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Schuld – Mitschuld – Unschuld. Die evangelische Kirche im Nationalsozialismus

von Victoria Klärner, Vera Klauser Soldá und Henrik Scholle

Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten.

Matthäus 6,24

Die Kooperation von Kirche und Staat zur Zeit des Nationalsozialismus zeigt, dass dieses Bekenntnis nicht immer auch umgesetzt wurde. Beide Institutionen verband eine enge Kooperation; angesichts des Zitats wird somit ein gewisses Konfliktpotenzial deutlich. Obwohl die Zeit des Nationalsozialismus bis heute umfassend erforscht wurde und die Kenntnis über die systematische Verfolgung der Juden zum Allgemeinwissen zählt, ist das bezüglich der Zusammenarbeit von NS und Kirche nicht immer der Fall. Es gibt kaum ein Bewusstsein dafür, inwiefern und vor allem auch, dass die evangelische Kirche überhaupt in das System integriert war.

Diese Tatsache war ausschlaggebend für uns, das Thema als Einführung aufzubereiten, um eine Grundlage für die weitere Beschäftigung mit diesem häufig vernachlässigten Teil der Kirchengeschichte zu schaffen. Dabei haben wir uns bemüht, eine objektive und kritische Sichtweise einzunehmen und zudem eine besondere Art der Wissensvermittlung gewählt, um das Thema zugänglicher zu machen und von anderen Darstellungen abzuheben.

Wir, das sind übrigens: Victoria Klärner (Master Deutsche Literatur, HU), Vera Klauser Soldá (Master Deutsche Literatur, HU) und Henrik Scholle (Bachelor Geschichts- und Sozialwissenschaften, HU). Verantwortlich für Layout und grafische Gestaltung ist Johanna Groß (Bachelor Grafikdesign und Visuelle Kommunikation, HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft).

Broschüre: Schuld – Mitschuld – Unschuld. Die evangelische Kirche im Nationalsozialismus (PDF, ca. 10MB)

Dieser Beitrag wurde leicht verändert und von seinem ursprünglichen Erscheinungsdatum 2022 auf 2023 datiert, nachdem die Broschüre nach langen Vorarbeiten als PDF-Version zur Verfügung stand.

Blinde Kontinuitäten in Vergangenheit, Gegenwart…und Zukunft?

Anlässlich der Debatte um Max Friedlaender – die Erinnerungskultur der evangelischen Kirche auf dem Prüfstand

von Victoria Klärner

Karteikarte aus der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin (Quelle: Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin, ELAB, Bild 455 TK 3444)

Konstant bedeutet, verlässlich und authentisch zu sein. Das ist erst einmal nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil, so werden die Erwartungen stets erfüllt und es gibt keine unangenehmen Überraschungen; so weit, so gut. Beziehen sich diese Kontinuitäten jedoch auf eine anhaltend bruchstückhafte und einseitige Darstellung der eigenen Vergangenheit, die sich auch deutlich in der Erinnerungskultur niederschlägt, ist ein solch positives Urteil wohl nicht angebracht. Gemeint ist in diesem Fall die Aufarbeitung der evangelischen Kirche, welche das Engagement der Institution zur Zeit des Nationalsozialismus nur allzu gern verschweigt bzw. beschönigt darstellt. Dabei ist eine umfassende Erinnerungskultur sowohl von individueller als auch kollektiver Bedeutung[1]; hat sie doch eine identitätsstiftende Wirkung, wie Aleida Assmann betont:

Mithilfe von Erinnerungskulturen stärken Gruppen ihre Identität, bestätigen sie ihre Werte […].[2]

Wenn aber diese Identität auf einer unvollständigen Darstellung der Geschichte beruht, vermittelt das ein falsches Bild und zeigt damit wiederum ein typisches Merkmal der deutschen Erinnerungskultur – das Ausblenden entscheidender Wahrheiten der Vergangenheit.[3] Im Falle der evangelischen Kirche führt(e) die einseitige Überlieferung dazu, dass heute viele Theologiestudenten und kirchliche Mitarbeiter die Vergangenheit ihrer eigenen Institution nicht kennen. Ein grober Fehler der Erinnerungskultur, in der – wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht – nur allzu gern der eigene widerständische Charakter und bekannte Namen wie Niemöller oder Bonhoeffer hervorgehoben werden. In diesem Glanz – der ohne Frage bedeutenden Persönlichkeiten – wird aber gleichsam verschwiegen, dass es sich dabei um wenige Einzelpersonen handelte. Eine umfassende und organisierte kirchliche Widerstandsbewegung, als welche sie häufig pauschal dargestellt wird, existierte nicht. Vielmehr war die Kirche direkt in das System integriert und maßgeblich daran beteiligt, dass die Nationalsozialisten Einblick in die genealogische Vergangenheit der einzelnen Mitglieder erhielten und so gezielt die jüdisch-stämmigen herausfiltern konnten. Auch rassistische und antisemitische Äußerungen seitens kirchlicher Amtsträger waren keine Seltenheit – die nationalsozialistische Weltanschauung war auch in den Köpfen und Taten der Protestanten präsent. Diese, angesichts der Vergangenheit unumgängliche Aufarbeitung wurde von der Kirche jedoch nur teilweise und wenn, in Form einer zu eigenen Gunsten ausgelegten Darstellung geliefert. Außenstehende haben für die Erinnerungskultur weit mehr erreicht als die evangelische Kirche selbst.[4]

Und auch wenn sich einmal die Gelegenheit bietet, dieser Verdrängung der Geschichte ein positives und selbstkritisches Beispiel entgegenzusetzen, schafft es die Kirche, sich wiederholt in einem wenig schmeichelhaften Licht zu präsentieren.

Vergangenheit

Max Friedländer in seinem Arbeitszimmer, ca. 1920-1930; Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Ottilie Kasper

Max Friedlaender wurde 1852 in Brieg in Schlesien geboren, studierte Musikwissenschaften und Gesang und hatte sich im Laufe seines Lebens besonders um das deutsche Volkslied verdient gemacht. Sein durchaus beeindruckender Lebensweg soll hier jedoch nicht Thema sein. Vielmehr ist es Friedlaenders religiöse Zugehörigkeit, die Anlass zur Debatte bot. Zwar wurde er als Jude geboren, konvertierte aber in den 1890er Jahren zum Christentum und wurde somit Protestant. Im Rahmen des nationalsozialistischen Systems galt er jedoch weiterhin als Jude und erhielt 1936 in der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin eine eigene Namenskartei, ebenso wie seine Frau Alice (geb. Politzer, getauft 1904).[5] Friedlaender selbst war von der Judenverfolgung zwar nicht mehr direkt betroffen – er starb 1934 – Verwandte von ihm jedoch schon.

Es gab folglich bereits in der Vergangenheit große Unterschiede zwischen religiöser Eigenwahrnehmung und Fremdzuschreibung.

Gegenwart

Am 8. Oktober 2021 wurde auf dem Südwestfriedhof in Stahnsdorf die Urne von Henry Thomas Hafenmayer beerdigt. Die Brisanz dieser Tatsache ist gleich doppelt begründet; zum einen handelte es sich bei diesem Mann um einen bekennenden Holocaustleugner und zum anderen wurde er auf der Grabstätte von Friedlaender beigesetzt. Dass Gräber nach einer gewissen Zeit wieder vergeben werden, ist üblich, jedoch in diesem Fall aufgrund der religiösen Zugehörigkeit Friedlaenders im Kontrast zur Gesinnung des Beigesetzten erwartungsgemäß durch die Presse gegangen.

Die Kirche reagierte mit einem durchinszenierten Bild (Quelle/Link: Twitter-Account Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz), das den Bischof Christian Stäblein mit einer Kippa auf dem Kopf am Grabstein von Max Friedlaender zeigt. Auf den ersten Blick könnte es vielleicht als übliche Darstellung im Sinne der Solidarität mit der jüdischen Gemeinde gedeutet werden, doch wenn es am selben Tag heißt, Friedlaender sei Protestant gewesen, überwiegt doch der Eindruck eines inszenierten und gezielt öffentlichkeitswirksamen Bildes. Auf einer eigens für den Themenkomplex Friedlaender eingerichteten Seite der EKBO[6] heißt es in einem Frage/Antwort-Schema genauer: „Er war jüdischer Herkunft und trat in den 1890er Jahren zum evangelisch-lutherischen Glauben über. Er wurde 1934 als evangelischer Christ bestattet.“ Und weiter: „Die Freigabe für Henry Thomas Hafenmayer erfolgte auf Basis des Bestattungsregisters, das Max Friedlaender mit evangelischer Konfession führte.“ Wie kann es sein, dass Friedlaender offiziell offensichtlich als Protestant angesehen wird, sich der Bischof aber mit Kippa ablichten lässt und so den Eindruck vermittelt, ersterer wäre jüdisch gewesen? Hinzu kommt eine fragwürdige Aussage desselben in einer offiziellen Pressemeldung: „Als evangelische Kirche haben wir die erste und vornehmste Aufgabe, an der Seite der jüdischen Geschwister zu stehen.“[7] An der Aussage selbst ist nichts auszusetzen, der Kontext stellt sie jedoch in ein zweifelhaftes Licht. Hier scheint es an Sensibilität für die eigene Vergangenheit und Bewusstsein für die offensichtliche Verdrängung derselben zu mangeln.

Wiederholt werden, neben der mangelnden Sensibilität, die Fehler der Erinnerungskultur und das Missverhältnis der Kirche zu ihrer eigenen schuldhaften Vergangenheit deutlich. Die Kirche hat Schuld auf sich geladen, indem den Forderungen der Nationalsozialisten zur Mithilfe an der Verfolgung Unschuldiger bereitwillig nachgekommen wurde. Nun macht sich die Kirche zum zweiten Mal schuldig, indem dies nicht lückenlos aufgearbeitet wird.[8] Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist der Leser eines Presseberichts über die Friedlaender-Debatte womöglich weniger „erschüttert und fassungslos“, als es Bischof Stäblein bei einem Besuch der Grabstätte auf dem Südwestkirchhof war. Weiter führte er an, dass er „ […] alles daran setzen [möchte], diese Schändung des Grabes von Max Friedlaender aufzuarbeiten.“

Zukunft?

Angesichts der vergangenen Bestrebungen zur gewissenhaften Aufarbeitung sollte diese Aussage womöglich mit einer gesunden Skepsis betrachtet werden; zugleich wird sie von Zweifeln an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens begleitet.

In Anbetracht der Berichte aus Vergangenheit und Gegenwart sind die systematischen Kontinuitäten in der Erinnerungskultur der evangelischen Kirche eindeutig zu erkennen. Das Beispiel Max Friedlaenders ist dafür exemplarisch. Die Diskrepanz zwischen Eigenwahrnehmung und Fremddarstellung ist offensichtlich; erschreckend – aber zugleich auch bekannt – ist die sowohl sprachlich als auch historisch fehlende, kritische Auseinandersetzung mit den Zuschreibungen „jüdisch“ und „evangelisch“, die augenscheinlich in diesem Fall stets zugunsten der Argumentation ausgelegt wurden und werden. Friedlaender wäre Protestant gewesen, aus diesem Grund sei die Vergabe der Grabstätte an einen Holocaustleugner im Grunde gestattet; hinzu kommt, dass er „1934 als evangelischer Christ bestattet [wurde].“[10] Letzteres stimmt nicht wirklich, er mag zwar so bestattet worden sein, galt aber laut Gesetz als „jüdisch“, u. a. zu sehen an seiner Karteikarte, und war so eigentlich auch für die Kirche kein Protestant. Hier fehlt wiederholt eine Kontextualisierung in der Argumentation der Kirche.

Eine ehrliche und vor allem selbstkritische Erinnerungskultur ist längst überfällig; auch wenn sich damit zugleich von der zwar bequemen, aber auch historisch inkorrekten wie subjektiven Engführung von Bekennender Kirche und Widerstand verabschiedet werden muss – die Kirche muss sich endlich vollends zu ihrer Schuld bekennen.


[1] Aleida Assmann schreibt dazu: „Individuelles Erinnern ist also in den größeren kulturellen Rahmen kollektiven Erinnerns eingebunden, womit die Voraussetzung für eine kollektive Identität geschaffen werden, die die Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlägt.“ (Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen in der Erinnerungskultur. Eine Intervention, 3. erweiterte und aktualisierte Auflage, München 2020, S. 29)

[2] Ebd., S. 32.

[3] Ebd., S. 40.

[4] Hier ist besonders auf Manfred Gailus hinzuweisen, der zahlreiche Bücher und Artikel zum Thema Evangelische Kirche und Nationalsozialismus veröffentlicht hat. Vor allem seine Ergebnisse zur Kirchenbuchstelle Berlin und deren Leiter Karl Themel sind besonders hervorzuheben.

[5] Für nähere Informationen zur Kirchenbuchstelle siehe Artikel Aus dem sicheren Dunkel der Anonymität: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/07/14/aus-dem-sicheren-dunkel-der-anonymitaet/.

[6] Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO): https://www.ekbo.de/no_cache/start/themen/beisetzung-auf-der-ehemaligen-grabstaette-von-max-friedlaender.html

[7] Aus einer Pressemitteilung vom 14. Oktober 2021, Bischof Christian Stäblein: https://www.ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/1._WIR/06._Bischof/B.Z._Kolumne_St%C3%A4blein/211014_Grabstelle_Max_Friedl%C3%A4nder__003_.pdf

[8] Näheres zum Themenkomplex Schuld(frage) und Kirche finden Sie hier: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/05/04/296/

[9] Ebd.

[10] Info-Seite der EKBO: „Wer war Max Friedlaender?“: https://www.ekbo.de/no_cache/start/themen/ beisetzung-auf-der-ehemaligen-grabstaette-von-max-friedlaender.html

Update 5/2023: Twitter-Einbindung/Foto-Link modifiziert, Schlagworte ergänzt

2. Mai 2022 | Veröffentlicht von Victoria Klärner | Kein Kommentar »
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Antisemitismus von vorgestern und heute

von Johan Wagner

„DIE WEISSE ROSE“ als „Claim“ für „Querdenker“-Sticker – antisemitisch? (c) J. Wagner

„DIE WEISSE ROSE“ als „Claim“ für Querdenker-Sticker, die im Straßenraum von Berlin des Jahres 2022 auftauchen. Ist das Antisemitismus? Sicher ist: Antisemitismus in den sozialen Medien nimmt in Europa derzeit stark zu, eine Studie der Europäischen Union ermittelte zwischen den Vor-Pandemiemonaten Januar und Februar 2020 und dem Pandemiejahr 2021 eine siebenfache Steigerung von antisemitischen Schlagworten in französischsprachigen Sozialmedien-Accounts, eine sogar 13-fache Steigerung in deutschsprachigen Sozialmedien-Accounts (vor allem im Messengerdienst Telegram).[1] Wie starken Anteil daran hat religiös motivierter Antisemitismus und was hat dies mit unzureichend aufgearbeiteter Versagensgeschichte der Kirche zu tun? Gibt es auch deshalb immer wieder antisemitische Vorfälle auch im kirchlichen Bereich?[2] Auch dieser Blogbeitrag kann zu diesen schwierig zu beantwortenden Fragen nur Anhaltspunkte liefern, die gleichwohl den Vorteil haben, dass Sie weiterhin insbesondere in der Region Berlin-Brandenburg präsent erscheinen. Es gibt Hinweise, dass christlich-religiös motivierte alte Vorurteile in der Pandemie vermehrt sichtbar werden. So zitiert die genannte Studie eine französische, fundamentalistisch-christliche Facebook-Seite mit einem wütenden Angriff auf die vermeintlichen Verschwörer hinter der Pandemieentwicklung und der Eindämmungsmaßnahmen: „[…] ihre [die der „Juden“, JW] Impfstoffe voll von […] Unreinheiten aller Arten.“[3] Im Zusammenhang der Corona-Proteste spricht der Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg, Michael Blume im Experteninterview einer weiteren Studie von einem „libertären Antisemitismus“.[4] Die Autor:innen halten in der Studie fest, dass Christ:innen keine prägende Stellung in der „Querdenken“-Bewegung eingenommen haben.[5]

Antisemitismus bleibt ein Thema,
zu dem es stapelweise „Lesestoff“ gibt. (c) J. Wagner

Ein anonymer Brief von 1933

Im Zentrum dieses Blogbeitrags steht ein anonymer Beschwerdebriefs vom Totensonntag 1933.[6] Alle Kirchen- und Partei-Gremien und auch prominente Vertreter werden in dem anonymen Schreiben angegriffen und beleidigt.

Erste Seite des anonym verfassten Beschwerdebriefs, ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“.

Sogar der „Reichsbischof“, der mit „Herr Reichsbischof !“ adressiert wird, wird hart kritisiert:

„Im selben Augenblick, da der stellvertretende Führer [Rudolf] Heß diesen Programmpunkt [eines „positiven Christentums“] demonstrativ verließ um gegen Sie, Herr Reichsbischof (trotz Ihres Dementis) zu agititeren und proklamierte daß in Deutschland hinfort jeder nach seiner Fasson selig werden könne, daß Religion, wie z. Zt. der Marxistenherrschaft, wieder Privatsache sei, brachen die Schranken, die nur künstliche waren […].“[7]

Gegen Ende wird der „Reichsjugendführer“, Baldur von Schirach, frontal attackiert:

„Was soll aus unserer Jugend werden unter der Führung des Gottlosen, der sich Baldur von Schirach nennt, in Wirklichkeit aber „Fritz Moll“ heißen soll. Ein politischer Hochstapler. […]“[8]

Nur der abgesetzte Generalsuperintendent der Kurmark, Otto Dibelius, wird als Beispiel der Standhaftigkeit gegenüber der Tagespolitik und dem Duckmäusertum sowie der Überzeichnung nationalsozialistisch-christlicher Doppelgläubigkeit gewählt.

„Und so wie mit [Joachim] Hossenfelder [Pfarrer und einer der führenden „Deutschen Christen“] ist es mit fast all den anderen Bischöfen, Pröbsten und Prälaten. Nicht ihre Eignung hat diese Herren ge- und befördert, sondern ihre Parteizugehörigkeit und ihr großes Maul, während man verdiente und hochqualifizierte Männer wie D. Dibelius und viele andere in der brutalsten Weise hinauswarf.“[9]

Es ist dem kurzen Format eines Blogbeitrags geschuldet, dass von dieser Eloge auf Dibelius eine direkte Überleitung auf den „Tag von Potsdam“ folgt, einer der Tiefpunkte in seiner Biographie. Persönlichkeiten sind – wie auch lieux de mémoire – oft vielschichtig. Die Knappheit erfordert hier eine Konzentration auf eine oft unterrepräsentierte Seite des späteren ersten Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.

Ein umstrittener „hochqualifizierter“ Mann

Otto Dibelius ist umstritten, weil er antisemitische Positionen lange vertreten hat. Dafür steht auch der „Tag von Potsdam“, bei dem die Garnisonkirche Potsdam als preußischer Erinnerungsort für die zeremonielle Auftaktveranstaltung eine wichtige Rolle spielte. Vor der Konstituierung des am 5. März 1933 gewählten Reichstags hielt hier Adolf Hitler als Reichskanzler seine Regierungserklärung. Zuvor hatte bei einem evangelischen Gottesdienst in St. Nikolai Dibelius gepredigt und sich im Sinne der Zwei-Regimente-Lehre hinter die Vorstellung „nationaler Einheit“ gestellt.[10]

Der Wiederaufbau des Garnisonkirchen-Turms ist wegen des „Tages von Potsdam“ umstritten. Im Vordergrund zu sehen sind die Dekorationselemente der Turmspitze. Heute sollen sie einladen zur differenzierenden Erinnerung an ambivalente deutsche Geschichte. Dies hat auch das Potential einer zeitgemäßeren Erinnerung an Otto Dibelius. Am Bauzaun finden sich Plakate der Kampagne https://tut-der-seele-gut.info, darunter„Antisemitismus schadet der Seele“. (c) J. Wagner

Gleichzeitig erscheint er weiterhin als selbsternannter Bischof und Kämpfer für die westliche freiheitliche Welt im Kalten Krieg als Symbol in Berlin. So wird der Lichteffekt eines Kreuzsymbols auf dem Berliner Fernsehturm im Berliner Volksmund als „Dibelius‘ Rache“ bezeichnet.[11] Im diesem Licht lautet die Leitfrage:

Inwieweit waren antisemitische Positionen innerkirchlich Normalität, dass Otto Dibelius als innerkirchliche Opposition zu übersteigertem nationalsozialistischen Reformeifer à la Joachim Hossenfelder fungieren konnte?[12]

Die Beziehung von Antisemitismus und Protestantismus ist auch fast 90 Jahre nach dem anonymen Brief etwas, dass sich zu betrachten lohnt. 2019 wurde von den Evangelischen Akademien in Deutschland die Broschüre „Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflektion“ herausgebracht. Darin heißt es, es sei „zu fragen, welche Fundamente protestantischer Weltdeutung und Identität dazu geführt haben, dass der Protestantismus zum tragenden Milieu des modern werdenden Antisemitismus im 19. Jahrhundert werden konnte.“ Mit Michael Wildt möchte ich ergänzen und zuspitzen: „Ich befürchte, dass wir uns mittlerweile erinnerungspolitisch gemütlich und selbstzufrieden eingerichtet haben im Zivilisationsbruch.“[13] Es geht mir in diesem Blogbeitrag nicht in der Umkehrung der antisemitischen Unreinheits-Fantasterei: Nicht um eine Idealvorstellung, was ein Generalsuperintendent 1933 am „Tag von Potsdam“ hätte predigen können. Sondern um ein genaues Schauen auf die Geschichte. Und darum, dass an umstrittene Figuren nicht einseitig erinnert wird. Otto Dibelius steht in einer Nationalprotestantismus-Tradition. Er war geprägt von einem Übergang von religiösem Antijudaismus zum „rassistischen Vorbehalt“ im 19. Jahrhundert.[14] Im „Umbruchjahr 1933“ stand er wie Viele nicht grundsätzlich gegen die NS-staatliche Gewalt. „Die Kirche dürfe, so meinte Dibelius [in seiner Predigt am „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933] unter Verweis auf Luther, der ‚rechtmäßigen staatlichen Gewalt‘ nicht in den Arm fallen, wenn sie das tue, wozu sie berufen sei. Wenn der Staat gegen die Feinde der staatlichen Ordnung vorgehe, dann möge er in Gottes Namen seines Amtes walten.“[15]

Diese Haltung ist also am Totensonntag 1933 vorbildlich:

„Ist es überhaupt noch möglich, die Bewegung [der „Deutschen Christen“, JW] zu retten, nur dadurch, daß sofort diese üblen Gesellen samt und sonders hinausgetan werden und ein Mann die Leitung übernimmt, der etwas kann und aufgrund überragender Fähigkeiten imstande ist, aus dem Chaos zu retten, was zu retten ist. Wir haben nur einen und das ist der Generalsuperintendent Dibelius. [Hervorhebung im Original]“[16]

Antisemitismus als Normalfall

Abschließend bleibt die Frage nach der innerkirchlichen Normalität des Antisemitismus schon zu Beginn der NS-Zeit und im Vorfeld. Viel passierte, um herauszufinden, wer den Brief geschrieben hatte. Dabei ging es nicht um eine antisemitische oder „philosemitische“ Einstellung, sondern um die Frage, wie sehr bereits eine „Doppelgläubigkeit“ (Manfred Gailus) an evangelische und nationalsozialistische Glaubensgrundsätze Maßstab der Dinge war.[17] Was sagt es über das Konsistorium aus, dass eine solche Philippika aufwändige Nachforschungen hervorrief?[18]

Weitere Recherchen und kritische Blicke auch auf Führungsfiguren der Bekennenden Kirche, in deren Tradition die Evangelische Kirche in Deutschland gleichwohl zu recht sieht, sind notwendig. Gerade vor dem Hintergrund eines neu aufflammenden Antisemitismus bleibt die Feststellung dass es bei diesen Blicken darum gehen muss eine glaubensmäßige Unterfütterung der NS-Herrschaft zu verstehen. Manfred Gailus schreibt von einem „radikalisierten religiösem Fanatismus“.[19] Dieser Wahn wirkt bis in unsere heutige, pandemische Zeit.


[1] Europäische Kommission, Institute for Strategic Dialogue, The Rise of Antisemitism online during the pandemic. A study of French and German content, Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2021, online verfügbar unter https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/d73c833f-c34c-11eb-a925-01aa75ed71a1/language-en (letzter Besuch: 29.4.2022).

[2] So erschien in der Wochenzeitung „die Kirche“ der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vor wenigen Jahren eine israelkritische Karikatur. Ist das ein Zeichen für fortdauernden evangelisch geprägten Antisemitismus oder wird die Antisemitismus-Streitfrage allzu schnell und unbedacht ins Feld geführt? Vgl. Thomas Knieper, Dieter Hanitzsch, seine Netanjahu-Karikatur und die Süddeutsche Zeitung. Die Geschichte einer Antisemitismus-Unterstellung, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politischen Interessen, 2020 Berlin, S.182-212.

[3] Europäische Kommission, Institute for Strategic Dialogue, The Rise of Antisemitism online during the pandemic. A study of French and German content, Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2021, online verfügbar unter https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/d73c833f-c34c-11eb-a925-01aa75ed71a1/language-en (letzter Besuch: 29.4.2022), S. 18.

[4] „Dieser zeichne sich durch eine Querverbindung von libertärer Haltung, die jede Form von Fremdbestimmung ablehnt und Antisemitismus, der in einer verkürzten Kapitalismuskritik eine jüdische Weltherrschaft behauptet, aus.“ Nadine Frei, Oliver Nachtwey, Quellen des „Querdenkertums“. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg, Basel 2021, online verfügbar unter https://boell-bw.de/sites/default/files/2021-11/Studie_Quellen%20des%20Querdenkertums.pdf (letzter Besuch: 6.1.2022), S. 15.

[5] Vgl. ebd. S.48, S. 53. Michael Blume hat dagegen die These aufgestellt, dass der Pietismus beim christlichen Engagement im Rahmen der „Querdenken-Proteste“ eine Rolle spielen könnte.

[6] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“. Es handelt sich beim anonymen Autoren wohl um den einfachen Mitarbeiter des Konsistoriums Otto Schülke. Zudem existiert in derselben Personalakte sein Abschiedsbrief vor seinem Selbstmord ungefähr ein Jahr später.

[7] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 1 des Briefes.

[8] Ebd. S. 3. Was genau mit der Benennung „Fritz Moll“ unterstellt wurde, ist im Rahmen dieses Blogbeitrags nicht zu ermitteln gewesen. Es könnte sich um die Andeutung einer unehelichen Geburt oder pädokrimineller beziehungsweise homosexueller Neigungen von Schirachs handeln. Oliver Rathkolb zitiert in seinem historischen Porträt Gerüchte, Schirach sei homosexuell, die im Rahmen der Nürnberger Prozesse von einem Psychologen untersucht wurden. Oliver Rathkolb, Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler, Molden, Wien 2020, S. 557-558.

[9] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 2 des Briefes. Das Hinauswerfen spielt darauf an, dass Dibelius gegen eine „Gleichschaltung“ der Kirche Widerstand leistete und seines Amtes enthoben wurde. Jens Gundlach, Otto Dibelius und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, in: Sonja Begalke, Claudia Fröhlich, Stephan Alexander Glienke (Hrsg.), Der halbierte Rechtsstaat , Demokratie und Recht in der frühen Bundesrepublik und die Integration von NS-Funktionseliten, Nomos Baden-Baden 2015, S. 265-276. Joachim Hossenfelder wurde nach 1945 als Pastor in der Eutinischen Landeskirche (heute Teil der Nordkirche) aufgenommen, Otto Dibelius setzte sich dafür ein, dass er eingestellt wurde. Evangelische Akademie der Nordkirche/Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche [Hrsg.], Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit Ihrer NS-Vergangenheit umgingen, Publikation zur Wanderausstellung im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Band 1, Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel 2017, S. 50.

[10] Anke Silomon, Pflugscharen zu Schwertern. Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin 2014, S. 72. Die 1968 gesprengte Garnisonkirche wird derzeit als umstrittenes Versöhnungs-Projekt wiedererrichtet und bietet mit Ihrer Ausstellung, die zur Zeit konzipiert wird, eine Chance, Otto Dibelius‘ Rolle am „Tag von Potsdam“ kritischer zu reflektieren. Ein Interview zur Frage von Public History und Erinnerungskultur in der Garnisonkirche findet sich auf diesem Blog: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/06/28/erinnerungskultur-und-public-history-interview-podcasts/ (letzter Besuch: 11.2.2022). Eine aktuelle Untersuchung von Straßennamen in Berlin kommt zu dem Schluss: „Noch 1933 bezog er [Otto Dibelius] sich auf den Antisemiten Heinrich von Treitschke. Auch beim Boykott von Jüdinnen und Juden durch die SA 1933 stellte er sich hinter die NSDAP. Dabei bezeichnete er sich selbst als Antisemiten. Noch 1964 äußerte er sich antisemitisch.“ Land Berlin, Landesstelle für Gleichstellung – gegen Diskriminierung, Dossier von Dr. Felix Sassmannshausen: Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin, erstellt im Auftrag des Ansprechpartners des Landes Berlin zu Antisemitismus, verfügbar online z. B. unter: https://www.welt.de/bin/Dossier_bn-235636290.pdf (letzter Besuch: 1.2.2022). Zur Zwei-Reiche und Regimente-Lehre siehe auch auf diesem Blog: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/04/09/verfolgtenpolitik-um-1940-seenotrettungspolitik-um-2020-dinge-ins-verhaeltnis-setzen/ (letzter Besuch: 11.2.2022).

[11] https://www.morgenpost.de/berlin/article206343567/6-Geheimnis-Der-Berliner-Fernsehturm-und-das-Kreuz.html (letzter Besuch 2.2.2022).

[12] Joachim Hossenfelder war einer der Redner auf der Großkundgebung der „Deutschen Christen“ am 13. November 1933 im Sportpalast in Berlin, auf die der anonyme Brief verweist. Hier wurde eine Verwerfung des Alten Testaments gefordert, Hossenfelder musste als „Reichsleiter der Deutschen Christen“ und als Brandenburger Bischof zurücktreten. Evangelische Akademie der Nordkirche/Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche [Hrsg.], Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit Ihrer NS-Vergangenheit umgingen, Publikation zur Wanderausstellung im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Band 1, Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel 2017, S. 51. Siehe auch: https://www.nordkirche-nach45.de/#2 (letzter Besuch: 11.2.2022).

[13] Die Evangelischen Akademien in Deutschland, Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflexion, Berlin 2019, online verfügbar unter: https://www.evangelische-akademien.de/projekt/antisemitismus-und-protestantismus/ (letzter Besuch 2.2.2022), S. 12. Auch die regionale evangelische Kirche hat sich dem Kampf gegen Antisemitismus und aller Formen von Hass verschrieben. Siehe zum Beispiel: https://gegen-antisemitismus.ekbo.de/startseite; https://tut-der-seele-gut.info oder https://ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/0._Startseite/03._PDFs_und_Audios/A_EKBO_Christinnen_gegen_Antisemitismus_aktuelle_Version.pdf (letzter Besuch 23.2.2022) – die Frage bleibt: Ist dies ohne kritischere Beleuchtung der Geschichte der Gesamtinstitution in Berlin und Brandenburg glaubwürdig? Michael Wildt hat im Februar 2022 seine beeindruckende Abschiedsvorlesung zur Frage „Singularität des Holocaust?“ gehalten, der das Zitat entnommen ist. Ein Mitschnitt ist online verfügbar:

&k=1b35e187a0 (letzter Besuch 22.2.2022, Zitat ca. Min. 51).

[14] Dieser wurde bisher theologisch wenig reflektiert. Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Zweite Auflage, C. H. Beck München 2004, S. 93-96. Wolfgang Benz spricht zutreffend von der „christlich-sozialen Variante der Judenfeindschaft“ und verbindet dies mit dem evangelischen Berliner Hofprediger Adolf Stoecker. Die Berliner Stadtmission ist dabei, diesen Aspekt ihres Mitgründers aufzuarbeiten: https://www.berliner-stadtmission.de/geschichte (letzter Besuch: 11.2.2022).

[15] Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021, S. 16.

[16] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 2 des Briefes.

[17] Am 21. September 1934 werden die Kanzlei des „Reichsbischofs“ und die „Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche“ mit dem Briefkopf des Konsistorialpräsidenten ersucht, zwei anonyme Briefe an das Konsistorium kurze Zeit auszuhändigen. Die historischen Einordnung und Bewertung dieses Schreibens soll hier nicht im Mittelpunkt stehen. Gleichzeitig ist die Archivalie zwar „I. V.“ unterzeichnet, es kann aber davon ausgegangen werden, dass der „Deutsche Christ“ und damals noch amtierende Konsistorialpräsident Paul Walzer vom Vorgang Kenntnis hatte. Ein Scan dieses Briefes (ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“) im Format PDF kann hier heruntergeladen werden: Konsistorialpraesident_Ermittlungen_Schuelke_EZA.pdf

Zu Walzer siehe auch: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2020/08/24/konsistorialpraesident-paul-walzer-symptomatisch-fuer-kirche-in-berlin-und-brandenburg-in-der-zeit-1934-und-danach/ (letzter Besuch 11.2.2022)

[18] In der Akte des Evangelischen Landeskirchlichen Archivs in Berlin (ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“) findet sich ein für die damalige Zeit beeindruckendes Gutachten, gleichzeitig steht auch dieser aufwändige Nachweis hier nicht im Mittelpunkt. Das Gutachten kommt zu dem Schluss: „Der Beweis seiner [Otto Schülkes] Schrifturheberschaft für den anonymen Brief ist daher [aufgrund der genutzten Schreibmaschine und der handschriftlichen Korrekturen] ein doppelter.“ Ein Scan dieses Gutachtens im Format PDF kann hier heruntergeladen werden: Graphologisches_Gutachten_Schuelke_EZA.pdf

[19] „Auch der während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 immer vehementer hervortretende, wahnhafte Züge annehmende Antisemitismus der nationalsozialistischen Führungskreise, der den Krieg zum ‚Krieg gegen das Judentum‘ und den ‚Sieg über die Juden‘ – letztlich deren physische Vernichtung – zur großen, heroischen Tat erklärte, ist nur im Kontext eines radikalisierten religiösen Fanatismus zu verstehen.“ Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021, S. 166.


SFR – Selected Further Reading

  • Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Zweite Auflage, C. H. Beck München 2004
  • Die Evangelischen Akademien in Deutschland, Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflexion, Berlin 2019, online verfügbar unter: https://www.evangelische-akademien.de/projekt/antisemitismus-und-protestantismus/ (letzter Besuch 2.2.2022)
  • Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021
  • Herfried Münkler, Preußen als Beute. Der „Tag von Potsdam“ und das Attentat auf Hitler, in: Ders., Die Deutschen und ihre Mythen, Rowohlt (Reinbek bei Hamburg), 5. Aufl. 2018, S. 275-294.
  • Anke Silomon, Pflugscharen zu Schwertern. Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin 2014

Über den Autor

Dr. Johan Wagner ist Referent für Fördermittelrecht der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Er gehört zum Lehrbeauftragten-Pool des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete sind Europäische Integration, Pressegeschichte, europäische Beziehungen zur arabischen Welt, Wissenschaftsstrategie, konfessionelle Entwicklungen in Europa, europäische Konflikt- und Friedensgeschichte, siehe auch: https://www.clio-online.de/researcher/id/researcher-5652

Baptisten im „Dritten Reich“

Baptisten gehören zu den evangelischen Freikirchen und haben als wohl größten Unterschied zu anderen evangelischen Konfessionen die Glaubenstaufe, d.h. es werden keine Babys oder kleine Kinder, sondern nur Jugendliche und Erwachsene, die sich bewusst dafür entscheiden, getauft.

Als zwei Baptistinnen haben wir, Cora und Lea, im Rahmen dieses Projektes in unserer eigenen Vergangenheit nachgeforscht. Uns hat die Frage beschäftigt, wie sich unsere Glaubensgeschwister in der NS-Zeit verhalten haben und wie sich unsere wie auch andere Baptistengemeinden positioniert haben. Die Ergebnisse unserer Nachforschungen wollen wir allen Interessierten in drei Podcast-Folgen vorstellen. Für jede unserer Folgen haben wir uns Interviewpartner eingeladen, die uns von ihren eigenen Nachforschungen berichten.

Natürlich liegt es bei unserem Thema nahe, Zeitzeugen zu befragen, die damals in Baptistengemeinden waren. In den Vorbereitungen für unsere erste Folge sind wir jedoch schnell auf das Problem gestoßen, dass Zeitzeugen kaum noch anzutreffen sind. Deswegen führen wir ein Zeitzeugengespräch aus zweiter Hand – wir haben uns Thilo Maußer eingeladen, Pastor der Baptistengemeinde in Brandenburg an der Havel, der uns von einem Zeitzeugengespräch berichtet, dass er selbst vor über zwanzig Jahren geführt hat. Mit ihm sprechen wir über Widerstand und Akzeptanz gegenüber der NS-Politik – wie war die allgemeine Haltung der Baptisten in Berlin und Brandenburg im Allgemeinen zum NS-Regime?

Podcast 1: Die Haltung der Baptistengemeinden zum Nationalsozialismus


Thema unserer zweiten Folge ist die vorherrschende Einstellung der Baptisten ihren jüdischen Mitmenschen sowie auch ihrer Glaubensgeschwister jüdische Abstammung gegenüber. Mit dem Pastor i.R. Roland Fleischer reden wir über die vorherrschende Einstellung der Baptisten ihren jüdischen Mitmenschen und auch ihrer Glaubensgeschwister jüdischer Abstammung gegenüber. Hierfür betrachten wir Einzelbiografien von Gemeindemitgliedern. Unser Gast forscht seit einigen Jahren zum Verhältnis von Baptisten und Juden und untersucht den Antisemitismus innerhalb der Baptistengemeinden. Wir benutzen in dieser Folge die Begriffe „Judenchristen“ und „Judenmission“, die auch in der NS-Zeit seitens der Nazis gebraucht wurden. Die NS-Bewertungen wollen wir damit aber natürlich nicht zum Ausdruck bringen, denkt euch die Begriffe beim Hören also bitte mit Anführungszeichen.

Rolands Zusammenstellung von Einzelbiografien findet ihr hier: Judenchristliche Mitglieder in Baptistengemeinden (theologisches-gespraech.de)

Podcast 2: Das Verhältnis von Juden und Christen in den Baptistengemeinden


In der dritten und damit letzten Folge unseres Podcasts betrachten wir den Prozess der Aufarbeitung der NS-Zeit und wie sich die Kirche und damit auch die Baptistengemeinden nach 1945 ihrer Vergangenheit stellten. Mit unserem Gast Prof. Dr. Andrea Strübind, die ihre Dissertation über den Bund der Baptistengemeinden im „Dritten Reich“ verfasste, sprechen wir über die Fragen nach der Verantwortung, der Schuld und dem Verständnis von Opfern und Tätern. Und vor allem: wie geht Aufarbeitung in unserer heutigen Zeit, und was bedeutet sie für unsere Generation?

Podcast 3: Die Aufarbeitung der NS-Zeit in den Baptistengemeinden

Wir wollen an dieser Stelle all unseren engagierten Interviewpartnern danken und auch unseren Dozenten, die uns beim Projekt stetig unterstützt und beraten haben. Dank geht auch an Herr Dr. Hansjörg Buss, der im Entwurfsstadium wissenschaftliche Beratung für diese Podcast-Reihe geleistet hat.

Wir hoffen, die Podcast-Reihe hat euch gefallen und vielleicht auch ermutigt selbst nachzuforschen und eure Familien- und auch Kirchengeschichten zu untersuchen und aufzuarbeiten.

„Neue Anfänge nach 1945?“

Vom 13. Januar bis zum 28. Februar 2022 ist in der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ die Wanderausstellung „Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen“ zu sehen. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland hat sie erstellt. Im doppelten Sinne beispielhaft macht die Schau die Verstrickung der Kirche in den Nationalsozialismus transparent.

(c) „Neue Anfänge nach 1945“ – Ausstellung der Nordkirche

Die Ausstellung dokumentiert den sogenannten Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Sowohl die Institution als auch das Verhalten einzelner geraten in den Blick. Klar wird: Neben tatsächlichen Neuanfängen ist ein Ausblenden realer Schuld erkennbar, etwa durch kirchliche Unterstützung für NS-Verbrecher in der jungen Bundesrepublik oder die zögerliche Aufarbeitung eigener Verfehlungen in der NS-Zeit. Die nationalprotestantische Mentalität hatte den Nationalsozialismus gefördert, wurde jedoch nach 1945 nicht thematisiert. Wie wirkmächtig blieb der Nationalprotestantismus in der jungen Bundesrepublik? Darauf versucht die Ausstellung Antworten.

Sechs Themenfelder erwarten die Besucher:innen: Heimatvertriebene, Flüchtlinge und ‚Displaced Persons‘; Antisemitismus und neue Begegnungen; NS-Täter und Kriegsverbrecher im Schutz der Kirche; Streit um Schuld und Mitverantwortung; Haltung zu Krieg und Wiederaufrüstung; Antikommunismus und Diffamierungen.

Es gibt drei live gestreamte, ca. 45minütige, digitale Veranstaltungen jeweils donnerstags, 18 Uhr, im Beiprogramm der Ausstellung.

13. Januar, 18 Uhr: Eröffnung mit Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt, Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche, per Videogrußwort), Dr. Stephan Linck, Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit der Evangelischen Akademie der Nordkirche und Prof. Dr. Stefanie Endlich, Kuratorin der Ausstellung gemeinsam mit Monica Geyler-von Bernus und Beate Rossié

3. Februar, 18 Uhr: Die Journalistin Sigrid Hoff befragt Dr. Stephan Linck zu den Ausstellungsinhalten

10. Februar, 18 Uhr: Vorstellung der Dissertation von Beate Rossié „Kirchenbau in Berlin 1933-1945“
Im Gespräch mit Pfarrerin Marion Gardei, Beauftragte für Erinnerungskultur der EKBO und Beate Rossié

Die Ausstellung ist vom 13. Januar 2022 bis zum 28. Februar 2022 zu sehen in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13 – 14, 10785 Berlin-Tiergarten, 1. Etage, Sonderausstellungsbereich.
https://www.gdw-berlin.de/home/

Öffnungszeiten
Mo – Fr 9 – 18 Uhr
Sa, So und an Feiertagen 10 – 18 Uhr
Änderungen vorbehalten. Information unter Telefon: 030/26 99 50 – 00

13. Januar 2022 | Veröffentlicht von Johan Wagner | Kein Kommentar »
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Die „getauften Juden“ im Blick evangelischer NS-Anhänger


„Judenfrage. Eilige Entscheidung erforderlich.“ Briefkopf eines Schreibens der Nationalkirchlichen Einung/Deutschen Christen

Die Nationalsozialist_innen verfolgten Jüdinnen und Juden unabhängig ihres individuellen Bekenntnisses. Ausschlaggebend für die Verfolgung war der „Rassestatus“, welchen die Nationalsozialist_innen an der jüdischen Glaubenszugehörigkeit einer Person oder ihrer Vorfahren zu konstruieren versuchten. Auch Personen, die getauft waren und ein christliches Selbstverständnis hatten, waren den Schikanen des Regimes ausgesetzt. Das Schicksal der Berliner Lehrerin Margarete Draeger zeigt dies sehr eindrücklich. Draeger wurde in einem protestantischen Elternhaus aufgezogen und wusste bis zu ihrer Entlassung aus dem Schuldienst aufgrund des „Arierparagraphen“ nichts von ihrer jüdischen Familiengeschichte. Im August 1944 wurde sie dennoch nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.[1] Kirchengemeinden während der NS-Zeit waren folglich damit konfrontiert, dass das nationalsozialistische Regime Teile ihrer Mitglieder verfolgte. Trotz der gesellschaftspolitischen Relevanz der Kirchen unterblieb ein Aufbegehren gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung bekanntlich weitestgehend.[2] Doch auch die Verfolgung der eigenen Glaubensbrüder und -schwestern hatte lediglich individuellen und vereinzelten Widerstand zur Folge.[3] Im Folgenden soll anhand eines Briefes der Frage nachgegangen werden, inwiefern dies auch mit dem Bild der Christ_innen jüdischer Herkunft zusammenhing, welches insbesondere in Teilen der evangelischen Glaubensgemeinschaft weit verbreitet war.

„Eine grundsätzliche Verordnung, die die Judenfrage regelt, wird daher dringend erwartet“

Seit dem 19.September 1941 mussten all jene Personen einen „Judenstern“ tragen die, der Ansicht der Nationalsozialist_innen zu Folge, als Juden galten. Wie sehr diese Maßnahme auch Christ_innen jüdischer Herkunft traf, zeigt ein Brief[4] der Berliner Landesgemeinde der „Nationalkirchlichen Einung – Deutsche Christen“[5] an den Evangelischen Oberkirchenrat vom 28. Oktober 1941. Bezugnehmend auf Vorkommnisse in Berliner Kirchengemeinden, in denen „Juden“ an Gottesdiensten und weiteren kirchlichen Veranstaltungen teilgenommen hatten, forderte der Autor[6] hierin implizit den Ausschluss jener Christ_innen aus den Kirchengemeinden, welche eine jüdische Familiengeschichte hatten. Beeindruckend ist hierbei, mit welchem Selbstverständnis und mit welchen kaum verhohlenen Drohungen der Vertreter der kirchenparteilichen Gruppierung die kirchliche Oberbehörde zu einer umgehenden Entscheidung drängte.[7] So führt er in dem Brief beispielsweise aus, dass die evangelischen Kirchen, die einzigen Stätten seien, an welchen „Juden“ noch mit Christ_innen zusammenkommen könnten und dass dies von der „deutsche Volkseele […] als unerträglich“ empfunden werde. Neben der Missbilligung dieses Umstandes richtet der Schreibende dabei eine deutliche Warnung an den Oberkirchenrat und dessen von ihm offenbar als allzu „judenfreundlich“ wahrgenommenen Umgang aus.

Doch womit begründet der Kirchenmann seine Handlungsaufforderung und warum fordert er diese mit Vehemenz ein?

Der Autor führt in dem Brief aus, dass Jüdinnen und Juden nicht aus „religiösen Gründen und um der Wahrheit willen“ konvertierten, sondern aus „gesellschaftlichen Gründen“. Den trotz ihrer Konversion in dem Brief stets als „Juden“ Bezeichneten attestiert der NS-Kirchenmann dabei instrumentelle Beweggründe. Ihnen sei es lediglich darum gegangen „aus dem Übertritt Kapital zu schlagen“ und „hoffähig“ zu werden. Überdies seien selbst „geistig geschulte Juden“ nicht in der Lage zu begreifen was die „Christenmenschen“ bewegt, deshalb sei nicht davon auszugehen, „dass der Durchschnitt der Juden, die sich in die evangelische Kirche haben aufnehmen lassen, innerlich tatsächlich Christen geworden sind.“

Aus dem im Brief Formulierten lässt sich einiges ableiten:

In den Ausführungen wird eine dichotome Gegenüberstellung von Jüdinnen und Juden mit Deutschen (und nicht von Christ_innen!) vollzogen. Das Jüdischsein wird nicht, beziehungsweise nicht primär als religiöse Angelegenheit gefasst, sondern als „rassische“. Juden werden in dieser antisemitischen Konstruktion nicht als Teil der Eigengruppe aber auch nicht als vermeintlich anderes nationales Kollektiv gedacht, sondern als das Andere par excellence, als „Gegenrasse“. Die Gruppenkonstruktionen sind in dieser Logik starr gedacht, ein Ausbrechen des Einzelnen aus seinem „rassischen Schicksal“ ist in diesem Denken nicht vorstellbar. Demgemäß ist auch nicht von „Christen jüdischer Herkunft“ o.ä. die Rede, sondern nur von „(getauften) Juden“. Wenn jedoch ein individueller Glaubensübertritt aus religiöser Überzeugung nicht denkbar ist, stellt sich dem Antisemiten – der nur in Nutzenkategorien denken kann – natürlich die Frage nach den Beweggründen einer Konversion. In dem Brief wird eine Angst des Kirchenmannes vor der Unterwanderung der Kirchen durch sich taufende Jüdinnen und Juden deutlich, in Folge derer er eine geistige „Zersetzung“ der Religion befürchtet. Dies wird unter anderem in den Ausführungen klar, in denen der Autor von einer angeblich bereits vonstattengegangenen jüdischen Übernahme der evangelischen Kirche fabuliert: „Die Zeit um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, wo ein reaktionärer Judenstämmling[8] in der evangelischen Kirche den grössten [sic!] Einfluss hatte, ist allgemein bekannt.“

Der Autor sieht in den Christ_innen jüdischer Herkunft folglich einen unsichtbaren Feind in den eigenen Reihen. Zwar wird dies in dem Brief nicht ausbuchstabiert, aus der paranoiden Denkweise der Nationalsozialist_innen kann jedoch geschlossen werden, dass gerade in dieser imaginierten unsichtbaren und damit auch unberechenbaren Bedrohung aus den eigenen Reihen eine besondere Gefahr gesehen wurde.[9] Die Vehemenz, in welcher der Brief geschrieben wurde, erklärt sich auch daraus, dass es sich in der Logik des Schreibenden um eine „Schicksalsfrage“ handelt. Von der eingeforderten eiligen Entscheidung hänge es ab, ob die vom Autor fabulierte Unterwanderung aufgehalten werden könne.

Zwar kann auf Grundlage des Briefes keineswegs eine generelle Position innerhalb der Kirchengemeinde abgelesen werden, aufgrund der Stellung der „Deutschen Christen“ zu und im NS-Regime kann jedoch zumindest eine gewisse Verbreitung wie auch Wirkmächtigkeit der Inhalte angenommen werden. Erkennbar wurde, dass ein signifikanter Teil der evangelischen Christ_innen eine „judenfreie“ Kirche zu etablieren und den Christen jüdischer Herkunft den letzten potentiellen Schutzzusammenhang zu nehmen versuchten. Aus dem Brief lässt sich aber auch ablesen wie die nationalsozialistische Judenverfolgung funktionierte. Diese war nicht lediglich von einzelnen Funktionär_innen angeordnet, sondern funktionierte gerade durch die aktive und sich überbietende Teilnahme Einzelner. Insbesondere aus dem Selbstverständnis, in welchem der vorliegende Brief geschrieben wurde, lässt sich ablesen, wie diese sich dabei als Vollstrecker_innen eines Volkswillens inszenierten und fühlten. Angesichts des Datums des Briefes – folglich zehn Tage nachdem mit dem ersten Deportationszug 1251 Berliner Jüdinnen und Juden in das Ghetto Litzmannstadt (Lodz) gebracht wurden– kann in dem Brief demgemäß nicht nur eine klare Kampfansage an die „Judenfreunde“ innerhalb der evangelischen Kirche gesehen werden. Vielmehr muss in diesem ein Plädoyer eines kirchenpolitischen Akteurs für eine allumfassende „Lösung der Judenfrage“ gesehen werden.

Literaturliste:

Gailus, Manfred (2008). Kirchliche Amtshilfe. Die Kirche und die Judenverfolgung im „Dritten Reich“. Vandenhoeck & Ruprecht. Göttingen

Hetzer, Tanja (2012). Deutsche Christen. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 5. Organisationen, Institutionen, Bewegungen. De Gruyter GmbH. Berlin, S. 145-147

Karlsböck, Tanja/Eidherr, Armin (o.J.). Marranos. In: Handbuch Jüdische Kulturgeschichte. Online abrufbar unter http://hbjk.sbg.ac.at/kapitel/marranos/, zuletzt abgerufen am 11.07.2021

Krogel, Wolfgang (2008). Einleitung. In: Frisius, Hildegard e.a. (Hrsg.): Evangelisch getauft – als Jude verfolgt. Spurensuchen Berliner Kirchengemeinden. Wichern Verlag. Berlin, S. 13-27

Lachenicht, Gerlind (2013). Kampf für rassisch Verfolgte: Die zwei protestantischen Lehrerinnen Margarte Draeger und Elisabeth Schmitz. In: Lachenicht, Gerlind e.a. (Hrsg.): Der Stern im Taufbecken. Berliner Christen jüdischer Herkunft und Evangelische Kirche im Nationalsozialismus. Wichern-Verlag GmbH. Berlin, S. 66-84

Radosh-Hinder, Silke (2013). Staat und Kirche im Nationalsozialismus am Beispiel der Taufe. In: Lachenicht, Gerlind e.a. (Hrsg.): Der Stern im Taufbecken. Berliner Christen jüdischer Herkunft und Evangelische Kirche im Nationalsozialismus. Wichern-Verlag GmbH. Berlin, S. 47-65


[1] vgl. Lachenicht 2008, S.66ff.

[2] Vielmehr sprechen viele Historiker_innen von einer kirchlichen Amtshilfe (Gailus 2008) oder der Mitwirkung der Kirchen bei der Durchsetzung der rassepolitischen Ziele des NS-Staates (Krogel 2008, S.14).

[3] Vgl. z.B. Radosh-Hinder 2013, S.47ff.

[4] Evangelisches Landeskirchliches Archiv, Quellensignatur ELAB 14/957

[5] Die „Nationalkirchliche Einung – Deutsche Christen“ (auch: „Nationalkirchliche Bewegung“, bzw. „Einigung Deutscher Christen“) war eine 1938 entstandene und besonders radikale Gruppe innerhalb der nationalsozialistischen kirchenpolitischen Fraktion der „Deutschen Christen“. Sie vertrat ein „völkisches Christentum“ und gründete 1939 das Eisenacher „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“. Ziel war es das Christentum zu „entjuden“, womit unter anderem die Entfernung aller Christ_innen jüdischer Herkunft aus den Kirchengemeinden gemeint war (vgl. Hetzer 2012, S.145ff.).

[6] Bei dem Autor handelt es sich wohl um Dr. Robert Schwellenbach. Eine verifizierende Personenrecherche konnte hier leider nicht vollzogen werden. Aus dem Brief geht jedoch hervor, dass er in Vertretung des, zu dieser Zeit offenbar zum Heeresdienst eingezogenen, Leiters der Landesgemeinde handelte und womöglich als stellvertretender Leiter fungierte.

[7] Ob und gegebenenfalls wie die Adressierten auf das Schreiben der „Nationalkirchlichen Einung“ reagierten ist unbekannt und konnte im Rahmen der hier vorliegenden Arbeit nicht geklärt werden.

[8] Wer der vom Autor Angesprochene sein könnte bleibt unklar. Es könnte sich jedoch um Friedrich Julius Stahl handeln, der als Kind jüdischer Eltern zum Christentum konvertierte und Mitte des 19.Jahrhunderts Mitglied des altpreußischen evangelischen Oberkirchenrats war (https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Julius_Stahl).

[9] Als historische Referenz kann auf die „Conversos“ verwiesen werden. Die iberischen Jüdinnen und Juden, die zum Christentum konvertierten, vielfach aber auch zwangsgetauft wurden, standen absurderweise insbesondere wegen ihrer erfolgreichen Integration in die Mehrheitsgesellschaft unter Verdacht ihre alte Religion weiterauszuüben und die christliche Gesellschaft von innen zu unterwandern (vgl. Karlsböck/Eidherr o.J.).

16. Juli 2021 | Veröffentlicht von Marcel Stastny | Kein Kommentar »
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„Wie ein Dankeschön oder wie eine Entschuldigung“

Die Geschichte einer Familiengeschichte

von Lea Essers

Anfang der 2000er Jahre begann die evangelische Kirche mit der Aufarbeitung ihrer Rolle in der Geschichte des Nationalsozialismus. Neben der Kirchenbuchstelle1, die Teil wissenschaftlicher2 und kircheninterner Recherchen war, gehörte auch die Messias-Kapelle dazu. Dort befand sich seit ihrer Einweihung 1902 die „Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den Juden“, umgangssprachlich die Judenmission. Dort sollten Juden zum Christentum konvertiert werden. Im Nationalsozialismus konnte das mitunter lebensrettend sein. In den 1930er Jahren wird die Messias-Kapelle und die zugehörige Segenskirche zum wichtigsten Taufort für Personen jüdischer Herkunft3, denn ab 1935 war die Taufe von Juden und Jüdinnen „auf eigene Verantwortung“, viele Kirchen tauften sie nicht mehr. Doch in der Segenskirche wurde weiter getauft – unter anderem Familie Kuhnt.

Im Sommer 1934 heiraten Cäcilie und Walter Kuhnt gegen den Willen von Walters Eltern. Sie wollen nicht, dass ihr Sohn eine Jüdin heiratet. Das Paar ist dennoch glücklich. Zwei Jahre später kommt ihr Sohn Gerhard Kuhnt zur Welt. Zwei weitere Jahre später Renate Kuhnt. Sie wird heiraten und den Ehenamen Steinert annehmen. 76 Jahre später vertraut Renate Steinert Gerlind Lachenicht ihre Familiengeschichte im Rahmen von Recherchen zu Christen und Christinnen jüdischer Herkunft verschiedener Berliner evangelischer Gemeinden an1. Die Geschichte der Familie Kuhnt wurde bisher noch nicht öffentlich erzählt, denn vor einer Veröffentlichung fürchtete Renate Steinert sich 2006.

Die Segenskirche (heute Stadtkloster Segen) in Berlin Prenzlauer Berg. (Foto: Lea Essers)

Gerlind Lachenicht sprach über mehrere Monate mit Renate Steinert über ihre Familiengeschichte. Aus ihren Erzählungen und den zahlreichen Dokumenten und Fotos, die sie Frau Lachenicht zur Verfügung gestellt hat, entsteht eine Broschüre. 80 Seiten über die Geschichte der Familie. Über Renates Eltern, deren Eltern und Geschwister. Viele Verwandte der mütterlichen Seite der Familie überleben den Holocaust nicht.
Auf die Frage, wie es zu der Broschüre gekommen ist, antwortet Frau Lachenicht: „Das war wie ein Dankeschön oder wie eine Entschuldigung“. „Ich hatte das Gefühl, ich lasse die Menschen alleine. Ich habe alles aufgewühlt und dann bin ich wieder weg. Und was ist dann? Deshalb hatte ich das Bedürfnis, das alles aufzuschreiben“. Sie war sich nicht sicher, ob sie etwas falsch macht, ob Renate Steinert die Gespräche helfen. Die Broschüre, die sie für Renate Steinert erstellte, wurde in der Familie herumgereicht. Sie wurde dem Sohn, den Enkeln zum Lesen gegeben. „So konnte sich wenigstens die Familie damit auseinandersetzen“. Innerhalb der Familie schaffte sie Gesprächsmöglichkeiten. In der Broschüre vermischen sich die Perspektiven von Renate Steinert und Gerlind Lachenicht. Den Text schrieb Gerlind Lachenicht, die Bildunterschriften sind von Renate Steinert, die auch Gerlind Lachenichts Text als faktisch richtig bestätigt hat. „Mama und Papa 1934“ steht unter einem Foto. Zu sehen ist das glückliche Paar bei der Hochzeit.

Wer kann Zeugnis ablegen?

Gerlind Lachenicht fragt sich, ob es möglich ist, dass sie Zeugnis ablegt, stellvertretend für eine Zeitzeugin und die vielen weiteren, deren Geschichten sie gesammelt hat. Dieser Artikel soll ein Versuch sein. Die Geschichte der Zeitzeugin Renate Steinert und ihrer Familie, die eigentlich noch viel umfangreicher ist, vermittelt durch das Gespräch mit Gerlind Lachenicht und der von ihr erstellten Broschüre.

Cäcilie Kuhnt und die Kinder werden 1938 in der Segenskirche evangelisch getauft. Die Eltern haben wohl vorher bei Walters Gemeinde, der Eliaskirche in Ostberlin, um die Taufe gebeten, doch die wollen Juden und Jüdinnen nicht taufen. Sie wenden sich an die Messias-Kapelle, die die Judenmission beherbergt. Dort muss Cäcilie Kuhnt einen sechsmonatigen Taufunterricht besuchen, bevor sie kurz vor ihren Kindern in der dazugehörigen Segenskirche getauft wird, denn die Messias-Kapelle hat kein Taufbecken. Gerlind Lachenicht und ehrenamtliche Mitstreiter_innen ermittelten, dass 704 Menschen auf dem Weg der Messias-Kapelle getauft wurden, mindestens 84 von Ihnen wurden in Konzentrationslagern getötet2. Taufpatinnen für Cäcilie und die Kinder sind Walters Mutter und Schwester. Sie leben im gleichen Haus in Ostberlin. In der vierten Etage Walters Eltern und Schwester, in der Wohnung gegenüber Cäcilies Bruder mit seiner Familie. In der Ersten Etage lebt Renate Kuhnt mit ihrem Bruder und ihren Eltern.

Die Deportationen der Verwandten beginnen

1941 wird Renate Kuhnts Großmutter deportiert. Sie wird in Lodz ermordet. Für Renate Kuhnt ein harter Schlag. Ihre Eltern bewahren ihre Möbel und Habseligkeiten auf. Ihr großer Esstisch stand noch 2006 in der Wohnung der Steinerts. Er passe zwar eigentlich nicht in die Wohnung, aber sie könne sich einfach nicht von ihm trennen.

Das ehemalige Wohnhaus der Familie Steinert in Ostberlin. (Foto: Lea Essers)

1943 wird auch die Familie von Renates Onkel deportiert. Ihre Tante liegt im Wochenbett mit dem zwei Monate alten Sohn. Die Gestapo bietet ihr an, vorerst mit dem Baby in der Wohnung zu bleiben zu dürfen. Für sie keine Option. Sie lässt sich nicht von ihrer Familie trennen und geht mit. Sie alle werden in Auschwitz ermordet.
Während der Deportation ihres Onkels stehen Renate Kuhnts Großeltern väterlicherseits im Flur. Ihr Großvater sagt: „Die aus dem ersten Stock muss auch weg.“ Er meint Renates Mutter. Das Verhältnis zu Walter Kuhnts Familie ist gebrochen. Nur zu seinem Bruder und dessen Frau besteht noch eine gute Beziehung.

Später wird Renate Steinert die Namen ihres Onkels und seiner Familie auf der Website von Yad Vashem suchen. Den Namen ihres kleinen Cousins findet sie nicht. „Als hätte es ihn nie gegeben“. Doch sein Name war falsch eingetragen, auch er hat dort einen Eintrag.

Im Luftschutzkeller sitzt Renate mit ihrer Familie auf Holzbänken. Will sie zu ihren Großeltern, die auf Sofas weiter hinten sitzen, hält ihre Mutter sie auf. Später dürfen sie nicht mehr in den Luftschutzkeller. Erst sitzen sie auf der Treppe zum Keller, dann bleiben sie in der Wohnung im ersten Stock. Walter Kuhnt baut eine Vorrichtung zur Abdunkelung. Dahinter dürfen sie sogar etwas Licht anmachen.

Weil Walter sich weigert, sich von Cäcilie scheiden zu lassen, kommt er 1944 in ein Arbeitslager. Alle Männer, die dort arbeiteten, blieben standhaft. Zwei überlegen, sich doch scheiden zu lassen. „Aber dann hätten sie die anderen totgeschlagen“, erinnerte sich Renate Steinert an die Erzählung ihres Vaters. Fünf Monate ist er dort, bis zum Ende des Krieges. Renate Kuhnt, ihr Bruder und ihre Eltern überleben. Gerlind Lachenicht beschreibt in ihrer Broschüre Cäcilies vorzeitige Alterung. Die Verfolgung und der Verlust von 43 Familienmitgliedern haben an ihr gezehrt.

Durch die frühe evangelische Taufe der Kinder wird die Ehe der Eltern als „privilegierte Mischehe“ kategorisiert. Auf Gerlind Lachenichts Frage, ob sie das Gefühl hatte, ihre Familie sei in irgendeiner Form „privilegiert“ gewesen, antwortet Renate Steinert: „Na klar. Wir waren ja nicht in Auschwitz“.

Ungerechtigkeit nach 1945

Nach dem Krieg ziehen sie vom Hinter- ins Vorderhaus, ebenso wie Walter Kuhnts Eltern. Die beiden Familien nähern sich wieder an. Renates Bruder Gerhard Kuhnt zieht vor dem Mauerbau nach Westberlin. Renates Mutter Cäcilie Kuhnt möchte im Osten bleiben. „Zu viele Nazis“ sind ihr im Westen.
Renate Kuhnts Eltern werden beide als Opfer des Faschismus anerkannt. Walter wird gefragt, was er für den Aufbau des neuen Staates leisten möchte. Als er sich weigert, in die SED einzutreten, wird ihm sein Status als Verfolgter aberkannt. Er sei nur fünf Monate im Arbeitslager gewesen. Unter sechs Monaten würde im Einzelfall entschieden. Walters Ehrenrente fällt weg, durch einen Unfall kann er nicht mehr arbeiten. Seine Psyche verschlechtert sich. Mitte der 60er Jahre begeht er Suizid.
Auch Cäcilie Kuhnts psychische Gesundheit verschlechtert sich nach dem Nationalsozialismus immer weiter. Renate Kuhnt kümmert sich um ihre Mutter. Sie braucht jedoch größere Unterstützung und geht in eine psychiatrische Klinik.

Später heiratet Renate Kuhnt, nimmt den Namen Steinert an und bekommt einen Sohn. Ihr Leben lang ist sie in ihrer evangelischen Kirchengemeinde sehr engagiert. Dort wissen einige Personen von ihrer jüdischen Herkunft, aber niemand kennt ihre gesamte Geschichte. Bei der Recherche zu Christen jüdischer Herkunft, bei denen Freiwillige in den evangelischen Gemeinden Berlins die Taufbücher durchsuchen, stößt eine Freiwillige auf einen bekannten Namen. Sie kennt Renate Steinert persönlich, fragt, ob sie sich mit dem Arbeitskreis über ihre Familiengeschichte unterhalten möchte. Sie stimmt zu. In den folgenden Monaten trifft sie sich mehrmals mit Gerlind Lachenicht, zeigt ihr Dokumente, Fotos, erzählt ihr von ihren Erfahrungen. Sie habe einen besonderen Zugang zu Renate Steinert gehabt, sagt Gerlind Lachenicht. Sie kam von der Kirche, das gibt einen Vertrauensvorschuss.

Geschichten dem Vergessen entreißen

Die Geschichte von Renates Familie ist nicht die einzige, die Gerlind Lachenicht recherchiert und unveröffentlicht gelassen hat. Sie wünscht sich, dass diese Geschichten nicht in Vergessenheit geraten. Doch viele der Betroffenen hatten und haben immer noch Angst vor der Veröffentlichung ihrer Geschichten, so wie Renate Steinert vor ihrem Tod.
Doch wie gestaltet man das Erinnern ohne Zeitzeug_innen? Renate Steinert ist nicht mehr am Leben, doch ihre Geschichte wurde weiter getragen. Auch wenn sich durch die Vermittlung die Geschichte durch verschiedene Perspektiven färbt, so ist es dennoch wichtig, die Geschichten nicht unerzählt zu lassen. Als Erinnerung an das Leid, vor dem sich Renate Steinert noch ihr ganzes Leben lang fürchtete. Um ihre Geschichte dem Vergessen zu entreißen.

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1 Zur Geschichte der Kirchenbuchstelle und ihrer Mitarbeiter_innen siehe auf diesem Blog z.B. https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/07/14/aus-dem-sicheren-dunkel-der-anonymitaet/ (16.07.2021)

2 Siehe z.B. Manfred Gailus (Hg.) (2015) „Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933-1945“. Göttingen: Wallstein Verlag.

3 Zur Geschichte der Messias-Kapelle siehe https://www.landeskirchenarchivberlin.de/forum-fur-erinnerungskultur/forum-schwerpunkte-der-arbeit/arbeitsbereiche/christen-judischer-herkunft/gedenkort-messiaskapelle-2/ (16.07.2021)

4 Teile dieser Recherchen wurden hier veröffentlicht: Hildegard Frisius, Marianne Kälberer, Wolfgang Krogel, Gerlind Lachenicht und Frauke Lemmel (Hg.) (2008) „Evangelisch getauft, als Juden verfolgt“, Berlin: Wichern Verlag.

5 Zur Geschichte des Arbeitskreises Christen jüdischer Herkunft siehe https://www.landeskirchenarchivberlin.de/forum-fur-erinnerungskultur/forum-schwerpunkte-der-arbeit/arbeitsbereiche/christen-judischer-herkunft/ (16.07.2021)

16. Juli 2021 | Veröffentlicht von l.essers@campus.tu-berlin.de | 1 Kommentar »
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FOLGE der Spur des Geldes – die Kirchenbuchstelle Alt-Berlin und die Konsistorialpräsidenten Georg Rapmund und Walter Siebert

von Johan Wagner

Die Kirchenbuchstelle Alt-Berlin ist ein bedrückendes Kapitel in der Geschichte der evangelischen Kirche in Berlin. Kirchenmenschen legten hier eine „Fremdstämmigenkartei“ oder „Judenkartei“ an und meldeten „nicht-arische“ Christ:innen der Gestapo – in dieser Hinsicht war die Kirche dem Rassewahn verfallen wie andere Bereiche der „Volksgemeinschaft“. Lässt sich rekonstruieren, wer diese spezielle Kirchenbuchstelle 1936 in der kirchlichen Verwaltung über die Anweisung entsprechender Geldmittel möglich gemacht hat?

Die Gestapo hat ihre Akten zerstört, im Evangelischen Landeskirchlichen Archiv in Berlin (ELAB) haben sich etwa 2600 Karteikarten Verfolgter erhalten. 2008 gab es unter dem Titel „Evangelisch getauft, als Juden verfolgt“ Recherchen über diese dunkle Geschichte. Klar ist: Auch hier sind Verluste von Archivgut zu beklagen und viele aussagekräftige Unterlagen harren noch der Digitalisierung.[1]

Im ELAB und dem Evangelischen Zentralarchiv (EZA) legt Archivgut eine Spur bis in die heutige Zeit. Ein Schreiben des Berliner Stadtsynodalverbands vom Dezember 1936 lädt zur „Eröffnung der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin“. Der Berliner Stadtsynodalverband, ein wichtiger Verband von Kirchengemeinden, wurde überall in Berlin erst 1994 aufgelöst.

Einladung zur Eröffnung der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin, S. 1, aus EZA 7 / 13381

Konsistorialpräsident Georg Rapmund – ein Teilnehmer des Festakts?

Leider ist eine sicherlich ebenfalls verschickte Einladung in den konsistorialen Präsidialakten des ELAB bisher nicht aufgefunden worden. So lässt sich nur spekulieren, ob Konsistorialpräsident Georg Rapmund (1879-1937) teilnehmen konnte. Vielleicht ließ ihn seine Gesundheit im Stich. Sicher ist, dass es eine Spur des Geldes gibt, welches notwendig war für die Etablierung einer solchen „Gesamtaufgabe“[2]. Überliefert ist ein Lebenslauf, der ein kleines Biogramm eines Menschen mit Handlungsspielräumen für und wider Kirchenbuchstelle Alt-Berlin erlaubt:

 „[…] vom 4.2.1926 bis 28.1.1936 Oberkonsistorialrat beim Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin,
vom 29.1.1936 ab Konsistorialpräsident in Berlin.
Dazu 5 Kriegsjahre (1914, 1915, 1916, 1917, 1918) […]“

Die Kriegsjahre im I. Weltkrieg, die Georg Rapmunds Witwe angibt, sind sicherlich nicht unwichtig, auch Rapmunds Vorgänger war Kriegsteilnehmer; aus einem Witwenantrag in ELAB 105/222 [3].

Unter Berücksichtigung der Vorgänge um den tiefen Fall des Rapmund-Vorgängers Paul Walzer[4] kann man spätestens 1. März 1936 bis 2. Mai 1937 als offizielle Amtszeit Georg Rapmunds annehmen, wobei er sehr schnell schwer erkrankt zu sein scheint. Er wird dem „Aufbau der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin“ – wie der Vortrag des Pfarrers Karl Themel unter der Überschrift in Großbuchstaben „FOLGE!“ betitelt ist – nicht im Wege gestanden haben.

Walter Siebert – so Gott will, Deutscher Christ

Rapmunds Nachfolger Walter Siebert wird ebenfalls den antisemitischen, rassistischen Kurs der „Deutschen Christen“ mitverfolgt haben, auch er könnte bereits das „einfache Frühstück“ (siehe Bild unten) im Rahmen des Festakts genossen haben. Auch ein hochraniger Vertreter des Evangelischen Oberkirchenrats (EOK) wird anwesend gewesen sein. Der EOK war die übergeordnete Behörde des Konsistoriums in Berlin. Rapmund und Siebert hatten als juristische Leiter des Konsistoriums den EOK über sich[5]. Siebert schreibt bereits im September 1936 an den Präsidenten des EOK:

[…] Ich bin und bleibe, so Gott will, Deutscher Christ. […]

aus EZA 7 / P / 1312[6]

Fast schon tragisch ist die Tatsache, dass Siebert wiederum Ende 1938 nach einer aus einer internen Sitzung durchgestochenen Äußerung über nationalsozialistisch pöbelnde Sicherheitskräfte seinem Nachfolger Dr. Johannes Heinrich Platz machen musste, der nach Wippermann als Exponent der NS-Linie im Konsistorium zu zweifelhaftem Ruhm kommt[7]. Heinrich äußerte im Hinblick auf die Kirchenbuchstelle Alt-Berlin 1941: „[…] die Kirche habe Kirchenbücher im Interesse des Staates geführt und er empfände es als eine mäßige Forderung, diese nun dem Staat zum Fotokopieren zur Verfügung zu stellen.“[8]

Einladung Eröffnung der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin, S. 2, aus EZA 7 / 13381

Kirchliche Amtshilfe auserzählt – offene Fragen

Der kurze Blick auf die amtierenden Kirchenmänner 1936 bis 1938 zeigt, dass die Geschichte der kirchlichen Amtshilfe noch lange nicht auserzählt ist. Weitere Fragen lauten:

  • Lässt sich der historische Standort der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin im heutigen Stadtbild rekonstruieren?
  • Wie kann die Geschichte „Evangelisch getauft, als Juden verfolgt.“ mit modernen Datenbanken weiter nachverfolgt werden?
  • Warum haben viele der Christ:innen, die in der Shoah ermordet wurden, weil evangelische Täter:innen dazu beigetragen haben, noch nicht einmal einen Stolperstein, der an sie erinnert?[9]

[1] Kirchenbuchstellen für genealogische Forschungen gibt es auch heute noch. Bei der rassistischen, antisemitischen Kirchenbuchstelle Alt Berlin hat eine X-Student Research Group, gefördert von der Berlin University Alliance (BUA) angesetzt. Grundlage war Hildegard Frisius, Marianne Kälberer, Wolfgang Krogel u. A. (Hrsg.), Evangelisch getauft, als Juden verfolgt, Berlin (Wichern) 2008. Das Seminar wurde vom Zentrum für Antisemitismusforschung und dem ELAB sowie der Kirchenbuchportal GmbH unterstützt. Siehe https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/04/05/kirchliche-amtshilfe-die-kirchenbuchstelle-alt-berlin-und-der-holocaust/ (letzter Besuch: 23.6.2021).

[2] Wolfgang Krogel weist auf die vermeintliche finanzielle Attraktivität des Unterfangens hin, zugleich bedurfte es mindestens erheblicher Anfangsinvestitionen in Personal, Räume, Material. Ohne Unterstützung der Leitungsebene des Konsistoriums waren diese undenkbar, wenn auch die „praktische Durchführung des Projekts“ ohne Aufsichts-Einbeziehung lief. Wolfgang Krogel, Kirchenbuchstelle Alt-Berlin – ein Hilfsorgan des NS-Staates, in: Hildegard Frisius, Marianne Kälberer, Wolfgang Krogel u. A. (Hrsg.), Evangelisch getauft, als Juden verfolgt, Berlin (Wichern) 2008, S. 298-361, hier 312.

[3] In einem Schreiben des Evangelischen Oberkirchenrats vom 7. Februar 1936 steht allerdings: „Der Landeskirchenausschuss hat in seiner Sitzung vom 29. Januar d. Js. Sie mit Wirkung vom 1. März d. Js. ab zum Konsistorialpräsidenten in Berlin ernannt […]“ (beide Quellen aus ELAB 105/222).

[4] Siehe: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2020/08/24/konsistorialpraesident-paul-walzer-symptomatisch-fuer-kirche-in-berlin-und-brandenburg-in-der-zeit-1934-und-danach/ (letzter Besuch 17.6.2021).

[5] Wolfgang Krogel, Normalität und Notstand. Pfarrerschaft, Juristen und protestantisches Milieu 1914 bis 1949 – Forschungsfragen zum Beitrag protestantischer Strömungen zum Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland, in Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins, 69. Folge, 2019, S. 117-130, hier S. 122.

[6] Der größere Kontext des Satzes lautet: „Ich habe vor der Öffentlichkeit meine deutsch-christliche Einstellung in meiner persönlichen Haltung nie verborgen und gedenke, es auch hinfort nicht zu tun. Ich bin und bleibe, so Gott will, Deutscher Christ. Ich habe aber diese meine persönliche kirchenpolitische Auffassung von meiner kirchenamtlichen Stellung nach bestem Gewissen so fern gehalten, daß ich meine beschworene Pflicht, als Beamter der Kirche die Gesetze zu achten und die Ordnung zu wahren, durch kirchenpolitische Einflüsse nicht beugen ließ. […]“ aus: EZA 7 / P / 1312.

[7] In seiner Personalakte findet sich unter dem Kopf „Herrmann Konsistorialrat“ (einfache Maschinenschrift) ein Bericht, in dem Walter Siebert angeschwärzt wird: „[…] Herr Oberkonsistorialrat Siebert schloss die Erörterung dieser Angelegenheit mit dem mit erhobener Stimme gemachten Ausruf: „Das [die pöbelnden (Polizei-)Offiziere, die ein Pfarrer wegen Ausfällen gegen einen französischen Bekannten angezeigt hat] sind Schurken! Das sind die wahren Landesverräter!“ aus: EZA 7 / P / 1312. Wippermann zu Konsistorialpräsident Dr. Johannes Heinrich in Wolfgang Wippermann, Kirche im Krieg, in Erich Schuppan (Hrsg.): Bekenntnis in Not – Kirchenkampf. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg im Konflikt mit dem totalen Staat (1933-1945), Berlin: Wichern (2000), S. 305-350, hier S. 325. Konsistorialpräsident Dr. Johannes Heinrich lag auf einer Linie mit der Verfolgungspolitik Karl Themels, siehe: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/04/09/verfolgtenpolitik-um-1940-seenotrettungspolitik-um-2020-dinge-ins-verhaeltnis-setzen/ (letzter Besuch 18.6.2021).

[8] zit. nach Wolfgang Krogel, Kirchenbuchstelle Alt-Berlin – ein Hilfsorgan des NS-Staates, in: Hildegard Frisius, Marianne Kälberer, Wolfgang Krogel u. A. (Hrsg.), Evangelisch getauft, als Juden verfolgt, Berlin (Wichern) 2008, S. 298-361, hier 338-339.

[9] So kann man die Deportations-Liste in der Publikation Gerlind Lachenicht: Liste der Deportierten aus der „Fremdstämmigen-Kartei“ in der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin, in: Hildegard Frisius, Marianne Kälberer, Wolfgang Krogel u. A. (Hrsg.), Evangelisch getauft, als Juden verfolgt, Berlin (Wichern) 2008,S. 362-373 und die Liste zu in der Messias-Kapelle ab 1933 getauften – https://www.landeskirchenarchivberlin.de/forum-fur-erinnerungskultur/forum-schwerpunkte-der-arbeit/arbeitsbereiche/christen-judischer-herkunft/ (letzter Besuch 1.7.2021) – mit der Datenbank unter www.stolpersteine-berlin.de (letzter Besuch 23.6.2021) abgleichen.

SFR – Selected Further Reading

  • Norbert Frei, 1945 und wir, München (C. H. Beck) 2005, fast schon ein Klassiker, wie nach 1945 mit der deutschen Geschichte Leerstellen weitergetragen wurden.
  • Aktives Museum e. V., Ausgeblendet. Der Umgang mit NS-Täterorten in West-Berlin, Berlin 2020. Katalogbroschüre zur pandemiebedingt leider bisher nur kurz begehbaren Ausstellung, die thematisiert wie Täterorte in Berlin „in Vergessenheit gerieten“.

Über den Autor

Dr. Johan Wagner ist Referent für Fördermittelrecht der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Er gehört zum Lehrbeauftragten-Pool des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete sind Europäische Integration, Pressegeschichte, europäische Beziehungen zur arabischen Welt, Wissenschaftsstrategie, konfessionelle Entwicklungen in Europa, europäische Konflikt- und Friedensgeschichte, siehe auch: https://www.clio-online.de/researcher/id/researcher-5652

15. Juli 2021 | Veröffentlicht von Johan Wagner | Kein Kommentar »
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AUS DEM SICHEREN DUNKEL DER ANONYMITÄT

Hildegard Ehrig – Porträt einer Mitarbeiterin der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin

von Victoria Klärner

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Nachweis der Anstellung Hildegard Ehrigs in der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin (ELAB 4/410)

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Die Geschichte orientiert sich an Namen. Jede Epoche und jedes Ereignis werden mit bestimmten Namen verbunden. Das gilt auch und vor allem für die Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Fall stehen die Namen nicht nur stellvertretend für eine bestimmte Zeit, sondern auch für eine große, unüberschaubare Gruppe von Menschen, die nicht bekannt sind und aus diesem Grund für ihre Taten nicht belangt werden können. Nachweisbar sind meist nur die grausamsten Einzeltäter, die Schreibtischtäter hingegen bleiben oft namenlos. Dass deren Taten nicht weniger folgenschwer waren, zeigt das Beispiel der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin (KBS). Von 1935-1945 arbeiteten dort bis zu 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter[1] daran, die konfessionellen Verwandtschaftsverhältnisse der Berliner Bevölkerung aufzuschlüsseln. Was auf den ersten Blick vielleicht noch belanglos scheint, erwies sich als maßgebliche Informationsquelle für die systematische Verfolgung der Juden. Durch die intensiven genealogischen Nachforschungen konnten die jüdisch-stämmigen Bürger identifiziert und so die Verfolgung derselben entscheidend vorangebracht werden. Durch ihre aktive Zuarbeit hat die Kirche eine wesentliche Beihilfe zur folgenden Ausgrenzung geleistet.

Initiiert wurde das Vorhaben nicht etwa von nationalsozialistischer Seite – obwohl 1935 eine entsprechende Stelle eingerichtet wurde[2] – sondern von der evangelischen Kirche. Um die „Nichtarier“ ausweisen zu können, musste eine Auswertung der Kirchenbücher erfolgen, wodurch die Kirche schlagartig integraler Bestandteil und wichtige Säule des Staates wurde. Da es staatliche Personenstandsregister erst seit Mitte der 1870er Jahre (Preußen) gab, waren die Kirchenbücher von besonderer Bedeutung. Diese reichten deutlich weiter zurück und waren somit eine einmalige, dem Staat eigentlich nicht zugängliche Quelle.

Festgehalten wurden die Namen der Betroffenen in s. g. „Juden-„ bzw. „Fremdstämmigenkarteien“, welche die Abstammung und Konfession zurückreichend bis zu den Großeltern beinhaltete. Für die Erstellung dieser Karteien war die KBS verantwortlich. Im Gegensatz zum Leiter derselben, dem Theologen Karl Themel[3], waren die Namen der Angestellten bis vor kurzem noch unbekannt. Durch einen Zufallsfund wurde eine Tabelle mit 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entdeckt, die 1937 dort gearbeitet haben. Leider ist in der Liste jeweils nur der Nachname angegeben. Hier begann die Spurensuche.

Vom 24.4.1936 bis zum 1.6.1944 war ich bei der Berliner Stadtsynode. Dort war ich in der Abteilung „Kirchenbuchstelle Alt Berlin“ als sippenkundliche Sachbearbeiterin und im Büro tätig.[4]

Die Spuren führten zu Helene Frieda Minna Hildegard Ehrig, die hier in einem Lebenslauf aus dem Jahr 1947 ihre Tätigkeit beschreibt. Als exemplarisches Beispiel soll sie einen Einblick hinter die Kulissen gewähren. Wer war Hildegard Ehrig? Wusste oder ahnte sie zumindest, welche Folgen ihre Arbeit haben würde?

Um sich ein Bild von ihr machen zu können, lässt man sie am besten zunächst selbst zu Wort kommen.

Konfirmationsbild von Hildegard Ehrig (ELAB 4/410)

Ich, Hildegard Ehrig, geb. Gordes, bin am 3.9.1911 in Berlin geboren, als Tochter des Kaufmanns Alexander Gordes und seiner Ehefrau Frieda geb. Schierjott. Von 1917  ̶ 1926 besuchte ich die Volksschule und wurde am 24.3.1926 im Dom zu Berlin konfirmiert, wo ich auch von meinem vierten Lebensjahr an, den Kindergottesdienst besucht habe. Von Ostern 1926 bis zum Herbst 1927 besuchte ich die Kinderpflegerinnen Schule in Berlin Niederschönhausen und daran anschließend, dort und im Jugendheim Charlottenburg, den „Schulwissenschaftlichen Vorkursus“, ohne Fremdsprache, der mit einer Abschlussprüfung für die mittlere Reife vor dem Stadtschulamt im Herbst 1928 schloss. Durch Krankheit meiner Mutter blieb ich bis zum Mai 1931 zu Hause, um dann bis zum 21.12.1931 im Kinderhaus am Friedrichshain als Kinderpflegerin zu arbeiten. Durch meine Zugehörigkeit zum Burckhardthaus seit 1928 und meiner Mitgliedschaft zur Jugendschar der Domgemeinde entschloss ich mich, in der Domgemeinde der Gemeindeschwester in der Gemeindearbeit und besonders in der Arbeit an den Jungscharkindern zu helfen. Ferner nahm ich an verschiedenen Freizeiten und Rüsttagen vom Burckhardthaus teil.

Allein diese wenigen Zeilen reichen aus, dem zunächst konturlosen Namen ein Gesicht zu verleihen. Hildegard Ehrig scheint eine äußerst soziale und engagierte Person gewesen zu sein, die sich besonders für Kinder und Jugendliche einsetzte, sowohl beruflich als auch privat. Ebenso deutlich wird auch ihre Engagiertheit in der christlichen Gemeinschaft, die wohl in der Familie lag; der Vater war u. a. Helfer im Kindergottesdienst und auch die Mutter war in der Gemeinde aktiv. In einem Empfehlungsschreiben aus dem Jahr 1947 heißt es, Hildegard Ehrig wäre ein Mensch, „der persönlich fest im christlichen Glauben wurzelt. Ihr Elternhaus ist ein ausgesprochen christliches.“ Wie kommt nun ein Mensch, der die christlichen Gebote offensichtlich auch lebte, an eine solch menschenfeindliche Beschäftigung wie in der KBS? Die Antwort ist (leider): wir wissen es nicht. An dieser Stelle können nur Vermutungen aufgestellt werden; eine wäre, dass sie über ihre Gemeindearbeit an die Anstellung kam.[5]

Aus einem Zeugnis, das 1944 ausgestellt wurde, gehen ihre genauen Aufgaben in der KBS hervor:

Sie war zunächst bei der Verkartung der Berliner Kirchenbücher des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Nach Einrichtung der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin am 12. Oktober 1936 wurde sie als Sachbearbeiterin beschäftigt. Als solche ermittelte sie Eintragungen in den Berliner Kirchenbüchern und auch in schwierigem Falle genealogische Zusammenhänge Berliner Sippen. Auch mit allen vorkommenden Arbeiten im Büro sowie in der Photokopierabteilung war sie zu unserer vollen Zufriedenheit tätig.

Sie hatte demnach nicht nur einfache Büroarbeiten zu erledigen, sondern war am eigentlichen Vorhaben aktiv beteiligt und das auch langfristig, immerhin war sie fast so lange angestellt, wie die KBS existierte. So konnte sie die Strukturen und damit auch die Ziele derselben sicherlich erkennen. Auch ein Teil ihres Privatlebens schien in der KBS stattgefunden zu haben, schließlich lernte sie dort ihren Mann Kurt Ehrig kennen; das Paar heiratete am 23.05.1942. Aufgrund ihrer Schwangerschaft schied sie kurz darauf aus dem Dienst aus, in ihrem Zeugnis wird sie folgendermaßen beschrieben:

Bei mündlich vorgetragenen Anträgen zeigte sie im Verkehr mit dem Publikum stets freundliches, hilfsbereites Wesen. Frau Ehrig war pünktlich, gewissenhaft und sorgfältig in ihrer Arbeit und bewies im Betrieb stets gute Kameradschaft.

Nachdem sie die Geburt ihres Sohnes Jürgen Kurt Gustav Alexander Ehrig und das Kriegsende nicht in Berlin erlebt hatte, kam sie nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes am 14.11.1945 dorthin zurück. Kurz darauf starb auch ihr Sohn.

Seit dem Juli 1946 bis jetzt nähte ich kunstgewerbliches Spielzeug. Da mich diese Arbeit aber nicht befriedigt, wurde mir von befreundeter Seite empfohlen, in die Gemeindearbeit zu gehen und als Religionslehrerin zu wirken. Hierfür habe ich große Freudigkeit, da es mir sehr wichtig ist, dass unsere Jugend von gottesfürchtigen Lehrern in  die heilige Schrift eingeführt wird.

Durch die Arbeit als Katechetin[6] konnte Hildegard Ehrig die Arbeit mit Kindern und ihren christlichen Glauben gekonnt miteinander vereinen. Im Jahr 1947 beendete sie ihre Ausbildung und arbeitete anschließend in zwei Weißenseer Grundschulen. Ganz am Ende ihres Lebenslaufs aus demselben Jahr finden sich die wohl interessantesten Zeilen der gesamten Akte:

Lebenslauf aus dem Jahr 1947 (ELAB 4/410)

Bemerken möchte ich noch, dass ich seit dem Herbst 1934 als aktives Mitglied der Bekennenden Kirche angehöre.

Diese Aussage macht das Bild, welches bis dahin von ihr entstanden ist, um einiges komplexer und auch interessanter. Und zugleich wirft es Fragen auf: Wie weit ging ihre Mitgliedschaft? Hat sie vielleicht im Kleinen das Vorhaben der KBS manipuliert? Oder war diese Angabe womöglich nur eine Schutzbehauptung, um sich nach dem Krieg – wie viele andere – als regimekritisch zu präsentieren? Anhand einiger Verweise in ihrem Lebenslauf können zumindest mögliche Beeinflussungen hinsichtlich der Bekennenden Kirche ausgemacht werden. Sie war in der Berliner Domgemeinschaft engagiert, wurde dort getauft, konfirmiert und besuchte den Kindergottesdienst. In dieser Zeit waren Bruno Doehring und Georg Burghart dort als Domprediger tätig; beide waren zwar keine Mitglieder der Bekennenden Kirche, jedoch standen sie zumindest deren Ideen nahe, Doering trat zudem offen regimekritisch auf. Während Ehrigs späteren Engagements im Burckhardthaus[7] war Otto Riethmüller der Leiter desselben und überdies Mitglied der Bekennenden Kirche. Hinzu kam, dass das Haus in Dahlem stand, bekanntermaßen der Wirkungskreis von Martin Niemöller. Ferner hielt sie sich 1933 längere Zeit im Haus von Walter Braun auf, um sich um dessen erkrankte Frau zu kümmern. Der spätere Generalsuperintendent schrieb ihr nicht nur eine Empfehlung für die Ausbildung zur Katechetin, sondern war auch regimekritisch eingestellt. Zuletzt sei noch die spätere Bekanntschaft zu Helga Krummacher erwähnt, der Frau des Generalsuperintendenten Friedrich-Wilhelm Krummacher, welcher wiederum eng mit Otto Dibelius bekannt war. Doch das sind nur Überlegungen zu möglichen Einflüssen, die Nähe Hildegard Ehrigs zu diesem Kreis ist nicht bekannt. Durch das Fehlen entsprechender Unterlagen bzw. Belege, auf die sich solche Mutmaßungen stützen könnten, kann die Frage nach ihrer Mitgliedschaft nicht geklärt werden und auch Vermutungen in diese Richtung – selbst angesichts möglicher Bekanntschaften – gingen zu weit und wären reine Spekulation.

Namen können entscheidend sein – das wurde deutlich. Nicht nur heute sind sie für die Erforschung der Vergangenheit von Bedeutung, auch aus zeitgenössischer Sicht waren sie essenziell. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es auf Seiten der Täter häufig nur Einzelpersonen, die angeklagt wurden; angesichts dieser grausamen Einzeltäter konnten die Schreibtischtäter nur allzu leicht in der Gruppe untergehen und verschwinden. [8] Mit diesem Porträt wurde der Versuch unternommen, jene aus dem sicheren Dunkel der Anonymität herauszuholen und somit auch die kleinen Räder im Getriebe in den Blick zu nehmen und ihrer Funktion in der Maschinerie nachzugehen. Denn ohne diese kleinen, vielleicht auf den ersten Blick unscheinbar wirkenden Teile, konnte das Ganze nicht funktionieren. So auch in der KBS; jeder trug seinen Teil zum Funktionieren derselben bei – und somit auch zur Verfolgung einer Minderheit.

Auf der Suche nach den Tätern in der Kirche fokussiert man sich zunächst fast zwangsläufig auf die Deutschen Christen, immerhin war die antisemitische Ideologie dort programmatisch. Die Überlegung hingegen, dass genauso auch in der Bekennenden Kirche Täter zu finden sind, erscheint angesichts des dafür fast synonym gebrauchten Begriffs des Widerstands womöglich paradox – doch das ist es nicht. Zum einen zeigt sich genau an dieser Stelle die erfolgreiche kirchliche Geschichtsschreibung, die eine solche Engführung bis heute proklamiert.[9] Zum anderen hat die Forschung wiederholt gezeigt, dass sich Bekennende Kirche und Nationalsozialismus, und damit auch eine christliche Gesinnung und menschenfeindliche Handlungen, keinesfalls widersprechen mussten. Genauso auch bei der Überlegung, ob eine Frau, die kurz nacheinander Mann und Sohn verliert, sich für Kinder und Jugendliche engagiert, Spielzeug näht und tief in ihrem christlichen Glauben verwurzelt ist, als Täterin angesehen werden kann; die Antwort ist: ja. Einfach, weil das eine das andere nicht ausschließt. Was aus heutiger Sicht ein Widerspruch zu sein scheint, konnte im zeitgenössischen Kontext durchaus möglich sein. Im Fall der Bekennenden Kirche sollten nicht von wenigen engagierten Einzelpersonen Rückschlüsse auf eine ganze Gruppe gezogen werden. Die Gruppierung bewegte sich vielmehr zwischen Zustimmung, Kollaboration und vereinzeltem Widerstand. Wo Hildegard Ehrig ihren Platz in dieser Konstellation einnehmen würde, wäre durchaus interessant, bleibt aber vermutlich im Schatten der Vergangenheit verborgen. Vielleicht hat sie sich widersetzt, vielleicht hat sie nicht verstanden, wozu das alles führen wird, oder vielleicht handelte sie auch aus Überzeugung und versuchte diese später durch eine Schutzhandlung zu verbergen, wir wissen es nicht. Doch was wir wissen ist, dass sie einen Teil zur späteren Geschichte beigetragen hat.[10] Und um mit den Worten Hannah Arendts zu schließen: Niemand hat das Recht zu gehorchen.


Literaturempfehlungen zur Kirchenbuchstelle Alt-Berlin und zur Kirche im Nationalsozialismus:

Gailus, Manfred: Kirchliche Amtshilfe. Die Kirche und die Judenverfolgung im »Dritten Reich«, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008.

Gailus, Manfred: Bruderkampf im eigenen Haus: Die evangelischen Pfarrer in Berlin und der  Nationalsozialismus, in: Kirchliche Zeitgeschichte (2000), Vol. 13/1, Katholizismus und Protestantismus während der NS-Diktatur und in der Nachkriegszeit, S. 20-44.

Krogel, Wolfgang G.; Lachenicht, Gerlind u. a. (Hrsg.): Evangelisch getauft – als Juden verfolgt. Spurensuche Berliner Kirchengemeinden, Wichern 2008.

Lachenicht, Gerlind u. a. (Hrsg.): Der Stern im Taufbecken. Berliner Christen jüdischer Herkunft und Evangelische Kirche im Nationalsozialismus, Evang. Landeskirchl. Archiv in Berlin (2013).

Sandvoss, Hans-Rainer: »Es wird gebeten, die Gottesdienste zu überwachen…«. Religionsgemeinschaften in Berlin zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand von 1933 bis 1945, Berlin 2014.

Interessante (Online)-Ausstellungen und weiterführende Informationen zum Thema

Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit ihrer NS-Vergangenheit umgingen, Eine Wanderausstellung der Nordkirche 2016 – 2019, online verfügbar unter https://www.nordkirche-nach45.de/.

Unterwegs zur mündigen Gemeinde – Die Evangelische Kirche im Nationalsozialismus am Beispiel der Gemeinde Dahlem (Martin-Niemöller-Haus Berlin-Dahlem), Ausstellung online verfügbar unter https://www.friedenszentrum-martin-niemoeller-haus.de/ausstellung/.

Widerstand aus christlichem Glauben, Informationen und Dokumente der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, online verfügbar unter https://www.gdw-berlin.de/home/.

Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus (Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte), interaktive Ausstellung online verfügbar unter https://de.evangelischer-widerstand.de/#/.


[1] Gemeint sind 32 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Tabelle angeführt werden, und der Leiter Karl Themel. Im Laufe der Recherche konnten noch zwei weitere Mitarbeiterinnen identifiziert werden.

[2] Die Reichsstelle für Sippenforschung (später Reichssippenamt) wurde 1935 gegründet und beschäftigte sich hauptsächlich mit der Erstellung von Ariernachweisen. Letztere mussten im Rahmen des Berufsbeamtengesetzes vom April 1933 für bestimmte Berufe erbracht werden. Um den Beruf weiter ausüben zu können, musste die „arische“ Herkunft urkundlich durch einen Abstammungsnachweis belegt werden. (Vgl. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/N36YVVRG6K7MXKJKFQKRWCSBEN CBAH2P)

[3] Karl Themel (1890-1973) war Theologe, evangelischer Pfarrer und ab 1932 Mitglied der NSDAP. Zudem war er Mitbegründer und gehörte zum engsten Führungskreis der Deutschen Christen. Er initiierte die Kirchenbuchstelle Alt-Berlin auf eigenes Bestreben und bekleidete hochrangige Kirchenämter. Nach 1945 war er weiterhin als Pfarrer tätig und wurde mit Aufgaben im Archiv- und Kirchenbuchwesen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg (West-Berlin) betraut. (Vgl. Gailus, Manfred: Themel, Karl, in: Handbuch des Antisemitismus. Band 2: Personen, hrsg. v. Wolfgang Benz, Berlin u. a. 2009, S. 826f.)

[4] Alle hier angeführten Zitate und Bilder entstammen der Personalakte, welche im Evangelischen Landesarchiv Berlin unter der Signatur ELAB 4/410 zu finden ist. Darin befinden sich: Personalbogen, Fragebogen, handschriftlicher Lebenslauf 1947, Bescheinigung, handschriftlicher Lebenslauf 1948, Katecheten-Prüfung, Zeugnis über die Prüfung für das katechetische Lehramt, Bescheinigung, Zeugnis und drei Fotografien.

[5] In einem Dokument, das von Karl Themel im Jahr 1947 verfasst wurde, geht er auf die personelle Struktur der KBS genauer ein. „Während der Herstellung der Karteien 1936 wurden im Ganzen etwa 250 Personen als Zeitangestellte vom Stadtsynodalverband eingestellt und beschäftigt, der auch Tarifverträge abschloss. Sie rekrutierten sich meist aus den Kirchengemeinden, deren Kirchenbücher angegeben und verkastet waren. […] Vor Aufnahme der Arbeit der Kirchenbuchstelle im Herbst 1936 wurden aus den Verkartern die geeigneten Personen für das Stammpersonal von mir und Baer ausgesucht und vom Stadtsynodalverband als Dauerangestellte übernommen.“ (ELAB 1/1238)

[6] Katechetinnen und Katecheten unterrichteten Religion, vor allem an Grundschulen.

[7] Das Burckhardthaus war eine Einrichtung der Evangelischen Kirche in Berlin-Dahlem, die ab 1893 bestand und nach ihrem Gründer benannt wurde. Im Mittelpunkt stand das Engagement für Kinder, Jugendliche und vor allem für (junge) Frauen.

[8] Vgl. dazu: Paul, Gerhard: Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und ganz gewöhnlichen Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung, in: Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche?, hrsg. von ders., Göttingen 2002, S. 13-90.

[9] Nach 1945 betrieb die Kirche ihre eigene Geschichtsschreibung (Arbeitsgemeinschaft für die Geschichte des Kirchenkampfes), übernahm so die Deutungshoheit über ihre eigene Rolle und schrieb die „Kirchenkampf“-Mythen fort, sodass sie sich in einem insgesamt positiven Licht darstellen konnte. Damit war sie durchaus erfolgreich, für viele Nachgeborenen war diese Haltung handlungsprägend und ist es mitunter auch heute noch. Die BK-Führungspersonen genossen lange Zeit einen hohen Stellenwert, der erst heute in Frage gestellt wird und zu heftigen Kontroversen und auch Generationskonflikten führt. (Vgl. u.a. Gailus, Manfred: Bruderkampf im eigenen Haus: Die evangelischen Pfarrer in Berlin und der Nationalsozialismus, in: Kirchliche Zeitgeschichte (2000), Vol. 13/1, Katholizismus und Protestantismus während der NS-Diktatur und in der Nachkriegszeit, S. 20-44; Sandvoss, Hans-Rainer: »Es wird gebeten, die Gottesdienste zu überwachen…«. Religionsgemeinschaften in Berlin zwischen Anpassung, Selbstbehauptung und Widerstand von 1933 bis 1945, Berlin 2014.)

[10] Ehrigs Beschäftigung in der KBS erscheint wie eine Zäsur oder ein Fremdkörper in ihrem Lebenslauf; vor und nach ihrer Anstellung arbeite sie mit Kindern und engagiert sich in der Kirche. Sie steht so symbolisch für viele Karrieren und Kontinuitäten in der Kirche, die im NS in das System integriert waren, davor und danach aber normalen Beschäftigungen nachgingen.

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14. Juli 2021 | Veröffentlicht von Victoria Klärner | Kein Kommentar »
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Erinnerungskultur und Public History – Interview-Podcast

von Sophia Lamprecht und Shirin Sommer

Zwei Studentinnen im Q-Team des Sommersemesters 2020 haben sich mit vor allem pädagogischen Fragen zum Thema Kirche in Berlin und Brandenburg 1914 bis 1949 gestellt. Fragen im Vorfeld des hier veröffentlichten Interview-Podcasts waren:

  • Wie vermittelt man Funktionen von Kirche und Glauben, wie Erinnerung, Umgang mit eigener oder vergangener Schuld, Versöhnung an junge Menschen?
  • Was ist die Rolle von Symbolen und Bauwerken im Bereich Public History und Erinnerungskultur?
  • Wie leitet man eine Reise in die Vergangenheiten gut und spannend an, ohne zu sehr zu vereinfachen oder sich zu verzetteln?

Erster Podcast der Reihe ist ein Interview mit Frau Hana Hlásková, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektsteuerin der Bildungsarbeit der Stiftung Garnisonkirche Potsdam. Das nicht nur, aber auch erinnerungskulturelle Projekt ist umstritten, Kritiker:innen haben beispielsweise einen Internet-Lernort über die Geschichte des Bauwerks und die Debatten darüber gestartet:

http://lernort-garnisonkirche.de

Aus Sicht der Initiator:innen stellt sich die Zielrichtung naturgemäß anders da als von Kirtiker:innen eingeschätzt, hilfreich sind in dieser Hinsicht die „Leitgedanken“ der Stiftung Garnisonkirche:

https://garnisonkirche-potsdam.de/das-projekt/leitgedanken/

Interessant aus Sicht des Q-Team-Themas ist die Online-Ausstellung von 1918-1945:

https://wissen.garnisonkirche.de/online-ausstellung/1918-1945/

Beispiel Garnisonkirche: Hana Hlásková, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektsteuerin der Bildungsarbeit der Stiftung Garnisonkirche Potsdam, das Gespräch wurde im Corona-Sommer 2020 per Video-Konferenz geführt. Daher ist die Tonqualität nicht optimal. Einige Aspekte des Themas haben sich Stand 2021 bereits deutlich weiterentwickelt.

Interview mit Hana Hlásková – Teil 1
Interview mit Hana Hlásková – Teil 2