verfasst von Joshua Dowerg
Moabit ist bekannt als klassisches Arbeiterquartier, dass zwar innerstädtisch ist, aber dennoch dezentral wirkt. Jedoch lässt sich auch 2015 in Moabit ein Trend feststellen, der auf einen Veränderungsdruck im Viertel hinweist. Wie in den meisten innerstädtischen Quartieren ist auch in Moabit ein höheres Umzugsgeschehen festzustellen. Nur ca. 50% der dort wohnenden Menschen lebten über 5 Jahre im Ortsteil (Investitionsbank Berlin 2016: 25). Eine höhere Fluktuation lässt sich dabei durch eine jüngere Altersstruktur erklären. Diese betrug in Moabit 2015 durchschnittlich 35-45 Jahre (ebd. 26). Interessant ist dabei, dass der Anteil der Studierenden in Moabit zugenommen hatte, während er in Szenekiezen wie dem Prenzlauer Berg oder Friedrichshain abnahm (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen 2016: 14f.). Diese Tendenz würde die jüngere Altersstruktur erklären und wäre auch durch die Mietpreisentwicklung in Berlin selbst zu verstehen. Lagen die durchschnittlichen Angebotskaltmieten für Gebiete im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg relativ ausgeglichen bei 10€ aufwärts pro m², so haben wir im Ortsteil Mitte zwar ebenfalls hohe Angebotskaltmieten bis zu 13€/m², jedoch aber in Moabit Angebote zwischen 8€ und 10€/m². Und auch im Ortsteil selbst lässt sich nochmal eine Unterscheidung zwischen Norden und Süden machen. Während im Norden oberhalb der Turmstraße einfachere Lagen mit Angebotsmieten zwischen 7€ und 8€/m² vorherrschten, waren im Süden in Richtung Spree mittlere Lagen zwischen 8€ und 10€/m² zu finden (Investitionsbank Berlin 2015: 61-63).
Die Heterogenität des Bezirkes Mitte in Bezug auf seine Angebotsmieten lässt vermuten, dass Studierende vor allem wegen noch günstigeren Mietpreisen nach Moabit auswichen und dabei trotzdem innerstädtische Infrastruktur nutzen konnten. Und auch innerhalb des Ortsteils selber lässt sich vermuten, dass Studierende eher den günstigeren Norden bevorzugten. Der beschriebenen Entwicklung ist weiterführend ein Aufwärtstrend beizufügen. Während das Gebiet um die Birkenstraße zum Beispiel noch als einfache Lage galt, so wurde hier dennoch bereits ein mittleres Mietniveau von 9,52€/m² erreicht (CBRE und BerlinHyp 2016: 43). Andrej Holm (2016: 208) sieht in diesem Rahmen in Moabit zum einen die Gefahr der Verdrängung, zum anderen aber auch der Verarmung. Das Monitoring Soziale Stadtentwicklung (2017: 12) beschreibt Teile Moabits weiterhin als Gebiet mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf. Höhere Mietpreise sorgen dabei für den Zuzug wirtschaftlich stärkerer Haushalte und führen im Endeffekt zur Verdrängung vulnerabler Gruppen (vgl. Holm 2016: 197). Verdrängungstendenzen scheinen auch in Moabit Anschluss zu finden. Vor allem die nun gewonnene Aufmerksamkeit für das Quartier, seine Nähe zum Hauptbahnhof sowie zu Hochschulen wirkt für Studierende attraktiv und würde auch vollere Wohnungsbesichtigungen im Viertel erklären.
Das Interview
Dieser Konzeption zur Situation des Wohnungsmarktes steht nun die Erfahrung von Roberto gegenüber, der 2015 nach Moabit gezogen ist. Seine Erfahrungen und vor allem seine Gründe bestätigen unter anderem den Veränderungsdruck innerhalb des Kiezes, sollen aber auch aufzeigen, welche Herausforderungen die Wohnungssuche für Studierende birgt. Roberto studierte zu diesem Zeitpunkt an der TU Berlin und lebte zur Zwischenmiete in Neukölln. Dennoch wollte er gerne etwas Eigenes finden, auch, da das Mietverhältnis bald endete. Die Suche nach einem WG-Zimmer lief für ihn jedoch zu Beginn sehr frustrierend ab. Dies lag unter anderem an seinen unrealistischen Vorstellungen: “Ich hab mir vorgestellt wie ich ein 30-Quadratmeter Zimmer in einer perfekten WG für 100€ kriege, aber das war natürlich kompletter Quatsch.” (Roberto, persönliches Interview, Berlin, 05.01.2021). Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass er keine Ahnung hat wie teuer ein Zimmer überhaupt ist, geschweige denn “wie das alles so abläuft”.
Dennoch hatte er genaue Vorstellungen wo er wohnen möchte. Er wollte in einer WG wohnen, am liebsten in einer Vierer-WG. Er wollte auch keine WG neu gründen. Er wollte in eine “schon funktionierende Gruppe” eintreten. Deswegen kam auch die Suche nach einer Einzelwohnung nicht in Frage. Es ging Roberto explizit um das WG-Leben. Es kam also auch kein Studierendenheim infrage. Des Weiteren war die Lage für Roberto ein entscheidender Faktor bei der Wohnungssuche: “[…] also ich wollte nicht in Lichtenberg wohnen, ich wollte nicht in Spandau wohnen, ich wollte nicht in, ganz im Süden draußen wohnen, also ich wollte schon irgendwie dann das Gefühl haben, dass ich im Herz von Berlin wohne […]” (ebd.). Hier zeigt sich zum einen der Wunsch, dass Roberto zentral wohnen wollte und nicht am Rand von Berlin. Des Weiteren wird deutlich, dass die Lage innerhalb des Rings hohe Priorität genießt. Hier schließt sich im Endeffekt auch ein Grund für den Umzug an, nämlich, dass Moabit im Herzen liegt, innerhalb des Rings und gut angebunden ist. Er schrieb zu Beginn zwar viele Bewerbungen, ging aber erst auf Castings als seine Vorstellungen langsam realistischer wurden. Diese hatten ihn bei der Suche ausgebremst und seine Flexibilität genommen. Gleichzeitig sagt Roberto rückblickend, dass er noch sehr jung war, kam gerade aus dem Ausland wieder und hatte nicht direkt das Selbstbewusstsein, um auf Castings herauszustechen. Seine Suche konzentrierte sich hauptsächlich auf das Internet. Dies hatte auch einen Grund, denn er wollte nicht über Freunde oder Bekannte eine Wohnung finden. Er wollte in eine WG kommen, welche sich außerhalb seines Freundes- und Bekanntenkreises befindet. Auch, um dadurch neue Einflüsse und Eindrücke zu bekommen, die sich außerhalb seines Alltags in der Universität abspielen. Vor allem in Bezirken wie Neukölln empfand er die Castings meistens als sehr voll, eher anstrengend. Nach zwei Monaten Suche fand er schließlich ein Zimmer in einer 3er-WG in Moabit nahe der Turmstraße.
Der Ortsteil Moabit war Roberto von Beginn an ziemlich sympathisch. Er hatte irgendwo mal gehört, “ […], dass es ganz cool ist.” Für ihn war Moabit ein belebter Ortsteil. Die Straßen seien immer voll und das Leben spielte sich draußen ab. Gleichzeitig sei Moabit touristisch noch nicht so erschlossen wie zum Beispiel Kreuzberg oder Neukölln. Das war für ihn etwas anderes, als er es aus Neukölln gewohnt war: “Dann hatte ich immer die Bahnfahrten, die so richtig lang waren mit den ganzen Besoffskis und den ganzen Touri-Schwärmen und irgendwann hat das mich einfach nur noch genervt.” (ebd.). Aus diesen Gründen ist Moabit für Roberto auch noch “underrated”. Dies sei jedoch nichts Negatives. Neben einer guten Anbindung und einer zentralen Lage innerhalb des Rings scheint Moabit für Roberto wie ein Hidden Champion, unscheinbar: “ […], wenn man an Berlin denkt, dann denkt man nicht erst an Moabit. Und, wenn Leute nach Berlin ziehen, denken sie nicht erst ‘Ich will in Moabit wohnen. ’” Gleichzeitig fand er es aber auch gut, dass so viele junge Menschen und Studierende in Moabit wohnten. Seine Wahrnehmung des Ortsteils spiegelt sich auch in den Gründen für seinen Umzug nach Moabit wider. Diese waren zum einen finanzielle Gründe. Moabit war deutlich günstiger als Neukölln und das Preis-Leistungs-Verhältnis war besser. Roberto macht in seinem Interview deutlich, dass er Moabit im Vergleich zu Neukölln in einem anderen Preissegment sieht. Zum anderen haben schon viele Freunde und Kommiliton*innen in Moabit gewohnt. Sozialer Kontakt scheint also für Roberto ein wichtiger Aspekt bei der Wohnungssuche gewesen zu sein. Ein weiterer Aspekt war für ihn die Nähe zur Universität. Waren es für ihn von Neukölln aus immer 40 Minuten, fuhr er aus Moabit nur 15 Minuten zur Universität. Aus seiner Heimatstadt war Roberto diese weiten Wege nicht gewohnt.
Eine Beurteilung des Berliner Wohnungsmarktes oder der Situation in Moabit fiel Roberto sichtlich schwer, auch, da er seiner Ansicht nach nie wirklich Teil dessen war. Er unterscheidet seine Erfahrungen bei der Suche nach einem WG-Zimmer strikt von denen, die Menschen machen, die eine Wohnung suchen. Er geht dabei von unterschiedlichen Anforderungen aus. Angedeutet wird dabei, dass es sich oft um Geld dreht, wenn man sich direkt bei einer Wohnung als Mieter*in bewirbt. Das Menschliche fällt weg. Wiederum gefällt ihm das an der Suche nach einem WG-Zimmer. Es geht dabei um das Menschliche in einem. Die Personen müssen vom Charakter überzeugt sein. Die beiden Suchen scheinen für ihn also zwei verschiedene Welten zu sein, welche unterschiedlichen Regeln unterliegen. Dementsprechend findet er es relativ schwer bzw. fast unmöglich eine valide Aussage über den Berliner Mietmarkt sowie die Situation in Moabit selbst machen zu können. In Moabit vermutet Roberto dennoch unterschiedliche Mietpreise unterhalb der Turmstraße in Richtung der Spree. Generell beschreibt er den Mietmarkt als “relativ überlaufen”, da man überall wo man sich bewirbt nicht der einzige ist. Vielmehr ist es für ihn ein “harter Kampf”. Auch hier beruht er sich hauptsächlich auf seinen Erfahrungen aus der Suche nach einem WG-Zimmer. Dabei nimmt er immer wieder Neukölln mit seinen vollen Castings als Bezugspunkt. Auf der anderen Seite vermutet er, dass überlaufende Castings auch ein generelles Phänomen von Großstädten sein können. Auch von den Regelungen zur Mietpreisbremse und zum Mietendeckel hat er etwas gehört, nahm jedoch keine weitere Beurteilung vor.
Aus dem Interview mit Rückschluss auf die Wohnungssituation in Moabit 2015 zeigt sich, dass sich ein gewisser Veränderungsdruck bestätigen lässt. Für Roberto wirkte der Bezirk wegen seiner Lage und Nähe zur Uni perfekt als Wohnort, gleichzeitig nimmt er den Bezirk immer noch als unscheinbar war. Das ist doch gerade das was ihm an Moabit so gefällt. Eine junge Altersstruktur bestätigt sich durch Aussagen von Roberto bezüglich vieler Freunde und Kommiliton*innen, welche ebenfalls im Ortsteil leben. Die im Verhältnis noch günstigen Mieten bestätigen sich ebenfalls durch die Unscheinbarkeit des Bezirkes. Roberto zieht immer wieder den Vergleich zu Neukölln, wobei er auf volle WG-Castings für überteuerte Zimmer hinweist. Es lässt sich also bestätigen, dass günstige Mieten in Moabit für Studierende als Pull-Faktor wirken. Er sieht Neukölln deutlich mehr im Trend als Moabit. Gleichzeitig bestätigt aber sein Zuzug sowie der Zuzug seiner Freunde, dass auch Moabit bei vor allem Studierenden der nahen Hochschulen beliebt ist. Interessant ist auch, dass Roberto die Disparitäten im Ortsteil selbst wahrnimmt, indem er vermutet, teurere Mietpreise unterhalb der Turmstraße in Richtung der Spree zu finden. Nichtsdestotrotz ist es eine reflektierte Ansicht von ihm den Wohnungsmarkt an sich nicht bewerten zu können, da er seine Suche nach einem WG-Zimmer von der Suche nach einer Wohnung trennen würde. Dies zeigt sich nicht nur durch wahrgenommene unterschiedliche Anforderungen der Vermieter*innen, sondern auch durch unterschiedliche Preissegmente. Dass Roberto Moabit als günstiger empfand, lässt sich auch darauf zurückführen, dass er nach einem einzigen WG-Zimmer suchte. Die Miete dessen kann zum Beispiel noch aus einem alten Mietverhältnis stammen und dementsprechend nicht unbedingt die Preise des damals aktuellen Mietmarktes widerspiegeln. Dies zeigt also zum einen, dass eine Beurteilung des Mietmarktes aus Sicht eines Wohnungssuchenden deutlich einfacher ist, als aus der Perspektive eines Zimmersuchenden. Weiterführend zeigt dieses Fallbeispiel, dass von zwei unterschiedlichen Märkten ausgegangen werden kann, welche jeweils eigene Dynamiken aufweisen. Nichtsdestotrotz bestätigen seine Aussagen dennoch warum Studierende in Moabit stärker nach Wohnungen oder WG-Zimmern suchen. Fortführend wird so auch der Veränderungsdruck deutlich, dem der Ortsteil unterliegt.
Literaturverzeichnis
Ermittlung der Verteilung studentischen Wohnens (2016). Berlin, p. 35. Available at: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/studentisches_wohnen/download/verteilung_studentischen_wohnens_ergebnisbericht.pdf (Accessed: 17 November 2020).
Holm, A. (2016) ‘Gentrification und das Ende der Berliner Mischung’, in von Einem, E. (ed.) Wohnen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, pp. 191–231. doi: 10.1007/978-3-658-11757-3_11.
IBB Wohnungsmarktbericht 2015 (2015). Berlin, p. 115. Available at: https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner-wohnungsmarkt/wohnungsmarktbericht/ibb_wohnungsmarktbericht_2015.pdf (Accessed: 17 November 2020).
IBB Wohnungsmarktbericht 2016 (2016). Berlin, p. 121. Available at: https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner-wohnungsmarkt/wohnungsmarktbericht/ibb_wohnungsmarktbericht_2016.pdf (Accessed: 17 November 2020).
Monitoring Soziale Stadtentwicklung Berlin 2017 (2017). Berlin, p. 126. Available at: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/download/2017/Monitoring_Soziale_Stadtentwicklung_2017-Bericht.pdf (Accessed: 17 November 2020).
Wohnmarktreport 2016 (2016). Berlin, p. 77. Available at: https://www.berlinhyp.de/de/media/newsroom/weitere-publikationen/wohnmarktreport-2016?file=files/media/corporate/newsroom/weitere-publikationen/de/2016/Wohnmarktreport_Berlin_2016.pdf (Accessed: 17 November 2020).
Eigenständig geführtes Interview mit Roberto (Name wurde geändert), Berlin, 05.01.2021
Die Wohnungssuche in Berlin Moabit
Verfasst von Kerstin Ekwenugo
Das ehemalige Industrie- und Arbeiterviertel Moabit befand sich um die Jahre 2002/2003 schon in den Anfängen eines Wandels. Der buntgemischte Ortsteil, der bis 2001 noch zum Bezirk Berlin-Tiergarten zählte, weist mit 25,4% einen relativ hohen Anteil an ausländischer Bevölkerung (gemeldete Einwohner*innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit) auf (Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: 12f.). Insgesamt liegt der Anteil der Einwohner*innen mit Migrationshintergrund bei 44,4% (Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: 12f). Für das Jahr 2003, in dem meine Interviewpartnerin sich ebenfalls auf Wohnungssuche begeben musste, konnte ich im Rahmen meiner Recherche, leider nicht die genaue Einwohnerzahl herausfinden. Daher beziehe ich mich auf das Jahr 2000. Dort lag die Einwohnerzahl in Berlin-Tiergarten bei 88.491 (IBB Wohnungsmarktbericht 2003: 38). Allgemein ließ sich für Berlin von 1999 bis 2003 ein leichter Anstieg der Bevölkerungszahl feststellen. Ein sich abschwächender (seit 1998), aber nach wie vor starker Verlust durch die Abwanderung in das Umland (pro Jahr ca. 12.000 Einwohner*innen) konnte 2002 vor allem durch den Zuzug aus dem Ausland und den neuen Bundesländern ausgeglichen werden (IBB Wohnungsmarktbericht 2003: 38f.). Seit 1998 war auch die Zuwanderung aus den alten Bundesländern von Bedeutung. Betrachtet man die Altersstruktur der Berliner Einwohner*innen im Jahre 1993 bis 2002/2003, lässt sich ein tiefgreifender Wandel feststellen. Nur in der Gruppe der 12-25 Jährigen, die vor allem durch Zuwanderung von Student*innen einen Anstieg bis 2003 verzeichnen konnten, reduzierte sich der Anteil aller anderen Altersgruppen bis 45 Jahre erheblich. Von 1999 bis 2003 erhöhte sich die Anzahl der Studierenden um etwa 10.000 (Statista). Vor allem für Studierende der Universitäten im Wedding und Mitte könnte Moabit aufgrund seiner guten Erreichbarkeit als Wohnlage interessant gewesen sein. Die Zuwanderung der Student*innen machte sich auch deutlich bei der Wohnungssuche meiner Interviewpartnerin Anna bemerkbar. Die Entwicklung der Haushaltszahlen um die 2000er Jahre unterschied sich allerdings von Bezirk zu Bezirk. Während in Bezirken wie beispielsweise Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow ein deutlicher Zuwachs in den Haushaltzahlen (ca. 5%) stattfand, gab es von 2000-2002 in Mitte nur eine sehr geringe Veränderung in den Haushaltzahlen (0,5%) (IBB Wohnungsmarkt: 43f.). Von 2001 bis 2002 reduzierte sie sich sogar um etwa 3000 Haushalte (IBB Wohnungsmarkt: 42f.). Betrachtet man das Wohnungsangebot nach Preissegment für Berlin im Jahre 2003 fällt besonders auf, dass die angebotenen Wohnungen vor allem im mittleren, d.h. im Bereich von 4€ bis 6€/qm und im oberen Preissegment, d.h. im Bereich von 6€ bis 8€/qm liegen. Lediglich 8% der angebotenen Wohnungen lässt sich dem unteren Preissegment (unter 4€/qm) zuordnen (IBB Wohnungsmarkt: 55f.). Der Ortsteil lässt sich allerdings auch nochmal unterteilen. Vor allem die Wohnungen in den Vierteln entlang der Spree (nahe des S Bahnhofes Bellevues) sind aufgrund ihrer Lage teurer im Mietpreis als die Wohnungen im Norden, wie z.B. im Beusselkiez.
Das Interview
Anna, heute 62 Jahre alt, hielt die schnelle Wohnungszusage, für einen Glücksfall. Nach der Trennung von ihrem Partner, war sie 2003 gezwungen, nach einem neuen Zuhause zu suchen. 1984 kam Anna nach Berlin. Die Wahlberlinerin ist gelernte Mathelehrerin, arbeitet in einer großen Softwarefirma und ist Mutter von zwei Mädchen. Sie stellte sich auf eine langwierige Suche nach der passenden Wohnung ein, denn sie kannte Berlin sehr gut und hatte die Schwierigkeit der Wohnungssuche über die Jahre schon bei mehreren Freundinnen mitverfolgen können. Und doch nahm alles doch viel schneller seinen Lauf als gedacht, “[…] ich habe nur über einen kurzen Zeitraum gesucht, vielleicht vier bis sechs Wochen und konnte gegenüber meiner besten Freundin in einer schönen Straße in Moabit einziehen. Meine Freundin konnte ein gutes Wort bei ihrer Hausverwaltung für mich einlegen, zehn Jahre waren wir damals schon befreundet und auch sie lebte schon mehr als zehn Jahre in ihrer schönen Wohnung. Wer hätte gedacht, dass es doch so schnell gehen kann, vorher hatte ich noch Tag für Tag den Immobilienmarkt in der Berliner Morgenpost verfolgt, viel herumtelefoniert und es war organisatorisch eine Herausforderung eine Besichtigung vormittags als Alleinerziehende berufstätige Mutter von zwei Kindern zu ermöglichen. Auf den Besichtigungen waren auch immer viele Student*innen, die eine Wohnung für eine WG suchten. Ich hatte das Gefühl, sie waren meine größten Konkurrenten […]“. Durch den Kontakt ihrer besten Freundin ging dann alles sehr schnell, die Hausverwaltung meldete sich binnen weniger Tage, die Wohnung konnte besichtigt werden, “[…] dann ging es nur noch darum, ob mir die Wohnung auch persönlich gefällt […]“, nachdem die Dokumente eingereicht waren, kam nach einer Woche etwa die Zusage.
Für Anna war der Ortsteil Moabit schon immer attraktiv. Moabit wird auch die Insel von Berlin genannt, denn sie wird vollständig von Wasserstraßen und Kanälen umschlossen. Die Nähe zum Wasser war für Anna viel Wert, das Wasser hatte für sie schon immer einen erholenden Effekt, jedoch nochmal auf eine andere Art und Weise als das Grüne. “[…]Noch heute sind die Spaziergänge an der Spree meine Lieblingsbeschäftigung am Wochenende, hier kann ich zur Ruhe kommen, endlich mal den Alltag vergessen […]“ .
Der Ortsteil Moabit, damals noch Berlin-Tiergarten sollte es schon sein, denn die älteste Tochter ging dort bereits in die Grundschule und hatte all ihre Freunde in diesem Viertel. Einen Schulwechsel wollte sie tunlichst vermeiden. Auch der fußläufige Große Tiergarten mit dem wunderschönen Englischen Garten, der ein Familienhostspot war, war für Anna äußerst attraktiv. Ihre beste Freundin hatte ebenfalls zwei Töchter im selben Alter, gingen sogar auf dieselbe Schule, so könnten die Kinder immer zusammen zu Spielplätzen und zur Schule gehen, das wäre sehr viel sicherer für alle. Eine ausreichende Erholung am Wochenende durch einen großen ruhigen Park war ihr sehr wichtig und keine Hauptstraße sollte es sein. Zu viel Straßenlärm und schlechte Atemluft kannte sie noch aus ihrer vorherigen Wohnung im Wedding. “Die Kirchstraße ist eine besonders schöne kleine Straße, man kennt seine Nachbarn und es sind viele kleine Läden dort ansässig, das gibt der Straße einen besonders schönen Flair. Hier muss man keine Angst haben, wenn die Kinder abends alleine vom Spielplatz zurückkommen oder später von der Schule zurückkehren. Das wollte ich meinen Kindern ermöglichen […]“. Auch die zentrale Lage und gute Anbindung an den ÖPNV machte die Wohnung sehr attraktiv. Der fußläufige S-Bahnhof Bellevue, die Nähe zur Turmstraße und zum Hauptbahnhof und mehrere Bushaltestellen in Haustürnähe ermöglichen gute Mobilität. Moabit ist zudem ein sehr buntgemischter Bezirk, viele Nationalitäten sind vertreten, “[…]das fand ich sehr sympathisch […]“. Die bunte Mischung lässt sich durch die vergleichsweise günstigen Mieten, aber auch weil es sich damals um einen Industrie- und Arbeiterviertel handelte, erklären. Für Touristen*innen war Moabit eher weniger interessant. Kreuzberg oder Friedrichshain waren viel stärkere als Tourist*innenmagnete. Es ließ sich entspannt leben ohne das Gefühl der Überfüllung.
In Bezug auf die Wohnung war Anna nicht besonders anspruchsvoll, da es sich vermutlich erstmal um eine Übergangswohnung handelte. “[…]Bezahlbar sollte sie sein, mindestens zwei Zimmer, ein gefließtes Bad und Zentralheizung […]“ waren erstmal die wichtigsten Kriterien. Sie brauchte dringend eine Wohnung, denn sie hatte sich von ihrem Partner getrennt und die gemeinsame Wohnung wurde aufgegeben. “[…] An sich war die Wohnung nicht besonders schön. Eine Altbauwohnung, auch nicht mehr im allerbesten Zustand, ich ließ beide Zimmer noch vor dem Einzug malern. Es gab keine Einbauküche, darum musste ich mich noch kümmern und der Boden in der Küche gefiel mir auch nicht besonders. Die beiden Zimmer waren schön und auch groß, nur leider war das Kinderzimmer ein Durchgangszimmer. Sie hatte einen langen schmalen Flur, ganz typisch für Altbauwohnungen und ein schmales auch eher längliches Bad. Alles nicht optimal, aber als Übergang ausreichend. Vor allem war es keine Erdgeschosswohnung, die hätte ich nicht genommen, dort fühlen sich Kinder nicht besonders sicher […]“.
In den ersten Wochen der Wohnungssuche besichtigte Anna auch zwei Wohnungen in Neukölln, hat aber schnell gemerkt, dass Neukölln für sie nicht in Frage komme. “[…] Am Anfang war ich noch nicht sicher, ob ich auch wirklich eine Wohnung in meiner Lieblingsgegend bekomme, daher habe ich vorsichtshalber auch in anderen Bezirken geschaut, aber eigentlich hätte ich dort die Wohnung nur äußerst ungern genommen. Lieber hätte ich eine kleinere Wohnung in Moabit genommen, obwohl es mindestens schon 60 Quadratmeter sein sollten […]“. Vor allem nach der Trennung von ihrem Partner hätte es Anna schwer gefallen in einem völlig anderen Bezirk zu wohnen, zu dem sie keinen Bezug gehabt hätte, in dem die Atmosphäre eine andere gewesen wäre oder in dem sie niemanden kannte. Besonders die Gegenden entlang der U Bahnlinie U9 waren für Anna attraktiv, da sich ihr Arbeitsplatz am Walther-Schreiber-Platz befindet und das Abholen der Kinder nach der Arbeit unkompliziert sein sollte. Bei der Hausverwaltung handelte es sich um einen privaten Eigentümer. Obwohl Anna Alleinerziehende und somit auch Alleinverdienerin war, hatte sie den großen Vorteil, dass sie zu dem Zeitpunkt bereits mehr als zehn Jahre beim selben Unternehmen angestellt war. Anna sagt selbst: “[…]Obwohl ich in Teilzeit gearbeitet hatte, reichte das Geld gut aus, eine finanzielle Not hatte ich daher nicht. Jedoch störte mich die vereinbarte Staffelmiete, die empfand ich als relativ viel[…]“. Bei der Suche hat sie sich an der Bruttomiete orientiert, denn das Gesamtpaket musste bezahlbar sein. Die Warmmiete betrug insgesamt 375 Euro für ca. 58 Quadratmeter. Eine Staffelmiete von 15 Euro monatlich wurde vereinbart. Erst nach vier Jahren endete diese.
Fazit
Meine Interviewpartnerin suchte unter enormen Zeitdruck eine Wohnung und stellte sich auf eine harte und langwierige Suche nach der passenden Wohnung ein. Das sie die Wohnungssuche nach wenigen Wochen bereits erfolgreich beenden konnte, überraschte sie sehr. Das Angebot war begrenzt und der Zuzug der Student*innen stellte eine große Herausforderung für sie dar. So betont sie im Interview mehrfach, dass es sich definitiv um einen Glücksfall handelte. Die Preise der angebotenen Wohnungen, empfand sie größtenteils als angemessen. Die meisten Wohnungen ließen sich dem unteren bis mittleren Preissegment zuordnen.
Wie sich auch aus meinen Recherchen ergab, bestätigte meine Interviewpartnerin deutlich die wachsende Konkurrenz der Studenten bei der Wohnungssuche in Moabit gespürt zu haben. Vor allem die Konkurrenz um gut geschnittene Zwei- oder Dreizimmerwohnungen war spürbar, denn diese waren nicht nur besonders familiengeeignet, sondern gleichzeitig auch sehr gut als Wohngemeinschaft nutzbar. Als Schwierigkeit empfand sie vor allem, dass Studierende nicht nur nach ähnlichen Wohnungskriterien suchten, sondern den Vorteil hatten, spontaner auf Besichtigungen gehen zu können als eine berufstätige alleinerziehende Mutter. Dies verdeutlicht sie mehrfach im Interview. Das in Berlin viele Leute ihre Wohnungen über Kontakte erhielten, war ihr bewusst und dies war letztlich auch der Weg, der sie zum Erfolg brachte.
Literaturverzeichnis
IBB Wohnungsmarktbericht 2003 (2003)
Im Internet:
https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner- wohnungsmarkt/wohnungsmarktbericht/ibb_wohnungsmarktbericht_2003.pdf (Letzter Zugriff 29.11.2020)
Statistisches Landesamt Berlin: Die kleine Berlin-Statistik 2004
Im Internet:
https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/BBHeft_derivate_0 0006694/Kleine-Berlin-Statistik_dt_j04_BE.pdf (Letzter Zugriff 29.11.2020)
IBB Berliner Wohnungsmarkt-Entwicklung und Strukturen 1991 – 2000
Im Internet:
https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/berliner- wohnungsmarkt/wohnungsmarktbericht/wohnungsmarktbericht_1991bis2000.pdf (Letzter Zugriff 29.11.2020)
Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2011)
Im Internet:
https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/Publikationen/Stat_Berichte/2011/SB_A1- 5_hj01-11_BE.pdf (Letzter Zugriff: 26.01.2021)
Statista: Anzahl der Studierenden an Berliner Hochschulen im Wintersemester von 1998/98 bis 2019/20
Im Internet: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/255882/umfrage/studierende-an- hochschulen-in-berlin/ (Letzter Zugriff: 26.01.2021)
Eigenständig durchgeführtes Interview mit Anna (Name wurde geändert), 28.12.2020 in Berlin