Viele kleine Schritte

Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, dann ändert sich die Welt. (Barbara Rütting)

Krzyzowa, dt. Kreisau, ist ein kleiner Ort in Niederschlesien, der sich zu Fuß innerhalb von fünf Minuten durchqueren lässt. Ein paar Höfe, viele Gänse und Hühner, eine überraschend große Anzahl Hunde und ein Schloss mit Nebengelassen. So klein der Ort ist, so eindrucksvoll und geschichtsträchtig ist er auch.
Das Gut Kreisau wurde im Jahr 1867 von Generalfeldmarschall Helmuth von Molke erworben, der das Schloss als Alterswohnsitz nutzte. 1929 übernimmt dessen Urgroßneffe Helmuth James von Moltke, der auch auf Kreisau geboren wurde und aufwuchs, das stark verschuldete Landgut. Kurz nach Beginn des zweiten Weltkriegs wird Helmuth James, der schon zu dieser Zeit ein Kritiker des zentral gelenkten NS-Staates ist, zum Kriegsverwaltungsrat ernannt. Tief im christlichen Glauben verwurzelt und von den Greueltaten des Nationalsozialismus und der Führung angewidert, nutzt er bereits jetzt seine Stellung zum individuellen Widerstand: er verhilft Verfolgten zur Flucht, verhindert die Erschießungen von Geiseln sowie Misshandlungen von Kriegsgefangenen und nützt seine Dienstreisen ins Ausland, um Verbindungen des Widerstands zu festigen.

Stammbaum der Familie Moltke in Kreisau
Stammbaum der Familie Moltke in Kreisau

1940 gründet er mit seinem Freund Peter Yorck von Wartenburg die Widerstandsgruppe, die später als „Kreisauer Kreis“ bekannt werden sollte. Die drei größeren Tagungen des „Kreisauer Kreises“, im Frühjahr und Herbst 1942 sowie im Frühjahr 1943, finden auf Kreisau im sogenannten Berghaus statt, das Moltke mit seiner Familie anstelle des Schlosses bewohnt. Der Kreisauer Kreis, ihm gehören ungefähr 20 Mitglieder aller Konfessionen und Stände an, plant anders als andere Widerstandsgruppen keine Regimewechsel oder Attentate auf Hitler, sondern entwickelt stattdessen eine Neuordnung Deutschlands nach Ende des NS-Regimes.
Berghaus – hier tagte drei Mal der Kreisauer Kreis
Berghaus – hier tagte drei Mal der Kreisauer Kreis

Der Kreisauer Kreis unterhält zahlreiche Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen und fliegt nach dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler auf. Zahlreiche Mitglieder des Kreises werden verhaftet und hingerichtet, darunter auch Helmuth James von Moltke.
Nach Kriegsende fällt Kreisau an Polen und der Gutshof wird in einen Staatsbetrieb umgestaltet. Das Erbe des Kreisauer Kreises lebt in Deutschland und Polen weiter, jetzt drehen sich die Gedanken allerdings um ein Europa, das nicht durch Chauvinismus, übermächtige Nationalstaaten und Ideologien geprägt ist. Nach dem Fall der Mauer rückt das Gut schlagartig wieder in den Blick der Öffentlichkeit, als hier am 12. November 1989 eine Versöhnungsmesse stattfindet, an der Helmuth Kohl und der erste frei gewählte polnische Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki teilnehmen. In Kreisau wird der Grundstein für eine deutsch-polnische Annährung und das deutsch-polnische Jugendwerk (DPJW) gelegt. 1990 wird die Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung gegründet, die das Gut bis 1998 in eine Begegnungsstätte umwandelt.
Schloss Kreisau ist heute Teil einer Begegnungsstätte
Schloss Kreisau ist heute Teil einer Begegnungsstätte

Hier tagte vom 26. bis 28. Oktober die Zentralstellenkonferenz des DPJW. Seit dessen Gründung 1991 finanzierte das DPJW tausende Jugend- und Schulaustausche sowie viele andere deutsch-polnische Projekte und trug damit spürbar zur Annährung beider Staaten bei. Wichtigste aktuelle Projekte, die auf der Zentralstellenkonferenz vorgestellt wurden, sind das deutsch-polnische Geschichtsbuch „Deutschland, Polen und der Zweite Weltkrieg“ und das geplante deutsch-polnische Geschichtslehrbuch. Weitere Themen waren die neue Antragsoftware, die Evaluationspublikation sowie Workshops zu TeilnehmerInnensuche, Qualitätsmanagement, Kooperation schulischer und außerschulischer Jugendarbeit und -bildung sowie die Zweisprachigkeit deutsch-polnischer Begegnungen. Auch wenn sich in den letzten 15 Jahren das deutsch-polnische Verhältnis viel besser geworden ist, bleibt noch viel zu tun. Denn all die kleinen, persönlichen Begegnungen und Erlebnisse miteinander, ob nun drei Tage, zwei Wochen oder sechs Monate lang, können auf Dauer gesehen viel bewirken. (Falko Benthin)
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2. November 2009 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied
Veröffentlicht unter Informationen, Tellerrand

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