Was weibliche Care-Arbeit und das Runeberg-Törtchen gemeinsam haben

Ein Beitrag von Theresa Kohlbeck Jakobsen

Gestern war der Runberg-Tag (Runebergin päivä, 05. Februar), an diesem Feiertag gedenkt Finnland seinem Nationaldichter Johan Ludvig Runeberg, der u. a. das finnische Nationalepos die „Erzählungen des Fähnrich Stål“ (Vänrikki Stålin tarinat) geschrieben hat. Wie jedes Jahr wurden auf den unterschiedlichen Social-Media-Kanälen massenhaft Zitate aus Runebergs Werken und Informationen zu seiner Biographie geteilt. Dabei oder daneben häufig auch das Rezept für die sog. Runeberg-Törtchen (Runebergintorttu). Das sind kleine Rührteigküchlein mit Mandeln, Lebkuchen-Bröseln, Zuckerguss und Himbeer-Marmelade, die Runeberg angeblich täglich konsumiert haben soll. Das Rezept der Törtchen wurde von seiner Frau Fredrika Runeberg entwickelt. (Zum Foto des Rezepts auf Wikipedia)

Auch diese Information konnte man häufig am Rande der Posts, Tweets, Blogeinträgen etc. lesen. So weit, so gut. Hinter vielen erfolgreichen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts steht eine Ehefrau, die Haushalt, Kinder und Alltag managt. Das traf auch auf die Runebergs zu. Darüber hinaus zählt Fredrika Runeberg, die ganze acht Kinder zur Welt brachte und aufzog, aber auch noch zu den vielen, heute nahezu vergessenen, Autorinnen der finnlandschwedischen Literatur. Ihre Texte, die sie alle unter einer Signatur veröffentlichte, beschäftigen sich kritisch mit den Auswirkungen von Ehe- und Familienleben auf die Frauen. Für spätere Autorinnen der 1880er, wie z. B. Gerda von Mickwitz, ist Fredrika Runeberg eine Wegbereiterin, nicht nur wegen ihrer gesellschaftskritischen Texte, sondern auch weil sie die erste Frauenvereinigung Finnlands gründete. Fredrikas ehelichen Pflichten schränkten ihr literarisches Schaffen massiv ein. Das Management der Familie Runeberg hatte Vorrang vor ihren eigenen Zielen. Ihre Texte verfasst sie entweder während Krankheitsperioden oder an Sonntagabenden nach der Hausarbeit. Die Verbindung zwischen weiblicher Care-Arbeit und dem Runeberg-Törtchen lässt sich also mit einem Namen benennen: Fredrika Charlotta Runeberg (geb. Tengström).

Fredrika wurde 1807 geboren und sie hatte schon als Kind eine Begeisterung für Literatur. Durch Privatunterricht (eine Schule besuchte sie nie) in unterschiedlichen Formaten lernte sie sowohl Deutsch und Englisch als auch Französisch und las einschlägige Werke der drei Sprachen im Original. Von dieser besonderen Sprachkompetenz profitierte später auch Runeberg. Fredrikas Autorschaft war immer ein Diskussionspunkt in der Ehe, denn Runeberg schwankte zwischen Lob, Zweifel und Kritik. Ende der 1850er begann die Autorin ihre kurze Karriere, wenn man es überhaupt so nennen kann, mit der Veröffentlichung des historischen Romans „Frau Catharina Boije och hennes döttrar“. Ein Roman, den sie 15 Jahre in einer Schublade versteckt hatte. 1861 folgt die Prosasammlung „Teckningar och drömmar“, bestehend aus allen Prosaskizzen die Fredrika in der zweiten Hälfte der 1850er in Snellmans Litteraturblatt für allgemeine politische Bildung (Litteraturblad för allmän medborgerlig bildning) veröffentlicht hatte. Im Zentrum der enthaltenen Erzählungen stehen Frauenfiguren. Die Handlungen spielen häufig auf anderen Kontinenten. Fredrikas Schreibstil ist besonders und bewegt sich an der Grenze zwischen Romantik und Realismus. Auch in den darauffolgenden Texten bleibt die Rolle der Frau immer im Zentrum von Fredrikas Erzählungen. Neben der Stellung der Frau in der Gesellschaft beschäftigen die Autorin auch emanzipatorische Fragen wie das Recht auf Ausbildung und Arbeit. Themen, die die Frauenbewegung bis in die 1880ern und darüber hinaus beschäftigen werden. Wie viele spätere Autorinnen des modernen Durchbruchs nutzt sie in ihren Texten Ironie, Satire und das Vertauschen von Geschlechterrollen, um auf Missstände hinzuweisen, ohne sich selbst direkt angreifbar zu machen. Fredrikas schriftstellerische Aktivität findet 1863, nach der Veröffentlichung eines weiteren historischen Romans, „Sigrid Liljeholm“, ein Ende. Neben Runebergs Schlaganfall und der damit verbundenen Pflegearbeit, sollen vor allem die negativen Rezensionen dieses letzten Romans verantwortlich gewesen sein. Fredrika starb nur zwei Jahre nach ihrem Mann 1879. 2007 publizierte die schwedische Literaturgesellschaft in Finnland Fredrika Runebergs autobiographische Aufzeichnungen „Min pennas saga“ erneut (Ersterscheinung war 1942), die nun auch im Netz über die schwedische Literaturbank kostenfrei zugänglich sind.

Der finnlandschwedische Schriftsteller Zacharias Topelius, ein ehemaliger Schüler Johan Ludvig Runebergs, bezeichnete Fredrika in einem Brief an Alexandra Gripenberg 1892, als eine der vielen Märtyrerinnen ihres Geschlechts. Wie die weiblichen Figuren in ihren Texten war sie auf Grund des gesellschaftlichen Frauenideals alternativlos, mit wenig Manövrierraum in der Rolle als Ehefrau und Mutter gefangen. Der damit verbundenen Care-Arbeit im familiären Heim fällt das literarische Schaffen zum Opfer. Der persönliche, emotionale Leidensdruck der Autorin, u. a. verursacht durch die Liebeleien des Ehegatten, spiegelt sich in ihrem Werk wieder. Die Komplexität und Ambivalenz der literarischen Texte gehen jedoch weit über autobiographische Spiegelungen hinaus. Gerade Fredrikas Kurzprosa ist geprägt von einer Vielseitigkeit die ihres Gleichen sucht. Es lohnt sich also den Genuss eines Runeberg-Törtchens durch die Lektüre einer Erzählung aus „Teckningar och drömmar“ zu ergänzen, zu deren Inspiration Fredrika neben der Bibel auch Castréns und Wallins Reisebeschreibungen hinzuzog. Ich empfehle besonders: „Den opp- och nedvända världen“. Eine fantasiereiche Erzählung in der die gesellschaftlichen Geschlechterrollen umgekehrt sind:

Har du varit i Australien? Der allt är fatt tvärtom mot hvad det är hos oss. Der äro svanorna svarta och korparna hvita, och fiskarna flyga och foglarna simma, och folket har sina hufvun ditåt, som vi ha fötterna, och fötterna som vi ha hufvudena. De gå således opp och nedvända, och så är mycket annat hos dem med.

Wer gerne mehr zur Biographie Fredrikas wissen möchte, kann online bei Fembio nachlesen. Originaltexte von Fredrika Runeberg könnt ihr bei der schwedischen Literaturbank im Open Access finden. Ein Rezept für die Runeberg-Törtchen gibt es zum Beispiel bei der lieben Katharina von Wienerbrød. Ein abschließender Dank geht an Helena, die mich mit ihrem Tweet zu Fredrika Runeberg zu diesem Text inspiriert hat. Ihr findet sie auf Twitter @SchlimmeHelena.

Meine Quellen:

Ekelund, Erik (1969): Finlands svenska litteratur 2 – Från Åbo brand till sekelskiftet. Stockholm, S. 135–142.

Forssell, Pia (1999): Fredrika Runeberg – ambition och konvention. In: Wrede, Johan (Hg.): Finlands svenska litteraturhistoria – Första delen: Åren 1400 – 1900. Helsinki/Stockholm, S. 306–314.

Huhtala, Liisi (1993): Selvopofrelsens bitre nydelse. Om Fredrika Runeberg. In: Inger-Lise Hjordt-Vetlesen (Hg.): Faderhuset: 1800-talet. Höganäs, S. 298–307.

Header erstellt mit Canva. Verwendete Bildquellen:

Runeberg-Törtchen: Ville Koistinen, Lizenz: CC BY 2.5.

Fredrika Runeberg: Allardt Ekelund, Karin: Fredrika Runeberg. Lizenz: Gemeinfrei.

6. Februar 2023 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied
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