Philosophische Überlegungen zum Wert der Natur

Ein Blogeintrag zu der Vorlesung von Kirsten Meyer

Die Bechsteinfledermaus verhindert den Bau von Windparks. Sie gilt als Verantwortungsart und steht deshalb unter Naturschutz. Gleichzeitig ist der Ausbau von Windkraftanlagen elementar für den Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung. Was also tun, wenn sich Arten- und Umweltschutz als falsche Freunde entpuppen?

Die den Tierschutz legitimierende ethische Position folgt der Prämisse, Tiere hätten einen moralischen Status. Ferner gilt es, das Leiden der Tiere moralisch zu berücksichtigen. Sie dürfen folglich nicht sinnlos gequält werden.

Peter Singer und andere Anhänger des utilitaristischen Ansatzes schlagen das Prinzip der unparteiischen Interessenabwägung vor. Das utilitaristische Postulat, der Mehrung allen Glücks und Minderung allen Leids, dürfe nicht durch eine speziesistische Perspektive verletzt werden. Die Garantie auf unveräußerliche Rechte muss folglich von Menschen auf Tiere ausgedehnt werden. Wenn also das Nettoglück aller Wesen das höchste Gut ist, folgt dann daraus, man müsse eine Antilope vor dem Angriff einer Löwin schützen, um dieser dann ein weniger leidverursachendes Mahl vorzusetzen? Ist das moderner Tierschutz? Zur Rechtfertigung industrieller Fleischproduktion reichen diese Fragen natürlich nicht, denn hier wird der Genuss des Einen gegen das Leben des Anderen abgewogen, aber zumindest scheint es Situationen zu geben, die den Tod mit dem Argument der Natürlichkeit in Kauf nehmen.

Inwiefern kann man aber den Maßstab der Natürlichkeit an den Menschen anlegen, ohne dass dieser zum zynischen Freifahrtschein für jegliches moralisch verwerfliche Handeln wird? Überlegungen hinsichtlich der Duldung menschlicher Opfer zum Schutz auch tausender (Säuge-)Tiere gelten im gesellschaftlichen Diskurs als Tabu. Entscheidend seien die verlorengehenden potentiellen Möglichkeiten, meint Tom Regan, die bei einem Tier im Normalfall niedriger sind als bei einem gesunden Menschen.

Der US-amerikanische Philosoph Carl Cohen argumentiert sehr klar, der Rechtsbegriff sei nur auf Menschen anwendbar. Schließlich kann nur durch die Beschränkung auf eine Gruppe von Wesen, die in der Lage sind, moralische Überlegungen anzustellen, eine plausible Position hergestellt werden. Ein Tier ist nun mal nicht in der Lage, seinen Rechtsanspruch einzufordern. Angewendet auf beispielsweise Kleinkinder führt auch dieser Ansatz ins Absurde.

Beim Artenschutz hingegen geht es nicht um das Leid eines fühlenden Wesens, sondern um die Störung resilienter Ökosystemzustände sowie den Erhalt der genetischen Vielfalt. In Bezug auf diese wird oft vom intrinsischen Wert ganzer Arten gesprochen. Es sei „an sich” gut, wenn es eine Art gibt und „an sich” schlecht, wenn sie ausstirbt. Der Umweltphilosoph J. Baird Callicott bietet hierzu eine subjektivistische Betrachtungsweise: kein Wert ohne Wertschätzer. Dabei ist nicht die Rede vom instrumentellen Wert für uns oder ein Ökosystem, sondern vom intrinsischen Wert – die Achtung vor jeder Art wegen dessen bloßer Angehörigkeit zu unserer biologischen Gemeinschaft, selbst wenn die Quelle des Werts beim Betrachter liegt. Demgegenüber steht wiederum die Überlegung von Tom Regan, der argumentiert, jedem kommt die Rolle des Subjekts seines eigenen Lebens zu, unabhängig davon, ob es von einem externen Wesen wahrgenommen wird. Der Wert ergibt sich also aus der (gegenseitigen) Anerkennung jeden Subjekts-eines-Lebens damit letztlich kollektiv für diese gesamte Art.

Was bedeuten diese Überlegungen für unseren Fall Bechsteinfledermaus versus Windrad? Was nun das höchste Gut ist, Umwelt-, Arten- oder Tierschutz vermögen diese Diskussionen nicht zu beantworten. Wahrscheinlich deshalb, weil ein Vergleich von Äpfel und Birnen zum Scheitern verurteilt ist. Die Anliegen bewegen sich auf unterschiedlichen Skalen, also müssen wir wohl oder übel jedes Mal mühselig abwägen und die globalen Vorhaben zum Schutz der lokalen modifizieren.

[Jannik Rade]

25. Juni 2015 | Veröffentlicht von nachhaltigkeitsbuero
Veröffentlicht unter Blog zu "Humboldts Fußabdruck"

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