Den folgenden Mail-Wechsel, der uns über unsere Kritik-Mailadresse erreichte, möchten wir Ihnen nicht vorenthalten. Er zeigt den leider viel zu alltäglichen Wahnsinn, vor den die hohe Auslastung des Grimm-Zentrums uns alle – Nutzerinnen, Nutzer und Bibliothekspersonal – immer wieder stellt.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
könnten Sie mir bitte mitteilen, unter welchen Umständen und auch wie viele Plätze ich im Grimm-Zentrum – natürlich ausschließlich für HU-Studierende – reservieren kann?
Im Normalfall reserviere ich morgens gegen neun Uhr drei Plätze auf den Leseterrassen, indem ich ein Buch aus einem Regal nehme und die Pausenscheibe auf die entsprechende Uhrzeit stelle und sie dann auf das Buch auf einem der Tische neben mir lege. Normalerweise kommen meine Freunde innerhalb der nächsten Stunde, wenn es manchmal länger dauert, stelle ich einfach die Scheibe nochmal ein wenig vor.
Ich richte mich nun an Sie, da ich in letzter Zeit mit sehr unfreundlichen anderen Studierenden, die teilweise ausfällig wurden und mir unfaires Verhalten vorwarfen, konfrontiert wurde. Diese Studierenden wollten mir meine reservierten Plätze wegnehmen! Obwohl dort meine Freunde unmittelbar sitzen würden. Ich empfinde das als eine Unverschämtheit und war schon ein paarmal kurz davor, das Sicherheitspersonal hinzuzuziehen.
Um in Zukunft etwas Handfestes gegen diese Studierenden vorweisen zu können, sodass diese mir nicht mehr meine Plätze wegnehmen, würde ich Sie bitten, mir die Platzreservierungsbestimmungen im Grimm-Zentrum für HU-Studierende mitzuteilen. Das würde einiges leichter machen und ich muss mich weniger um diese unnötigen Streitigkeiten kümmern und kann für meine Klausuren lernen.
Ich danke Ihnen dazu bereits im Voraus und wünsche Ihnen eine schöne Woche.
Mit besten Grüßen
XYZ
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Sehr geehrte* XYZ,
vielen Dank für Ihre Mail. Ich war zunächst versucht, sie als Realsatire zu lesen, will nun aber doch sachlich auf Ihre Anfrage eingehen.
Wir haben die HU-Homezone-Regelung kurz nach Eröffnung des Grimm-Zentrums einführen müssen, um der großen Auslastung des Hauses Herr zu werden und eine optimale Nutzung der Arbeitsplätze im Sinne der HU-Angehörigen, unserer Hauptzielgruppe, zu ermöglichen. Unsere Absicht war es vor allem, unfairem Verhalten einen Riegel vorzuschieben. Dieses bestand vor Einführung der Homezone darin, dass nach dem sogenannten „Mallorca-Prinzip“ früh am Morgen Plätze in Beschlag genommen wurden, indem dort Gegenstände platziert wurden, diese Plätze dann aber tatsächlich erst Stunden später tatsächlich belegt wurden. Ihre Reservierungsgepflogenheiten entsprechen also genau dem unfairen Verhalten, das wir mit der Einführung der HU-Homezone unterbinden wollten. Selbstverständlich sind die Personen im Recht, die die Plätze tatsächlich benötigen. Sie sind nicht berechtigt, Plätze für Ihre Kommilitonen zu reservieren. Darin wird Sie auch der Wachschutz ganz gewiss nicht bestärken, sollten Sie einmal versuchen, ihn zu Hilfe zu ziehen. Er ist klar angewiesen, Reservierungen dieser Art zu unterbinden. Wenn Sie die Pausenscheibe einstellen, fingieren Sie falsche Tatsachen, denn Ihre Kommilitonen machen keineswegs eine Pause, sondern sind noch gar nicht vor Ort.
Bitte unterlassen Sie künftig dieses unfaire Verhalten.
Unsere Regelungen zur HU-Homezone können Sie an dieser Stelle nachlesen:
https://www.ub.hu-berlin.de/de/standorte/jacob-und-wilhelm-grimm-zentrum/benutzung-vor-ort/homezone
Mit freundlichen Grüßen,
Ihre Universitätsbibliothek
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Sehr geehrte Universitätsbibliothek,
vielen Dank für Ihre schnelle Antwort!
Ich gebe zu, dass ich mich verleiten ließ, die Position eines oder einer Platzreservierenden einzunehmen. Ihr Realsatiregefühl hat Sie nicht getäuscht. Tatsächlich ärgere ich mich jeden Tag ein wenig über die Reservierwütigen. – Wenn ich mich das ein oder andere Mal getraute zu fragen, ob der Platz nicht doch (von mir) benutzt werden könnte, erntete ich immer dieses tiefe Unverständnis (wie kann jemand nur das fragen!?), und die Annahme, dass die Platzreservierungen völlig selbstverständlich seien und ich es bin, der sich als Anfrager/Hinterfrager unfair verhalte.
Ich ließ mich nun darauf ein, dieser Selbstverständlichkeit ein wenig auf den Grund zu gehen. – Mit dem Hintergedanken vielleicht im nächsten Anlauf den Platzreservierenden ebenso mit ein wenig Ironie gegenübertreten zu können. Im Sinne von: „Schau mal, ich habe auch einmal gedacht, man könne Plätze reservieren, aber dann bekam ich diese Mail…“
Mich einfach zu beschweren, bei Ihnen oder dem Sicherheitspersonal, schien mir doch sehr, nun ja, einfach (und langweilig?).
Ich danke Ihnen also für Ihre ausführliche Antwort und wünsche Ihnen einmal mehr eine schöne Woche.
Mit allerbesten Grüßen
XYZ
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Es hat uns gewissermaßen beruhigt, dass es sich tatsächlich um eine ‚Fake‘-Mail handelte, die aber letztlich ja doch das Leben schrieb … Wer Erlebnisse dieser Art macht, kann sich gerne an das Bibliotheks- und Wachschutzpersonal wenden, ohne sich als Denunziant oder Denunziantin fühlen zu müssen. Dreist kommt bei uns nicht weiter. Es ist einfach eine Frage der Fairness. Bitte nehmen Sie Rücksicht, indem Sie keine Plätze für andere reservieren. Setzen Sie sich in die Bereiche, in denen Sie sitzen dürfen. Behindern Sie andere Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer nicht darin, hier im Hause ihrer Arbeit nachzugehen. Das fängt beim Geräuschpegel an und hört bei der Fairness, Bücher nicht absichtlich zu verstellen, damit andere sie nicht finden, noch lange nicht auf.
Tragen Sie bitte dazu bei, dass das Grimm-Zentrum ein angenehmer Lern- und Arbeitsort bleibt.
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen allen einen guten Semesterstart und ein angenehmes Arbeiten im Grimm-Zentrum – und natürlich auch an unseren anderen Standorten!
Ihre Universitätsbibliothek
Das Hauptproblem ist, dass das Grimm-Zentrum nicht für die Tätigkeit geeignet ist, die man viele Jahrhunderte lang in Bibliotheken ausübte, nämlich die Arbeit mit Büchern. Wer jemals auf den unglückseligen Gedanken gekommen ist, in einer freien Vormittagsstunde in der Nähe der Fachbücher einen Platz zu finden, um eine Reihe von Zitaten in einem Manuskript zu überprüfen, weiß, was ich meine. Der Hauptzweck des Grimm-Zentrums ist der, den eigentlich die vor gut 100 Jahren eingerichtete akademische Lesehalle (wo heute die Mensa Süd ist) erfüllen sollte.
Das Problem erkennen wir auch, aber grundsätzlich freuen wir uns über die hohe Akzeptanz des Grimm-Zentrums als Lern- und Arbeitsort. Uns sind alle Leserinnen und Leser willkommen, die ‚mit Arbeit am Buch‘ genauso wie die ‚ohne Arbeit am Buch‘. Wer einen speziellen Platz braucht, um in der Nähe seiner bzw. ihrer Fachbücher zu sitzen, kommt vielleicht besser zu nachfrageschwächeren Zeiten. Dann steigen die Chancen, den Wunschplatz zu erhalten. In den Vormittagsstunden findet sich auf den Lesesaalterrassen meistens noch ein Plätzchen.
Gäbe es die akademische Lesehalle heute noch, so müsste man auch dort sicher eine HU-Homezone und Pausenscheibenregelung einführen, denn die Zahl der Studierenden hat sich im Laufe der Zeit – zum Glück, wie wir finden, – erheblich erhöht. Und da haben wir mit 1.036 Einzelarbeitsplätzen (davon 450 PC-Arbeitsplätzen), 18 Gruppenarbeitsräumen, ca. 40 Arbeitskabinen und unseren Lounge-Bereichen vielleicht doch etwas mehr zu bieten als die ehemalige akademische Lesehalle.
Sehr geehrte Frau Schenk,
es ist unbestritten, dass es heutzutage mehr Studierende gibt als vor 100 Jahren, nur sollte in einer Bibliothek die Arbeit _mit_ Büchern dann doch Priorität haben („Bibliothek“ heißt schließlich „Buchbehälter“). Und Ihrer Antwort entnehme ich auch, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht den ganzen Tag Zeit haben, sondern zwischendurch einmal eine oder zwei Stunden, dann eben bei der Nutzung Pech haben. Erschwerend kommen hinzu die teilweise chaotische Situation im Zeitschriftengeschoss (wo nicht entleihbare Bände offenbar seit vielen Jahrgängen einfach quer über andere Bände quer im Regal gelegt) und das unglückselige Erbe der Numerus-currens-Aufstellung im 7. OG. Gewünscht hätte ich mir in Ihrem ersten Satz einen Zusatz wie „wir suchen nach einer Lösung“. Jedenfalls bin ich froh, dass ich meine Qualifikationsschriften in einer anderen Stadt und zu einer anderen Zeit in einer Bibliothek schreiben konnte, wo ich direkt neben den benötigten Büchern sitzen konnte …
Sehr geehrter Herr Schmitzer,
gewiss handelt es sich beim Grimm-Zentrum um eine Bibliothek. Bibliotheken umfassen aber heutzutage Medien in jeglicher Form. Neben rund 6 Millionen gedruckten Bänden bietet die Universitätsbibliothek auch Zugriff auf ca. 170.00 E-Books. In welcher Ausformung unsere Leserinnen und Leser die Bestände nutzen, spielt für uns keine Rolle. Wer bei uns elektronische Bestände nutzt, wird gegenüber jenen, die Print-Bestände lesen, nicht benachteiligt.
Die von Ihnen beschriebenen Missstände bei der Bereitstellung von Zeitschriftenbänden resultieren aus der Tatsache, dass wir derzeitig keine Kapazitäten haben, um die Bestände zu „rücken“, d.h. Platz zu schaffen für Zuwachsflächen. Aufgrund des Einstellungsstopps für studentische Beschäftigte kann das verbliebene Personal momentan nur die sehr dringlichen Tätigkeiten (Rückstellen von Büchern) realisieren. Ebenso ist es mit den Hintergrundtätigkeiten beim Katalogisieren von „Altbeständen“, auch hier fehlt es uns leider am nötigen Personal. NC-Bestände im 7. OG werden, sofern sie häufig entliehen werden, in den regulären RVK-Bestand eingearbeitet. Dabei greifen wir auf Ausleihstatistiken zurück.
Platzmangel ist eines der größten Probleme hier im Grimm-Zentrum. Dies betrifft sowohl die Anzahl der Leseplätze – das im Blogbeitrag behandelte Problem -, als auch die für Medien zur Verfügung stehenden Regalflächen. Selbstverständlich sind wir immer um Lösungen bemüht und dankbar für Feedback wie Ihres.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Schenk