Archiv für Schlagwort Europäische Union

Antisemitismus von vorgestern und heute

von Johan Wagner

„DIE WEISSE ROSE“ als „Claim“ für „Querdenker“-Sticker – antisemitisch? (c) J. Wagner

„DIE WEISSE ROSE“ als „Claim“ für Querdenker-Sticker, die im Straßenraum von Berlin des Jahres 2022 auftauchen. Ist das Antisemitismus? Sicher ist: Antisemitismus in den sozialen Medien nimmt in Europa derzeit stark zu, eine Studie der Europäischen Union ermittelte zwischen den Vor-Pandemiemonaten Januar und Februar 2020 und dem Pandemiejahr 2021 eine siebenfache Steigerung von antisemitischen Schlagworten in französischsprachigen Sozialmedien-Accounts, eine sogar 13-fache Steigerung in deutschsprachigen Sozialmedien-Accounts (vor allem im Messengerdienst Telegram).[1] Wie starken Anteil daran hat religiös motivierter Antisemitismus und was hat dies mit unzureichend aufgearbeiteter Versagensgeschichte der Kirche zu tun? Gibt es auch deshalb immer wieder antisemitische Vorfälle auch im kirchlichen Bereich?[2] Auch dieser Blogbeitrag kann zu diesen schwierig zu beantwortenden Fragen nur Anhaltspunkte liefern, die gleichwohl den Vorteil haben, dass Sie weiterhin insbesondere in der Region Berlin-Brandenburg präsent erscheinen. Es gibt Hinweise, dass christlich-religiös motivierte alte Vorurteile in der Pandemie vermehrt sichtbar werden. So zitiert die genannte Studie eine französische, fundamentalistisch-christliche Facebook-Seite mit einem wütenden Angriff auf die vermeintlichen Verschwörer hinter der Pandemieentwicklung und der Eindämmungsmaßnahmen: „[…] ihre [die der „Juden“, JW] Impfstoffe voll von […] Unreinheiten aller Arten.“[3] Im Zusammenhang der Corona-Proteste spricht der Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg, Michael Blume im Experteninterview einer weiteren Studie von einem „libertären Antisemitismus“.[4] Die Autor:innen halten in der Studie fest, dass Christ:innen keine prägende Stellung in der „Querdenken“-Bewegung eingenommen haben.[5]

Antisemitismus bleibt ein Thema,
zu dem es stapelweise „Lesestoff“ gibt. (c) J. Wagner

Ein anonymer Brief von 1933

Im Zentrum dieses Blogbeitrags steht ein anonymer Beschwerdebriefs vom Totensonntag 1933.[6] Alle Kirchen- und Partei-Gremien und auch prominente Vertreter werden in dem anonymen Schreiben angegriffen und beleidigt.

Erste Seite des anonym verfassten Beschwerdebriefs, ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“.

Sogar der „Reichsbischof“, der mit „Herr Reichsbischof !“ adressiert wird, wird hart kritisiert:

„Im selben Augenblick, da der stellvertretende Führer [Rudolf] Heß diesen Programmpunkt [eines „positiven Christentums“] demonstrativ verließ um gegen Sie, Herr Reichsbischof (trotz Ihres Dementis) zu agititeren und proklamierte daß in Deutschland hinfort jeder nach seiner Fasson selig werden könne, daß Religion, wie z. Zt. der Marxistenherrschaft, wieder Privatsache sei, brachen die Schranken, die nur künstliche waren […].“[7]

Gegen Ende wird der „Reichsjugendführer“, Baldur von Schirach, frontal attackiert:

„Was soll aus unserer Jugend werden unter der Führung des Gottlosen, der sich Baldur von Schirach nennt, in Wirklichkeit aber „Fritz Moll“ heißen soll. Ein politischer Hochstapler. […]“[8]

Nur der abgesetzte Generalsuperintendent der Kurmark, Otto Dibelius, wird als Beispiel der Standhaftigkeit gegenüber der Tagespolitik und dem Duckmäusertum sowie der Überzeichnung nationalsozialistisch-christlicher Doppelgläubigkeit gewählt.

„Und so wie mit [Joachim] Hossenfelder [Pfarrer und einer der führenden „Deutschen Christen“] ist es mit fast all den anderen Bischöfen, Pröbsten und Prälaten. Nicht ihre Eignung hat diese Herren ge- und befördert, sondern ihre Parteizugehörigkeit und ihr großes Maul, während man verdiente und hochqualifizierte Männer wie D. Dibelius und viele andere in der brutalsten Weise hinauswarf.“[9]

Es ist dem kurzen Format eines Blogbeitrags geschuldet, dass von dieser Eloge auf Dibelius eine direkte Überleitung auf den „Tag von Potsdam“ folgt, einer der Tiefpunkte in seiner Biographie. Persönlichkeiten sind – wie auch lieux de mémoire – oft vielschichtig. Die Knappheit erfordert hier eine Konzentration auf eine oft unterrepräsentierte Seite des späteren ersten Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.

Ein umstrittener „hochqualifizierter“ Mann

Otto Dibelius ist umstritten, weil er antisemitische Positionen lange vertreten hat. Dafür steht auch der „Tag von Potsdam“, bei dem die Garnisonkirche Potsdam als preußischer Erinnerungsort für die zeremonielle Auftaktveranstaltung eine wichtige Rolle spielte. Vor der Konstituierung des am 5. März 1933 gewählten Reichstags hielt hier Adolf Hitler als Reichskanzler seine Regierungserklärung. Zuvor hatte bei einem evangelischen Gottesdienst in St. Nikolai Dibelius gepredigt und sich im Sinne der Zwei-Regimente-Lehre hinter die Vorstellung „nationaler Einheit“ gestellt.[10]

Der Wiederaufbau des Garnisonkirchen-Turms ist wegen des „Tages von Potsdam“ umstritten. Im Vordergrund zu sehen sind die Dekorationselemente der Turmspitze. Heute sollen sie einladen zur differenzierenden Erinnerung an ambivalente deutsche Geschichte. Dies hat auch das Potential einer zeitgemäßeren Erinnerung an Otto Dibelius. Am Bauzaun finden sich Plakate der Kampagne https://tut-der-seele-gut.info, darunter„Antisemitismus schadet der Seele“. (c) J. Wagner

Gleichzeitig erscheint er weiterhin als selbsternannter Bischof und Kämpfer für die westliche freiheitliche Welt im Kalten Krieg als Symbol in Berlin. So wird der Lichteffekt eines Kreuzsymbols auf dem Berliner Fernsehturm im Berliner Volksmund als „Dibelius‘ Rache“ bezeichnet.[11] Im diesem Licht lautet die Leitfrage:

Inwieweit waren antisemitische Positionen innerkirchlich Normalität, dass Otto Dibelius als innerkirchliche Opposition zu übersteigertem nationalsozialistischen Reformeifer à la Joachim Hossenfelder fungieren konnte?[12]

Die Beziehung von Antisemitismus und Protestantismus ist auch fast 90 Jahre nach dem anonymen Brief etwas, dass sich zu betrachten lohnt. 2019 wurde von den Evangelischen Akademien in Deutschland die Broschüre „Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflektion“ herausgebracht. Darin heißt es, es sei „zu fragen, welche Fundamente protestantischer Weltdeutung und Identität dazu geführt haben, dass der Protestantismus zum tragenden Milieu des modern werdenden Antisemitismus im 19. Jahrhundert werden konnte.“ Mit Michael Wildt möchte ich ergänzen und zuspitzen: „Ich befürchte, dass wir uns mittlerweile erinnerungspolitisch gemütlich und selbstzufrieden eingerichtet haben im Zivilisationsbruch.“[13] Es geht mir in diesem Blogbeitrag nicht in der Umkehrung der antisemitischen Unreinheits-Fantasterei: Nicht um eine Idealvorstellung, was ein Generalsuperintendent 1933 am „Tag von Potsdam“ hätte predigen können. Sondern um ein genaues Schauen auf die Geschichte. Und darum, dass an umstrittene Figuren nicht einseitig erinnert wird. Otto Dibelius steht in einer Nationalprotestantismus-Tradition. Er war geprägt von einem Übergang von religiösem Antijudaismus zum „rassistischen Vorbehalt“ im 19. Jahrhundert.[14] Im „Umbruchjahr 1933“ stand er wie Viele nicht grundsätzlich gegen die NS-staatliche Gewalt. „Die Kirche dürfe, so meinte Dibelius [in seiner Predigt am „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933] unter Verweis auf Luther, der ‚rechtmäßigen staatlichen Gewalt‘ nicht in den Arm fallen, wenn sie das tue, wozu sie berufen sei. Wenn der Staat gegen die Feinde der staatlichen Ordnung vorgehe, dann möge er in Gottes Namen seines Amtes walten.“[15]

Diese Haltung ist also am Totensonntag 1933 vorbildlich:

„Ist es überhaupt noch möglich, die Bewegung [der „Deutschen Christen“, JW] zu retten, nur dadurch, daß sofort diese üblen Gesellen samt und sonders hinausgetan werden und ein Mann die Leitung übernimmt, der etwas kann und aufgrund überragender Fähigkeiten imstande ist, aus dem Chaos zu retten, was zu retten ist. Wir haben nur einen und das ist der Generalsuperintendent Dibelius. [Hervorhebung im Original]“[16]

Antisemitismus als Normalfall

Abschließend bleibt die Frage nach der innerkirchlichen Normalität des Antisemitismus schon zu Beginn der NS-Zeit und im Vorfeld. Viel passierte, um herauszufinden, wer den Brief geschrieben hatte. Dabei ging es nicht um eine antisemitische oder „philosemitische“ Einstellung, sondern um die Frage, wie sehr bereits eine „Doppelgläubigkeit“ (Manfred Gailus) an evangelische und nationalsozialistische Glaubensgrundsätze Maßstab der Dinge war.[17] Was sagt es über das Konsistorium aus, dass eine solche Philippika aufwändige Nachforschungen hervorrief?[18]

Weitere Recherchen und kritische Blicke auch auf Führungsfiguren der Bekennenden Kirche, in deren Tradition die Evangelische Kirche in Deutschland gleichwohl zu recht sieht, sind notwendig. Gerade vor dem Hintergrund eines neu aufflammenden Antisemitismus bleibt die Feststellung dass es bei diesen Blicken darum gehen muss eine glaubensmäßige Unterfütterung der NS-Herrschaft zu verstehen. Manfred Gailus schreibt von einem „radikalisierten religiösem Fanatismus“.[19] Dieser Wahn wirkt bis in unsere heutige, pandemische Zeit.


[1] Europäische Kommission, Institute for Strategic Dialogue, The Rise of Antisemitism online during the pandemic. A study of French and German content, Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2021, online verfügbar unter https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/d73c833f-c34c-11eb-a925-01aa75ed71a1/language-en (letzter Besuch: 29.4.2022).

[2] So erschien in der Wochenzeitung „die Kirche“ der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vor wenigen Jahren eine israelkritische Karikatur. Ist das ein Zeichen für fortdauernden evangelisch geprägten Antisemitismus oder wird die Antisemitismus-Streitfrage allzu schnell und unbedacht ins Feld geführt? Vgl. Thomas Knieper, Dieter Hanitzsch, seine Netanjahu-Karikatur und die Süddeutsche Zeitung. Die Geschichte einer Antisemitismus-Unterstellung, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politischen Interessen, 2020 Berlin, S.182-212.

[3] Europäische Kommission, Institute for Strategic Dialogue, The Rise of Antisemitism online during the pandemic. A study of French and German content, Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2021, online verfügbar unter https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/d73c833f-c34c-11eb-a925-01aa75ed71a1/language-en (letzter Besuch: 29.4.2022), S. 18.

[4] „Dieser zeichne sich durch eine Querverbindung von libertärer Haltung, die jede Form von Fremdbestimmung ablehnt und Antisemitismus, der in einer verkürzten Kapitalismuskritik eine jüdische Weltherrschaft behauptet, aus.“ Nadine Frei, Oliver Nachtwey, Quellen des „Querdenkertums“. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg, Basel 2021, online verfügbar unter https://boell-bw.de/sites/default/files/2021-11/Studie_Quellen%20des%20Querdenkertums.pdf (letzter Besuch: 6.1.2022), S. 15.

[5] Vgl. ebd. S.48, S. 53. Michael Blume hat dagegen die These aufgestellt, dass der Pietismus beim christlichen Engagement im Rahmen der „Querdenken-Proteste“ eine Rolle spielen könnte.

[6] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“. Es handelt sich beim anonymen Autoren wohl um den einfachen Mitarbeiter des Konsistoriums Otto Schülke. Zudem existiert in derselben Personalakte sein Abschiedsbrief vor seinem Selbstmord ungefähr ein Jahr später.

[7] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 1 des Briefes.

[8] Ebd. S. 3. Was genau mit der Benennung „Fritz Moll“ unterstellt wurde, ist im Rahmen dieses Blogbeitrags nicht zu ermitteln gewesen. Es könnte sich um die Andeutung einer unehelichen Geburt oder pädokrimineller beziehungsweise homosexueller Neigungen von Schirachs handeln. Oliver Rathkolb zitiert in seinem historischen Porträt Gerüchte, Schirach sei homosexuell, die im Rahmen der Nürnberger Prozesse von einem Psychologen untersucht wurden. Oliver Rathkolb, Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler, Molden, Wien 2020, S. 557-558.

[9] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 2 des Briefes. Das Hinauswerfen spielt darauf an, dass Dibelius gegen eine „Gleichschaltung“ der Kirche Widerstand leistete und seines Amtes enthoben wurde. Jens Gundlach, Otto Dibelius und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, in: Sonja Begalke, Claudia Fröhlich, Stephan Alexander Glienke (Hrsg.), Der halbierte Rechtsstaat , Demokratie und Recht in der frühen Bundesrepublik und die Integration von NS-Funktionseliten, Nomos Baden-Baden 2015, S. 265-276. Joachim Hossenfelder wurde nach 1945 als Pastor in der Eutinischen Landeskirche (heute Teil der Nordkirche) aufgenommen, Otto Dibelius setzte sich dafür ein, dass er eingestellt wurde. Evangelische Akademie der Nordkirche/Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche [Hrsg.], Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit Ihrer NS-Vergangenheit umgingen, Publikation zur Wanderausstellung im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Band 1, Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel 2017, S. 50.

[10] Anke Silomon, Pflugscharen zu Schwertern. Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin 2014, S. 72. Die 1968 gesprengte Garnisonkirche wird derzeit als umstrittenes Versöhnungs-Projekt wiedererrichtet und bietet mit Ihrer Ausstellung, die zur Zeit konzipiert wird, eine Chance, Otto Dibelius‘ Rolle am „Tag von Potsdam“ kritischer zu reflektieren. Ein Interview zur Frage von Public History und Erinnerungskultur in der Garnisonkirche findet sich auf diesem Blog: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/06/28/erinnerungskultur-und-public-history-interview-podcasts/ (letzter Besuch: 11.2.2022). Eine aktuelle Untersuchung von Straßennamen in Berlin kommt zu dem Schluss: „Noch 1933 bezog er [Otto Dibelius] sich auf den Antisemiten Heinrich von Treitschke. Auch beim Boykott von Jüdinnen und Juden durch die SA 1933 stellte er sich hinter die NSDAP. Dabei bezeichnete er sich selbst als Antisemiten. Noch 1964 äußerte er sich antisemitisch.“ Land Berlin, Landesstelle für Gleichstellung – gegen Diskriminierung, Dossier von Dr. Felix Sassmannshausen: Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin, erstellt im Auftrag des Ansprechpartners des Landes Berlin zu Antisemitismus, verfügbar online z. B. unter: https://www.welt.de/bin/Dossier_bn-235636290.pdf (letzter Besuch: 1.2.2022). Zur Zwei-Reiche und Regimente-Lehre siehe auch auf diesem Blog: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/04/09/verfolgtenpolitik-um-1940-seenotrettungspolitik-um-2020-dinge-ins-verhaeltnis-setzen/ (letzter Besuch: 11.2.2022).

[11] https://www.morgenpost.de/berlin/article206343567/6-Geheimnis-Der-Berliner-Fernsehturm-und-das-Kreuz.html (letzter Besuch 2.2.2022).

[12] Joachim Hossenfelder war einer der Redner auf der Großkundgebung der „Deutschen Christen“ am 13. November 1933 im Sportpalast in Berlin, auf die der anonyme Brief verweist. Hier wurde eine Verwerfung des Alten Testaments gefordert, Hossenfelder musste als „Reichsleiter der Deutschen Christen“ und als Brandenburger Bischof zurücktreten. Evangelische Akademie der Nordkirche/Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche [Hrsg.], Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit Ihrer NS-Vergangenheit umgingen, Publikation zur Wanderausstellung im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Band 1, Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel 2017, S. 51. Siehe auch: https://www.nordkirche-nach45.de/#2 (letzter Besuch: 11.2.2022).

[13] Die Evangelischen Akademien in Deutschland, Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflexion, Berlin 2019, online verfügbar unter: https://www.evangelische-akademien.de/projekt/antisemitismus-und-protestantismus/ (letzter Besuch 2.2.2022), S. 12. Auch die regionale evangelische Kirche hat sich dem Kampf gegen Antisemitismus und aller Formen von Hass verschrieben. Siehe zum Beispiel: https://gegen-antisemitismus.ekbo.de/startseite; https://tut-der-seele-gut.info oder https://ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/0._Startseite/03._PDFs_und_Audios/A_EKBO_Christinnen_gegen_Antisemitismus_aktuelle_Version.pdf (letzter Besuch 23.2.2022) – die Frage bleibt: Ist dies ohne kritischere Beleuchtung der Geschichte der Gesamtinstitution in Berlin und Brandenburg glaubwürdig? Michael Wildt hat im Februar 2022 seine beeindruckende Abschiedsvorlesung zur Frage „Singularität des Holocaust?“ gehalten, der das Zitat entnommen ist. Ein Mitschnitt ist online verfügbar:

&k=1b35e187a0 (letzter Besuch 22.2.2022, Zitat ca. Min. 51).

[14] Dieser wurde bisher theologisch wenig reflektiert. Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Zweite Auflage, C. H. Beck München 2004, S. 93-96. Wolfgang Benz spricht zutreffend von der „christlich-sozialen Variante der Judenfeindschaft“ und verbindet dies mit dem evangelischen Berliner Hofprediger Adolf Stoecker. Die Berliner Stadtmission ist dabei, diesen Aspekt ihres Mitgründers aufzuarbeiten: https://www.berliner-stadtmission.de/geschichte (letzter Besuch: 11.2.2022).

[15] Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021, S. 16.

[16] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 2 des Briefes.

[17] Am 21. September 1934 werden die Kanzlei des „Reichsbischofs“ und die „Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche“ mit dem Briefkopf des Konsistorialpräsidenten ersucht, zwei anonyme Briefe an das Konsistorium kurze Zeit auszuhändigen. Die historischen Einordnung und Bewertung dieses Schreibens soll hier nicht im Mittelpunkt stehen. Gleichzeitig ist die Archivalie zwar „I. V.“ unterzeichnet, es kann aber davon ausgegangen werden, dass der „Deutsche Christ“ und damals noch amtierende Konsistorialpräsident Paul Walzer vom Vorgang Kenntnis hatte. Ein Scan dieses Briefes (ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“) im Format PDF kann hier heruntergeladen werden: Konsistorialpraesident_Ermittlungen_Schuelke_EZA.pdf

Zu Walzer siehe auch: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2020/08/24/konsistorialpraesident-paul-walzer-symptomatisch-fuer-kirche-in-berlin-und-brandenburg-in-der-zeit-1934-und-danach/ (letzter Besuch 11.2.2022)

[18] In der Akte des Evangelischen Landeskirchlichen Archivs in Berlin (ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“) findet sich ein für die damalige Zeit beeindruckendes Gutachten, gleichzeitig steht auch dieser aufwändige Nachweis hier nicht im Mittelpunkt. Das Gutachten kommt zu dem Schluss: „Der Beweis seiner [Otto Schülkes] Schrifturheberschaft für den anonymen Brief ist daher [aufgrund der genutzten Schreibmaschine und der handschriftlichen Korrekturen] ein doppelter.“ Ein Scan dieses Gutachtens im Format PDF kann hier heruntergeladen werden: Graphologisches_Gutachten_Schuelke_EZA.pdf

[19] „Auch der während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 immer vehementer hervortretende, wahnhafte Züge annehmende Antisemitismus der nationalsozialistischen Führungskreise, der den Krieg zum ‚Krieg gegen das Judentum‘ und den ‚Sieg über die Juden‘ – letztlich deren physische Vernichtung – zur großen, heroischen Tat erklärte, ist nur im Kontext eines radikalisierten religiösen Fanatismus zu verstehen.“ Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021, S. 166.


SFR – Selected Further Reading

  • Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Zweite Auflage, C. H. Beck München 2004
  • Die Evangelischen Akademien in Deutschland, Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflexion, Berlin 2019, online verfügbar unter: https://www.evangelische-akademien.de/projekt/antisemitismus-und-protestantismus/ (letzter Besuch 2.2.2022)
  • Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021
  • Herfried Münkler, Preußen als Beute. Der „Tag von Potsdam“ und das Attentat auf Hitler, in: Ders., Die Deutschen und ihre Mythen, Rowohlt (Reinbek bei Hamburg), 5. Aufl. 2018, S. 275-294.
  • Anke Silomon, Pflugscharen zu Schwertern. Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin 2014

Über den Autor

Dr. Johan Wagner ist Referent für Fördermittelrecht der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Er gehört zum Lehrbeauftragten-Pool des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete sind Europäische Integration, Pressegeschichte, europäische Beziehungen zur arabischen Welt, Wissenschaftsstrategie, konfessionelle Entwicklungen in Europa, europäische Konflikt- und Friedensgeschichte, siehe auch: https://www.clio-online.de/researcher/id/researcher-5652

Verfolgtenpolitik um 1940 – Seenotrettungspolitik um 2020: Dinge ins Verhältnis setzen

von Jan Mävers und Johan Wagner

Dieser Beitrag fragt nach einem historisches Verhältnis: Wie hat sich Kirche in Berlin und Brandenburg um 1940 zur Verfolgung von Menschen unter dem NS-Regime geäußert und wie ist um 2020 die Haltung zur Seenotrettungspolitik der Europäischen Union[a]?

Foto: Johan Wagner unter Nutzung von Material von „United4Rescue – Gemeinsam Retten“ [b], Bearbeitung: Lea Maußer

Wir betrachten in diesem Blogbeitrag zwei unterschiedliche Beispiele:

  1. Die nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Erklärungen des Konsistorialpräsidenten Dr. Johannes Heinrich, die im Rahmen einer dienstrechtlichen Auseinandersetzung 1941 erfolgt sind.
  2. Die Auseinandersetzungen um einen Artikel des Pfarrers Dr. Matthias Dreher, der im Jahr 2020 in einem quasi-internen Pfarrerblatt der bayrischen Landeskirche erschien.

Worum geht es im „Fall Dreher“?

Im Kern geht es um die Zwei-Reiche/Regimente-Lehre, die auf Luther zurückzuführen ist, obwohl er selbst diesen Begriff nie genutzt hat. Vielmehr hat er mit seinen Äußerungen zu den beiden Reichen auf aktuelle Probleme reagiert. Zu einer „Lehre“ wurden sie erst später.

Versuch einer Chronologie des Falls Dreher (c) Jan Mävers

Deutlich wird das auch an folgenden Passagen aus den beiden Veröffentlichungen im Korrespondenzblatt des bayerischen Pfarrvereins:

„Im Zuge der Zwei-Reiche-Lehre, die operative Struktur-Politik dem Staat überlässt, kann ein Christenmensch, soweit er nicht wie der Samariter einen Sterbenden vor sich sieht, Verantwortung vernachlässigende Migranten ertrinken lassen. Das ist nicht zynisch, sondern traurig und ärgerlich und kontinuierlich systemisch zu verringern, aber es ist eben auch ein Kennzeichen der gefallenen Welt. Nur wer den Bau des Reiches Gottes nicht Gott überlassen kann, sondern es selbst bewerkstelligen muss, wird weiter unverantwortlich mit Rettungsschiffen mehr Migranten aufs Wasser ziehen.“

Dr. Matthias Dreher, Korrespondezblatt Nr. 10/2020, S. 199. (Hrsg.: Pfarrer- und Pfarrerinnenverein in der ev.-luth. Kirche in Bayern).[c]

„Kirche, auch protestantische Kirche in lutherischer Tradition, hat einen öffentlichen Auftrag, gerade in Anlehnung an die wichtige Denkfigur der „Zwei-Regimenten-Lehre“, die in der „Mandaten-Lehre“ Dietrich Bonhoeffers, aber auch in international-ökumenischen Verlautbarungen fruchtbar aufgenommen worden ist. Luther hat wesentlich situationsbezogener argumentiert als dies die Zwei- Reiche- oder Zwei-Regimenten-Lehre abbildet, die zudem wegen der daraus resultierenden (obrigkeits-) staatsstützenden Funktion der Kirche ein umstrittenes Erbe lutherischer Tradition ist. Doch können die damaligen Grundaussagen für das heute grundlegend veränderte Staats-, Gesellschafts- und Religions-Bild fruchtbar gemacht werden.“

Ulrich Eckert, Korrespondenzblatt Nr. 7/2020, S. 136. (Hrsg.: Pfarrer- und Pfarrerinnenverein in der ev.-luth. Kirche in Bayern.

„Wesentlich ist, dass einzelne Christenmenschen, aber auch die Kirche innerhalb ihrer Gesellschaft zu aktivem Zeugnis des Evangeliums aufgerufen sind. Luther betont in der „Freiheitsschrift“, dass ein Christenmensch angesichts des Unrechts, das andere erleiden, in Wort und Tat zu agieren hat, inkl. eventueller Konsequenzen für Leib und Leben. Somit hat er auch der ebenfalls durch Gott autorisierten weltlichen Macht (vgl. CA 16) ggf. Widerstand zu leisten, wenn diese ihrer Aufgabe nicht nachkommt, Böses zu ahnden oder im Zaum zu halten. Dies gilt m. E. auch für die Kirche.“

Ulrich Eckert, ebd.

Zwei-Reiche- und Regimente-Lehre (ZRRL) ganz kurz erklärt

Luther meint: Seit dem Kommen Jesu gibt es zwei Reiche. In einem (dem geistlichen) herrscht bereits das Evangelium, im anderem (dem weltlichen) noch die Sünde. Gott hat nun die Obrigkeit und Ordnungen eingeführt, um die Welt vor der Zerstörung durch das Böse zu bewahren. Christen müssen sich dem Gesetz anpassen, sollen dabei aber die gute Nachricht bezeugen und dadurch anderen helfen, ebenfalls Bürger des Reiches Gottes zu werden. Umgekehrt soll die weltliche Macht nicht in das Amt der Kirche eingreifen.[d]

In der Geschichte wurde diese ZRRL nun immer wieder unterschiedlich ausgelegt. Die Deutschen Christen z.B. legten sie so aus, dass der NS-Staat die von Gott eingesetzte Ordnung sei und deshalb den totalen Anspruch auf den Menschen erheben könne.

Karl Barth wiederum geht davon aus, dass es einen wahren, vollkommenen, himmlischen Staat gibt, der auf den unvollkommenen, irdischen Staat ausstrahlt. Menschliches Recht müsse sich deshalb an göttlichem Recht orientieren. Kirche sei folglich politisch, weil sie versucht, den irdischen Staat im Sinne des himmlischen Staates umzugestalten.

Worum geht es Dr. Johannes Heinrich?

Passbild Konsistorialpräsident Dr. Johannes Heinrich
Arbeitskopie eines Bildes von Dr. Johannes Heinrich, Bildquelle: Archiv für Diakonie und Entwicklung, Berlin (ADE. BA/CA 1711). Eine Weitergabe an Dritte ist nicht gestattet.

Dr. Johannes Heinrich, Konsistorialpräsident von 1938 bis 1945 in Berlin und Brandenburg (Lebensdaten: 15.7.1895 bis 20.7.1945) äußert sich intern im Rahmen einer dienstrechtlichen Auseinandersetzung gegenüber der übergeordneten Kirchenbehörde, dem Evangelischen Oberkirchenrat. In seinem „Verteidigungsbrief“ aus dem Jahre 1941 gegen Gerüchte, er habe Informationen aus kircheninternen Gremien an NS-Organe verraten, heißt es:

„Vor Übernahme der Behörde im Jahre 1938 bin ich im Evang.Oberkirchenrat und Kirchenministerium mit aller Deutlichkeit auf die unerfreulichen Verhältnisse in der Behörde hingewiesen worden. Das Berliner Konsistorium wäre geradezu als ein „Abstellbahnhof“ benutzt worden und setze sich zu einem großen Anteil aus kirchenpolitisch und politisch an anderen Stellen untragbaren Theologen und Juristen zusammen. Ich sollte – gestützt auf meine verwaltungsmäßigen Erfahrungen aus meiner Sanierungs- und Reorganisationsarbeit für die Innere Mission – alles daran setzen, um die Behörde in Ordnung zu bringen und sie – so wurde mir auch bei der Einführung ausdrücklich gesagt – im nationalsozialistischen Geiste (!) zu führen.“

Brief Konsistorialpräsident Dr. Johannes Heinrich an Vizepräsident D. Ernst Loycke, 29. November 1941, EZA 7 /11044, S. 9.[e]

Ist die protestantische Organisationsform mit einem traditionellen dienstrechtlichen Gewicht von Kirchenjuristen besonders anfällig für eine Orientierung an vorherrschenden politischen Überzeugungen, wie Sie im Staatsdienst oder im Mainstream der Gesellschaft der jeweiligen Zeit üblich sind?

Ausriss Brief Konsistorialpräsident Dr. Johannes Heinrich an Vizepräsident D. Ernst Loycke, 20. November 1941, EZA 7 /11044, S. 9.

Auf das Heute angewandt, könnte man, mit Heinrich im Geiste, fragen: Ist das Beispiel von der NSDAP-Parteipolitik eines Dr. Johannes Heinrich ins Verhältnis zu setzen zu einem aus konservativen Kreisen heute oft gehörten Vorwurf: Die evangelische Kirche sei in ihren Hierarchien in eine parteipolitisch grüne, sozialdemokratisch-linke Linie eingeschwenkt und entferne sich damit vom eigentlichen Auftrag, die frohe Botschaft zu verkünden. Eben um z. B. Seenotrettungs-Kampagnen zu unterstützen.

Im oben genannten Brief heißt es beispielsweise:

„[Ich] will hier allerdings unbeachtet lassen, daß sich einige Herren Tehologen [sic] im Evang.Oberkirchenrat hin und wieder der einen oder anderen unfreundlichen Zuträgerei gegen mich aus meiner eigenen Behörde oder von außen zugänglich gezeigt haben. Dies trat stärker hinsichtlich der Angriffe der Bruderratsorganisationen gegen mich wegen der disziplinaren Behandlung der VKL-Mitglieder [VKL = „Vorläufige Kirchenleitung“ der Bekennenden Kirche] aus Anlaß ihrer Haltung gelegentlich der ersten Tscheschenkrise [sic] im Herbst 1938 zutage (Gebetsordnung der VKL aus Anlaß des bevorstehenden Kriegsausbruchs).“

Brief Konsistorialpräsident Dr. Johannes Heinrich an Vizepräsident D. Ernst Loycke, 20. November 1941, EZA 7 /11044, S. 10.

Zwei Fälle ins Verhältnis setzen

Diese Gegenüberstellung soll nicht verhehlen, dass es oft fehl am Platze erscheint, historische Bilder zu bemühen.[f] Ist die NS-Zeit nicht zu weit enfernt von unseren heutigen Lebensrealitäten, um dem Studium damaliger Verhaltensweisen und mentaler Rahmen etwas für das heutige Staat-Kirche-Verhältnis abzugewinnen? Es ist klar, dass im aktuellen „Fall Dreher“ keinerlei existentielle Folgen abweichender Meinung im Raume standen wie in gänzlich anderen Kontexten 1933 bis 1945.

Gleichzeitig sagen beide Vorgänge etwas über unsere heutigen Fragen von christlicher Verantwortung für ein politisches Gemeinwesen aus. Wir bewegen uns mit all unserem historischen Ballast und auch überlieferten Weisheiten in einem Spannungsfeld. Kirche und Staat waren und sind keine frei flottierenden Systeme, sondern stehen gerade im Fall Deutschlands in einem komplizierten Austausch miteinander.

Fragen, die es zu diskutieren lohnt

  • Ist ein theologischer Streit über die konkreten Auswirkungen der Zwei-Reiche- und Regimente-Lehre (ZRRL) legitim?
  • Welche Folgen haben die einzelnen Deutungen in praktischer Weise, jeweils in ihrer Zeit?
  • Wie geht „die Kirche“ mit jemandem um, d* eine andere Meinung als die h.M. einnimmt?
  • Wie aktiv hat sich Kirche im „Dritten Reich“ an weltlicher Politik beteiligt?[g]

[a] Ein Thema, bei dem man ethisch argumentieren kann, dass die Menschenrechte für Christenmenschen der Maßstab der Beurteilung sind, vgl. Wolfgang Huber, Ethik. Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod. München: C. H. Beck, 2013, S. 117 ff. Huber gibt zu bedenken, dass das Verhältnis zwischen „Nächstenethik“ und „Fernstenethik“ ein kontroverser Bereich in der Reflexion menschlicher Lebensführung ist. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bekennt sich zu der Seenotrettungs-Aktion, die im weiteren Beitrag genannt wird. Gleichzeitig wird auf der entsprechenden Internetseite Verständnis für Kritik an der Aktion thematisiert. https://www.ekbo.de/themen/kirche-politik/seenotrettung.html (zuletzt aufgerufen: 15.2.2021).

[b] https://www.united4rescue.com (zuletzt aufgerufen: 15.2.2021). Die SeaWatch 4 wurde zu großen Teilen vom Bündnis „United4Rescue – Gemeinsam Retten“ finanziert, das maßgeblich durch die evangelische Kirche gegründet wurde (über einen rechtlich unabhängigen Trägerverein „Gemeinsam retten e. V.“, der auch von diesem Q-Team-Projekt unterstützt wird. Betrieben wird das Schiff allerdings vom Verein SeaWatch, unterstützt auch durch Spenden des Bündnisses. Betreibt Kirche also wirklich Seenotrettung? Und wie ist eine solche Haltung zu bewerten?

[c] Die hier zitierten Ausgaben des Korrespondenzblattes finden sich als PDF online: Ausgabe 10/2020 –> https://www.pfarrverein-bayern.de/system/files/dateien/kblatt-2010.pdf; Ausgabe 7/2020 –> https://www.pfarrverein-bayern.de/system/files/dateien/kblatt-2007.pdf (zuletzt aufgerufen: 15.2.2021)

[d] https://relilex.de/Zwei-Reiche-Lehre/ (zuletzt aufgerufen: 23.3.2021)

[e] Ev. Zentralarchiv 7/11044. Dies ist auch die Quelle für die weiteren Ausführungen zu Dr. Johannes Heinrich in diesem Beitrag

[f] So etwa der Befund, selbst für „Anspielungen“ auf die Herausforderungen in der aktuellen Migrationspolitik biete die Flüchtlingsfrage in Deutschland nach 1945 keinerlei strukturelle Voraussetzung https://zeitgeschichte-online.de/themen/die-fluechtlingsfrage-deutschland-nach-1945-und-heute (zuletzt aufgerufen: 1.2.2021).

[g] Dies sind Fragen, die in beiden Q-Teams (Sommersemester 2020 und Wintersemester 2020/21) diskutiert wurden. Zum Q-Team siehe in diesem Blog https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/q-team/ (zuletzt aufgerufen: 15.2.2021). Studierende und Dozierende gleichermaßen sind sich einig, dass es wichtig ist, weiterhin Fragen zu formulieren. So lohnt sich die Frage, was kirchliche „Gedächtnismale“ uns zeigen können? Sind sie wichtige Erinnerungsorte (lieux de mémoire)? https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/04/25/trauer-ehrung-und-schuld-gedaechtnismale-fuer-opfer-der-ns-diktatur-und-des-2-weltkrieges-in-berliner-evangelischen-kirchengemeinden/ (zuletzt aufgerufen: 28.4.2021) Auch der erste Konsistorialpräsident, der in der NS-Zeit in Berlin das Ruder übernahm, war ein Beispiel für die Verstrickung von Kirchenpersonal in nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2020/08/24/konsistorialpraesident-paul-walzer-symptomatisch-fuer-kirche-in-berlin-und-brandenburg-in-der-zeit-1934-und-danach/ (zuletzt aufgerufen: 15.2.2021)


SFR – Selected Further Reading

  • Rainer Bookhagen, Die evangelische Kinderpflege und die Innere Mission in der Zeit des Nationalsozialismus. Mobilmachung der Gemeinden, Bd. 1: 1933 bis 1937 (Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, Serie B, Bd. 29), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1998 (Digitalisat verfügbar unter: https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00046528_00001.html, zuletzt aufgerufen: 26.4.2021) – Monographie über einen Teil der Diakoniegeschichte im Nationalsozialismus, in dem die Vorgeschichte von Dr. Johannes Heinrich als Schatzmeister des Central-Ausschusses für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche skizziert wird; so seine Erlangung der Position auf ausdrücklichen Wunsch des Reichskanzlers Heinrich Brüning, der als nationalkonservativer Katholik zeitweise eine Einbindung der Nationalsozialisten in seine Politik befürwortete.
  • Evangelischer Pressedienst (Hrsg.), An Bord. Die erste Mission der „Sea-Watch 4“. powered by United4Rescue. Fotografien von Thomas Lohnes, Frankfurt a. M. 2020, als PDF verfügbar: www.united4rescue.com/download/U4R_Fotobuch_An_Bord_Die_erste_Mission_der_Sea-Watch_4_powered_by_United4Rescue.pdf (zuletzt aufgerufen: 23.3.2021) – Bildband, der sich um ein „realistisches Bild“ bemüht und „in gewisser Weise das andere Europa, eines der Solidarität und Humanität“ zeigt (Zitate aus dem Vorwort von „United4Rescue – Gemeinsam Retten“).
  • Katrin Hatzinger, Mehr als ein kritischer Gegenüber. Zur Rolle der evangelischen Kirche auf europäischer Ebene, in: Roland Herpich, Patrick R. Schnabel, Andreas Goetze (Hrsg.), Religion. Macht. Politik. Wie viel Religion verträgt der Staat? Berlin: Wichern, 2015, S. 208-226 – Aufsatz, der die unter anderem kirchliche „Advocacy“ im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik als Beispiel für kritische Begleitung von EU-Politikfeldern unter die Lupe nimmt.
  • Katharina Körting, Die Liquidierung der Vergangenheit. Wie sich die evangelische Kirche auf den Grundlagen ihres Versagens restaurierte, Vechta: Geest-Verlag, 2021 – Persönlicher Essay, der sehr kritisch die erinnerungskulturellen blinden Flecken nachweist und immer wieder die Brücke in Herausforderungen der Gegenwart schlägt.
  • Christiane Kuller und Thomas Mittmann, „Kirchenkampf“ und „Societas perfecta“. Die christlichen Kirchen und ihre NS-Vergangenheit, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2014, URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/kirchenkampf-und-societas-perfecta (zuletzt aufgerufen: 26.4.2021) – Überblicksartikel, der ebenfalls ein Verhältnis eröffnet: das zwischen evangelischer und katholischer „Auftragsforschung“ zur eigenen NS-Geschichte.
  • Nadja Schlüter, Raphael Weiss, Federico Delfrati, u. a., Ein Jahr, acht Schiffe, mehr als 3500 gerettete Menschen, Online-Projekt von sueddeutsche.de/jetzt.de: https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/politik/seenotrettung-im-mittelmeer-2020-die-bilanz-e670960 (zuletzt aufgerufen: 26.4.2021) – Digitalprojekt, in dem bezeichnenderweise die vornehmliche auf kirchliche Initiative hinter dem 2020 erstmals eingesetzten Rettungsschiff „Sea-Watch 4“ nicht thematisiert wird.

Über die Autoren

Jan Mävers, Evangelischer Religions- und Gemeindepädagoge M.A., ist Vikar in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Im Rahmen seines Sondervikariats in der Dienststelle des Länderbeauftragten für die Länder Berlin und Brandenburg befasste er sich mit der politischen Rolle der Kirche – heute und in der Vergangenheit.

Dr. Johan Wagner ist Referent für Fördermittelrecht der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Er gehört zum Lehrbeauftragten-Pool des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete sind Europäische Integration, Pressegeschichte, europäische Beziehungen zur arabischen Welt, Wissenschaftsstrategie, konfessionelle Entwicklungen in Europa, europäische Konflikt- und Friedensgeschichte, siehe auch: https://www.clio-online.de/researcher/id/researcher-5652

Transparenzhinweis: Seit der Gründung des Bündnisses „United4Rescue – Gemeinsam Retten“ im Dezember 2019 ist Jan Mävers dort Fördermitglied. Im Zuge der Diskussionen in den Q-Teams ist auch das Q-Team-Projekt dort Mitglied geworden.

Update 5/2023: Ergänzung Arbeitskopie Bild Konsistorialpräsident Dr. Johannes Heinrich.

9. April 2021 | Veröffentlicht von jan.maevers@gemeinsam.ekbo.de | Kein Kommentar »
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