Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)
Die Scholarly Makerspaces, die im Rahmen des FuReSH-Projektes noch bis Ende des Jahres konzeptionalisiert werden, stehen zunächst erwartbar vor allem als bibliothekswissenschaftliche Idee im Raum, auch wenn bestimmte Varianten von Library Labs stellenweise in diese Richtung weisen. Besonders interessant wird es daher zum aktuellen frühen Zeitpunkt der konzeptionellen Verfestigung, wenn an anderer Stelle entsprechende Überlegungen sichtbar werden. Eine Fundstelle, die uns bislang leider entgangen war, lässt sich in der unter dem Titel “Bibliotheksentwicklung im Netzwerk von Menschen, Informationstechnologie und Nachhaltigkeit” erschienenen Festschrift für Achim Oßwald (herausgegeben von Simone Fühles-Ubach und Ursula Georgy, Bad Honnef: BOCK + HERCHEN, 2019, PDF-Volltext) finden.
In seinen Beitrag “Bildung in den Zeiten der Digitalisierung und der Auftrag der wissenschaftlichen Bibliotheken” (S. 73-86) erwähnt Joachim Metzner den Begriff der “Scholarly Makerspaces”. Er übernimmt ihn aus der Perspektive “Wissenschaftliche Bibliotheken 2025” der Sektion 4 „Wissenschaftliche Universalbibliotheken“ im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv), die im Januar 2018 veröffentlicht wurde. (PDF-Volltext)
Joachim Metzner zieht eine Linie von dem im Perspektivpapier formulierten Szenario der Scholarly Makerspaces als
“physische und virtuelle Arbeits- und Forschungsumgebungen in Bibliotheken, die digitale Ressourcen und Werkzeuge – auch von Anbietern außerhalb des Campus – zusammenführen und zur Verfügung stellen.”
Deutscher Bibliotheksverband e.V. (dbv): Wissenschaftliche Bibliotheken 2025. Berlin: Januar, 2018. Zitat: S. 21
Es kommt also eine betont explorative und von der Idee der Makerspaces im öffentlichen Bibliothekswesen inspirierte Idee zum Ausdruck. Diese enthält eine nicht zwingend zielgebundene und zugleich sehr heterogene Auseinandersetzungsmöglichkeit mit digitalen Technologien, Strukturen und Werkzeugen. Für die Scholarly Makerspaces sind sie, die Benennung deutet es an, hauptsächlich im Zusammenhang der digitalen Geisteswissenschaften zu sehen. In ihnen sollen vor dem Horizont wissenschaftlicher Erkenntnissuche Neugier, Reflexion, durchaus auch Kritik angeregt werden und zu einem bewussteren und kompetenteren Umgang mit den Elementen der jeweils aktuellen digitalen Wissenschaft, Forschung und Lehre führen. Diese betonte Zieloffenheit und die Integration einer reflexiven Meta- und Diskursebene unterscheidet Scholarly Makerspaces von den in der 2000er Jahren stark popularisierten so genannten “virtuellen Forschungsumgebungen”.
Entsprechend bewegt sich das Konzept der Scholarly Makerspaces in etwa auf halbem Weg zwischen den Vorarbeiten aus der Entwicklung dieser virtuellen Forschungsumgebungen (oder auch VFU) und einer aktuellen Forderung des Hochschulforums Digitalisierung, die in einem Dossier “Zukunftsfähigkeit Studierender für die digitale Transformation stärken!” von Kerstin Mayrberger und Ingrid Schirmer formuliert und von Joachim Metzner zitiert wurde. Die Autorin sehen den Bedarf für
“Reflexionsräume zur Erprobung und Auseinandersetzung anzubieten, die sie auf ein Handeln mit Unbestimmtheiten in einer digitalen Kultur vorbereiten”.
Kerstin Mayrberger, Ingrid Schirmer: Die Zukunftsfähigkeit Studierender für die digitale Transformation stärken! In: Synergie. 5, S. 28-33. https://www.synergie.uni- hamburg.de/de/media/ausgabe05/synergie05-beitrag04-mayrberger-schirmer.pdf
Scholarly Makerspaces engen dies wiederum ein Stück weit ein, in dem sie sich, wenn man so will, auf das Handeln in den Unbestimmtheiten einer digitalen Wissenschaftskultur und vor allem Forschungs- und Kommunikationspraxis konzentrieren. Da sich aber die Datafizierung der Gesellschaft unvermeidlich dahingehend niederschlägt, dass sich Verfahren – leider aktuell oft noch im Gegensatz zu den Werkzeugen – der Datenanalytik beispielsweise, in Wirschaft, Journalismus und Geistes- und Kulturwissenschaften annähern, sind Scholarly Makerspaces ohne Zweifel geeignet, digitale Kompetenzen auch über den akademischen Bereich hinaus zu vermitteln.
Der wissenschaftliche Zuschnitt der Scholarly Makerspaces ergibt sich vor allem aus der Notwendigkeit, den Ansatz für in der Komplexität des Angebots möglichst konkret an einen festen Anwendungszusammenhang rückbinden zu müssen, also in diesem Fall an Forschung und Lehre im Einzugsgebiet einer Universitätsbibliothek. Dies erscheint auch aus den Erfahrungen und Auseinandersetzungen bei der Konzeptentwicklung während des FuReSH-Projektes sehr sinnvoll. Parallel sind jedoch im Grundlayout Scholarly Makerspaces Schnittstellen zu digitalen Wissenskulturen und eventuellen Labs auch außerhalb der Wissenschaft unbedingt vorzusehen. Über diese wird ein Austausch mit der Bandbreite der Akteure im Bereich der digital geprägten Erkenntnis- und Wissensproduktion möglich, ohne die Kapazitäten und auch das Leitbild einer Universitätsbibliothek sofort zu sprengen. Ebenfalls im Grundlayout wird eine iterative Weiterentwickelbarkeit angelegt, die es ermöglicht den Zuschnitt des Angebots der Scholarly Makerspaces leicht an kommende, auch dezidiert Domänen übergreifende Entwicklungen anzupassen.
Daher bewegen sich die Überlegungen des FuReSH-Konzeptes der Scholarly Makerspaces durchaus auf der Linie, die Joachim Metz in seinem Beitrag für den Ansatz umreißt:
“Das Konzept könnte sich so weiterentwickeln lassen, dass solche Workspaces reale oder virtuelle Räume für Bildung im digitalen Zeitalter werden – zumal sie immer häufiger in wissenschaftlichen Bibliotheken angesiedelt oder von dort aus betrieben werden. Bezöge sich das Ausprobieren und Umfunktionieren, das dort ermöglicht wird und gewollt ist, auch auf Software, stünden die geforderten Werkzeuge mit offenen Programmierschnittstellen zur Verfügung, dann wäre die wissenschaftliche Bibliothek genau der richtige Ort, um zumindest jene „potenzielle[n] Reflexionsräume zur Erprobung und Auseinandersetzung anzubieten, die sie [die Studierenden] auf ein Handeln mit Unbestimmtheiten in einer digitalen Kultur vorbereiten.“
Joachim Metzner: Bildung in den Zeiten der Digitalisierung und der Auftrag der wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Simone Fühles-Ubach, Ursula Georgy (Hrsg.): Bibliotheksentwicklung im Netzwerk von Menschen, Informationstechnologie und Nachhaltigkeit : Festschrift für Achim Oßwald. Bad Honnef: Bock + Herchen, 2019. S. 73-86 Zitat: S. 79
Und zwar eben in der oben beschriebenen Weise. Gleich im nächsten Satz benennt er aber auch ein Herausforderung, die wir bei FuReSH zunächst weitgehend exkludieren konnten, die sich aber bei einer möglichen Realisierung des Ansatzes als entscheidend erweisen wird:
“Es ist nicht leicht, sich ausgerechnet die wissenschaftliche Bibliothek als den Ort vorzustellen, an dem die Auseinandersetzung mit dem Unbestimmten stattfindet, wird sie doch auch heute noch überwiegend als Hort der Ordnung verstanden.”
ebd.
Experimentelle und das Experimentieren unterstützende Angebote wie Scholarly Makerspaces benötigen einen Kulturwandel nicht mehr in allen, aber doch in vielen Bibliotheken und besonders auch bei deren Trägern. Sie werden nur eingeschränkt vorhersagbare und konkretisierbare Ergebnisse produzieren, können aber genau deshalb aus ihrem Freiraum her zu emergenten Resultaten führen, die man so gar nicht erwartet hat oder erwarten konnte. Scholarly Makerspaces entsprechen in dieser Hinsicht einer, wie wir heute wissen, Grundeigenschaft digitaler Kultur. Damit sie erfolgreich sein können, braucht es keine exakten Zielvorgaben sondern Vertrauen, wenn man so will, Commitment sowie einen stabilen Rahmen für Ausstattung, Betreuung und Moderation, der sich auch in Dauerstellen niederschlagen muss. Dies kann für die Personalentwicklung in den Bibliotheken also auch bedeuten, dass Anteile aus der traditionellen Arbeit aus dem “Hort des Ordnens” auf das offene Feld des freien Spiels übertragen werden.
(Berlin, 25.09.2019)