Ein Beitrag von Samuel Kaila, Praktikant am Finnland-Institut
Wann hast Du zum letzten Mal einen rite de passage erlebt? Vielleicht morgens im Zug auf dem Weg zur Arbeit, bei der Geburtstagsfeier, als Du 18 wurdest, oder bei einer Hochzeit eines nahen Angehörigen? Für mich war die letzte rite-de-passage-Erfahrung ein Praktikum, das mich weit weg von meinem Zuhause führte. Rite de passage bedeutet einen Übergangsritus und wird oft als Prozess beschrieben, in dem sich äußerlich alles verändert, du aber innerlich dieselbe Person bleibst. In diesem Prozess trennt das Individuum sich vom Vergangenen, tritt von einer Phase in eine neue und endet in einem neuen Status in der Gemeinschaft. Rite de passage – Übergangsritus – ist ein bekannter wissenschaftlicher Begriff, an den beispielsweise der Ethnologe Arnold van Gennep[i] und der Anthropologe Victor Turner[ii][iii] sich anlehnen.
Im Moment des Übergangsritus macht man oft unterschiedliche Phasen durch, denn um anzukommen, muss man natürlich erst loslassen. Die Trennung ist oft ein schwieriger Moment, weil der Status quo, die derzeitige und gut bekannte Lage, zerstört wird. Um beim Beispiel meines Praktikums zu bleiben: Mit ihm enden für mich 4–6 Jahre zielstrebigen Studiums. Ich werde fast alle gewohnten Orte verlieren, auch die Mensa!, und meine bisherigen Umgebungen, Abläufe und Gewohnheiten gehen zu Ende. So ein Moment der Trennung übt auf Menschen oft emotionalen Einfluss aus; nach meiner Meinung ist dies sogar auf jedem Bahnhof und an jedem Flughafen sichtbar. An diesen Orten wird deutlich, wie viel man leiden muss, um auf der anderen Seite anzukommen.
Nach dem Sich-Lösen findet eine liminale Phase statt, eine Periode der Ambiguität oder Mehrdeutigkeit, in der man auf einer inneren Reise ist. „So uferlos. Die kalte See“, singt Till Lindemann und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Während der liminalen Phase bist du in den Augen der anderen nicht mehr, was du früher warst, sondern schwimmst in einem unbestimmten Bereich des sozialen Lebens. Ein Praktikum scheint mir auch eine liminale Phase zu sein; man kann von seinen Leistungen noch kein Leben finanzieren, hat noch nicht die volle Verantwortung für seine Arbeit und ist überhaupt noch nicht vollwertiger Arbeitnehmer. Auf jeden Fall ist die Liminalität – der Zustand der Mehrdeutigkeit – nichts besonders Schlimmes und ist noch dazu wichtig, um das eigentliche Ziel zu erreichen. Während dieser Phase hast du die Möglichkeit, noch zu lernen und kleine Fehler zu machen, die dich nicht gleich deine Zukunft kosten. Aber dieser Zustand sollte nicht ewig andauern. Ein Praktikum sollte zum Beispiel nur so lange dauern, wie es für dich von Vorteil ist. Niemand soll ohne ausreichende Entlohnung arbeiten und im Limbo des sozialen Lebens bleiben.
Normalweise kommt alles zu einem (guten?) Ende; die Schiffe mit der lang erwarteten Fracht legen im Hafen an, die letzten Gläser auf der Feier werden geleert, und hoffentlich endet auch dein spannendes Praktikum an dem Punkt, wo alles, was du lernen kannst, gelernt ist. Nach dem freien Fall, wenn die Füße auf dem festen Boden der Zukunft stehen, beginnt eine stabilere Phase. Die Integration in das „neue“ Leben schreitet voran und du wirst ein souveräner Akteur der Gemeinschaft. Normalweise bringen solche Veränderungen mehr Verantwortung mit sich, die es zu übernehmen gilt. Im besten Falle ist das Individuum in den Augen der Gemeinschaft „größer“ geworden und kann deswegen auch mehr Verantwortung tragen. Aber nur die Zukunft kann zeigen, ob du wirklich bereit bist, sie zu überzunehmen.
[i] Gennep, A. v(1960). The rites of passage. University of Chicago Press : Routledge & Kegan Paul
[ii] Turner, V. (1974). Dramas, Fields, and Metaphors: Symbolic Action in Human Society
[iii] Turner, V. & Abrahams, R. D. (1969). The Ritual Process: Structure and Anti-Structure.
Ein Beitrag von Lea Bauer
Ob mir von Anfang an bewusst war, dass die Skandinavistik für mich hauptsächlich ein Interessensstudium sein würde? Rückblickend würde ich sagen: Ich denke schon, da ich mich für einen Kombinationsstudiengang entschied, um noch ein weiteres „Standbein“ zu haben. Doch sowohl das Leben in der Hauptstadt als auch das Studium selbst eröffneten mir überraschend viele Möglichkeiten, praktische und gleichzeitig studienbezogene skandinavistische Erfahrungen zu sammeln. Wenn auch meine Nebenjobs entweder mit keinem meiner Studiengänge etwas zu tun hatten (Arbeit für eine NGO, Regalverräumung in einer Drogerie) oder mit meinem Zweitfach Bibliotheks- und Informationswissenschaft (studentische Hilfskraft in der Universitätsbibliothek, Arbeit in einer firmeneigenen One-Person-Library), so habe ich hingegen tolle Praktika durchführen können, bei denen ich sogar meine beiden Studienfächer miteinander verbinden konnte.
Berlin bietet für Skandinavistikstudent*innen einige Möglichkeiten, sich beruflich zu erproben oder dort sogar einen Berufseinstieg zu finden. Sei es im Rahmen des Nordeuropa-Instituts selbst, in spezialisierten Buchhandlungen, Kulturinstituten, Verlagen, den Nordischen Botschaften, Museen oder Sprachschulen – die Liste ist lang. Ich persönlich hatte das Glück, mein erstes Praktikum im Finnland-Institut in Berlin direkt in Universitätsnähe absolvieren zu können. Durch die institutseigene Bibliothek kam mir die dort gesammelte Erfahrung für beide Studiengänge zugute. Ebenso wertvolle Eindrücke und Kenntnisse konnte ich bei meinem zweiten Praktikum, einem Auslandspraktikum im Goethe-Institut in Helsinki (ebenfalls mit eigener Bibliothek), gewinnen. Mein Fazit nach beiden Praktikumseinsätzen in Bezug auf meine berufliche Zukunft lautete: Am liebsten in einer Bibliothek, am liebsten im nordeuropäischen Ausland.
Zu dieser Kombination kam es bisher leider nicht. Die Entscheidung für eine Auswanderung sollte nicht übers Bein gebrochen werden und bedarf einiger Vorbereitung und nicht zuletzt auch finanzieller Absicherung. Auch Familie und Freunde in Deutschland spielen dabei vielleicht eine Rolle. Für mein Wunschziel Finnland waren außerdem nicht genug Sprachkenntnisse vorhanden, um auf dem dortigen Arbeitsmarkt nennenswerte Chancen auf eine Arbeit in einer Bibliothek zu haben. Wie ist das Ganze also nun ausgegangen?
Nach Abschluss meines Masterstudiums zog ich aus privaten Gründen nach Sachsen, wo ich seitdem immerhin meiner ersten Prämisse nachkommen konnte: Ich arbeite in einer wissenschaftlichen Bibliothek im Öffentlichen Dienst. Dort hatte ich bisher jedoch bis auf eine Handvoll Bücher auf Norwegisch, Schwedisch oder Dänisch (immerhin!) keinerlei Bezug zu Skandinavien. Dazu hätte ich in meiner derzeitigen Umgebung auch kaum eine Möglichkeit, selbst wenn ich den bibliothekarischen Bereich verlassen würde. Ich habe die Skandinavistik also vorübergehend zurücklassen und aus meinem Berufsleben streichen müssen. Trotzdem hat mir meine bisherige Erfahrung gezeigt, dass es auch in Deutschland nicht unmöglich ist, einer Arbeit mit Skandinavien-Bezug nachzugehen und dass die Skandinavistik dementsprechend auch nicht ausschließlich „nur“ ein Interessensstudium sein muss. Perspektivisch hoffe ich weiterhin, in naher Zukunft wieder beide Studienfächer miteinander vereinen zu können, wo auch immer mich das am Ende hinführen mag.