Archiv für Schlagwort Kulturwandel

Öffentlicher FuReSH-Veranstaltungskalender verfügbar

Wir haben einen Kalender eingerichtet, in dem wir Veranstaltungen zu Themen rund um Makerspaces, Labs, Digital Humanities, Digital Methods and Research in den Geisteswissenschaften primär in Berlin und Brandenburg sammeln.

Dieser ist öffentlich verfügbar und kann von jeder/jedem Interessierten abonniert werden. Perspektivisch werden wir den Kalender auch auf der Website des Scholarly Makerspace zugänglich machen.

Der Kalender ist mit einem der folgenden Links einzubinden:

  • CalDAV-URL https://kal.hu-berlin.de/SOGo/dav/public/ub-furesh/Calendar/7FDF-624AD280-35-18EC6240/
  • WebDAV-ICS-URL https://kal.hu-berlin.de/SOGo/dav/public/ub-furesh/Calendar/7FDF-624AD280-35-18EC6240.ics

Welche URL zu benutzen ist, hängt von der verwendeten Kalender-App ab. Hier eine Auswahl:

  • Thunderbird: CalDAV- oder WebDAV-ICS-URL
  • Outlook, Apple, Google Kalender: WebDAV-ICS-URL
  • HU-SOGo-Kalender: WebDAV-ICS-URL

Wichtig beim Hinzufügen des Kalenders ist, diesen aus dem „Netzwerk“ (manchmal auch „Internet“, „Web“ oder „URL“) zu beziehen. Falls es Fragen zur Einrichtung gibt, bietet der Kalenderservice vom CMS Unterstützung.

Der Veranstaltungskalender darf gerne geteilt werden. Wir freuen uns auch über weitere Veranstaltungshinweise und -vorschläge.

2. Mai 2022 | Veröffentlicht von Sophie Eckenstaler
Veröffentlicht unter Allgemein

Scholarly Makerspaces – Bibliotheken als Kooperationspartner der Digital Humanities – Zu einem Workshop

Eine Zusammenfassung von Ben Kaden (@bkaden)

Der Abschlussworkshop des FuReSH-Projektes zeigte, dass er eigentlich keiner sein sollte. Denn die Idee einer niedrigschwelligen Vermittlungsinstanz für die Angebote, Möglichkeiten und notwendig auch Grenzen digitaler Forschung in den Geisteswissenschaften ist auf der Höhe der Zeit. Zumindest sahen es die Teilnehmenden so. Interessant ist dabei, dass sich die Sicht auf die Funktionen der Scholarly Makerspaces während der Diskussionen noch einmal stärker erweiterte. Im Idealfall sollten sie nämlich, wie deutlich wurde, erheblich mehr sein, als ein reines Unterstützungsangebot, mit dem die Universitätsbibliothek Lehrenden, Forschenden und Studierenden den aktuellen Stand im Bereich digitaler Werkzeuge für die Kultur- und Geisteswissenschaften näher bringt. 

Mittlerweile ist offensichtlich, wie sehr sich mit der digitalen Forschung und den Digital Humanities und weiteren Transformationsphänomenen wie u.a. der offenen Wissenschaft grundsätzlich etwas verschiebt, das lange stabil abgegrenzt schien. Das Funktionssystem Wissenschaft und seine Schnittpunkte zu weiteren gesellschaftlichen Bereichen werden unter diesen Vorzeichen neu, und zwar stetig neu, definiert. Bestimmte Elemente – Faktenorientierung, Systematizität, Verfahrenstransparenz – und Prinzipien bleiben stabil. Aber oft scheint es, als rückten gerade die diskursiv- und deutungsorientierten Communities zunehmend in die Rolle einer Qualitätssicherung des Wissens, dessen Produktion an anderen Stellen erfolgt. In jedem Fall finden eine Vielzahl von ebenfalls verständnis- und erkenntnisgerichteten Prozessen und insbesondere solche der Problemlösung an anderen Stellen als der akademisierten Wissenschaft statt. Wissenschaftliche Expertise wird im Zweifel hinzugezogen, wissenschaftliche Strenge je nach Bedarf angewandt. Aber das Ziel solcher Wissensprozesse ist nicht mehr auf einen generellen Wissenszuwachs an sich gerichtet. Wissenschaft als Institution und Praxis arbeitet zunehmend projektbasiert und damit auf sehr konkrete und bestimmbare Ergebnisse hin. Allgemeinere Einsichten sind eine Art Nebenprodukt, das die Best-Practice-Erfahrungen begleitet. In welcher Form dies dokumentiert wird, ist eine Aufgabe für das wissenschaftliche Publikationswesen. Projektblogs wie dieses sind ein Weg. Zugleich wäre aber ein differenziertes Wissensmanagement notwendig, da ein Großteil solcher Expertise nur teilweise kontinuierlich in den Laufzeitzyklen der Projekte, also in Rahmen von zwei bis drei Jahren entsteht. Danach, auch darüber wurde im Workshop gesprochen, beginnt für die Akteure ein im Idealfall inhaltlich ähnliches, im konkreten Bezug aber oft doch anderes Kapitel. Wo also ließe sich so ein Wissen strukturiert und nachnutzbar abgebildet akkumulieren? Für den Bereich der digital geprägten Geisteswissenschaften könnte einer dieser Ort der sein, der bereits traditionell publiziertes Wissen sammelt – also die Bibliothek. Entsprechend notwendig ist es für die Scholarly Makerspaces, ein System für die Sammlung, Strukturierung und Bereitstellung entsprechender Expertise vorzuhalten. Für die Implementierung ist dieser Aspekt daher ausdrücklich mit beantragt. Und überhaupt bewegt man sich mit einem DFG-Projekt aus dem LIS-Bereich in einem für diese Entwicklung im Prinzip genau richtigen Wirkungszusammenhang. Wir wissen schon aus eigener Erfahrung sehr gut, welche besonderen Anforderungen sich in vorwiegend über Drittmittel finanzierten Forschungszusammenhängen ergeben. An engen Zeiträume und konkreten Umsetzungszielen ausgerichtete Forschung ist unabweislich auch Teil des Kulturwandels. Es bietet sich an, dies im Zusammenhang zu sehen und im Gegenzug entsprechende zeitgemäße und nachhaltige Infastrukturangebote aufzusetzen. Für ihren Wirkungsradius gehören die Scholarly Makerspaces in diesen Funktionsrahmen für die Wissenschaft, vielleicht auch besser Wissensarbeit der Gegenwart.

Rolle und Abgrenzung der Scholarly Makerspaces

Die Grundidee der Scholarly Makerspaces, nämlich die Vermittlung von Kompetenzen, Entwicklungen, möglicherweise Ressourcen und in jedem Fall Vernetzungen für die digitale Forschung in den Kultur- und Geisteswissenschaften enthält grundständig die Möglichkeit, die Begleitung und Moderation eines solchen Kulturwandels institutionell einzubetten. Scholarly Makerspaces sind im besten Umsetzungsfall eine niedrigschwellig nutzbare und agile Lösung für eine konzentrierte und aufgeklärte Auseinandersetzung mit den jeweils relevanten Fragestellungen. Mit ihrem Dienst der Forschungs- und Antragsberatung helfen sie bei den jeweiligen und oft zeitkritischen Entscheidungsfindungen. Als Begegnungsraum führen sie unterschiedliche Akteure, die in dieser Transformation aber unbedingt im Dialog stehen sollten, zusammen. Im besten Fall entstehen dadurch neue Ideen, Konzepte, Forschungsfragen und Umsetzungspläne. Für alle Beteiligten bis hin zur anbietenden Institution eröffnen sie die Möglichkeit, die entsprechenden Entwicklungen kennenzulernen, zu verstehen, zu bewerten und insgesamt selbst zu partizipieren. Dazu zählt ebenfalls, Vorstellungen von der eigenen Rolle regelmäßig konstruktiv zu hinterfragen, etwas, das gerade auch für wissenschaftliche Bibliotheken unerlässlich ist. 

Scholarly Makerspaces sind daher zwar an einigen Stellen ähnlich, aber keinesfalls identisch mit funktionsorientierten (Library) Labs. Die Bereitstellung von Werkzeugen, Workflows, Methoden, Materialien und einer ganze Palette von kleinen praxistauglichen Lösungen, die man im Workshop als Hacks bezeichnet und die im Sinne des Wissensmanagements auch formalisiertes Erfahrungswissen genannt werden könnten, bildet nur eine Facette der Scholarly Makerspaces. Die begleitete, in der Komplexität überschaubare und auf individuelle Anforderungen und Kompetenzen Rücksicht nehmende Vermittlung markiert eine zweite Facette. Die dritte ist schließlich die, wofür man Scholarly Makerspaces trotz aller Digitalität unbedingt als Raum benötigt: Die eines Ortes für den Kontakt und wechselseitigen Austausch von unterschiedlichen Akteuren. Die Scholarly Makerspaces sollen in Addition der Angebotsfacetten ihren unmittelbaren Zielgruppen ermöglichen, die Anbindung zu aktuellen Entwicklungen, Möglichkeiten und Diskussionen zu halten, vielleicht auch mitzugestalten. Dadurch jedoch, dass dies nur über die Integration Akteure gelingt, die die jeweiligen Entwicklungen, Möglichkeiten und Diskussionen selbst prägen, verschiebt sich möglicherweise in der Zeit auch das, was die Zielgruppe darstellt. Für den Anfang sollen in den Scholarly Makerspaces lokale Akteure jeweils bedarfsgerecht mit den für ihre Ansprüche relevanten Werkzeugen, Verfahren, Informationen und Kontakten zusammengeführt werden.

Der Einstieg über und eine Verankerung von konkreten (technischen) Lösungen – z.B. über Workstations mit vorinstallierten Ready-to-Use-Werkzeugen – und begleitenden Schulungen zum Kompetenzerwerb für die lokalen Communities ist sicher zielführend, auch um Akzeptanz für das Angebot zu schaffen. Zugleich empfiehlt sich jedoch, die Rolle der Scholarly Makerspaces als Organisations- und Vermittlungsort für die digitale Transformation und den Kulturwandel in der Wissenschaft von Beginn an offensiver zu denken. Vermittlung heißt in diesem Fall auch aktive Moderation, Kanalisieren, zielgruppengerechtes Aufbereiten, bei Bedarf geduldiges Erklären und vor allem ein Im-Blick-Behalten und Verstehen, also Monitoring, dessen was generell in den einschlägigen Bereichen geschieht. 

Eine umfassende technische Grundversorgung für die Breite möglicher Anforderungen scheint aus diversen Gründen unmöglich. In den Gesprächen zur Konzeptentwicklung wurden wir aus guten Gründen regelmäßig vor einem solchen Anspruch gewarnt. Er wäre im Prinzip für die Scholarly Makerspaces auch wenig sinnvoll. Denn wo es Lösungen gibt, gibt es bereits Expertise und wenn sie bei den Entwickler*innen liegt. Es kristallierte sich auch während des Workshops heraus, dass die zentrale Rolle der Betreibenden eines Scholarly Makerspaces neben einer Grundberatung die des Community-Managements sein muss. Genaugenommen handelt es sich um Communities, also den Plural, die je nach Anforderung, Bedarf oder Szenario zueinandergeführt und so moderiert werden müssen, dass sie sich verstehen und konstruktiv kommunizieren können. Das Angebot konkreter Werkzeuge sollte sich auf besonders attraktive, grundständige und reife Lösungen konzentrieren. Für alle Materialien liegt der Schwerpunkt nicht im Sammeln auf Vollständigkeit, sondern in einer an konkreten Kriterien ausgerichteten Kuratierung. Die beiden Schwerpunkte für den Betrieb der Scholarly Makerspaces sind also diese Kuratierung und die Anregung, Koordination, Pflege und Unterstützung von entsprechenden Nutzungscommunities, also konkreter Programmarbeit, beginnend bei Schulungen und bis hin zu Symposien und Hackathons. Wie komplex sich diese Aufgaben darstellen, ist nicht pauschal bestimmbar. Bei relativ homogenen Gruppen reicht es vielleicht, den Raum als eine Art Bühne bereitzustellen. In anderen Fällen bedarf es einer ausgeprägten Moderation und gegebenenfalls auch Übersetzungsleistung. 

Scholarly Makerspaces als Bühne – das Beispiel Hackathons und Coding-X

Während es bislang noch keine Scholarly Makerspaces im Sinn des FuReSH-Projektes gibt, gibt es doch durchaus eine Reihe von Erfahrungen mit der Aktivierung und Lenkung von community-basierter Aktivierung und Auseinandersetzung mit Forschungsmaterialien und digitalen Lösungen. Ein großer Appeal und sehr gute Erfahrungen werden so genannten Hackathons bzw. “Coding X”-Veranstaltungen zugeschrieben. Die Rolle der Betreibenden des Makerspaces läge in diesem Zusammenhang vorwiegend auf der Kuration und Organisation solcher Veranstaltungen. Zugleich wären sie Ansprechpartner für ein akutes Desiderat: Wo und in welcher Form werden die Ergebnisse solcher Veranstaltungen dauerhaft verfügbar gehalten. Wie auch in anderen Fällen – zum Beispiel beim technischen Support – erweist sich die Einbettung der Scholarly Makerspaces in das institutionelle Gefüge der Hochschule als Vorteil. Nach Möglichkeit sollten an diesem Punkt bestehende Angebote wie Repositorien aktiv eingebunden werden. 

Nach dem Konzept der “Scholarly Makerspaces als Bühne” würden zudem unterschiedliche Akteure den Ort in regelmäßigem Wechsel bespielen können. Dies ist bis hin zu einer weitgehend eigenverantwortlichen Ausgestaltung und Nutzung denkbar. Die Aktivitäten konzentrierten sich auch hier weniger auf die technische Expertise als auf die Vernetzung. Ein Vorteil des Ansatzes wäre, dass die Aktualisierung gewissermaßen Community-getrieben erfolgte und sich die Betreibenden stärker auf die Dokumentation bzw. das Wissensmanagement konzentrieren könnten. Dies setzt jedoch zunächst entsprechend motivierte Communities voraus. Die Betreibenden müssen im Gegenzug aufgeschlossen und anschlusswillig, möglicherweise sogar aktiver Teil einer solchen Community sein. 

Anwendungsfälle

Das SBB-Lab, vorgestellt durch Clemens Neudecker, ist ein gutes Beispiel für den Ansatz, digitalisierte Ressourcen für eine ergebnisoffene Nachnutzung verfügbar zu machen. Dabei ist diese Offenheit auch 2019 oft noch eine Herausforderung und muss – auch im eigenen Haus – als Idee vermittelt werden. Das Lab stellt aktuell Datensätze bereit, die als Testdaten auch für Scholarly Makerspaces genutzt werden könnten. Zugleich ist es mit seinem Auftritt und der Datenpräsentation ein Anwendungsfall für die Datenvermittlung, der entsprechend als Orientierung für den Aufbau von Scholarly Makerspaces betrachtet werden könnte. Zu beachten wären jedoch die Besonderheiten der Trägereinrichtung, also der Staatsbibliothek zu Berlin.

Beim Austausch zu den Erfahrungen mit Hackathons wie Coding Gender wurde zudem eine weitere mögliche Angebotsfacette für Scholarly Makerspaces sichtbar. Neben den Werkzeugen (und der Hardware), den Beständen und Verfahren stellen auch Ablaufdokumentationen für die Entwicklung von Nutzungslösungen einen wichtigen Vermittlungsaspekt dar, wie Michael Müller von der Mosse Art Research Initiative (MARI) betonte. Eine Sammlung von nachvollziehbar dokumentierten “Hacks” zur Annäherung an Kulturdaten bleibt bisher ein Desiderat, das vergleichsweise leicht bei entsprechenden Sessions bedient und aufgefangen werden könnte. Die Aufbereitung, Ergänzung und Weiterentwicklung solcher Erfahrungsdokumentationen könnte in einer Wikistruktur über die Community erfolgen und in das Wissensmanagementsystem der Scholarly Makerspaces intergriert werden. Die Aufgabe des Labs bzw. der Scholarly Makerspaces wäre demnach auch hier die Bereitstellung und Sicherung der Infrastruktur, die Moderation und die kuratierende Gestaltung. Auf diesem Weg ließen sich nebenbei auch die Use Cases sichtbar machen, die für eine erfolgreiche Ausgestaltung und Vermittlung des digitalen Kulturwandels so notwendig sind.

Anna Busch vom Theodor-Fontane-Archiv Potsdam und dem dortigen TFA.Lab berichtete ebenfalls von sehr guten Erfahrungen mit Hackathons. Die von ihr beschriebenen Erfahrungen demonstrierten besonders anschaulich, wie digitale Werkzeuge vor allem ein Mittel zum Zweck darstellen und es neben der Bereitstellung der Tools auch darauf ankommt, digitale Forschung auch als eine besondere Form der Auseinandersetzungspraxis mit Kultur zu sehen. Mit der Betonung des Prinzips der Agilität und der sehr breiten Vernetzung dekonstruiert digitale Wissenschaft in gewisser Weise auch klassische disziplinäre Abgrenzungen. Das Archiv stellt den Gegenstandsbereich, der aus diversen, auch unerwarteten, nicht zwingend primär literaturwissenschaftlichen Blickwinkeln adressiert, beforscht und genutzt wird. Im Zweifel orientiert man sich an einem für Veranstaltung gesetzten Oberthema oder einem verbindenden Motto (wie bei Coding Gender). Eine deckungsgleiche Anpassbarkeit an die traditionelle Binnenstrukturierung von Wissenschaftsdomänen wird dagegen nicht angestrebt, ist in vielen Fällen sogar gerade nicht gewünscht.

Im Fall des Fontane-Archivs wurden die Textkorpora zum Werk Theodor Fontane also nur als Beispielmaterial zu Erprobung unterschiedlicher Auseinandersetzungsformen mit solchen Daten benutzt. Im Ergebnis standen weniger neue Erkenntnisse zur Fontane-Forschung als zu digitalen Verfahren, die auch für die Fontane-Forschung bedeutsam sein können. Die Idee von Hackathons ist die aktive und offene Erprobung des Möglichen, zu der auch das Scheitern und Lernen aus diesem Scheitern gehören. Kurioserweise hält über solche Umwege eine Freiheit der Auseinandersetzung mit Forschungsmaterialien wieder Einzug, die in den eng gesetzten Arbeitsplänen drittmittelfinanzierter Projektforschung nur noch sehr begrenzt Raum findet.

Das hat auch wiederum Folgen für die Wissenschaft und ihr Selbstverständnis. Für einen Hackathon wie den des TFA.Lab sind die Korpora stärker exemplarisch als strukturierte Datafizierungen literarischer Werke als dass sie als Bezugsgegenstand einer unmittelbaren Fontane-Forschung mit konkreten Erkenntniszielen verarbeitet werden. Dies leitet auf eine Grundbedingung datenbasierter geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschung über: es gibt eine Fluidität zwischen zwei Ebenen. Auf der einen Seite steht eine Datenstruktur, die idealerweise standardisiert und als Linked-Open-Data offene Kontextualisierungen eröffnet und Verfahren wie eine Distant Reading ermöglicht. Auf der anderen die, wenn man so will, ästhetische zu rezipierende Ausprägung, die für die Nahlektüre, hermeneutische Auslegungen und natürlich auch den sinnlichen Werkgenuss essentiell ist. Abstrakt gesehen bedeutet digitale Wissenschaft eine genuin doppelte Sicht auf Forschungsobjekte. Wenigstens für die aktuelle Transformationsphase kollidiert diese Konsequenz oft mit traditionelleren Vorstellungen. Sie entspricht aber der spezifischen Medialität und dem Potential des Digitalen, also Datafizierung, Verknüpfung, Re-Visualisierung u.ä. Die Scholarly Makerspaces können und sollen durchaus ein Ort sein, um diese Spannung zwischen verschiedenen Formen der Auseinandersetzung mit Kulturobjekten und damit einhergehenden Deutungsansprüchen konstruktiv und verständnisorientiert zu verhandeln.

Neue Partner

Maxim Kupreyew von der BBAW ergänzte eine weitere, in klassischeren akademischen Kulturen vermutlich eher noch unerwartetere Kooperation. Für die Entwicklung des Computerspiels Assassin’s Creed Origins kooperierte die Produktionsfirma Ubisoft Entertainment SA mit Ägyptolog*innen im Rahmen einer so genannten Hieroglyphen-Initiative. Die Firma hatte die Ressourcen, um breit aufgestellt mit maschinellem Lernen eine Übersetzungswerkzeug für Hieroglyphen zu entwickeln.  Die technischen und inhaltliche Ergebnisse werden, so die Ankündigung, Open Source zur Verfügung gestellt. Kulturelle Ergebnisse dieser Kooperation sind neben einem authentischeren Spieleerlebnisse auf der Höhe der Ägyptologie auch eine Popularisierung des Thema Hieroglyphen und damit der Ägyptologie. Für die einschlägige digitale Forschung wird zudem eine Lösung zur semantischen Identifikation solcher Schriftzeichen entwickelt, für die in der akademischen Ägyptologie ohne eine solche Partnerschaft kaum adäquate Ressourcen in einem so kurzen Zeitraum bereitgestanden hätten. Durch die Kooperation wurden die Werkzeug- und Korpusentwicklung also entsprechend erheblich beschleunigt, wovon auch die Disziplin profitiert. Scholarly Makerspaces können an dieser Stelle als Showroom und Vernetzungsraum eine besondere Rolle spielen und vielleicht auch helfen, möglicherweise noch existierende Berührungsängste abzubauen. Wichtig ist aber sicher auch, dass sie die Frage spiegeln, was es eigentlich, auch für das Selbstverständnis von Wissenschaft, bedeutet, dass bestimmte Innovationen perspektivisch vermutlich nur in Partnerschaften mit außerakademischen, möglicherweise auch kommerziell orientierten Akteuren und mit entsprechend auch weniger wissenschaftlich ausgerichteten Zielstellungen realisiert werden können?

Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie andere Bereiche der Gesellschaft nähern sich sehr offensichtlich zumindest dort an, wo mit ähnlichen Werkzeugen und Apparaturen agiert wird. Das die Datenanalytik in Unternehmensberatungen ebenso, wenn auch mit anderen Erkenntniszielen, auf semantische Analysen und die Modellierung sowie Visualisierung von Netzwerken setzt, überrascht wenig. Unklar ist jedoch, wie sich solche Entwicklungen und die beispielsweise in den Digital Humanities zueinander verhalten können und sollen.

Abgesehen davon sind auch inner- bzw. interdisziplinär sind gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften enge Verschränkungseffekte zu beobachten und zu erwarten. Wo sich Materialformen und Verfahren ähneln, drängt es sich auf, weitere Entwicklungen im engen Austausch zu betreiben und möglicherweise bewusster als bisher nach Ähnlichkeiten zu suchen. Dass Scholarly Makerspaces eine Rolle im Feld der Wissenschaftskommunikation und dies auch im Sinne eines Public Understanding of Scholarhip spielen können, das vielleicht besser sogar um eine “Innovationskommunikation” erweitert werden muss, liegt nah.

Mit den Hackathons, an denen gerade nicht nur Fontane-Expert*innen oder Gender Scholars teilnehmen, zeigt sich ebenso eine deutliche Erweiterung des Kommunikationsradius wie mit Online-Wörterbüchern wie dem Coptic Dictionary. Je digitaler die Ergebnisse, Erkenntnisse, Fragestellungen und das Material einer Wissenschafts-Community vorliegen, desto größer ist auch ihr Potential, eine Wirkung außerhalb der eigenen Domänen zu entfalten. Ein Merkmal dieser Entwicklung ist eine Pluralität der Zugänge. Der Datenbestand des Coptic Dictionary wird beispielsweise über eine Online-Plattform für eine Nutzung im Browser bereitgestellt und zugleich als Rohdatensatz, mit dem andere Forschende direkt in eigenen Lösungen weiterarbeiten können oder mit dem beispielsweise Entwickler*innen neue Lösungen und Anwendungen erarbeiten können. Wo eine standardisierte Datengrundlage und eine entsprechende Offenheit (Schnittstellen, Lizenzen) gegeben ist, eröffnen sich potentiell unbegrenzt neue Zielgruppen, woraus sich zugleich besondere Anforderungen an die Beschreibungen, Metadaten und Dokumentationen ergeben. Diese müssen in solchen Szenarien auch eine allgemeinere Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit vorbereiten, woraus sich möglicherweise gleich ein neues bibliothekswissenschaftliches Zukunftsthema ergibt. Denn dass neben der bloße Bereitstellung über GitHub oder Zenodo besondere Aufbereitungen auch redaktioneller Art und möglicherweise eingängigerer Plattformstrukturen notwendig sind, liegt auf der Hand. Für die Transformationsphase hin zu einer allgemeinen Niedrigschwelligkeit der Zugänge, sind Scholarly Makerspaces, jedenfalls aus unserer Sicht, passende Moderations- und Vermittlungsorte. Interessanterweise sahen wir diese Rolle zu Beginn des Projektes weniger stark gewichtet und gingen von einer deutlich konservativeren Ausrichtung des Angebotes aus. Besonders die Interviews und Workshops haben die Perspektive aber deutlich in diese Richtung erweitert. Sie spiegeln zugleich etwas, was an vielen Stellen in der Luft liegt.

Mit den Scholarly Makerspaces ergibt sich ein Vermittlungsort für die digitale Auseinandersetzung mit Kulturdaten und zwar sowohl für Lehre und Forschung als auch für die Schnittstelle, über die eine Vernetzung mit außerakademischen Akteuren erreicht wird, insbesondere auch hinsichtlich der Entwicklung von Werkzeugen, Algorithmen und Darstellungsmodi (Stichwort: Appifizierung).

Ausblick

Die Entwicklung und geplante Implementierung von Scholarly Makerspaces erfordert naturgemäß zugleich immer eine Balance zwischen dem Wünschbaren und dem Realisierbaren. Dies stellt sich lokal jeweils unterschiedlich dar. Im Zweifel muss man aber mit weniger Ressourcen rechnen und von einer stärkeren Zurückhaltung der Trägerinstitution ausgehen, als man es mit dem Schwung konstruktiver Workshop-Diskussionen gerne hätte. Die Scholarly Makerspaces als Produkt sind daher möglichst generisch und überschaubar zu denken. Der Baustein der Community-Entwicklung und -pflege ist ebenfalls von den lokalen Bedingungen abhängig und wird sich hinsichtlich des Potentials vermutlich erst während der ersten Betriebsphasen belastbar abschätzen lassen

Das stabile Basisprofil umfasst zwei Komponenten: Einerseits die Sammlung, Kuratierung, Bereitstellung und Erklärung von Anwendungen und Lösungen für die digitale Arbeit in den Geistes- und Kulturwissenschaften, also Werkzeuge (auf Workstations), beforschbare digitale Materialien, dokumentierte Workflows, Best-Practice-Use-Cases und ein Basiswissen sowie bei Bedarf Schulungen und Weiterbildungen. Der zweite Baustein liegt im Bereich der Beratung für den Einsatz digitaler Elemente in Lehre und Forschung sowie der Antragsplanung.

Ein Raum, Hardware, Software, eine Informationsplattform (Stichwort: Wissensmanagement) sind also die Grundelemente. Große Teile der Informationen können auch an zentral organisiert Stelle für mehrere Scholarly Makerspaces, beispielsweise in einer Art Verbund-Wiki oder auch einem anderen Wissensmanagementsystem gesammelt werden. Vor Ort kämen noch organisatorische Aufgaben (Betrieb, Veranstaltungen und Schulungen) sowie das Bedarfsmonitoring und die Erfahrungsdokumentation dazu. Dies würde einen Grundbetrieb (ausgenommen die Frage der Aufsicht) mit vergleichsweise überschaubaren Betreuungskapazitäten zum Beispiel durch eine/n DH-Librarian ermöglichen.

Dieses Basisausstattung setzte zugleich voraus, dass entweder über Projekte oder auch über eine höhere Dauerausstattung regelmäßig und begleitend ein Trendmonitoring, eine auch redaktionelle Materialaufbereitung, der Aufbau und die Pflege des Expert*innen-Netzwerks (Ansprechpartner*innen für spezifischere Fälle) sowie die Entwicklung von Kommunikationsstrategien abgesichert werden. Darin eingeschlossen wären ein Branding und die Leitbildentwicklung sowie das Erfassen und Adressieren von unterschiedlichen Anforderungs- und Erwartungsstufen mit ein.

Das tatsächliche Innovationspotential der Scholarly Makerspaces zeigt sich jedoch dort, wo sie über eine Ausrichtung eines Beratungs- und Supportdienstes hinausgehen, wie man ihn in vielen Einrichtungen von der Open-Access-Publikationsberatung und dem Forschungsdatenmanagements kennt. Als Prozessbegleiter (Facilitator) und -beschleuniger (Incubator), zugleich als Ort auch des institutionellen Lernens eröffnen die Scholarly Makerspaces buchstäblich einen Entfaltungsraum für den digitalen Kulturwandel in der Wissenschaft und mittelbar auch darüber hinaus. Sie sind damit mehr als ein zusätzlich Menüpunkt im Serviceprofil der Einrichtung, denn sie ermöglichen unterschiedlichen Communities und den angeschlossenen Einrichtungen die Möglichkeit, sich aktiv und kollaborativ in die digitalen Transformation von Wissenschaft, Wissensarbeit und Wissenskulturen einzubringen und sie damit wirksam mitzugestalten.

(Berlin, 20.11.2019)