Ein Beitrag von Anna-Mariya Mushak
Ich erinnere mich an das erste digitale Semester, SoSe20. Als es angefangen hatte, dachten wir, wir
kehren nach ein paar Wochen digitalen Unterrichts zurück in die gewohnte Präsenzlehre (Spoiler
Alert 03.12.2021: Nope, dieser Gedanke war leider falsch). Ich erinnere mich daran, wie ich die
Enttäuschung im Bauch spürte, nachdem uns mitgeteilt worden war, dass auch das WiSe20/21 digital
stattfinden wird. Denn ich wollte schon so sehr zurück in die Präsenz. Warum aber konnte ich mich
ein Jahr später, vor dem Beginn des WiSe21/22, nicht mehr richtig freuen, als die so lange erwartete
und erwünschte Rückkehr in die Präsenzlehre endlich vor der Tür stand?
Rückkehr in die normale/gewohnte Realität.
Am Anfang des Semesters wurden wir in jedem meiner Kurse gefragt, in welcher Form (online oder
offline) wir den Unterricht bevorzugen, um eine Lösung zu finden, die allen gerecht wird. Jedes Mal
erwähnte ich den Punkt, dass oft die Rede von der Rückkehr in die übliche Realität sei. Doch wichtig
zu unterscheiden ist: Ja, wir kehren in die Präsenzlehre zurück, aber nicht in die „Normalität“, die es
vor der Pandemie gab. Maskenpflicht, Abstand, QR-Code vor jeder Sitzung scannen. Das ist nicht die
Realität, die ich vermisst und auf die ich so sehnsüchtig gewartet habe. Ich sage nicht, dass sie
schlecht ist. Ich habe volles Verständnis dafür, warum sie so ist und so sein muss. Ich sage nur, ich
hatt(b)e Sehnsucht nach etwas anderem, was noch nicht da ist.
Gewohnheit.
Im April 2020 musste ich (und vermutlich wir alle) lernen, wie ich mit Zoom mein Studium fortsetze
und effektiv gestalte. Es war nicht einfach, manchmal gar nicht gewollt und darum herausfordernd,
auch emotional. Jedoch mit der Zeit ist es mir ganz gut gelungen. Menschen gewöhnen sich an
Neuerungen, früher oder später. Im Oktober 2021 musste ich allerdings wieder etwas „Neues“
beziehungsweise Vergessenes lernen. Wann stehe ich auf, um rechtzeitig am Institut zu sein? Was
nehme ich alles zur Uni in meinem Rucksack mit? Besonders die letzte Frage hat mich an meinem
ersten Tag des WiSe21/22 verwirrt. Für einige Minuten schien es eine Aufgabe mit einem Sternchen
zu sein. Jetzt muss ich wieder lernen, dass fast jeden Tag der Woche am Institut vor Ort zu sein ein
ganz normaler Prozess ist. Etwas, was eine lange Zeit einfach nicht erlaubt war, ist wieder da und
wartet auf mich.
Zeit.
Sehr direkt und vielleicht etwas egoistisch gesagt: Zoom spart Zeit. Für manche sind es 30-40 Minuten, für die anderen 1 bis 2 Stunden, die sie für den Weg zu der Universität und dann nach Hause brauchen. Dies entfällt natürlich, wenn Veranstaltungen via Zoom abgehalten werden und die Möglichkeit besteht, an diesen von einem beliebigen Standort aus teilzunehmen. Außerdem lassen sich zum Beispiel manche
Haushaltspflichten in den Pausen zwischen unterschiedlichen Zoom-Sitzungen erledigen.
Wintermuffel.
…oder vielleicht bin ich einfach ein Wintermuffel? Denn wenn ich an die sonnigen Frühlingstage
denke, dann kann ich mir gut vorstellen, mit viel Überzeugung für Präsenzunterricht zu plädieren.
Hm…
Wenn ich alle diese Gründe aufzähle, versuche ich die Worte möglichst vorsichtig zu wählen. Denn
ich befürchte, sie können den Eindruck vermitteln, ich möchte keine Menschen wiedersehen und
bleibe am liebsten alleine zuhause sitzen. Das meine ich nicht, auf gar keinen Fall. Wenn ich sage,
Zoom spart Zeit, heißt es nicht, ich möchte keine Zeit mit meinen Kommiliton*innen verbringen.
Wenn ich sage, die Realität ist noch nicht in der Form da, in der ich sie vermisse, meine ich nicht,
jemand sei schuld daran. Es gibt einfach gewisse Neuerungen, an die ich mich wieder gewöhnen
muss. Ein neuer Prozess des Lernens. Wie bereits erwähnt, schließe ich nicht aus, dass ich mich im
SoSe22 wieder total auf die Präsenzlehre freuen und sie mit Ungeduld erwarten werde.