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ERST WERDEN BRÖTCHEN VERKAUFT, DANN WERDEN BÜCHER GELESEN

Ein Beitrag von Kathrin Mengis

Während meiner Schulzeit stand ich am Wochenende morgens früh um halb sechs auf, um pünktlich zum Sonnenaufgang in der örtlichen Bäckerei Brötchen zu verkaufen. Mit dem erfolgreichen Schulabschluss folgte dann Schichtarbeit bei Ravensburger, um meine geplante Reise nach Asien zu finanzieren. Das hieß: fünfmal die Woche für acht Stunden Puzzle und Spiele im Lager verräumen, manchmal auch nachts.

Nach meiner Reise zog ich nach Berlin, um dort einen Bundesfreiwilligendienst in einer Kindertagesstätte zu leisten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Mieten für ein WG-Zimmer in Berlin noch recht bezahlbar, doch trotzdem reichte die Vergütung bei weitem nicht aus, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Deshalb suchte ich mir zusätzlich einen Nebenjob und landete im Einzelhandel im Alexa. Welche Vorstellung ich von dem Job als Verkäuferin bei einer Modefirma hatte? Kund:innen bei ihrem Einkauf zu beraten. Was mich erwartete? Berge an Klamotten, die bei dröhnend lauter Pop-Musik gefaltet und verräumt werden mussten. Was ich davon mitnahm? Viele nachhaltige Eindrücke über die miserablen Umstände in der Fast-Fashion Industrie.

Mein 20-jähriges Ich landete anschließend auf einer Veranstaltung zum Thema Nachhaltigkeit und Lebensmittelverschwendung. Dort lernte ich meine zukünftige Chefin kennen. Die Gründerin eines Start-ups, das sich für mehr Nachhaltigkeit in der Lebensmittelindustrie einsetzt. Das Projekt klang spannend, ich bewarb mich und landete im Sales-Team. Durch den Job lernte ich die grüne Start-up-Branche kennen, was es bedeutet im Team zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen, selbstständig zu arbeiten. Jedoch auch wie es sich anfühlt, unterfordert zu sein und nicht über sich selbst hinauswachsen zu können. Das Start-up wurde aufgekauft und die meisten deutschen Mitarbeiter:innen wurden gekündigt. Ich nutzte die ungeplante Lücke, um mit meinen Ersparnissen einen Monat durch Dänemark und Schweden zu reisen. Anschließend begann mein Kombi-Bachelor an der Humboldt-Universität. Dadurch, dass ich seit meiner Schulzeit Nebenjobs hatte, konnte ich mein neues Studium richtig genießen. Meine Nase stundenlang in Bücher zu stecken, kritische Texte zu lesen, eine neue Sprache zu lernen, mich in einer Hausarbeit mit einem selbstgewählten, interessanten Thema auseinanderzusetzen – das alles erschien mir plötzlich wie ein unglaubliches Privileg und ehrlich gesagt, das ist es auch.

Doch Studieren allein konnte meine Miete nicht bezahlen. Nach dem ersten Monat im Studium suchte ich somit wieder einen neuen Nebenjob und bewarb mich bei einem Café, das 5-Minuten fußläufig von meiner Wohnung entfernt lag. Der Job war gut bezahlt, ich hatte keine belastenden Geldsorgen und konnte mich weiterhin voll und ganz auf mein Studium konzentrieren. Da ich gerade erst begann, mich mit dem wissenschaftlichen Arbeiten vertraut zu machen und akademische Texte zu lesen, war die körperliche Arbeit im Café ein willkommener Ausgleich zu der intellektuellen Arbeit in den Seminaren oder vor dem Computer.

Natürlich kam manchmal die Frage auf, ob ich nicht einen Job suchen sollte, der mich in meinem Studium voranbringt. Da ich zu diesem Zeitpunkt jedoch schon meinen Auslandsaufenthalt an der Universität Uppsala geplant hatte, erschien ein kurzfristiger Wechsel wenig sinnvoll. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich den Job nicht wechselte, solange ich dort zufrieden war. Denn das Bedürfnis einen Job zu haben, bei dem ich geistig gefordert werde, bei dem ich mich selbst entfalten kann, kam von selbst mit dem voranschreitenden Studium. Intuitiv wollte ich zunächst „einen Job, bei dem ich etwas lerne”, im vorherigen Satz schreiben. Letztendlich habe ich mich dagegen entschieden, weil ich rückblickend in allen meinen Nebenjobs etwas gelernt habe. Über mich selbst, über meine Grenzen, über meine Privilegien, über meine Fähigkeiten. Am wertvollsten waren jedoch letztendlich immer die Begegnungen mit meinen Kolleg:innen. Aus diesen Begegnungen entstanden nicht nur neue Jobmöglichkeiten. So verhalf mir meine ehemalige Chefin zu meiner jetzigen Wohnung und das Wissen aus dem Buch einer ehemaligen Kollegin half mir dabei, für mich selbst im Arbeitsleben einzustehen.

Deshalb kann auch ich mir in den letzten Zeilen einen Tipp nicht verkneifen: habt den Mut verschiedene Dinge auszuprobieren. Genauso wie Dinge auch wieder aufzuhören, wenn ihr euer Potenzial ausgeschöpft habt. Vernetzt euch mit euren Freund:innen, Kommiliton:innen, Kolleg:innen und tauscht euch darüber aus, was es überhaupt für Möglichkeiten gibt.

21. Februar 2022 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied | Kein Kommentar »
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Meine Menstruation, mein Studium

Beitrag & Bild von Kathrin Mengis

Ich versuche zu studieren, aber es fällt mir unglaublich schwer, fühle mich körperlich schwer. Möchte einfach nur schlafen, die Decke über den Kopf ziehen und auf Pause drücken. Gleichzeitig ist der innere Kritiker gerade besonders laut und schreit mich an, wenn ich mich ausruhen möchte. Von einem Tag auf den anderen habe ich mit unglaublich vielen Ängsten zu kämpfen. Bin unzufrieden mit meiner Leistung und mache mir Sorgen über meine berufliche Zukunft, meine Beziehungen, meine Äußerlichkeiten. Alles wird infrage gestellt. Seufzend beuge ich mich wieder über meine Lektüre und frage mich, warum plötzlich so wenig Energie und dafür so viel Traurigkeit und Sorge in mir steckt.

Dankbarkeit überkommt mich, dass ich mittlerweile älter bin und Antworten auf diese Fragen gefunden habe. Dass ich durch die Universität, Kunst, Menschen, Bücher, Medien so viel über  mich und meinen Zyklus gelernt habe.

Manchmal macht es mir Angst, wie sehr mein Zyklus und damit meine Hormone meine Laune beeinträchtigen können. Doch schlimmer war die Angst vor dem Ungewissen, vor dem Unverständnis gegenüber den körperlichen und emotionalen Veränderungen. Es hat lange gedauert bis ich verstanden habe, dass die Veränderungen mit meinem Eisprung und somit mit meiner zweiten Zyklushälfte einhergehen. Als ich das erste Mal von PMS, dem Prämenstruellen Syndrom, gehört hatte, war ich unglaublich erleichtert. Da sich nach einem Eisprung äußerlich nichts in meinem Leben änderte, war ich ratlos gegenüber den innerlichen Veränderungen. Ich war nicht verrückt und das Monster in meinem Kopf hatte einen Namen. Mit dem erhöhten Bewusstsein kam die Bildung. Gerade in Skandinavien wird zu dem Thema Menstruation viel Bildungsarbeit geleistet. Das Ziel ist, das Thema zu enttabuisieren und Vorurteile mit Wissen zu ersetzen. Umso besser man den eigenen Körper und die eigenen Bedürfnisse versteht, kann man danach handeln. Mittlerweile trage ich mir meine Periode in meinen Kalender ein und versuche bewusst die Woche vor meiner Menstruation nicht komplett zu verplanen, um Raum für Ruhepausen zu haben.

In Vorbereitung auf diesen Text stöberte ich durch mein E-Mail-Postfach und erinnerte mich an eine Mail, die ich während meines Studiums kurz vor meiner Menstruation verfasste:

Am 20.11.2018 um 11:24 schrieb Kathrin Mengis (über HU-Moodle):
Liebe/r X,
leider ging es mir körperlich und emotional die letzten Tage nicht gut, sodass ich weder das Lesetagebuch hochgeladen habe, noch an der Sitzung am Montag teilnehmen konnte. Ich bitte dies zu entschuldigen und werde selbstverständlich die Lektüre und die Sitzung bis nächste Woche Nacharbeiten.
Vielen Dank für das Verständnis und bis nächste Woche,
Kathrin

Liest man diese Zeilen, wirken die Worte sehr abgeklärt. Trotzdem fühle ich mich verantwortlich, wenn ich durch meine Menstruation Termine nicht wahrnehmen kann. Das liegt nicht an meinem verständnisvollen Umfeld, sondern viel mehr an mir selbst. Ich möchte funktionieren, ich möchte etwas leisten. Muss ich das? Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass menstruierende Personen jeden Monat bluten und manchmal mehr, manchmal weniger emotionale und physische  Schmerzen haben. Dann sollte es doch auch eine Selbstverständlichkeit sein, dass man offen darüber redet, was einem in diesen Tagen nicht möglich ist, aber auch was einem hilft.

Während dem Schreiben dieser letzten Worte halte ich inne. Sollte es nicht unabhängig von der Menstruation eine Selbstverständlichkeit sein, dass man offen über Bedürfnisse und Probleme spricht? Schließlich können nur so Veränderungen geschehen und Unterstützung erfolgen. Doch es fällt schwer, so ehrlich zu sein, sich so verletzlich zu zeigen. Meine Erfahrungen haben mir jedoch gezeigt, dass es sehr hilfreich sein kann, den inneren Konflikt nach außen zu tragen, sich gegenseitig zu öffnen. Vielleicht möchte es jemand von euch ja mal versuchen?

(25.05.21)

21. Februar 2022 | Veröffentlicht von ehemaliges Mitglied | Kein Kommentar »
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