Der erste Platz des Schreibwettbewerbs geht an Henning Ruwe mit seinem Beitrag „Familienzeit“. Er ist der glückliche Gewinner eines Freiplatzes in einem Intensivkurs seiner Wahl am Sprachenzentrum.
Am Schreibwettbewerb, in dem es darum ging, eine Glosse über eine witzige, spannende, an- oder aufregende, nachdenkenswerte oder inspirierende Begebenheit zu schreiben, haben 28 Studierende teilgenommen. Die Beiträge wurden von einer sechsköpfigen Jury mit Freude gelesen und bewertet.
Die weiteren Platzierten, die einen Freiplatz in einem Sprachkurs ihrer Wahl gewinnen, sind:
Anne Schröder mit „Vorurteil kommt vor dem Fall“
Josephine Becker mit „Macht Platz für den Gendergap!“
Héla Hecker mit „Stille Nacht, heilige Angst“
M. Malvina Petrat mit „Der Herbst geht, der Winter kommt“
…Und hier gehts zum Siegerbeitrag…
Henning Ruwe:
Familienzeit
Es ist Winter, eine traumhafte Zeit um mit der Familie Schlitten zu fahren oder Schneemänner zu bauen. Eigentlich. Doch die Straßen sind menschenleer.
Woran das liegt? Es ist Jahresrückblickszeit. 180 Minuten Gottschalk, Kerner und Co. – am Stück. Die wollen nicht verpasst werden. Ich hätte nie gedacht, dass ein Fernseher mehr Kopfschmerzen erzeugen könnte als eine Guillotine. Nun ist es wohl soweit. Drei Stunden lang im frohen familiären Kreis dämlich debile selbst ernannte „Unterhaltungskönige“ zu begucken, die uns dann erklären wollen, wie aufregend das vergangene Jahr doch war. Dank unserer „Sendervielfalt“ darf man gleich einen ganzen Jahresrückblicksmarathon veranstalten.
Wochenlang wird es angekündigt als Megaevent des Jahres für die ganze Familie. Für Menschen aus Brandenburg wird das wahrscheinlich sogar zutreffen.
Nach langem Warten freuen wir uns dann alle gemeinsam, wenn Sarrazin zum fünften Mal in einer Woche den Grand Prix für Deutschland gewinnt und Lena in ihrem neuen Buch feststellt, dass bei Westerwelles Genen nicht alles in Ordnung ist. Walter Mixa darf nochmal den „ein oder anderen Watschen“ an Demonstranten verteilen und in Gorleben hat die Bahn mal wieder Verspätung.
Schließlich zieht Zirkusdirektor Kerner Opfer und Trauernde der Loveparade am Nasenring durch die Fernsehmanege, freut sich über die feuchten Augen in Nahaufnahme und die vielen gezeigten Emotionen und setzt sein „man bin ich authentisch“-Grinsen auf. Das sehen wir alle gerne: Betroffenheit, aber bequem im Fernsehsessel und danach bitte „was lustiges“. Man hätte diesen Wunsch nicht äußern sollen, denn sofort folgt die „Humorallzweckwaffe“ Oliver Pocher – der letzte große Freigeist, im Wortsinn, also völlig frei von… Und dann sehen wir wie in Haiti beim Erdbeben Schulen zusammenbrechen und denken dank Pocher „Das könnten auch deutsche Schulen gewesen sein“. Kurz darauf ist Schluss und während die Familie angeregt über das diskutiert, was denn nun „unser Jahr 2010“ gewesen sein, sitze ich resigniert da und freue mich jetzt schon riesig auf die kommenden, wiederholenswertesten Ereignisse 2011.
Meine Eltern gehören zu den Menschen, die nicht mehr ohne Rückblick können und aus diesem „Event“ auch noch einen Familienpflichttermin machen müssen. Manchmal glaube ich, der Storch muss sich damals um ein Haus verflogen haben. Aber dann höre ich am nächsten Tag meine Mutter im Gespräch mit dem Nachbarn: „Ja wir haben gestern was mit der Familie gemacht.“ „Ja, wir auch.“ „Ja, was denn?“ „Ja Jahresrückblick.“ „Ja, wir auch“.
Ja Prima. Al Qaida droht mit neuen Anschlägen – die Fernsehanstalten mit neuen Rückblicken. Für mich ist die Bedrohung durch Gottschalk weitaus latenter als die von Bin Laden. Am Ende verjauchen wir sowieso alle an solchen Sendungen.
Könnte mich noch ewig aufregen – aber gleich fängt die Sportschau an.
Heute zeigen sie die schönsten Tore der letzten 10 Jahre, das darf ich nicht verpassen.
Hey, herzlichen Glückwunsch Henning, ich wusste doch, dass der Text gut ist, als ich ihn in der W.-Vorlesung las…
LG
Alex
Ich würde gerne noch die anderen Beiträge lesen. Werden die noch veröffentlicht?