„Es war einfach Glück und Zufall!“ – auf Wohnungssuche in Berlin Lichtenberg

Verfasst von Nadja Martin

Bis vor wenigen Jahren gehörte der Bezirk Berlin Lichtenberg zu den eher unattraktiven Stadtteilen Berlins und wurde besonders mit unschönen Plattenbausiedlungen assoziiert. Doch das Erscheinungsbild Lichtenbergs ist viel facettenreicher als viele Berliner annehmen: Neben der Plattenbausiedlungen sind in Alt-Lichtenberg Gründerzeitquartiere zu finden, in Karlshorst existieren noch heute Villenviertel und in Malchow sind weiterhin dörfliche Strukturen zu erkennen. Zudem bietet Lichtenberg eine Vielzahl an Grünflächen, die die Bevölkerung zu Naherholungserlebnissen einlädt (Berlin HYP & CBRE 2019). Durch vergleichsweise niedrige Mietpreise, gewinnt der Bezirk seit einigen Jahren zusehends an Beliebtheit bei der Berliner Bevölkerung, welche vermehrt in die verschiedenen Ortsteile Lichtenbergs zieht (ebenda). So ist ein Zuwachs von stolzen 15,5% zwischen den Jahren 2009 bis 2018 zu verzeichnen, was Lichtenberg nach dem Bezirk Mitte zu dem entwicklungsstärksten Stadtteil Berlins macht (IBB 2019). Die gute öffentliche Verkehrsanbindung an innerstädtische Bereiche stellt außerdem einen bedeutenden Förderfaktor dar. So vermuten Expert*innen mittlerweile besonders im mittleren Mietpreissegment (7,00 bis unter 10,00 EUR/m²) eine hohe Marktanspannung, die sich in den kommenden Jahren, ähnlich wie in den Bezirken Reinickendorf, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg, zusehends manifestieren wird. Zudem stellen die zahlreichen, bislang ungenutzten Brachflächen Lichtenbergs, die zumeist aus dem Ost-West-Konflikt Berlins resultieren, großes Potenzial für Wohnungsbauprojekte dar. So wird Lichtenberg zukünftig wichtiger Schauplatz stadtentwicklungspolitischer Entscheidungen werden, denn der Stadtentwicklungsplan des Berliner Senats listet bereits heute 32 Standorte in Lichtenberg auf, an denen in den nächsten sieben Jahren bis zu 36.000 Wohnungen entstehen könnten (Berlin HYP & CBRE 2019).


Doch welche Auswirkungen hat dieser Bevölkerungszuwachs wirklich auf eine derzeitige Wohnungssuche in Lichtenberg?

Auf Grund einer anstehenden WG-Auflösung und dem Wunsch mit dem Partner in die erste gemeinsame Wohnung zu ziehen, begab sich meine Interviewpartnerin Simone* im Oktober 2019 auf Wohnungssuche. Simone, die vor sieben Jahren von Brandenburg nach Berlin gezogen ist, war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre jung und als Vollzeitstudentin an der Alice Salomon Hochschule eingeschrieben. Dort studierte sie Soziale Arbeit und verfolgte eine geringfügig vergütete Nebentätigkeit in der Neuen Chance Berlin in Neukölln – ein Verbund, der sich für betreutes Wohnen engagiert. Da Simone laut verschiedener Wohngenossenschaften kein anrechenbares Einkommen erzielte und zusätzlich für die Finanzierung ihres Studiums BAföG bezog, lösten bereits erste Gedanken bezüglich der Wohnungssuche Stressgefühle sowie Ängste bei Simone aus. Die Wohnungssuche wurde von vornherein als „recht aussichtslos“ empfunden, da sie und ihr Partner schon 2019 den Berliner Wohnungsmarkt als „sehr angespannt“ wahrnahmen. Auf Grund der Tatsache, dass Simone kaum eigenes Einkommen erwarb, einigte sich das Paar darauf, eine Kaltmiete von höchstens 600€ anzustreben. So sollte unter anderem sichergestellt werden, dass es bezüglich der Mietzahlungen zukünftig zu keinem Engpass kommen könne.

Zu Beginn der Wohnungssuche stellte das junge Paar schließlich ein paar Wunschkriterien hinsichtlich der Ausstattung ihres neuen Heims auf. Schnell wurde beiden klar, dass sie Annehmlichkeiten wie einen Balkon sowie eine Badewanne nicht missen möchten und die Wohnung, die als Zweierdomizil dienen sollte, nicht kleiner als 50m² groß sein dürfte. Beginnend suchten beide mit viel Motivation über bundesweite Portale, wie zum Beispiel Immobilienscout oder Immowelt, nach ihrem Traumobjekt. Die erste Resignation ließ jedoch nicht lange auf sich warten, da lediglich zwei Wohnungen in ganz Berlin auf ihre Wunschkriterien zutrafen. Somit sahen die beiden sich gezwungen, ihre Wünsche herunterzuschrauben und in anderen Bezirken zu suchen sowie im Notfall „das zu nehmen, was [sie] kriegen konnten“.
Neben des Mietpreises sowie der Ausstattung der Wohnung stellte die Wohnlage ein weiteres wichtiges Kriterium der beiden dar. Beiden Partnern war es von großer Wichtigkeit weiterhin unweit ihrer ursprünglichen Wohnorte Lichtenberg und Friedrichshain wohnen zu bleiben, was besonders auf freundschaftliche Beziehungen zurückzuführen war. Doch auch die zentrale Lage sowie eine gute Anbindung in die Stadt sowie zur Universität und der Arbeitsstelle waren für beide maßgebend. Der Bezirk Lichtenberg stellte somit einen persönlichen „Wunsch“ beider dar. Simone beschreibt sich rückblickend diesbezüglich flexibler als ihren Partner und hätte sich auch eine dezentralere Lage, wie zum Beispiel Biesdorf oder Kaulsdorf, gut vorstellen können. Natürlich gefiel auch ihr der Gedanke im beliebten Friedrichshain zu wohnen, jedoch sei dieser Bezirk für Simone „gerade unbezahlbar“. Ihr Partner hingegen empfand Lichtenberg oder Friedrichshain als essenzielle Wohnlagen.

Da die Wohnungssuche über Portale wie Immobilienscout erfolglos blieb, suchte das junge Paar von nun an über die Internetseite inberlinwohnen.de, auf der Wohnungsbaugesellschaften direkt ihre Angebote schalteten. Simone habe sich besonders über diese Website „ganz gut aufgestellt gefühlt und hab[e] dort regelmäßig reingeguckt“. Schließlich fixierte sich die Suche besonders auf die Wohngenossenschaft HOWOGE, die zu diesem Zeitpunkt „sehr viele Angebote geschalten [habe]“. Simone begrüßte zudem die Organisation der Besichtigungstermine über HOWOGE. Online war es ihr möglich, ihren Namen sowie ihre E-Mail-Adresse zu hinterlegen und somit einen Besichtigungstermin per E-Mail zugeschickt zu bekommen. Die Realität gestaltete sich jedoch komplizierter, da „alle Menschen, die sich [online] eingetragen haben, EINEN Besichtigungstermin bekommen [hätten]“ und diejenigen, „die am schnellsten auf ‚Teilnehmen‘ gedrückt haben, dann den [Termin] bekommen [hätten]“. Letztendlich empfand Simone diese Organisation doch als eher suboptimal.

Nach einer Suche von ungefähr zwei bis drei Monaten erhielt das Paar schließlich einen Besichtigungstermin in Alt-Friedrichsfelde im Weitlingkiez für eine „absolut bezahlbar[e]“ Wohnung. Die zu erbringende Kaltmiete sollte ungefähr 520€ für insgesamt 54m² Wohnraum betragen, ein Balkon war gegeben und auch die Lage stimmte für beide. Die besichtigte Wohnung löste bei Simone nicht sofortige Euphorie und Heimatgefühle aus, da zum einen keine Badewanne vorhanden war und zum anderen das Domizil sehr renovierungsbedürftig erschien. Dennoch hat das junge Paar die Wohnung „dann einfach genommen und [hat] versucht das beste daraus zu machen“. Sollte sich Simones finanzielle Situation verbessern, wurde ein erneuter Umzug von vornherein nicht ausgeschlossen. Trotz der nicht ganz zufriedenstellenden Wohnung, empfand Simone es als großes „Glück und Zufall, dass [sie] die erste Wohnung, die [sie] besichtigt habe, bekommen [hätten]“.

Im Februar 2020 bezog das Paar schließlich ihre neue Wohnung in ihrem Wunschbezirk Lichtenberg und auch die Einstellung zum neuen Heim änderte sich im Laufe der Zeit. Simone beschreibt ihre derzeitige Wohnsituation als „total“ zufriedenstellend, besonders weil die Wohnung eine für sie ideale Lage habe, günstig sei und sich die Miete durch den Mietendeckel noch einmal um 50€ verringert habe. Auch das Kiezgefühl und die Angebote in ihrer unmittelbaren Umgebung empfindet sie als befriedigend. Ihr Kiez käme ihr sehr familiär vor, was sich besonders in Zeiten der Covid-19 Pandemie bemerkbar gemacht hätte. Bäcker und Bars wurden mit To-Go-Angeboten tatkräftig unterstützt, sodass sich teilweise lange Schlangen vor den Läden bildeten und sich auf den Straßen viele Nachbar*innen versammelten. Diese Art von Zusammenhalt empfände sie besonders in solch schweren Zeiten als bemerkenswert. Zudem schätzt Simone die Ruhe in ihrem Viertel und nimmt den Weitlingkiez durch Autos als wenig befahren wahr. Ihrer Meinung nach „fühlt [es] sich [dort] nicht an wie [in] eine[r] Großstadt“, was sie sehr begrüße.
Einziges Manko, das Simone gerne betonen wolle, ist die Versorgung an Grünflächen, die sie zur Naherholung nutzen wollen würde. Sie habe sich den Kiez viel grüner vorgestellt und empfindet es „tatsächlich [als] echt schwierig [fußläufig] einen schönen Park zu finden“. Die meisten Grünanlagen würden sich zwischen Wohnanlagen befinden und seien für sie wenig attraktiv.

Auch für Simone machen sich bereits erste Veränderungen in Lichtenberg bemerkbar. Besonders ein politischer Wandel sei zu spüren, da es nun „bestimmte Rechts-Rock-Kneipen [gäbe], von denen [sie] auch [wisse]“. Zudem beobachte sie seit geraumer Zeit, dass viele Menschen nach Lichtenberg verdrängt werden, die eigentlich lieber im Stadtkern wohnen wollen würden, was Lichtenberg für sie zu einem Ausweichbezirk mache. Die Umstrukturierung sowie Bebauung vieler Brachflächen sei ihr ebenfalls negativ aufgefallen, da sie vermehrt Neubaukomplexe von der HOWOGE wahrnehme. Aus eigenem Interesse habe sie sich bei einem Neuvermietungsbüro Informationen eingeholt und musste enttäuscht feststellen, dass die Wohnungen „wirklich sehr sehr teuer“ waren. Zudem schloss das Neuvermietungsbüro nach wenigen Monaten, was für sie ein Anzeichen für den starken Zuzug Lichtenbergs darstelle. Nichtsdestotrotz wohne sie weiterhin gerne in ihrem Kiez.


Die (erfolgreiche) Wohnungssuche von Simone und ihrem Freund zeigt gut, dass Lichtenberg ein Bezirk ist, an dem sich der Wohnungsmarkt langsam anzuspannen beginnt. Das Paar musste ungefähr drei Monate nach einer neuen Bleibe Ausschau halten, was Simone als „voll angemessen“ wahrnehme, da andere Paare in Berlin teilweise mehrere Jahre suchen müssten. Der befürchtete Stress bezüglich des Umzugs sowie der Wohnungssuche bewahrheitete sich für sie zwar vollkommen, jedoch hätte sie sich die Wohnungssuche im Vorfeld viel „aussichtslos[er]“ ausgemalt. Zeitgleich wird dennoch ebenfalls gut ersichtlich, dass das Paar einige Abstriche an ihren Wünschen hinnehmen musste und schlussendlich auf eine Wohnung zurückgriff, die zumindest zu Beginn des Mietverhältnisses nicht wirklich ihren Vorstellungen entsprach. Auch in Simones Wahrnehmung machen sich die ausgeprägte Zuwanderung Lichtenbergs sowie eine bauliche Umstrukturierung stark bemerkbar, was sie derzeit jedoch noch nicht als kritisch wahrnehme. Außerdem hätte sie persönlich noch nicht das Gefühl, eine Verdrängung, wie zum Beispiel in Friedrichshain oder Kreuzberg, befürchten zu müssen. Dennoch geht Simone davon aus, sich Berlin bald nicht mehr leisten zu können, da die Mieten besonders in den letzten Jahren enorm gestiegen sind. Sie hoffe, ihre Wohnung erst einmal halten zu können.

*Name auf Grund von Datenschutz geändert

Literaturverzeichnis:


Berlin Hyp & CBRE (2019): Wohnmarktreport Berlin 2019. Im Internet: https://www.berlinhyp.de/de/media/newsroom/wohnmarktreport2019?file=files/media/corpor ate/newsroom/weiterepublikationen/de/2019/Wohnmarktreport_Berlin_2019.pdf (letzter Zugriff: 29.11.2020)

Bezirksamt Lichtenberg von Berlin (2020): https://www.berlin.de/ba-lichtenberg/ueber-den-bezirk/zahlen-und-fakten/#headline_1_7 (letzter Zugriff: 29.11.2020)

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Investitionsbank Berlin (2019): https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner-wohnungsmarkt/wohnungsmarktbericht/ibb_wohnungsmarktbericht_2019.pdf (letzter Zugriff: 29.11.2020)

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Investitionsbank Berlin (2020): https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner-wohnungsmarkt/wohnungsbarometer/ibb_wohnungsmarktbarometer_2020.pdf (letzter Zugriff: 24.01.2021)

Simone* persönlich geführtes Interview, Berlin, 16.01.2021, durchgeführt von Nadja Martin

22. Februar 2021 | Veröffentlicht von Nadja Chiara Martin
Veröffentlicht unter Lichtenberg