Ein Text von Melanie Schweikart und Josef Kaiser
Welche Chancen, aber auch Risiken liegen in der zunehmenden Kommerzialisierung und Marktfähigmachung von Naturräumen?
Müssen wir die Befürchtungen einiger KritikerInnen, beispielsweise aus der Postwachstumswachstumsbewegung, hinsichtlich der zunehmenden Einbettung von Natur in die Marktsphäre ernst nehmen?
Welche alternativen Konzepte zum erfolgreichen Schutz und zur gesteigerten Wertschätzung der Natur sind denkbar? Welche Vorbilder gibt es dahingehend?
Diese und weitere Fragen wurden im Rahmen der von der Humboldt-Universität-Gesellschaft geförderten Podiumsdiskussion „Über die Vermessung der Natur – Auf dem (Irr-)Weg in Richtung eines effektiven Naturschutzes?“ am 24. Januar 2018 mit den Podiumsgästen Prof. Helga Weisz (Professorin für Industrielle Ökologie und Klimawandel an der Humboldt-Universität zu Berlin und Leiterin des Forschungsbereichs Transdisziplinäre Methoden und Konzepte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung), Dr. Thomas Fatheuer (freier Autor, u. a. Mitautor des Buches „Kritik der Grünen Ökonomie“) und Steffi Lemke (Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen) unter Moderation der Studierenden Luise von Pogrell und Josef Kaiser kritisch diskutiert.
Hintergrund der Veranstaltung war das Projekttutorium „Grünes Wachstum versus Postwachstum. Im Spannungsfeld unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Positionen zur Bewältigung aktueller sozioökologischer Herausforderung“. Innerhalb dieser interdisziplinären und studentischen Lehrveranstaltung setzten sich Studierende der Humboldt-Universität zu Berlin wie auch der TU und der FU Berlin im Sommersemester 2017 und im Wintersemester 2017/18 intensiv mit Lösungswegen für eine ökologisch und sozial nachhaltige Gesellschaft auseinander. Dabei war es neben der theoretischen Auseinandersetzung mit alternativen Formen des Wirtschaftens Ziel, einen Austausch zwischen gegensätzlichen Ansätzen im Rahmen von Dialogveranstaltungen zu ermöglichen. Im Projekttutorium konzentrierten wir uns auf die Ansätze zu „Grünem Wachstum“ sowie „Postwachstum“.
In der heutigen Zeit ist ein weitreichendes Wachstumsparadigma erkennbar, innerhalb dessen wirtschaftliches Wachstum als Maxime für eine Steigerung des Wohlstands gesehen wird. Anhänger des Grünen Wachstums halten an diesem Paradigma fest und sehen unter anderem durch technologischen Fortschritt und Effizienzsteigerungen die Möglichkeit, das Wachstum vom Ressourcenverbrauch absolut zu entkoppeln und damit eine tatsächliche Senkung des Naturinputs sowie negativer Externalitäten zu ermöglichen. Dem gegenüber steht eine sehr diverse Postwachstumsbewegung, der gemein ist, das Ziel wirtschaftlichen Wachstums – gerade in Ländern des globalen Nordens – zu hinterfragen. Sie sehen die Maxime wirtschaftlichen Wachstums als die grundsätzlich falsche Zielgröße. Diese Zielgröße, welche aber in ihrer genauen Berechnung auch in der Debatte des Grünen Wachstums diskutiert wird, führe nicht nur zu einer ökologischen Katastrophe aufgrund einer nicht möglichen absoluten Entkopplung vom Naturverbrauch, sondern auch zu starken sozialen Ungerechtigkeiten, beispielsweise zwischen Ländern des globalen Nordens und des Südens. Stattdessen werden alternative Wirtschaftsmodelle diskutiert, die statt einer Konsumgesellschaft eine Gesellschaft der Entschleunigung und der Suffizienz – also des tatsächlich weniger Verbrauchens – entwickeln möchten.
Mit diesem Diskurs im Hinterkopf war es unser Ziel, Dialogveranstaltungen zu konzipieren, die auf jeweilige Schwerpunktthemen bezogen die Diskurslinien verfolgen und einen öffentlichen Austausch ermöglichen. Innerhalb von Workshops und Feedbackgesprächen, beispielsweise auch unter Beteiligung des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, haben wir verschiedene Themen und Veranstaltungsformate diskutiert. Unsere Wahl fiel auf das Thema Arbeit sowie das hier beschriebene Thema Naturkapital. Neben der Forcierung des Dialogs war es uns besonders wichtig, eine möglichst große und diverse Zielgruppe anzusprechen.
Das Thema Naturkapital war für uns von besonderem Interesse, da es ökologische wie soziale Auswirkungen unseres Wirtschaftens adressiert. Des Weiteren erlaubt dieses Thema eine gewinnbringende Diskussion über verschiedene wirtschaftspolitische Instrumente mit Bezug zum Naturschutz. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass allgemein zunehmende Kommerzialisierungstendenzen erkennbar sind, erschien uns eine Verknüpfung dieser Thematik mit der zunehmenden Monetarisierung und Marktfähigmachung von Natur als besonders spannend.
Konnte sich das Konzept auch in der Umsetzung beweisen?
Um für das Publikum einen guten thematischen Einstieg zu ermöglichen, startete unser Teammitglied Philipp Kleinheinz mit einer 20-minütigen Einführung. Schwerpunkte waren hier die Aufgliederung umweltpolitischer Instrumente von ordnungspolitischer bis marktwirtschaftlicher Prägung sowie das damit zusammenhängende Konzept der Ökosystemdienstleistungen.
Zu Beginn der Diskussion gaben wir den PodiumsdiskutantInnen die Möglichkeit, mit einer persönlich zugeschnittenen Einstiegsfrage ihren Standpunkt und ihre Expertise zu der Veranstaltungsthematik mit dem Publikum zu teilen. Anschließend leiteten wir mithilfe thematischer Blöcke durch die Diskussion. Des Weiteren gab es für das Publikum die Möglichkeit, Fragen einzureichen. Ausgewählte Fragen wurden durch unser Team in die Diskussion eingebracht.
Der erste inhaltliche Abschnitt führte unter der Frage „Hat der klassische Naturschutz versagt, da er zu sehr auf ordnungspolitische Instrumente gesetzt hat?“ zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den bisherigen eher durch staatlich und ordnungspolitisch geprägten Maßnahmen im Naturschutz. Das Leitbild der TEEB Studie „The Economics of Ecosystem & Biodiversity“ lag der Argumentation hinsichtlich einer zunehmenden Ökonomisierung der Natur zugrunde:
„Die Biodiversität in all ihren Dimensionen – Qualität, Quantität und Vielfalt der Ökosysteme, Arten und Gene – muss nicht nur aus gesellschaftlichen, ethischen oder religiösen Gründen erhalten werden, sondern auch im Sinne des wirtschaftlichen Nutzens für heutige und künftige Generationen. Erstrebenswert ist daher eine Gesellschaft, die ökonomisch verantwortlich mit ihrem natürlichen Kapital umgeht.“ [1]
Steffi Lemke positionierte sich ausdrücklich dahingehend, dass die Ordnungspolitik und der klassische Naturschutz nicht versagt haben, und dies auch in Zukunft der effektivste Weg sei, Natur zu schützen. Helga Weisz hingegen hob hervor, dass man im Hinblick auf Erfolge und Misserfolge im Naturschutz bzw. Klimaschutz deutlich differenzieren müsse. Mangelnde Erfolge seien oftmals darauf zurückzuführen, dass es im Klimaschutz um systemische Veränderungen gehe. Ein ernsthafter Klimaschutz würde eine „massive, weltweite, nie dagewesene Umverteilung von Gewinnen, Gewinnchancen und Kapital (…) bedeuten“, was wiederum „mächtigen Widerstand erzeugt“.
Der zweite thematische Block setzte an einer umgekehrten Argumentation an: „Kann der Markt beim Naturschutz überhaupt greifen oder hat er bereits im Vorfeld versagt?“ Ein Zitat des Wissenschaftlers Eric Goméz-Baggethun eröffnete diesen Block: „Bei ihrer Ausweitung stößt die Kommerzialisierung [der Natur] auf biophysische, institutionelle und soziale Grenzen“[2]. Das Zitat entfachte eine angeregte Diskussion darüber, ob tatsächlich Marktmechanismen zum Scheitern verurteilt sind und damit ordnungspolitische Regularien den Naturschutz in Zukunft sichern werden. Schwerpunkte der Diskussion waren unter anderem Grenzen der Bepreisung von Naturleistungen und deren Kommodifizierung. Das einzig wirksame Beispiel für die Marktfähigmachung von Naturräumen sei eine Bewertung auf Grundlage des CO2, da es gut messbar und leicht zu bepreisen ist. Diskussionspunkte zeigten sich bei der Argumentation zum Zertifikate-System und dessen Handel, sowie den Grenzen und Chancen von Internalisierung externer Kosten und Kompensationszahlungen. Steffi Lemke führte im Folgenden aus, dass nicht die Instrumente der Ordnungspolitik prinzipiell zum Scheitern verurteilt seien. Eher stelle sich die Frage, wer politische Macht innehat, um progressive Politik durchzusetzen. Neoliberale Einflüsse seien seit Jahren in allen Bereichen so wirkmächtig, dass Staaten die Übermacht wirtschaftlicher gegenüber sozialen und ökologischen Interessen scheinbar nicht mehr eindämmen können. Frau Lemke stellt die tiefgreifende Frage, ob Veränderung im Naturschutz „gesellschaftlich gewollt ist und es politische Übersetzung findet“.
Den abschließenden dritten Themenblock eröffneten wir mit folgender Frage: „Liegt nicht die Ursache für Umweltzerstörung schon in unserem Verständnis von Natur?“ Wir erzielten eine Öffnung der bisherigen Diskussion, wie und mit welchen Instrumenten Naturschutz effektiver betrieben werden kann. Helga Weisz brachte hier unter anderem ein, dass die Begrifflichkeit „Natur“ sehr uneinheitlich definiert werde und im wissenschaftlichen Diskurs daher vermieden wird. Thomas Fatheuer führte aus, dass sich die Sicht auf Natur in der Buen-Vivir-Bewegung in Ecuador und Bolivien von unserer unterscheidet. So sei unser Blick auf Natur im globalen Norden sehr anthropozentrisch ausgerichtet. Ein Aspekt des Buen-Vivir-Ansatzes ist die Frage danach, wie die Natur als Rechtssubjekt verstanden werden kann. Ein Perspektivwechsel ist sogar in Deutschland erkennbar: mit dem Erweitern der rein anthropozentrischen Sichtweise wenden wir uns einem Verständnis zu, in welchem die Würde des Tieres bereits gesetzlich verankert wurde. Steffi Lemke hob abschließend hervor, dass in ihrer Partei durchaus darüber diskutiert wird, ob der Natur auch über den Nutzen für den Menschen hinaus ein Wert zugeschrieben werden sollte – für sie ein klares Ja: „Wer sind wir, dass wir der Natur ihren Wert zubilligen? Den hat sie lange vor uns gehabt und wird sie auch noch lange nach uns haben.“
Es kristallisierte sich heraus, dass es in einigen Kernfragen Kontroversen unter den DiskutantInnen gab. Beispielsweise darüber, ob der klassische Naturschutz versagt hat, welche Möglichkeiten und Chancen sich zukünftig für effektiven Naturschutz anbieten und was politisch bzw. gesellschaftlich als Chance und Veränderung wahrgenommen werden kann, um zukünftig den Naturschutz voranzubringen.
Einigkeit herrschte hingegen darüber, dass der Ansatz der Bewertung von Natur und deren Monetarisierung kritisch zu sehen ist und Grenzen in der Bewertungsmethode und der „rechtmäßigen“ Monetarisierung aufzeigt. Zu einer noch angeregteren Diskussion und einer Starkmachung für die Einbettung des Naturschutzes in die Marktmechanismen hätte vermutlich die vierte eingeladene Podiumsdiskutantin Claudia Kemfert beigetragen, welche krankheitsbedingt leider nicht anwesend sein konnte. Sie ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin und beratend zu umweltökonomischen Themenbereiche, international wie national, tätig.
Rückblickend betrachtet fällt auf, dass alle DiskutantInnen darauf aufmerksam machten, dass die Diskussion auch vermehrt über herrschende Machtstrukturen geführt werden sollte. Eine Auseinandersetzung mit neoliberalen Machtstrukturen und politischen sowie nationalen Interessen sei unumgänglich in der Debatte um den zukünftigen Natur- & Umweltschutz.
Auch in den Fragen und Kommentaren des Publikums offenbarten sich die verschiedenen Sichtweisen und Schwerpunkte sehr deutlich, wie die folgend ausgewählten Auszüge zeigen:
„[…] Wenn man ohne Kosten-Nutzen-Analyse in der Tasche mit seinem Anliegen nicht gehört wird, wie möchten Sie in Ihrer Arbeit dann gehört werden (bevor es zu spät ist)?
„Nach meiner Ansicht handelt es sich nicht nur um ein politisches […], sondern um ein gesamtgesellschaftliches Versagen. Wie von Frau Weisz bereits angesprochen, benötigen wir keine einzelnen Maßnahmen für den Naturschutz, sondern […] [systemische Lösungen] für ein globales Wirtschaftssystem, dessen Kern die Kapitalakkumulation ist. […] Wo sind die Utopien der Politik?“
Auch die mögliche Rolle verschiedener Akteure der Gesellschaft beschäftigten die Gäste:
„Sie sprechen viel über politische und ökonomische Handlungsmöglichkeiten im Natur und Umweltschutz. Wo ordnen Sie die Rolle von aktivistischen Bündnissen wie Ende Gelände, die immer mehr Zulauf von Bürger_innen bekommen, in dieser Debatte ein?“
Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für die Beteiligung der Podiumsgäste an der Diskussion sowie für das große Interesse der knapp 140 Gäste bedanken!
Die Redebeiträge der DiskutantInnen können in voller Länge bald in der Aufzeichnung der Veranstaltung eingesehen werden. Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.nachhaltigkeitsbuero.hu-berlin.de
[1] TEEB (2010): Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität: Die ökonomische Bedeutung der Natur in Entscheidungsprozesse integrieren. S. 40.
[2] Goméz-Baggethun, E. (2016): Kommerzialisierung. In: D’Alisa, G.; Demaria, F.; Kallis, G. (2016): Degrowth. Handbuch für eine neue Ära. München.