verfasst von Joshua Dowerg
Moabit ist bekannt als klassisches Arbeiterquartier, dass zwar innerstädtisch ist, aber dennoch dezentral wirkt. Jedoch lässt sich auch 2015 in Moabit ein Trend feststellen, der auf einen Veränderungsdruck im Viertel hinweist. Wie in den meisten innerstädtischen Quartieren ist auch in Moabit ein höheres Umzugsgeschehen festzustellen. Nur ca. 50% der dort wohnenden Menschen lebten über 5 Jahre im Ortsteil (Investitionsbank Berlin 2016: 25). Eine höhere Fluktuation lässt sich dabei durch eine jüngere Altersstruktur erklären. Diese betrug in Moabit 2015 durchschnittlich 35-45 Jahre (ebd. 26). Interessant ist dabei, dass der Anteil der Studierenden in Moabit zugenommen hatte, während er in Szenekiezen wie dem Prenzlauer Berg oder Friedrichshain abnahm (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen 2016: 14f.). Diese Tendenz würde die jüngere Altersstruktur erklären und wäre auch durch die Mietpreisentwicklung in Berlin selbst zu verstehen. Lagen die durchschnittlichen Angebotskaltmieten für Gebiete im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg relativ ausgeglichen bei 10€ aufwärts pro m², so haben wir im Ortsteil Mitte zwar ebenfalls hohe Angebotskaltmieten bis zu 13€/m², jedoch aber in Moabit Angebote zwischen 8€ und 10€/m². Und auch im Ortsteil selbst lässt sich nochmal eine Unterscheidung zwischen Norden und Süden machen. Während im Norden oberhalb der Turmstraße einfachere Lagen mit Angebotsmieten zwischen 7€ und 8€/m² vorherrschten, waren im Süden in Richtung Spree mittlere Lagen zwischen 8€ und 10€/m² zu finden (Investitionsbank Berlin 2015: 61-63).
Die Heterogenität des Bezirkes Mitte in Bezug auf seine Angebotsmieten lässt vermuten, dass Studierende vor allem wegen noch günstigeren Mietpreisen nach Moabit auswichen und dabei trotzdem innerstädtische Infrastruktur nutzen konnten. Und auch innerhalb des Ortsteils selber lässt sich vermuten, dass Studierende eher den günstigeren Norden bevorzugten. Der beschriebenen Entwicklung ist weiterführend ein Aufwärtstrend beizufügen. Während das Gebiet um die Birkenstraße zum Beispiel noch als einfache Lage galt, so wurde hier dennoch bereits ein mittleres Mietniveau von 9,52€/m² erreicht (CBRE und BerlinHyp 2016: 43). Andrej Holm (2016: 208) sieht in diesem Rahmen in Moabit zum einen die Gefahr der Verdrängung, zum anderen aber auch der Verarmung. Das Monitoring Soziale Stadtentwicklung (2017: 12) beschreibt Teile Moabits weiterhin als Gebiet mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf. Höhere Mietpreise sorgen dabei für den Zuzug wirtschaftlich stärkerer Haushalte und führen im Endeffekt zur Verdrängung vulnerabler Gruppen (vgl. Holm 2016: 197). Verdrängungstendenzen scheinen auch in Moabit Anschluss zu finden. Vor allem die nun gewonnene Aufmerksamkeit für das Quartier, seine Nähe zum Hauptbahnhof sowie zu Hochschulen wirkt für Studierende attraktiv und würde auch vollere Wohnungsbesichtigungen im Viertel erklären.
Das Interview
Dieser Konzeption zur Situation des Wohnungsmarktes steht nun die Erfahrung von Roberto gegenüber, der 2015 nach Moabit gezogen ist. Seine Erfahrungen und vor allem seine Gründe bestätigen unter anderem den Veränderungsdruck innerhalb des Kiezes, sollen aber auch aufzeigen, welche Herausforderungen die Wohnungssuche für Studierende birgt. Roberto studierte zu diesem Zeitpunkt an der TU Berlin und lebte zur Zwischenmiete in Neukölln. Dennoch wollte er gerne etwas Eigenes finden, auch, da das Mietverhältnis bald endete. Die Suche nach einem WG-Zimmer lief für ihn jedoch zu Beginn sehr frustrierend ab. Dies lag unter anderem an seinen unrealistischen Vorstellungen: “Ich hab mir vorgestellt wie ich ein 30-Quadratmeter Zimmer in einer perfekten WG für 100€ kriege, aber das war natürlich kompletter Quatsch.” (Roberto, persönliches Interview, Berlin, 05.01.2021). Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass er keine Ahnung hat wie teuer ein Zimmer überhaupt ist, geschweige denn “wie das alles so abläuft”.
Dennoch hatte er genaue Vorstellungen wo er wohnen möchte. Er wollte in einer WG wohnen, am liebsten in einer Vierer-WG. Er wollte auch keine WG neu gründen. Er wollte in eine “schon funktionierende Gruppe” eintreten. Deswegen kam auch die Suche nach einer Einzelwohnung nicht in Frage. Es ging Roberto explizit um das WG-Leben. Es kam also auch kein Studierendenheim infrage. Des Weiteren war die Lage für Roberto ein entscheidender Faktor bei der Wohnungssuche: “[…] also ich wollte nicht in Lichtenberg wohnen, ich wollte nicht in Spandau wohnen, ich wollte nicht in, ganz im Süden draußen wohnen, also ich wollte schon irgendwie dann das Gefühl haben, dass ich im Herz von Berlin wohne […]” (ebd.). Hier zeigt sich zum einen der Wunsch, dass Roberto zentral wohnen wollte und nicht am Rand von Berlin. Des Weiteren wird deutlich, dass die Lage innerhalb des Rings hohe Priorität genießt. Hier schließt sich im Endeffekt auch ein Grund für den Umzug an, nämlich, dass Moabit im Herzen liegt, innerhalb des Rings und gut angebunden ist. Er schrieb zu Beginn zwar viele Bewerbungen, ging aber erst auf Castings als seine Vorstellungen langsam realistischer wurden. Diese hatten ihn bei der Suche ausgebremst und seine Flexibilität genommen. Gleichzeitig sagt Roberto rückblickend, dass er noch sehr jung war, kam gerade aus dem Ausland wieder und hatte nicht direkt das Selbstbewusstsein, um auf Castings herauszustechen. Seine Suche konzentrierte sich hauptsächlich auf das Internet. Dies hatte auch einen Grund, denn er wollte nicht über Freunde oder Bekannte eine Wohnung finden. Er wollte in eine WG kommen, welche sich außerhalb seines Freundes- und Bekanntenkreises befindet. Auch, um dadurch neue Einflüsse und Eindrücke zu bekommen, die sich außerhalb seines Alltags in der Universität abspielen. Vor allem in Bezirken wie Neukölln empfand er die Castings meistens als sehr voll, eher anstrengend. Nach zwei Monaten Suche fand er schließlich ein Zimmer in einer 3er-WG in Moabit nahe der Turmstraße.
Der Ortsteil Moabit war Roberto von Beginn an ziemlich sympathisch. Er hatte irgendwo mal gehört, “ […], dass es ganz cool ist.” Für ihn war Moabit ein belebter Ortsteil. Die Straßen seien immer voll und das Leben spielte sich draußen ab. Gleichzeitig sei Moabit touristisch noch nicht so erschlossen wie zum Beispiel Kreuzberg oder Neukölln. Das war für ihn etwas anderes, als er es aus Neukölln gewohnt war: “Dann hatte ich immer die Bahnfahrten, die so richtig lang waren mit den ganzen Besoffskis und den ganzen Touri-Schwärmen und irgendwann hat das mich einfach nur noch genervt.” (ebd.). Aus diesen Gründen ist Moabit für Roberto auch noch “underrated”. Dies sei jedoch nichts Negatives. Neben einer guten Anbindung und einer zentralen Lage innerhalb des Rings scheint Moabit für Roberto wie ein Hidden Champion, unscheinbar: “ […], wenn man an Berlin denkt, dann denkt man nicht erst an Moabit. Und, wenn Leute nach Berlin ziehen, denken sie nicht erst ‘Ich will in Moabit wohnen. ’” Gleichzeitig fand er es aber auch gut, dass so viele junge Menschen und Studierende in Moabit wohnten. Seine Wahrnehmung des Ortsteils spiegelt sich auch in den Gründen für seinen Umzug nach Moabit wider. Diese waren zum einen finanzielle Gründe. Moabit war deutlich günstiger als Neukölln und das Preis-Leistungs-Verhältnis war besser. Roberto macht in seinem Interview deutlich, dass er Moabit im Vergleich zu Neukölln in einem anderen Preissegment sieht. Zum anderen haben schon viele Freunde und Kommiliton*innen in Moabit gewohnt. Sozialer Kontakt scheint also für Roberto ein wichtiger Aspekt bei der Wohnungssuche gewesen zu sein. Ein weiterer Aspekt war für ihn die Nähe zur Universität. Waren es für ihn von Neukölln aus immer 40 Minuten, fuhr er aus Moabit nur 15 Minuten zur Universität. Aus seiner Heimatstadt war Roberto diese weiten Wege nicht gewohnt.
Eine Beurteilung des Berliner Wohnungsmarktes oder der Situation in Moabit fiel Roberto sichtlich schwer, auch, da er seiner Ansicht nach nie wirklich Teil dessen war. Er unterscheidet seine Erfahrungen bei der Suche nach einem WG-Zimmer strikt von denen, die Menschen machen, die eine Wohnung suchen. Er geht dabei von unterschiedlichen Anforderungen aus. Angedeutet wird dabei, dass es sich oft um Geld dreht, wenn man sich direkt bei einer Wohnung als Mieter*in bewirbt. Das Menschliche fällt weg. Wiederum gefällt ihm das an der Suche nach einem WG-Zimmer. Es geht dabei um das Menschliche in einem. Die Personen müssen vom Charakter überzeugt sein. Die beiden Suchen scheinen für ihn also zwei verschiedene Welten zu sein, welche unterschiedlichen Regeln unterliegen. Dementsprechend findet er es relativ schwer bzw. fast unmöglich eine valide Aussage über den Berliner Mietmarkt sowie die Situation in Moabit selbst machen zu können. In Moabit vermutet Roberto dennoch unterschiedliche Mietpreise unterhalb der Turmstraße in Richtung der Spree. Generell beschreibt er den Mietmarkt als “relativ überlaufen”, da man überall wo man sich bewirbt nicht der einzige ist. Vielmehr ist es für ihn ein “harter Kampf”. Auch hier beruht er sich hauptsächlich auf seinen Erfahrungen aus der Suche nach einem WG-Zimmer. Dabei nimmt er immer wieder Neukölln mit seinen vollen Castings als Bezugspunkt. Auf der anderen Seite vermutet er, dass überlaufende Castings auch ein generelles Phänomen von Großstädten sein können. Auch von den Regelungen zur Mietpreisbremse und zum Mietendeckel hat er etwas gehört, nahm jedoch keine weitere Beurteilung vor.
Aus dem Interview mit Rückschluss auf die Wohnungssituation in Moabit 2015 zeigt sich, dass sich ein gewisser Veränderungsdruck bestätigen lässt. Für Roberto wirkte der Bezirk wegen seiner Lage und Nähe zur Uni perfekt als Wohnort, gleichzeitig nimmt er den Bezirk immer noch als unscheinbar war. Das ist doch gerade das was ihm an Moabit so gefällt. Eine junge Altersstruktur bestätigt sich durch Aussagen von Roberto bezüglich vieler Freunde und Kommiliton*innen, welche ebenfalls im Ortsteil leben. Die im Verhältnis noch günstigen Mieten bestätigen sich ebenfalls durch die Unscheinbarkeit des Bezirkes. Roberto zieht immer wieder den Vergleich zu Neukölln, wobei er auf volle WG-Castings für überteuerte Zimmer hinweist. Es lässt sich also bestätigen, dass günstige Mieten in Moabit für Studierende als Pull-Faktor wirken. Er sieht Neukölln deutlich mehr im Trend als Moabit. Gleichzeitig bestätigt aber sein Zuzug sowie der Zuzug seiner Freunde, dass auch Moabit bei vor allem Studierenden der nahen Hochschulen beliebt ist. Interessant ist auch, dass Roberto die Disparitäten im Ortsteil selbst wahrnimmt, indem er vermutet, teurere Mietpreise unterhalb der Turmstraße in Richtung der Spree zu finden. Nichtsdestotrotz ist es eine reflektierte Ansicht von ihm den Wohnungsmarkt an sich nicht bewerten zu können, da er seine Suche nach einem WG-Zimmer von der Suche nach einer Wohnung trennen würde. Dies zeigt sich nicht nur durch wahrgenommene unterschiedliche Anforderungen der Vermieter*innen, sondern auch durch unterschiedliche Preissegmente. Dass Roberto Moabit als günstiger empfand, lässt sich auch darauf zurückführen, dass er nach einem einzigen WG-Zimmer suchte. Die Miete dessen kann zum Beispiel noch aus einem alten Mietverhältnis stammen und dementsprechend nicht unbedingt die Preise des damals aktuellen Mietmarktes widerspiegeln. Dies zeigt also zum einen, dass eine Beurteilung des Mietmarktes aus Sicht eines Wohnungssuchenden deutlich einfacher ist, als aus der Perspektive eines Zimmersuchenden. Weiterführend zeigt dieses Fallbeispiel, dass von zwei unterschiedlichen Märkten ausgegangen werden kann, welche jeweils eigene Dynamiken aufweisen. Nichtsdestotrotz bestätigen seine Aussagen dennoch warum Studierende in Moabit stärker nach Wohnungen oder WG-Zimmern suchen. Fortführend wird so auch der Veränderungsdruck deutlich, dem der Ortsteil unterliegt.
Literaturverzeichnis
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Holm, A. (2016) ‘Gentrification und das Ende der Berliner Mischung’, in von Einem, E. (ed.) Wohnen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, pp. 191–231. doi: 10.1007/978-3-658-11757-3_11.
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Eigenständig geführtes Interview mit Roberto (Name wurde geändert), Berlin, 05.01.2021