von Sophia Lamprecht und Shirin Sommer
Zwei Studentinnen im Q-Team des Sommersemesters 2020 haben sich mit vor allem pädagogischen Fragen zum Thema Kirche in Berlin und Brandenburg 1914 bis 1949 gestellt. Fragen im Vorfeld des hier veröffentlichten Interview-Podcasts waren:
- Wie vermittelt man Funktionen von Kirche und Glauben, wie Erinnerung, Umgang mit eigener oder vergangener Schuld, Versöhnung an junge Menschen?
- Was ist die Rolle der Kirche in der erinnerungspolitischen Landschaft von Gedenkstätten, öffentlichem Gedenken und historischer Forschung?
- Ist kirchliche Aufarbeitung weiterhin beeinflusst von den ersten Phasen der Aufarbeitung und Verdrängung der 1950er Jahre?
Zweiter Podcast der Reihe ist ein Interview mit Frau Pfarrerin Marion Gardei, der Beauftragten für Erinnerungskultur und gegen Antisemitismus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Einen ersten Beitrag dieser Reihe finden Sie hier: Erinnerungskultur und Public History – Interview-Podcast
Frau Pfarrerin Marion Gardei pflegt ein eigenes Portal zu erinnerungspolitischen und erinnerungskulturellen Themen:
https://www.erinnerungskultur-ekbo.de
Beispiel institutionelle Erinnerungskultur: Pfarrerin Marion Gardei, Beauftragte für Erinnerungskultur und gegen Antisemitismus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, das Gespräch wurde im Corona-Sommer 2020 in Präsenz, allerdings mit großem Abstand in einem größeren Andachtsraum geführt. Daher ist die Tonqualität nicht optimal. Einige Aspekte des Themas haben sich Stand 2023 bereits deutlich weiterentwickelt.
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von Victoria Klärner, Vera Klauser Soldá und Henrik Scholle
Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten.
Matthäus 6,24
Die Kooperation von Kirche und Staat zur Zeit des Nationalsozialismus zeigt, dass dieses Bekenntnis nicht immer auch umgesetzt wurde. Beide Institutionen verband eine enge Kooperation; angesichts des Zitats wird somit ein gewisses Konfliktpotenzial deutlich. Obwohl die Zeit des Nationalsozialismus bis heute umfassend erforscht wurde und die Kenntnis über die systematische Verfolgung der Juden zum Allgemeinwissen zählt, ist das bezüglich der Zusammenarbeit von NS und Kirche nicht immer der Fall. Es gibt kaum ein Bewusstsein dafür, inwiefern und vor allem auch, dass die evangelische Kirche überhaupt in das System integriert war.
Diese Tatsache war ausschlaggebend für uns, das Thema als Einführung aufzubereiten, um eine Grundlage für die weitere Beschäftigung mit diesem häufig vernachlässigten Teil der Kirchengeschichte zu schaffen. Dabei haben wir uns bemüht, eine objektive und kritische Sichtweise einzunehmen und zudem eine besondere Art der Wissensvermittlung gewählt, um das Thema zugänglicher zu machen und von anderen Darstellungen abzuheben.
Wir, das sind übrigens: Victoria Klärner (Master Deutsche Literatur, HU), Vera Klauser Soldá (Master Deutsche Literatur, HU) und Henrik Scholle (Bachelor Geschichts- und Sozialwissenschaften, HU). Verantwortlich für Layout und grafische Gestaltung ist Johanna Groß (Bachelor Grafikdesign und Visuelle Kommunikation, HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft).
Broschüre: Schuld – Mitschuld – Unschuld. Die evangelische Kirche im Nationalsozialismus (PDF, ca. 10MB)
Dieser Beitrag wurde leicht verändert und von seinem ursprünglichen Erscheinungsdatum 2022 auf 2023 datiert, nachdem die Broschüre nach langen Vorarbeiten als PDF-Version zur Verfügung stand.
Anlässlich der Debatte um Max Friedlaender – die Erinnerungskultur der evangelischen Kirche auf dem Prüfstand
von Victoria Klärner
Konstant bedeutet, verlässlich und authentisch zu sein. Das ist erst einmal nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil, so werden die Erwartungen stets erfüllt und es gibt keine unangenehmen Überraschungen; so weit, so gut. Beziehen sich diese Kontinuitäten jedoch auf eine anhaltend bruchstückhafte und einseitige Darstellung der eigenen Vergangenheit, die sich auch deutlich in der Erinnerungskultur niederschlägt, ist ein solch positives Urteil wohl nicht angebracht. Gemeint ist in diesem Fall die Aufarbeitung der evangelischen Kirche, welche das Engagement der Institution zur Zeit des Nationalsozialismus nur allzu gern verschweigt bzw. beschönigt darstellt. Dabei ist eine umfassende Erinnerungskultur sowohl von individueller als auch kollektiver Bedeutung[1]; hat sie doch eine identitätsstiftende Wirkung, wie Aleida Assmann betont:
Mithilfe von Erinnerungskulturen stärken Gruppen ihre Identität, bestätigen sie ihre Werte […].[2]
Wenn aber diese Identität auf einer unvollständigen Darstellung der Geschichte beruht, vermittelt das ein falsches Bild und zeigt damit wiederum ein typisches Merkmal der deutschen Erinnerungskultur – das Ausblenden entscheidender Wahrheiten der Vergangenheit.[3] Im Falle der evangelischen Kirche führt(e) die einseitige Überlieferung dazu, dass heute viele Theologiestudenten und kirchliche Mitarbeiter die Vergangenheit ihrer eigenen Institution nicht kennen. Ein grober Fehler der Erinnerungskultur, in der – wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht – nur allzu gern der eigene widerständische Charakter und bekannte Namen wie Niemöller oder Bonhoeffer hervorgehoben werden. In diesem Glanz – der ohne Frage bedeutenden Persönlichkeiten – wird aber gleichsam verschwiegen, dass es sich dabei um wenige Einzelpersonen handelte. Eine umfassende und organisierte kirchliche Widerstandsbewegung, als welche sie häufig pauschal dargestellt wird, existierte nicht. Vielmehr war die Kirche direkt in das System integriert und maßgeblich daran beteiligt, dass die Nationalsozialisten Einblick in die genealogische Vergangenheit der einzelnen Mitglieder erhielten und so gezielt die jüdisch-stämmigen herausfiltern konnten. Auch rassistische und antisemitische Äußerungen seitens kirchlicher Amtsträger waren keine Seltenheit – die nationalsozialistische Weltanschauung war auch in den Köpfen und Taten der Protestanten präsent. Diese, angesichts der Vergangenheit unumgängliche Aufarbeitung wurde von der Kirche jedoch nur teilweise und wenn, in Form einer zu eigenen Gunsten ausgelegten Darstellung geliefert. Außenstehende haben für die Erinnerungskultur weit mehr erreicht als die evangelische Kirche selbst.[4]
Und auch wenn sich einmal die Gelegenheit bietet, dieser Verdrängung der Geschichte ein positives und selbstkritisches Beispiel entgegenzusetzen, schafft es die Kirche, sich wiederholt in einem wenig schmeichelhaften Licht zu präsentieren.
Vergangenheit
Max Friedlaender wurde 1852 in Brieg in Schlesien geboren, studierte Musikwissenschaften und Gesang und hatte sich im Laufe seines Lebens besonders um das deutsche Volkslied verdient gemacht. Sein durchaus beeindruckender Lebensweg soll hier jedoch nicht Thema sein. Vielmehr ist es Friedlaenders religiöse Zugehörigkeit, die Anlass zur Debatte bot. Zwar wurde er als Jude geboren, konvertierte aber in den 1890er Jahren zum Christentum und wurde somit Protestant. Im Rahmen des nationalsozialistischen Systems galt er jedoch weiterhin als Jude und erhielt 1936 in der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin eine eigene Namenskartei, ebenso wie seine Frau Alice (geb. Politzer, getauft 1904).[5] Friedlaender selbst war von der Judenverfolgung zwar nicht mehr direkt betroffen – er starb 1934 – Verwandte von ihm jedoch schon.
Es gab folglich bereits in der Vergangenheit große Unterschiede zwischen religiöser Eigenwahrnehmung und Fremdzuschreibung.
Gegenwart
Am 8. Oktober 2021 wurde auf dem Südwestfriedhof in Stahnsdorf die Urne von Henry Thomas Hafenmayer beerdigt. Die Brisanz dieser Tatsache ist gleich doppelt begründet; zum einen handelte es sich bei diesem Mann um einen bekennenden Holocaustleugner und zum anderen wurde er auf der Grabstätte von Friedlaender beigesetzt. Dass Gräber nach einer gewissen Zeit wieder vergeben werden, ist üblich, jedoch in diesem Fall aufgrund der religiösen Zugehörigkeit Friedlaenders im Kontrast zur Gesinnung des Beigesetzten erwartungsgemäß durch die Presse gegangen.
„Ich bin erschüttert und fassungslos über das Geschehen“, sagte Bischof Christian Stäblein heute
— ekbo_de (@ekbo_de) October 12, 2021
Morgen bei einem Besuch der Grabstätte auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf.#BischofStäblein #Stahnsdorf pic.twitter.com/sXtpOEhn9Q
Die Kirche reagierte mit einem durchinszenierten Bild (Quelle/Link: Twitter-Account Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz), das den Bischof Christian Stäblein mit einer Kippa auf dem Kopf am Grabstein von Max Friedlaender zeigt. Auf den ersten Blick könnte es vielleicht als übliche Darstellung im Sinne der Solidarität mit der jüdischen Gemeinde gedeutet werden, doch wenn es am selben Tag heißt, Friedlaender sei Protestant gewesen, überwiegt doch der Eindruck eines inszenierten und gezielt öffentlichkeitswirksamen Bildes. Auf einer eigens für den Themenkomplex Friedlaender eingerichteten Seite der EKBO[6] heißt es in einem Frage/Antwort-Schema genauer: „Er war jüdischer Herkunft und trat in den 1890er Jahren zum evangelisch-lutherischen Glauben über. Er wurde 1934 als evangelischer Christ bestattet.“ Und weiter: „Die Freigabe für Henry Thomas Hafenmayer erfolgte auf Basis des Bestattungsregisters, das Max Friedlaender mit evangelischer Konfession führte.“ Wie kann es sein, dass Friedlaender offiziell offensichtlich als Protestant angesehen wird, sich der Bischof aber mit Kippa ablichten lässt und so den Eindruck vermittelt, ersterer wäre jüdisch gewesen? Hinzu kommt eine fragwürdige Aussage desselben in einer offiziellen Pressemeldung: „Als evangelische Kirche haben wir die erste und vornehmste Aufgabe, an der Seite der jüdischen Geschwister zu stehen.“[7] An der Aussage selbst ist nichts auszusetzen, der Kontext stellt sie jedoch in ein zweifelhaftes Licht. Hier scheint es an Sensibilität für die eigene Vergangenheit und Bewusstsein für die offensichtliche Verdrängung derselben zu mangeln.
Wiederholt werden, neben der mangelnden Sensibilität, die Fehler der Erinnerungskultur und das Missverhältnis der Kirche zu ihrer eigenen schuldhaften Vergangenheit deutlich. Die Kirche hat Schuld auf sich geladen, indem den Forderungen der Nationalsozialisten zur Mithilfe an der Verfolgung Unschuldiger bereitwillig nachgekommen wurde. Nun macht sich die Kirche zum zweiten Mal schuldig, indem dies nicht lückenlos aufgearbeitet wird.[8] Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist der Leser eines Presseberichts über die Friedlaender-Debatte womöglich weniger „erschüttert und fassungslos“, als es Bischof Stäblein bei einem Besuch der Grabstätte auf dem Südwestkirchhof war. Weiter führte er an, dass er „ […] alles daran setzen [möchte], diese Schändung des Grabes von Max Friedlaender aufzuarbeiten.“
Zukunft?
Angesichts der vergangenen Bestrebungen zur gewissenhaften Aufarbeitung sollte diese Aussage womöglich mit einer gesunden Skepsis betrachtet werden; zugleich wird sie von Zweifeln an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens begleitet.
In Anbetracht der Berichte aus Vergangenheit und Gegenwart sind die systematischen Kontinuitäten in der Erinnerungskultur der evangelischen Kirche eindeutig zu erkennen. Das Beispiel Max Friedlaenders ist dafür exemplarisch. Die Diskrepanz zwischen Eigenwahrnehmung und Fremddarstellung ist offensichtlich; erschreckend – aber zugleich auch bekannt – ist die sowohl sprachlich als auch historisch fehlende, kritische Auseinandersetzung mit den Zuschreibungen „jüdisch“ und „evangelisch“, die augenscheinlich in diesem Fall stets zugunsten der Argumentation ausgelegt wurden und werden. Friedlaender wäre Protestant gewesen, aus diesem Grund sei die Vergabe der Grabstätte an einen Holocaustleugner im Grunde gestattet; hinzu kommt, dass er „1934 als evangelischer Christ bestattet [wurde].“[10] Letzteres stimmt nicht wirklich, er mag zwar so bestattet worden sein, galt aber laut Gesetz als „jüdisch“, u. a. zu sehen an seiner Karteikarte, und war so eigentlich auch für die Kirche kein Protestant. Hier fehlt wiederholt eine Kontextualisierung in der Argumentation der Kirche.
Eine ehrliche und vor allem selbstkritische Erinnerungskultur ist längst überfällig; auch wenn sich damit zugleich von der zwar bequemen, aber auch historisch inkorrekten wie subjektiven Engführung von Bekennender Kirche und Widerstand verabschiedet werden muss – die Kirche muss sich endlich vollends zu ihrer Schuld bekennen.
[1] Aleida Assmann schreibt dazu: „Individuelles Erinnern ist also in den größeren kulturellen Rahmen kollektiven Erinnerns eingebunden, womit die Voraussetzung für eine kollektive Identität geschaffen werden, die die Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlägt.“ (Assmann, Aleida: Das neue Unbehagen in der Erinnerungskultur. Eine Intervention, 3. erweiterte und aktualisierte Auflage, München 2020, S. 29)
[2] Ebd., S. 32.
[3] Ebd., S. 40.
[4] Hier ist besonders auf Manfred Gailus hinzuweisen, der zahlreiche Bücher und Artikel zum Thema Evangelische Kirche und Nationalsozialismus veröffentlicht hat. Vor allem seine Ergebnisse zur Kirchenbuchstelle Berlin und deren Leiter Karl Themel sind besonders hervorzuheben.
[5] Für nähere Informationen zur Kirchenbuchstelle siehe Artikel Aus dem sicheren Dunkel der Anonymität: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/07/14/aus-dem-sicheren-dunkel-der-anonymitaet/.
[6] Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO): https://www.ekbo.de/no_cache/start/themen/beisetzung-auf-der-ehemaligen-grabstaette-von-max-friedlaender.html
[7] Aus einer Pressemitteilung vom 14. Oktober 2021, Bischof Christian Stäblein: https://www.ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/1._WIR/06._Bischof/B.Z._Kolumne_St%C3%A4blein/211014_Grabstelle_Max_Friedl%C3%A4nder__003_.pdf
[8] Näheres zum Themenkomplex Schuld(frage) und Kirche finden Sie hier: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/05/04/296/
[9] Ebd.
[10] Info-Seite der EKBO: „Wer war Max Friedlaender?“: https://www.ekbo.de/no_cache/start/themen/ beisetzung-auf-der-ehemaligen-grabstaette-von-max-friedlaender.html
Update 5/2023: Twitter-Einbindung/Foto-Link modifiziert, Schlagworte ergänzt
von Johan Wagner
„DIE WEISSE ROSE“ als „Claim“ für „Querdenker“-Sticker – antisemitisch? (c) J. Wagner
„DIE WEISSE ROSE“ als „Claim“ für Querdenker-Sticker, die im Straßenraum von Berlin des Jahres 2022 auftauchen. Ist das Antisemitismus? Sicher ist: Antisemitismus in den sozialen Medien nimmt in Europa derzeit stark zu, eine Studie der Europäischen Union ermittelte zwischen den Vor-Pandemiemonaten Januar und Februar 2020 und dem Pandemiejahr 2021 eine siebenfache Steigerung von antisemitischen Schlagworten in französischsprachigen Sozialmedien-Accounts, eine sogar 13-fache Steigerung in deutschsprachigen Sozialmedien-Accounts (vor allem im Messengerdienst Telegram).[1] Wie starken Anteil daran hat religiös motivierter Antisemitismus und was hat dies mit unzureichend aufgearbeiteter Versagensgeschichte der Kirche zu tun? Gibt es auch deshalb immer wieder antisemitische Vorfälle auch im kirchlichen Bereich?[2] Auch dieser Blogbeitrag kann zu diesen schwierig zu beantwortenden Fragen nur Anhaltspunkte liefern, die gleichwohl den Vorteil haben, dass Sie weiterhin insbesondere in der Region Berlin-Brandenburg präsent erscheinen. Es gibt Hinweise, dass christlich-religiös motivierte alte Vorurteile in der Pandemie vermehrt sichtbar werden. So zitiert die genannte Studie eine französische, fundamentalistisch-christliche Facebook-Seite mit einem wütenden Angriff auf die vermeintlichen Verschwörer hinter der Pandemieentwicklung und der Eindämmungsmaßnahmen: „[…] ihre [die der „Juden“, JW] Impfstoffe voll von […] Unreinheiten aller Arten.“[3] Im Zusammenhang der Corona-Proteste spricht der Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg, Michael Blume im Experteninterview einer weiteren Studie von einem „libertären Antisemitismus“.[4] Die Autor:innen halten in der Studie fest, dass Christ:innen keine prägende Stellung in der „Querdenken“-Bewegung eingenommen haben.[5]
Antisemitismus bleibt ein Thema,
zu dem es stapelweise „Lesestoff“ gibt. (c) J. Wagner
Ein anonymer Brief von 1933
Im Zentrum dieses Blogbeitrags steht ein anonymer Beschwerdebriefs vom Totensonntag 1933.[6] Alle Kirchen- und Partei-Gremien und auch prominente Vertreter werden in dem anonymen Schreiben angegriffen und beleidigt.
Erste Seite des anonym verfassten Beschwerdebriefs, ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“.
Sogar der „Reichsbischof“, der mit „Herr Reichsbischof !“ adressiert wird, wird hart kritisiert:
„Im selben Augenblick, da der stellvertretende Führer [Rudolf] Heß diesen Programmpunkt [eines „positiven Christentums“] demonstrativ verließ um gegen Sie, Herr Reichsbischof (trotz Ihres Dementis) zu agititeren und proklamierte daß in Deutschland hinfort jeder nach seiner Fasson selig werden könne, daß Religion, wie z. Zt. der Marxistenherrschaft, wieder Privatsache sei, brachen die Schranken, die nur künstliche waren […].“[7]
Gegen Ende wird der „Reichsjugendführer“, Baldur von Schirach, frontal attackiert:
„Was soll aus unserer Jugend werden unter der Führung des Gottlosen, der sich Baldur von Schirach nennt, in Wirklichkeit aber „Fritz Moll“ heißen soll. Ein politischer Hochstapler. […]“[8]
Nur der abgesetzte Generalsuperintendent der Kurmark, Otto Dibelius, wird als Beispiel der Standhaftigkeit gegenüber der Tagespolitik und dem Duckmäusertum sowie der Überzeichnung nationalsozialistisch-christlicher Doppelgläubigkeit gewählt.
„Und so wie mit [Joachim] Hossenfelder [Pfarrer und einer der führenden „Deutschen Christen“] ist es mit fast all den anderen Bischöfen, Pröbsten und Prälaten. Nicht ihre Eignung hat diese Herren ge- und befördert, sondern ihre Parteizugehörigkeit und ihr großes Maul, während man verdiente und hochqualifizierte Männer wie D. Dibelius und viele andere in der brutalsten Weise hinauswarf.“[9]
Es ist dem kurzen Format eines Blogbeitrags geschuldet, dass von dieser Eloge auf Dibelius eine direkte Überleitung auf den „Tag von Potsdam“ folgt, einer der Tiefpunkte in seiner Biographie. Persönlichkeiten sind – wie auch lieux de mémoire – oft vielschichtig. Die Knappheit erfordert hier eine Konzentration auf eine oft unterrepräsentierte Seite des späteren ersten Bischofs der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.
Ein umstrittener „hochqualifizierter“ Mann
Otto Dibelius ist umstritten, weil er antisemitische Positionen lange vertreten hat. Dafür steht auch der „Tag von Potsdam“, bei dem die Garnisonkirche Potsdam als preußischer Erinnerungsort für die zeremonielle Auftaktveranstaltung eine wichtige Rolle spielte. Vor der Konstituierung des am 5. März 1933 gewählten Reichstags hielt hier Adolf Hitler als Reichskanzler seine Regierungserklärung. Zuvor hatte bei einem evangelischen Gottesdienst in St. Nikolai Dibelius gepredigt und sich im Sinne der Zwei-Regimente-Lehre hinter die Vorstellung „nationaler Einheit“ gestellt.[10]
Der Wiederaufbau des Garnisonkirchen-Turms ist wegen des „Tages von Potsdam“ umstritten. Im Vordergrund zu sehen sind die Dekorationselemente der Turmspitze. Heute sollen sie einladen zur differenzierenden Erinnerung an ambivalente deutsche Geschichte. Dies hat auch das Potential einer zeitgemäßeren Erinnerung an Otto Dibelius. Am Bauzaun finden sich Plakate der Kampagne https://tut-der-seele-gut.info, darunter„Antisemitismus schadet der Seele“. (c) J. Wagner
Gleichzeitig erscheint er weiterhin als selbsternannter Bischof und Kämpfer für die westliche freiheitliche Welt im Kalten Krieg als Symbol in Berlin. So wird der Lichteffekt eines Kreuzsymbols auf dem Berliner Fernsehturm im Berliner Volksmund als „Dibelius‘ Rache“ bezeichnet.[11] Im diesem Licht lautet die Leitfrage:
Inwieweit waren antisemitische Positionen innerkirchlich Normalität, dass Otto Dibelius als innerkirchliche Opposition zu übersteigertem nationalsozialistischen Reformeifer à la Joachim Hossenfelder fungieren konnte?[12]
Die Beziehung von Antisemitismus und Protestantismus ist auch fast 90 Jahre nach dem anonymen Brief etwas, dass sich zu betrachten lohnt. 2019 wurde von den Evangelischen Akademien in Deutschland die Broschüre „Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflektion“ herausgebracht. Darin heißt es, es sei „zu fragen, welche Fundamente protestantischer Weltdeutung und Identität dazu geführt haben, dass der Protestantismus zum tragenden Milieu des modern werdenden Antisemitismus im 19. Jahrhundert werden konnte.“ Mit Michael Wildt möchte ich ergänzen und zuspitzen: „Ich befürchte, dass wir uns mittlerweile erinnerungspolitisch gemütlich und selbstzufrieden eingerichtet haben im Zivilisationsbruch.“[13] Es geht mir in diesem Blogbeitrag nicht in der Umkehrung der antisemitischen Unreinheits-Fantasterei: Nicht um eine Idealvorstellung, was ein Generalsuperintendent 1933 am „Tag von Potsdam“ hätte predigen können. Sondern um ein genaues Schauen auf die Geschichte. Und darum, dass an umstrittene Figuren nicht einseitig erinnert wird. Otto Dibelius steht in einer Nationalprotestantismus-Tradition. Er war geprägt von einem Übergang von religiösem Antijudaismus zum „rassistischen Vorbehalt“ im 19. Jahrhundert.[14] Im „Umbruchjahr 1933“ stand er wie Viele nicht grundsätzlich gegen die NS-staatliche Gewalt. „Die Kirche dürfe, so meinte Dibelius [in seiner Predigt am „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933] unter Verweis auf Luther, der ‚rechtmäßigen staatlichen Gewalt‘ nicht in den Arm fallen, wenn sie das tue, wozu sie berufen sei. Wenn der Staat gegen die Feinde der staatlichen Ordnung vorgehe, dann möge er in Gottes Namen seines Amtes walten.“[15]
Diese Haltung ist also am Totensonntag 1933 vorbildlich:
„Ist es überhaupt noch möglich, die Bewegung [der „Deutschen Christen“, JW] zu retten, nur dadurch, daß sofort diese üblen Gesellen samt und sonders hinausgetan werden und ein Mann die Leitung übernimmt, der etwas kann und aufgrund überragender Fähigkeiten imstande ist, aus dem Chaos zu retten, was zu retten ist. Wir haben nur einen und das ist der Generalsuperintendent Dibelius. [Hervorhebung im Original]“[16]
Antisemitismus als Normalfall
Abschließend bleibt die Frage nach der innerkirchlichen Normalität des Antisemitismus schon zu Beginn der NS-Zeit und im Vorfeld. Viel passierte, um herauszufinden, wer den Brief geschrieben hatte. Dabei ging es nicht um eine antisemitische oder „philosemitische“ Einstellung, sondern um die Frage, wie sehr bereits eine „Doppelgläubigkeit“ (Manfred Gailus) an evangelische und nationalsozialistische Glaubensgrundsätze Maßstab der Dinge war.[17] Was sagt es über das Konsistorium aus, dass eine solche Philippika aufwändige Nachforschungen hervorrief?[18]
Weitere Recherchen und kritische Blicke auch auf Führungsfiguren der Bekennenden Kirche, in deren Tradition die Evangelische Kirche in Deutschland gleichwohl zu recht sieht, sind notwendig. Gerade vor dem Hintergrund eines neu aufflammenden Antisemitismus bleibt die Feststellung dass es bei diesen Blicken darum gehen muss eine glaubensmäßige Unterfütterung der NS-Herrschaft zu verstehen. Manfred Gailus schreibt von einem „radikalisierten religiösem Fanatismus“.[19] Dieser Wahn wirkt bis in unsere heutige, pandemische Zeit.
[1] Europäische Kommission, Institute for Strategic Dialogue, The Rise of Antisemitism online during the pandemic. A study of French and German content, Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2021, online verfügbar unter https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/d73c833f-c34c-11eb-a925-01aa75ed71a1/language-en (letzter Besuch: 29.4.2022).
[2] So erschien in der Wochenzeitung „die Kirche“ der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vor wenigen Jahren eine israelkritische Karikatur. Ist das ein Zeichen für fortdauernden evangelisch geprägten Antisemitismus oder wird die Antisemitismus-Streitfrage allzu schnell und unbedacht ins Feld geführt? Vgl. Thomas Knieper, Dieter Hanitzsch, seine Netanjahu-Karikatur und die Süddeutsche Zeitung. Die Geschichte einer Antisemitismus-Unterstellung, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Streitfall Antisemitismus. Anspruch auf Deutungsmacht und politischen Interessen, 2020 Berlin, S.182-212.
[3] Europäische Kommission, Institute for Strategic Dialogue, The Rise of Antisemitism online during the pandemic. A study of French and German content, Luxemburg: Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union 2021, online verfügbar unter https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/d73c833f-c34c-11eb-a925-01aa75ed71a1/language-en (letzter Besuch: 29.4.2022), S. 18.
[4] „Dieser zeichne sich durch eine Querverbindung von libertärer Haltung, die jede Form von Fremdbestimmung ablehnt und Antisemitismus, der in einer verkürzten Kapitalismuskritik eine jüdische Weltherrschaft behauptet, aus.“ Nadine Frei, Oliver Nachtwey, Quellen des „Querdenkertums“. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg, Basel 2021, online verfügbar unter https://boell-bw.de/sites/default/files/2021-11/Studie_Quellen%20des%20Querdenkertums.pdf (letzter Besuch: 6.1.2022), S. 15.
[5] Vgl. ebd. S.48, S. 53. Michael Blume hat dagegen die These aufgestellt, dass der Pietismus beim christlichen Engagement im Rahmen der „Querdenken-Proteste“ eine Rolle spielen könnte.
[6] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“. Es handelt sich beim anonymen Autoren wohl um den einfachen Mitarbeiter des Konsistoriums Otto Schülke. Zudem existiert in derselben Personalakte sein Abschiedsbrief vor seinem Selbstmord ungefähr ein Jahr später.
[7] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 1 des Briefes.
[8] Ebd. S. 3. Was genau mit der Benennung „Fritz Moll“ unterstellt wurde, ist im Rahmen dieses Blogbeitrags nicht zu ermitteln gewesen. Es könnte sich um die Andeutung einer unehelichen Geburt oder pädokrimineller beziehungsweise homosexueller Neigungen von Schirachs handeln. Oliver Rathkolb zitiert in seinem historischen Porträt Gerüchte, Schirach sei homosexuell, die im Rahmen der Nürnberger Prozesse von einem Psychologen untersucht wurden. Oliver Rathkolb, Schirach. Eine Generation zwischen Goethe und Hitler, Molden, Wien 2020, S. 557-558.
[9] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 2 des Briefes. Das Hinauswerfen spielt darauf an, dass Dibelius gegen eine „Gleichschaltung“ der Kirche Widerstand leistete und seines Amtes enthoben wurde. Jens Gundlach, Otto Dibelius und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, in: Sonja Begalke, Claudia Fröhlich, Stephan Alexander Glienke (Hrsg.), Der halbierte Rechtsstaat , Demokratie und Recht in der frühen Bundesrepublik und die Integration von NS-Funktionseliten, Nomos Baden-Baden 2015, S. 265-276. Joachim Hossenfelder wurde nach 1945 als Pastor in der Eutinischen Landeskirche (heute Teil der Nordkirche) aufgenommen, Otto Dibelius setzte sich dafür ein, dass er eingestellt wurde. Evangelische Akademie der Nordkirche/Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche [Hrsg.], Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit Ihrer NS-Vergangenheit umgingen, Publikation zur Wanderausstellung im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Band 1, Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel 2017, S. 50.
[10] Anke Silomon, Pflugscharen zu Schwertern. Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin 2014, S. 72. Die 1968 gesprengte Garnisonkirche wird derzeit als umstrittenes Versöhnungs-Projekt wiedererrichtet und bietet mit Ihrer Ausstellung, die zur Zeit konzipiert wird, eine Chance, Otto Dibelius‘ Rolle am „Tag von Potsdam“ kritischer zu reflektieren. Ein Interview zur Frage von Public History und Erinnerungskultur in der Garnisonkirche findet sich auf diesem Blog: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/06/28/erinnerungskultur-und-public-history-interview-podcasts/ (letzter Besuch: 11.2.2022). Eine aktuelle Untersuchung von Straßennamen in Berlin kommt zu dem Schluss: „Noch 1933 bezog er [Otto Dibelius] sich auf den Antisemiten Heinrich von Treitschke. Auch beim Boykott von Jüdinnen und Juden durch die SA 1933 stellte er sich hinter die NSDAP. Dabei bezeichnete er sich selbst als Antisemiten. Noch 1964 äußerte er sich antisemitisch.“ Land Berlin, Landesstelle für Gleichstellung – gegen Diskriminierung, Dossier von Dr. Felix Sassmannshausen: Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin, erstellt im Auftrag des Ansprechpartners des Landes Berlin zu Antisemitismus, verfügbar online z. B. unter: https://www.welt.de/bin/Dossier_bn-235636290.pdf (letzter Besuch: 1.2.2022). Zur Zwei-Reiche und Regimente-Lehre siehe auch auf diesem Blog: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2021/04/09/verfolgtenpolitik-um-1940-seenotrettungspolitik-um-2020-dinge-ins-verhaeltnis-setzen/ (letzter Besuch: 11.2.2022).
[11] https://www.morgenpost.de/berlin/article206343567/6-Geheimnis-Der-Berliner-Fernsehturm-und-das-Kreuz.html (letzter Besuch 2.2.2022).
[12] Joachim Hossenfelder war einer der Redner auf der Großkundgebung der „Deutschen Christen“ am 13. November 1933 im Sportpalast in Berlin, auf die der anonyme Brief verweist. Hier wurde eine Verwerfung des Alten Testaments gefordert, Hossenfelder musste als „Reichsleiter der Deutschen Christen“ und als Brandenburger Bischof zurücktreten. Evangelische Akademie der Nordkirche/Amt für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche [Hrsg.], Neue Anfänge nach 1945? Wie die Landeskirchen Nordelbiens mit Ihrer NS-Vergangenheit umgingen, Publikation zur Wanderausstellung im Auftrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Band 1, Lutherische Verlagsgesellschaft Kiel 2017, S. 51. Siehe auch: https://www.nordkirche-nach45.de/#2 (letzter Besuch: 11.2.2022).
[13] Die Evangelischen Akademien in Deutschland, Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflexion, Berlin 2019, online verfügbar unter: https://www.evangelische-akademien.de/projekt/antisemitismus-und-protestantismus/ (letzter Besuch 2.2.2022), S. 12. Auch die regionale evangelische Kirche hat sich dem Kampf gegen Antisemitismus und aller Formen von Hass verschrieben. Siehe zum Beispiel: https://gegen-antisemitismus.ekbo.de/startseite; https://tut-der-seele-gut.info oder https://ekbo.de/fileadmin/ekbo/mandant/ekbo.de/0._Startseite/03._PDFs_und_Audios/A_EKBO_Christinnen_gegen_Antisemitismus_aktuelle_Version.pdf (letzter Besuch 23.2.2022) – die Frage bleibt: Ist dies ohne kritischere Beleuchtung der Geschichte der Gesamtinstitution in Berlin und Brandenburg glaubwürdig? Michael Wildt hat im Februar 2022 seine beeindruckende Abschiedsvorlesung zur Frage „Singularität des Holocaust?“ gehalten, der das Zitat entnommen ist. Ein Mitschnitt ist online verfügbar:
[14] Dieser wurde bisher theologisch wenig reflektiert. Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Zweite Auflage, C. H. Beck München 2004, S. 93-96. Wolfgang Benz spricht zutreffend von der „christlich-sozialen Variante der Judenfeindschaft“ und verbindet dies mit dem evangelischen Berliner Hofprediger Adolf Stoecker. Die Berliner Stadtmission ist dabei, diesen Aspekt ihres Mitgründers aufzuarbeiten: https://www.berliner-stadtmission.de/geschichte (letzter Besuch: 11.2.2022).
[15] Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021, S. 16.
[16] ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“, S. 2 des Briefes.
[17] Am 21. September 1934 werden die Kanzlei des „Reichsbischofs“ und die „Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche“ mit dem Briefkopf des Konsistorialpräsidenten ersucht, zwei anonyme Briefe an das Konsistorium kurze Zeit auszuhändigen. Die historischen Einordnung und Bewertung dieses Schreibens soll hier nicht im Mittelpunkt stehen. Gleichzeitig ist die Archivalie zwar „I. V.“ unterzeichnet, es kann aber davon ausgegangen werden, dass der „Deutsche Christ“ und damals noch amtierende Konsistorialpräsident Paul Walzer vom Vorgang Kenntnis hatte. Ein Scan dieses Briefes (ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“) im Format PDF kann hier heruntergeladen werden: Konsistorialpraesident_Ermittlungen_Schuelke_EZA.pdf
Zu Walzer siehe auch: https://blogs.hu-berlin.de/kircheimns/2020/08/24/konsistorialpraesident-paul-walzer-symptomatisch-fuer-kirche-in-berlin-und-brandenburg-in-der-zeit-1934-und-danach/ (letzter Besuch 11.2.2022)
[18] In der Akte des Evangelischen Landeskirchlichen Archivs in Berlin (ELAB 11/3800, „Schülke, Otto“) findet sich ein für die damalige Zeit beeindruckendes Gutachten, gleichzeitig steht auch dieser aufwändige Nachweis hier nicht im Mittelpunkt. Das Gutachten kommt zu dem Schluss: „Der Beweis seiner [Otto Schülkes] Schrifturheberschaft für den anonymen Brief ist daher [aufgrund der genutzten Schreibmaschine und der handschriftlichen Korrekturen] ein doppelter.“ Ein Scan dieses Gutachtens im Format PDF kann hier heruntergeladen werden: Graphologisches_Gutachten_Schuelke_EZA.pdf
[19] „Auch der während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 immer vehementer hervortretende, wahnhafte Züge annehmende Antisemitismus der nationalsozialistischen Führungskreise, der den Krieg zum ‚Krieg gegen das Judentum‘ und den ‚Sieg über die Juden‘ – letztlich deren physische Vernichtung – zur großen, heroischen Tat erklärte, ist nur im Kontext eines radikalisierten religiösen Fanatismus zu verstehen.“ Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021, S. 166.
SFR – Selected Further Reading
- Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Zweite Auflage, C. H. Beck München 2004
- Die Evangelischen Akademien in Deutschland, Antisemitismus und Protestantismus. Impulse zur Selbstreflexion, Berlin 2019, online verfügbar unter: https://www.evangelische-akademien.de/projekt/antisemitismus-und-protestantismus/ (letzter Besuch 2.2.2022)
- Manfred Gailus, Gläubige Zeiten. Religiosität im Dritten Reich, Herder (Freiburg, Basel, Wien) 2021
- Herfried Münkler, Preußen als Beute. Der „Tag von Potsdam“ und das Attentat auf Hitler, in: Ders., Die Deutschen und ihre Mythen, Rowohlt (Reinbek bei Hamburg), 5. Aufl. 2018, S. 275-294.
- Anke Silomon, Pflugscharen zu Schwertern. Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin 2014
Über den Autor
Dr. Johan Wagner ist Referent für Fördermittelrecht der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Er gehört zum Lehrbeauftragten-Pool des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsinteressen und Arbeitsgebiete sind Europäische Integration, Pressegeschichte, europäische Beziehungen zur arabischen Welt, Wissenschaftsstrategie, konfessionelle Entwicklungen in Europa, europäische Konflikt- und Friedensgeschichte, siehe auch: https://www.clio-online.de/researcher/id/researcher-5652