eine Recherche von Vincent Budinger, Karl Eckardt, Yannick Heinz und Leonard Ludwig
Die Liste der von Gerlind Lachenicht zusammengetragenen deportierten Täuflinge führt insgesamt sieben Mitglieder der Berliner Familie Fuss auf. Nach deren Geburtsjahr aufgezählt sind das Emma Fuss (*1867, geb. Mossler), ihre Töchter Johanna (*1892) und Frieda (*1894), ihr Sohn Hugo (*1899) und dessen Frau Wally (*1900, geb. Cohn), ihr zweiter Sohn Erwin (*1905), sowie Wally und Hugos gemeinsame Tochter Ingeborg (*1927), Emmas Enkelin. Frieda und Wally wurden deportiert und 1943 in Auschwitz ermordet. Auch Emma (1943, Theresienstadt) und ihre Tochter Johanna (1942, Rigaer Ghetto) wurden deportiert und ermordet.
Überleben in der Illegalität: Hugo und Ingeborg Fuß

Bekannt sind indes einige Stationen im Leben des gelernten Buchhalters Hugo Fuss, welches aus zwei Akten hervorgeht, die sich in den Arolsen Archiven fanden, genauer in drei Dokumenten: Alle drei, so scheint es, haben als ausstellende Instanz die französische Besatzungsmacht („Fiche Individuelle“1, „Fiche Provisoire“). Beim dritten handelt es sich um das besonders ausführliche „Demande d’Assistance“, zu dt. „Hilfegesuch“, welches Fragen zur wirtschaftlichen Situation Hugos stellt sowie nach dessen gewünschter Ausreise in einen Drittstaat fragt. Alle drei Dokumente stammen aus dem Jahr 1948.
Hugo Fuss überlebte die nationalsozialistische Diktatur und entging dabei der Deportation mehrmals nur knapp. Vor der NS-Diktatur und auch noch bis ins Jahr 1938 hinein war er bei dem Berliner Filmunternehmen UFA als Buchhalter beschäftigt. Als er dort aus antisemitischen Gründen entlassen wird, arbeitet er kurze 2 Monate für die Konkurrenz, die Firma Paramount, allerdings für 70h/ Woche, was zu Spekulationen über die Arbeitsbedingungen einlädt; bis ihm dort ebenfalls aus antisemitischen Gründen gekündigt wird. Er selbst beschreibt dies mit dem Wort „Rasseverfolgung“. Für die Jahre 1940-43 gibt Hugo im Hilfegesuch an, bei einer Firma namens „Ostdeutscher Schrotthandel“ gearbeitet zu haben und versieht diese Tätigkeit mit der Notiz „Zwangsarbeit“. Blickt man auf die Chronologie der systematischen Entrechtung und Verfolgung der Berliner Juden und Jüdinnen, stimmen diese Angaben mit der ab Oktober 1940 reichsweit stattfindenden verstärkten Verpflichtung von Jüdinnen_Juden zur Zwangsarbeit überein. Zwischen dem 27. Februar und dem 5. März 1943 werden im Zuge der sogenannten „Fabrik-Aktion“ die allermeisten der in Zwangsarbeit verbliebenen Berliner Juden und Jüdinnen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.
An dieser Stelle sei bemerkt, dass eine Quelle existiert, die auf einem Interview des US-amerikanischen Historikers James F. Tent mit dem Berliner Politiker, Journalist und „Mischlingskind“ Hanns-Peter Herz beruht. In dem kurzen Abschnitt in Tents Buch zu Herz‘ Verfolgungsgeschichte verweist der Autor auf die Kontakte von dessen Vater zu dem sich in der „Bekennenden Kirche“ engagierenden protestantischen Pfarrer Otto Dibelius2. Dieser soll ihm einen Job bei der Schrottfirma verschafft haben, die sich im „Geheimen (…) zu einem sicheren Zufluchtsort für einige aus rassischen und politischen Gründen verfolgte Deutsche entwickelt“3 hat. Folgt man dieser Quelle und geht man davon aus, dass es sich um eine Arbeitsstelle handelt, welche den dort Beschäftigten relativen Schutz vor Verfolgung bot, erscheint der Schrotthandel und der Vermittler Otto Dibelius in einem widerständigen Licht gegenüber dem Regime. Folgt man jedoch Hugo Fuss‘ Notiz „Zwangsarbeit“, welche von ihm im Hilfegesuch möglicherweise auch strategisch mit Blick auf mögliche Entschädigungsforderungen und die prekäre Nachkriegssituation so formuliert wurde, ergibt sich daraus ein anderes Bild. Es können aus den vorliegenden Quellen keine eindeutigen Belege für die eine oder die andere Lesart erbracht werden. Interessant wäre an der Stelle eine weitergehende Beschäftigung mit dem „Ostdeutschen Schrotthandel“.
Für die nachfolgende Zeit, vom 28.03.1943 bis zum 27.04.1945 gibt Hugo an, wegen „Rasseverfolgung” in Berlin illegal gelebt zu haben. Zu letzterem Zeitpunkt hatte die Rote Armee bereits erhebliche Teile Berlins unter ihre Kontrolle gebracht, Adolf Hitler sollte drei Tage später Selbstmord begehen. Ab dem 01.06.1945 arbeitet er wieder bei der UFA. Im Hilfegesuch (Demande d’Assistance), welches er am fünften Jahrestag der Deportation seiner Frau Wally 1948 ausfüllt, gibt er zunächst seine Tochter Ingeborg als Begleitperson an, ihr Name wurde jedoch durchgestrichen. Gerlind Lachenichts Liste der in der Messiaskapelle Getauften enthält die Notiz, dass Ingeborg deportiert wurde. Dem widersprechen unsere aktuellen Erkenntnisse möglicherweise. Falls sie deportiert wurde, hat sie das Lager überlebt und ihren Weg zurück zu ihrem Vater gefunden. Im DP-Pass von Hugo Fuß findet sich ein Hinweis, dass sie 1948 nach England ausgereist ist. Dies lässt sich durch ein Naturalisation Certificate des Britischen Nationalarchivs bestätigen4. Demnach wurde sie am 28.4.1949 in London eingebürgert und hat somit überlebt. Das Dokument legt die Vermutung nahe, dass sie im London National Hospital als Krankenschwester gearbeitet hat. Im Rahmen unseres Seminars konnten wir dieser Spur nicht weiter nachgehen. Es wäre aber denkbar, dass sich über diesen Weg herausfinden lässt wie ihr weiterer Lebensweg sich gestaltete und ob es möglicherweise sogar lebende Nachfahren von Ingeborg gibt.

Hugo Fuß beziffert die ihm 1940 wegen Verfolgung abgenommenen Besitztümer auf 6000 Reichsmark und fordert sie somit zurück. Unterstützung in Form von Geld bekommt er jedoch von keiner der offiziellen Stellen bis mindestens Juni 1948, er gibt darüber hinaus an, ausreisen zu wollen („England, U.S.A, Canada, Palestine“). Danach verliert sich seine Spur für uns im Rahmen dieser Seminararbeit. Zur weiteren Recherche sind möglicherweise die Displaced Persons Nummer (DP Index Card: G 0 449626) bzw. die Ausweisnummer (173 157) hilfreich.
Mögliches Gedenken an Familie Fuss – eine Stolpersteinverlegung?
Die von uns zusammengetragenen Informationen eröffnen die Möglichkeit, um einigen Mitgliedern der Familie Fuß durch die Verlegung von Stolpersteinen zu gedenken. Wir möchten dies hiermit anregen und stellen die nötigen Informationen hier nochmals zur Verfügung5.
| Name | Wohnort | Deportationsdatum | Todesort & Datum/ überlebt |
| Emma Fuß (geb. Mossler) | Paracelsusstraße 45, Pankow | 17.06.1943 | unbekannt, Theresienstadt |
| Johanna Fuß | Paracelsusstraße 45, Pankow | 15.08.1942 | unbekannt (Ghetto Riga) |
| Frieda Fuß | Eintrachtstraße 5, Pankow | 24.08.1943 | unbekannt (Auschwitz) |
| Hugo Fuß | Steegerstr. 14, Pankow | -/- | überlebt |
| Wally Fuß (geb. Cohn) | “ “ | 01.03.1943 | unbekannt (Auschwitz) |
| Erwin Fuß | Ritterstr. 64, Kreuzberg | ?? | überlebt (?) |
| Ingeborg | Steegerstr. 14, Pankow | ?? | überlebt, Auswanderung nach London |
- zur Ambivalenz und dem christlichen Antisemitismus Dibelius‘ vgl. https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/tag/tag-von-potsdam/ ↩︎
- Tent, James F.: Im Schatten des Holocaust: Schicksale deutsch-jüdischer »Mischlinge« im Dritten Reich: Böhlau Verlag, Köln 2007 ↩︎
- https://discovery.nationalarchives.gov.uk/details/r/C11925835 ↩︎
- der letzte selbstgewählte Wohnort der Familienmitglieder ließ sich nicht mit letzter Sicherheit bestätigen. Die Adressen in der Liste von Lachenicht stimmen teilweise nicht mit denen aus der Gedenkliste in „Jüdische Lebenswege“ von Inge Lammel (2007) überein ↩︎
Über die Autoren
Vincent Budinger, Karl Eckardt, Yannick Heinz und Leonard Ludwig studieren Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an der TU Berlin.
