Ein Beitrag von Hannah Zeppen, Praktikantin am Finnland-Institut
Wie schnell Finnland einen in seinen Bann ziehen kann – nur ein Jahr und schon hin und weg. Zumindest war es bei mir so, 2019 zog es mich aus meiner Heimat am Niederrhein in die Nähe von Helsinki. Ich wusste erst nur: Ich will in den Norden. Heute bin ich unglaublich glücklich, dass es Finnland geworden ist. Ich habe mich in die Bescheidenheit und Zurückhaltung verliebt sowie in die gelebte Gleichheit und Toleranz, die ich im Denken der Finn*innen zu identifizieren glaubte. Sich auf das Wesentliche zu beschränken, das dann aber gut durchdacht – das ist eine Einstellung, die ich sehr genossen habe.
Nichts ist im Überfluss vorhanden, aber alles von guter Qualität – Freundschaften, Komplimente, Einladungen… Bei meinen finnischen Freund*innen konnte ich mir sicher sein, dass sie wirklich Zeit mit mir verbringen wollten und sie ihre Meinung nicht hinter Worthülsen verstecken würden. Ich war ganz in einem Element, das ich vorher gar nicht so sehr als Teil von mir wahrgenommen habe: der offenen und super direkten Kommunikation. Ich musste feststellen, dass ich nichts mehr liebe, als einfach zu sagen, was Sache ist, ohne die lokale Etikette und soziale Normen ständig im Kopf behalten zu müssen. Manch einer würde sagen, ich wäre faul – ich würde behaupten, irgendwo in mir schlummert einfach ein wenig nordisches Blut.
Obwohl meine Finnisch-Kenntnisse am Ende meiner Zeit dort doch zu wünschen übrigließen, habe ich also Finnisch kommunizieren können. Was mich fasziniert hat, ist das Unterliegende in der Sprache, der Ton und die Art und Weise, die unabhängig von Grammatik und Vokabular prägend sind. Noch nie ist mir so stark bewusstgeworden, wie ich den Kontakt zu meinen Mitmenschen gerne gestalten möchte.
Dann bin ich umgezogen. Nach Finnland folgte Bayern und dann studienbedingt ein Jahr in der Bretagne in Frankreich. Mich trennten erst 1.500, dann 2.200 Kilometer Luftlinie von Helsinki.
In meiner Zeit in Frankreich hat sich dann langsam ein Vermissen eingestellt, auf das ich nicht vorbereitet war. Plötzlich hätte jedes „vielleicht“ ein „nie“ bedeuten können und jedes „ja, ich schau nach“ ein „auf gar keinen Fall“. Ich stand mit meiner finnischen Art zu kommunizieren plötzlich vor vielen Problemen und Missverständnissen, obwohl ich doch die französische Sprache viel besser beherrsche – fast fließend.
Mein Studium hat mir allerdings nicht nur im Privaten die Kulturunterschiede in Europa aufgezeigt, sondern mich auch fachlich mit Edward T. Hall bekannt gemacht, dem Begründer der Fachrichtung der Interkulturellen Kommunikation in den anthropologischen Wissenschaften [1]. Der U.S.-Amerikaner setzte damals verschiedene Dimensionen und Vergleichskriterien fest, mit deren Hilfe man Unterschiede in der Kommunikation kulturspezifisch besser benennen konnte. Noch heute finden sie in vielen Bereichen Anwendung und, auch mir haben sie geholfen, in Worte zu fassen, warum interkulturelle Kommunikation oft eine Herausforderung ist.
Besondere Relevanz für mich hatte dabei die Dimension der Kontextorientierung, in der ich schwarz auf weiß nachlesen konnte, was ich damals empfunden habe. Kulturen, die sich stark am Kontext orientieren (wie man sie in den Ländern im Süden Europas und somit auch Frankreich findet), sehen die Verantwortung in Gesprächen sehr oft bei dem/der Empfänger*in des Gesagten. Es wird erwartet, dass auch Ungesagtes verstanden wird und man sich trotz der vielen Metaphern und impliziten Formulierungen zurechtfindet.
Im Norden wird diese Dynamik umgedreht. Der Sendende hat hier die Verantwortung, in präziser und expliziter Sprache sein Anliegen darzulegen. Das Gesagte gilt – unabhängig von der Beziehung der Sprecher und der Umgebung. Die finnische Kommunikation ist folglich für Menschen wie mich herrlich unkompliziert und deswegen bequem – auch wenn sie anders sozialisierten Personen ungewöhnlich direkt oder sogar unhöflich vorkommt.
Jedem, der diese Erfahrungen mit mir teilt, lege ich sehr ans Herz, sich die Dimensionen der interkulturellen Kommunikation doch einmal anzuschauen und im gleichen Atemzug vielleicht auch die Kulturdimensionen nach Geert Hofstede [2] zu wiederholen (wahrscheinlich zwei Klassiker, um die kein Geisteswissenschaftler wirklich herumkommt).
Ich für meinen Teil habe daraus mehr über mich gelernt als über die Menschen in Finnland. Wahrscheinlich wird es mich auch in Zukunft wieder in dieses schöne Land ziehen, in dem ich so direkt sein kann, wie ich will. Und sollte dieser Text auf finnische Kritik stoßen – dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.
[1] https://www.ikud.de/glossar/edward-t-hall.html
[2] https://geerthofstede.com/culture-geert-hofstede-gert-jan-hofstede/6d-model-of-national-culture/
Wenn ihr mehr über das Finnland-Institut erfahren wollt: https://finnland-institut.de/