Hauptstadt Europas (2012): Luxembourg.Publications Office.

KELLY, Caffyn (2013): Queer / Nature (Be Like Water). UnderCurrents: Journal of Critical Environmental Studies, 6, 43–44, https://currents.journals.yorku.ca/index.php/currents/article/view/37700.

MORTON, Timothy (2010): Queer Ecology. PMLA, 125(2), 273–282. http://www.jstor.org/stable/25704424.

Queere Ökologie. In: http://de.knowledgr.com/22130967/QueereOekologie (29.12.2021)

SANDILANDS, Catriona (2010): Queer Ecologies Sex, Nature, Politics, Desire. Bloomington, Ind.: Indiana UP, S. 1-48.

LUBRICH, Oliver / STODULKA, Thomas (2019): Emotionen auf Expeditionen. Ein Taschenhandbuch für die ethnographische Praxis. Bielefeld: Transcript.


[1] Yulia Yurchenko und Veronika Peil studieren beide Sozialwissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin.

17. Februar 2022 | Veröffentlicht von Dr. Inga Scharf | Kein Kommentar »
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