Hintergrund und Entstehung
Dieser Blog ist das Ergebnis eines Seminars im Format des Forschenden Lernens am Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung der Humboldt Universität im Wintersemester 2020/2021. Gefördert wurde das Seminar vom Bologna Lab und war Teil des dort angesiedelten Q-Team-Programmes. Unter dem Titel „Wohnungssuche auf dem Berliner Mietmarkt“ und Anleitung von Lisa Jöris haben wir Interviews mit Berliner Mieter*innen durchgeführt und sie zu ihrer persönlichen Erfahrung bei der Suche nach Mietwohnraum in Berlin befragt. Dadurch entstanden Zeugnisse aus unterschiedlichen Bezirken und Epochen. Auf diesem Blog möchten wir unsere Ergebnisse aus diesen (anonymisierten) Interviews nun teilen. Alle Fotos wurden von Valeria Farina gemacht. Viel Spaß beim Stöbern!
Einführung in unser Projekt
Rahmen des Projekts
Wir, das heißt eine Gruppe von Studierenden der Humboldt-Universität aus allen möglichen Forschungsfeldern, haben es uns mit diesem Blog zur Aufgabe gemacht, einige Erfahrungsberichte zu sammeln, die die Wohnungssuche auf dem Berliner Mietmarkt zusammentragen. Seit Mitte November recherchieren wir die trockenen Zahlen (von Mietspiegel, bis hin zu Zu- und Abwanderungen aus den verschiedenen Bezirken) und bereiten uns darauf vor, hier eine allgemeine Übersicht über den Tonus in der Hauptstadt zu verfassen. Wir haben uns in das ethnographische Arbeiten eingelesen, uns unter Pandemiebedingungen Interviewpartner*innen gesucht und letztendlich unsere Ergebnisse, die glücklicherweise eine ganze Palette in Berlin abdecken, zusammengetragen. Wie schwer war und ist es in Berlin eine Mietwohnung zu finden? Welche Hürden stellen sich den Suchenden in den Weg? Wie wird die Suche im Allgemeinen wahrgenommen? All diese Fragen (und noch viele mehr) haben wir uns gestellt und versucht, ihnen mit unseren Interviews auf den Grund zu gehen.
Dieses Potpourri aus Erfahrungsberichten stellt sich also zusammen aus Erzählungen von rund 20 Menschen, die in Berlin wohnen und wohnten. Was wir an dieser Stelle anmerken müssen, ist, dass wir vorrangig Interviewpartner*innen aus unserem näheren Umfeld für diese Studien ausgewählt haben. Einerseits wäre es in der aktuellen Lage (wir befinden uns inmitten eines Shutdowns am Anfang des Jahres 2021) schwer möglich gewesen, einfach so jemanden auf der Straße anzusprechen, andererseits haben wir uns etwas mehr Offenheit von Menschen erhofft, die uns näher stehen. Was daraus jedoch abzuleiten ist, ist ein ungleiches Stimmungsbild innerhalb des Berliner Mietmarkts. Wir sind, mehr oder weniger junge, Student*innen, die vorrangig mit anderen Student*innen, Familienmitgliedern oder gleichaltrigen Freund*innen in Kontakt stehen. Das solltet ihr beim Lesen im Hinterkopf behalten.
Dementsprechend ist unser Blog nicht unbedingt mit ethnographischen Studien gleichzusetzen, sondern als kleines Extra und interessante Ergänzung zu eventuell folgenden Fallbeispielen. Uns ist und war es wichtig, ein Stimmungsbild zu schaffen, einen Überblick über die vorherrschende Situation der letzten Jahre und Jahrzehnte. Der älteste Erfahrungsbericht reicht tatsächlich bis zurück ins Jahr 1989; die letzte Suche hat im Jahr 2020 stattgefunden.
Entwicklung Wohnungsmarkt
Die Situation, dass Wohnungen in Berlin knapp sind und die Wohnungssuche mehr einem Glücksspiel denn einer realistischen Chance gleicht, war nicht immer so. Im Jahr 1990 hatte Berlin eine Bevölkerung von rund 3,43 Millionen, welche bis zum Jahr 2000 auf rund 3,38 Millionen sank. Der Wohnungsbestand lag 1991 bei rund 1,7 Millionen Wohnungen, welcher bis 2000 auf rund 1,86 Millionen stieg, was einem Plus von rund 8,5% entspricht. Somit wurde in diesem Zeitraum bei sinkender Bevölkerung durch den Neubau von Wohnungen der Wohnungsmarkt erheblich entlastet, was dazu führte, dass im Jahr 2001 der Leerstand von Wohnungen bei gut 5% lag (Statista, 2021). Der höchste Stand von leeren Wohnungen wurde im Jahr 2003 mit 5,1% erreicht (Statista, 2021). Seit diesem Zeitpunkt sinkt dieser Wert konstant und erreichte im Jahr 2018 mit 0,8% seinen bis heute gültigen Tiefstand (Statista, 2021). Die Einwohner*innenzahl von Berlin sank, bis auf geringes Wachstum in den Jahren 2002 und 2003, zwischen 1990 und 2004 um rund 40 000 Personen auf rund 3 387 000 (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg). Seit 2005 gibt es einen konstanten Zuwachs der Bevölkerung, welcher in einzelnen Jahren teilweise bei 50 000 Personen lag (2014), sodass die Bevölkerung seit 2005 um über 250 000 Personen auf knapp 3,67 Millionen Menschen im Jahr 2019 angewachsen ist (Statista, 2020). Die Anzahl der Wohnungen und der Wohnungsneubau konnten mit diesem starken Bevölkerungswachstum nicht mithalten. So entstanden zwischen 2011 und 2015 lediglich rund 50.000 neue Wohneinheiten (Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030, 2020). Zudem wohnen immer mehr Menschen in Single-Haushalten und benötigen mehr Platz als Familien, was zu einer weiteren Anspannung des Wohnungsmarktes führt. Diese Anspannung des Wohnungsmarktes mit großer Nachfrage und geringem Angebot führt zu steigenden Mietpreisen. Gemäß dem Wohnungsmarktbericht des Berliner Senats aus dem Jahr 2002 lagen Anfang der 1990er-Jahre die Durchschnittsmieten im Ostteil bei rund 2,12 Euro und im Westteil von Berlin bei 3,89 Euro pro Quadratmeter. 2019 lag der durchschnittliche Mietpreis je Quadratmeter berlinweit bei 12,45 Euro und ein Jahr später bereits bei 13,68 Euro (Mietspiegel Berlin, 2021). Somit ist nicht nur die Verfügbarkeit von Wohnraum in Berlin ein sehr großes Problem, sondern auch die Mietpreise, welche stetig steigen. Um dem entgegenzuwirken, hat der Berliner Senat den sogenannten „Mietendeckel“ eingeführt, womit Mietpreissteigerungen begrenzt und Mietpreise gesenkt und besser reguliert werden sollen. Dieser ergänzt das stadtpolitische Instrument der sozialen Erhaltungsverordnung, das seit 2010 vermehrt eingesetzt wird. Ob das Gesetz der gedeckelten Mieten jedoch verfassungsgemäß ist, soll im zweiten Quartal 2021 entschieden werden.
Wie sind wir vorgegangen?
Unser Ziel ist es, mithilfe von Interviews die Erfahrungen verschiedener Personen, die in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren eine Wohnung in Berlin gesucht und gefunden haben, zu erfassen. Hierfür hat sich jede*r eine Fallstudie ausgesucht und zunächst Literaturrecherche zu den Wohnungsmarktbedingungen zur jeweiligen Zeit betrieben. Im nächsten Schritt ging es um die konkrete Ausarbeitung der Fragen, „wann, wie und wo“ wir das Interview durchführen wollen, sowie um die passende Interviewform, um sicher zu gehen, auch alle nötigen Informationen zu unserem Forschungsgegenstand gewinnen zu können. Nach Durchführung der Interviews folgte die Auswertung der gewonnen Daten sowie deren Verschriftlichung. Zuletzt ging es dann darum, einen Beitrag unserer Fallstudie für unseren HU-Blog zu verfassen, der sowohl die individuellen Erfahrungen unserer Interviewpartner*innen als auch die Ergebnisse unserer Literaturrecherche widerspiegelt.
Gentrifizierung
Die Wohnungspolitik des Berliner Senats der 1990er Jahre war durch massive Neubautätigkeiten und einer Liberalisierung des Wohnungsmarktes geprägt, was u.a. die Privatisierung eines großen Teils des Wohnungsbestandes der kommunalen Wohnungsunternehmen nach sich zog (Oellerich, 2009: 4ff). Zudem wurde das Wohnungswesen erheblich vom Land subventioniert (Schnur, o.D.: 3). Der neoliberale Kurs setzte sich auch zur Jahrtausendwende fort, was weitere Verkäufe landeseigener Wohnungsbestände an Finanzinvestor*innen gleichkam (Oellerich, 2009: 7f). Sozialer Wohnungsbau fand trotz steigender Einwohner*innenzahlen, einer Zunahme an Haushalten und einer somit steigenden Nachfrage, nicht statt. Seit der Finanzkrise 2008 sind die Mietpreise in eine Aufwärtsspirale geraten, da Investor*innen die Liebe zum „Betongold“ wiederentdeckt haben, gekoppelt an Renditeansprüche, die Immobilien zu substanziellen Finanzprodukten haben werden lassen (Heeg, 2013: 86ff). Die Folge sind Gentrifizierungsprozesse, die sich mittlerweile auf das gesamte Stadtgebiet ausgebreitet haben. Gentrifizierung wird schon in der Ursprungsdefinition von Ruth Glass aus dem Jahr 1964 als ein „Verdrängungsprozess, im Rahmen dessen statushohe Bevölkerungsgruppen statusniedrige Bevölkerungsgruppen verdrängen und es dabei zu Aufwertungen im Gebäudebestand führt“ (Helbrecht, 2016: 11) verstanden. Berlin gilt als Hauptstadt der Gentrifizierung, da nirgends in Deutschland die Mieten prozentual so stark gestiegen sind. Ursache sind nicht nur marktwirtschaftliche Prozesse von Angebot, Nachfrage und Preisbildung, sondern auch politische (Fehl-)Entscheidungen, die, durch den Abbau des sozialen Wohnungsbaus, die Rahmenbedingungen erst geschaffen haben (ebd.: 13).
Relevanz
Für diesen Blog haben wir uns zum Ziel gesetzt, einen Blick auf den Berliner Mietmarkt abseits der trockenen Zahlen und Fakten zu werfen und die Berliner Wohnungssuchenden via geführter Interviews selbst sprechen zu lassen. Insgesamt wurden 17 qualitative Interviews mit Erfahrungen aus über 30 Jahren Wohnungssuche in der Hauptstadt zusammengetragen.
Zum aktuellen Zeitpunkt ist dies der erste Bericht, der versucht, den Berliner Wohnungsmarkt aus ethnografischer Perspektive zu beleuchten und die Veränderungen und Entwicklungen in der Erfahrung der Wohnungssuche in Berlin in einem Zeitraum von kurz vor der Wende 1989 bis ins Jahr 2020 abzubilden. Über die zeitliche Perspektive hinweg werden Themen wie Gentrifizierung, steigende Mietpreise, Verknappung des Angebotes und die insgesamt zunehmend erschwerte Suche angesprochen. Dabei möchten wir mit unserem Blog keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern lediglich 20 persönliche Eindrücke aus verschiedenen Jahren und Bezirken schildern.
Für die Zukunft erhoffen wir uns, dass weitere Studien zum persönlichen Erleben der Wohnungssuche auf dem Berliner Mietmarkt entstehen, an denen sich sowohl Forscher*innen, Interessierte als auch Wohnungssuchende orientieren können.
Autor*innen Einleitung:
Kerstin Ekwenugo, Anneke Lipinski, Mona Schäfer, Kenny Schillack, Luka Wilke, Valeria Farina
Fazit
Auch wenn schon vor über 20 Jahren die Wohnungssuche teilweise als ‘anstrengend’ galt, ist anhand unserer Interviews deutlich zu erkennen, dass sich die Erfahrungen der Zeitzeug*innen in späteren Jahren zum Negativen entwickelten. Durch die höhere Leerstandsquote gab es auch mehr Auswahl bei der Wohnungssuche. Das erfolgreiche Finden einer Wohnung war oftmals mit Existenzängsten, einer Makler*in, Bekanntschaften, und viel Geduld verbunden. Vor 2010 war es öfter der Fall, dass die Interviewpartner*innen schon bevor sie eine neue Wohnung gefunden hatten, die vorherige Wohnung kündigten. Dies ist, unseren Interviews zufolge, heute nicht mehr möglich.
In den letzten Jahren fanden die Interviewpartner*innen teilweise Wohnungen, die ihren Ansprüchen vollkommen entsprachen; andererseits gab es auch einige Zeitzeug*innen, die nur Wohnungen über dem eigenen Budget fanden oder, die eine Wohnung fanden, die letztendlich nur ein Mittel zum Zweck war, und die Personen dadurch nicht so zufrieden stellten, wie beispielsweise Mieter*innen in früheren Jahren.
Obwohl es schwer ist, Aussagen für die Allgemeinheit zu treffen, lässt sich festhalten, dass Glück stets ein enorm wichtiger und entscheidender Faktor ist. Denn einige Komponenten können letztlich nicht beeinflusst werden und es ist nötig, “zur richtigen Zeit am richtigen Ort” zu sein; oder eben ein geeignetes Inserat zu finden, die eigene Bewerbung muss berücksichtigt werden und am Ende muss man sich gegen die anderen Bewerber durchzusetzen bzw. ausgelost werden.
Natürlich spielen noch viele weitere Faktoren eine bedeutende Rolle bei der Wohnungssuche. Beispielsweise erhöhen sich die Chancen, wenn ein großes Kontaktnetzwerk besteht, dass bei einer Vermittlung behilflich sein kann. Ebenso kann Zeit sowohl limitierend als auch begünstigend sein. Je mehr Zeit für die Suche einer Wohnung aufgebracht werden kann, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, etwas Passendes zu finden.
In unserem Seminarprojekt ist grundsätzlich ein Trend in der Entwicklung des Berliner Wohnungsmarktes zu erkennen. Im Laufe der Zeit spitzt sich die Lage in Berlin immer weiter zu. Die Mieten steigen jedes Jahr um ein Neues und durch den großen Zuzug wird das Angebot immer geringer, während die Nachfrage stetig steigt.
Gerade in den Bezirken, welche von der Gentrifizierung besonders stark beeinflusst werden, kann man diesen Trend beobachten aber auch in den restlichen Bezirken ist dies zu erkennen, wenn auch nicht ganz so extrem ausgeprägt. Durch den immer teurer werdenden Wohnraum lässt sich auch erkennen, wie mit ihm die Anforderungen der Wohnungssuchenden immer weiter sinken.
Durch die geführten Interviews konnten wir einen interessanten Einblick in die Entwicklung des Berliner Wohnungsmarkts erhalten, dennoch gibt es Kritikpunkte an der gewählten Methode sowie der konkreten Ausführung dieser. Dadurch, dass unsere Interviewpartner*innen nicht zufällig ausgewählt wurden, sondern in der Regel zu unserem jeweiligen Freundes- und Bekanntenkreis gehört haben und zudem die Anzahl an geführten Interviews bei nur 17 lag, können anhand unserer Arbeit keine repräsentativen Aussagen über den gesamten Berliner Wohnungsmarkt getroffen werden. Vielmehr gibt sie einen Einblick in die Erfahrungen einzelner Personen und dient dementsprechend mehr als ein Beispiel dafür, wie ethnographische Methoden Einzug in die Housing-Studies haben können. Die Validität der dargestellten Ergebnisse ist somit auch nur in Bezug auf das Forschungsvorhaben zu verstehen. Des Weiteren führte unter anderem die immer noch anhaltende Corona Pandemie zu Einschränkungen bezüglich der Möglichkeiten der Interviewführung sowie in den Durchführungen dessen. So kam es bei verschiedenen Interviews zu technischen Problemen oder Ähnlichem. Auch die methodologische Literatur war im Hinblick auf das Forschungsthema nur sehr gering vorhanden. Des Weiteren waren theoretische Konzeptionen in Bezug auf die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht für alle Jahre und alle Ortsteile in einem ausreichenden Umfang gegeben. So konnten sich zwar Blogeinträge zu jüngeren Zeiträumen auf die IBB Wohnungsmarktberichte stützen, fanden aber sonst zum Teil nur wenig Literatur, welche sich explizit mit der Mietmarktentwicklung in dem jeweiligen Gebiet auseinandersetzte.
Nichtsdestotrotz zeigt dieses Forschungsprojekt nicht nur die Möglichkeiten der Ethnographie, sondern öffnet auch neue Ansätze für die Housing-Studies selbst. Durch Interviews können unter anderem spezifische Forschungsfragen beantwortet werden und so nach Vergleichen oder ähnlichem geschaut werden. Schließlich können ethnographische Beobachtungen sowie Teilnahmen (vgl. Hitzler; Honer) dazu beitragen, einen tieferen Einblick in die lebensweltlichen Erfahrungen von Suchenden zu bekommen.
Weitere qualitative sozialwissenschaftliche Studien würden außerdem eine Kontextualisierung der Lebenslagen der Wohnungssuchenden ermöglichen – die Berücksichtigung der individuellen Vernetzung in Berlin, sowie des sozialen Kapitals ist sehr wichtig bei der Wohnungsmarktforschung. Außerdem wären weitere statistische Daten für jeweilige Forschungsfragen nützlich.
Autor*innen Fazit:
Elena Borsellino, Michael Thiedemann, Charlotte Händler, Lena Slobodian, Luis Zappe und Joshua Dowerg