Bücherwege

#6 Bücherwege: Der Lieferanteneintrag „Herkunft unbekannt“ II

Buchkäufe, Schenkungen und Erwerbungen aus dem Büchertausch wurden in der Universitätsbibliothek akribisch in den Zugangsbüchern erfasst. Diese sogenannten Akzessionsjournale sind fast lückenlos erhalten und stellen eine wichtige Grundlage für die Provenienzermittlung dar. In ihnen wurden neben den Titeln auch die Lieferanten verzeichnet, wie Buchhandlungen, einliefernde Institutionen und Privatpersonen sowie die Partnereinrichtungen im Büchertausch. Bei manchen Einträgen fehlen jedoch diese Angaben, und an ihrer statt erscheint in der Lieferantenspalte „Herkunft unbekannt“ oder ähnliche Angaben. Dies kann ein Hinweis auf einen unrechtmäßigen Erwerb sein und somit zum Anlass für weitere Nachforschungen werden; weitaus öfter aber ist die Aussage „Herkunft unbekannt“ wohl Informationsverlusten in den Arbeitsabläufen geschuldet.

Bei den im folgenden vorgestellten Erwerbungen liegen die Umstände anders. Hier ist zu vermuten, dass die Schenkgeber ihrerseits Gründe hatten, ihre Namen nicht preiszugeben, dass sie jedoch daran interessiert waren, bestimmte Publikationen in einer öffentlichen Einrichtung wie der Universitätsbibliothek der Berliner Universität zu platzieren und so eventuell in deren Leserschaft wirksam zu werden.

Die Schrift Die Wahrheit über den Kampf um die Karls-Universität in Prag von Karol Domin, dem Rektor der tschechoslowakischen Prager Karlsuniversität, und dreier weiterer Autoren, steht in Zusammenhang mit dem seit 1918 virulenten Insignienstreit zwischen der tschechoslowakischen und der deutschen Universität in Prag. 1934 forderte die tschechoslowakische Universität von der deutschen die Herausgabe der Insignien (Gründungsurkunde, Amtskette und Szepter) als Bestätigung, dass sie die rechtmäßige Nachfolgerin der ursprünglichen, 1348 gegründeten Prager Universität sei. Herausgeber des Hefts mit dem eilenden schwertschwingenden Jüngling auf dem Umschlag – das Schwert trägt das Motto LEX CIVIUM DUX – war der Verein tschechoslowakischer Akademiker in Wien. Die Herkunft der Sendung ließ sich bis zu dem Wiener Postamt zurückverfolgen, wo sie von der Frankiermaschine mit dem Datum 29.3.1935 gestempelt worden war, weiter jedoch nicht. Der Eintrag vom 10. April 1935 in der Lieferantenspalte lautet folgerichtig: „Herkommen? Wien (s. Poststempel)“. Die Autoren und ihr Anliegen waren bekannt; wer die Sendung in Wien aufgegeben hatte, jedoch nicht ersichtlich.

Abb. 1: Karel Domin u. a.: Die Wahrheit über den Kampf um die Karls-Universität in Prag, Wien: Akademický Spolek ve Vídni 1935. Akz.Nr. D 1933.323, Signatur: Ay 77572, Umschlag mit Poststempel.

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten sahen ihre Parteigänger und Sympathisanten den Zeitpunkt gekommen, ihre Vorstellungen von Revanche und Annexion gegenüber den Nachbarstaaten kundzutun. Am 13. Juni 1933 verzeichnet das Akzessionsjournal Dona – Tausch eine Schrift mit dem Titel Speer-Ruf an Österreich. Darin fordert der Autor Helmuth Wolmes in altertümelnd gestelzter Rede – halb werbend, halb drohend – den „Anschluss“. Auf dem Umschlag seines sechzehnseitigen Appells steht vor mittelalterlicher Stadtkulisse ein jugendlicher Ordensritter, der traurig-entschlossen in die Ferne schaut.

Abb. 2: Hellmuth Wolmes: Speer-Ruf an Österreich, Danzig: Danziger Verlags-Gesellschaft (Paul Rosenberg) 1933. Akz.Nr. D 1933.87, Signatur: Gesch. 26666, Umschlag.

Wer Wolmesʼ Schrift der Universitätsbibliothek zusandte, ob der Autor oder sein Verlag, die Danziger Verlagsgesellschaft von Paul Rosenberg, oder jemand anderes, lässt sich weder anhand des Akzessionsjournals noch der Akten der Universitätsbibliothek im Universitätsarchiv ermitteln. In der Lieferantenspalte vermerkt ein Fragezeichen, dass der Absender dieser Geschenkerwerbung den Eintragenden nicht bekannt war.

Abb. 3: Akzessionsjournal Tausch 1933, Dona 1933, Ausschnitt. Eintrag: D 1933.87, Hellmuth Wolmes: Speer-Ruf an Österreich, Danzig 1933.

Die Universitätsbibliothek war indes nicht der einzige Adressat, an den Wolmesʼ Pamphlet verschickt wurde. Auch die Preußische Staatsbibliothek erhielt ein Exemplar des Speer-Rufs. Dieses wurde mit der Akzessionsnnummer D 1933.180 einige Tage zuvor, am 7. Juni 1933, im Akzessionsjournal Dona Deutsch verzeichnet. Auch hier war der Absender nicht bekannt. Die Kollegen in der Preußischen Staatsbibliothek beließen es bei der Aussage „eingesandt“ in ihrem Akzessionsjournal.

Abb. 4: Akzessionsjournal der Preußischen Staatsbibliothek Dona Deutsch 1933/34, Ausschnitt. Eintrag: D 1933.180.

Ebenso wie in der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität ist auch in der Staatsbibliothek zu Berlin das entsprechende Exemplar noch vorhanden. Eine weitere, ebenfalls 1933 erschienene Schrift von Wolmes mit dem Titel Hammer-Wurf. Drei Freundesreden, welche nur die Preußische Staatsbibliothek besaß, ist im Katalog der Staatsbibliothek als Kriegsverlust angezeigt.

Mit einem zarten, mit spitzem Bleistift gesetzten Fragezeichen ist auch der Eintrag einer gänzlich anderen politischen Schrift versehen, der Anklage gegen die Ankläger. Die Widerlegung der geheimen Anklageschrift des Reichstagsbrand-Prozesses.

Abb. 5: Akzessionsjournal Tausch 1933, Dona 1933, Ausschnitt. Eintrag: D 1933.323, Anklage gegen die Ankläger. Am Anfang der Zeile „(F)“, am Ende der Zeile Vermerk: „Schrank 9“.
Abb. 6: Anklage gegen die Ankläger. Die Widerlegung der geheimen Anklageschrift des Reichstagsbrand-Prozesses, hrsg. vom Weltkomitee für die Opfer des Hitlerfaschismus, Paris: Verlag Edition du Carrefour 1933. Akz.Nr. 1933.323, Signatur: H 51815. Titelblatt.

Die auf festem, nicht säurehaltigem Papier gedruckte Beweisführung war nach dem Beginn des Prozesses am 21. September 1933 erschienen, herausgegeben in Paris von der Komintern, der Kommunistischen Internationale. Am 29. November 1933 wurde der Titel mit einem „(F)“ für Fortsetzungswerk am Anfang der Zeile von der Universitätsbibliothek akzessioniert. Demzufolge erschien die Anklage gegen die Ankläger als die Fortsetzung der bereits vor Beginn des Prozesses – gleichfalls von der Komintern – herausgegebenen Streitschrift Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror.

Dieses sogenannte Braunbuch I ist indes im Akzessionsjournal Dona 1933 nicht nachweisbar. Bei dem in die Zeile gequetschten Verweis stellt sich die Frage, ob es den Eintragenden vorlag oder ob sie nur davon wussten, dass der Titel existierte. Jedenfalls weist der Eintrag vom 29. November 1933 am Ende der Zeile nur einen Band, also wohl das Braunbuch II, die Anklage gegen die Ankläger – und nicht zwei Bände – aus.

Das unter der Nummer D 1933.323 akzessionierte Exemplar mit der Signatur H 51815 Nachtr. befindet sich heute noch in der Universitätsbibliothek. Das Braunbuch I (Signatur H 51815) hingegen wurde im historischen Bandkatalog der Universitätsbibliothek bei einer Bestandsrevision (vermutlich 1949) als „Verlust“ vermerkt.

Abb. 7: Bandkatalog, Eintrag unter „Anklage“.
Abb. 8: Bandkatalog, Eintrag unter „Braunbuch“.

Den Autoren der Anklage gegen die Ankläger war die Anklageschrift als Photokopie zugespielt worden. Aufgrund der Rekonstruktion des Brandverlaufs bezweifeln sie in der „Widerlegung“, dass der beschuldigte Marinus van der Lubbe mit den von ihm benutzten Kohlenanzünder-Paketen einen derart verheerenden Brand überhaupt hätte auslösen können. Überdies heben sie hervor, dass Zeugenaussagen im Prozess unberücksichtigt blieben und dass einige Zeugen gar nicht erst vorgeladen wurden. Und sie verweisen auf jene Aussagen, die die Aktivitäten im Verbindungsgang (Heizungstunnel) zwischen dem Palais des Reichstagspräsidenten (Hermann Göring) und dem Reichstagsgebäude mehrere Tage zuvor betrafen und denen nicht nachgegangen wurde. Zweck ihrer Schrift war es dabei, die Anschuldigungen gegen die kommunistischen Funktionäre, den Deutschen Ernst Torgler und die drei Bulgaren Georgi Dimitrow, Blagoi Popow und Wassil Tanew, zu entkräften und van der Lubbe als Werkzeug der Nationalsozialisten hinzustellen.

Darüber, wie die Anklage gegen die Ankläger in die Universitätsbibliothek lanciert wurde, kann nur spekuliert werden. In den frühen Jahren des NS-Regimes wurden in den öffentlichen Bereichen mehrfach als „Handzettel“ bezeichnete Schreiben politischen Inhalts aufgefunden. Die Schreiben selbst sind in den Akten des Universitätsarchivs nicht überliefert, doch zog ihr Fund aktenkundige Meldungen nach sich, aus denen hervorgeht, dass sie der Direktion übergeben und an die Geheime Staatspolizei weitergeleitet wurden.

Abb. 9: Gustav Abb an die Geheime Staatspolizei, 16.9.1936, Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, UB 01, 0064.

Sollte die Anklage gegen die Ankläger auf ähnlichem Wege wie die Handzettel in die Bibliothek gelangt sein, ist sie offenkundig nicht der Gestapo überantwortet worden, sondern ging – ein gedrucktes Werk – als Geschenk in die Bibliothek ein. Doch versteht es sich bei der Brisanz ihres Inhalts von selbst, dass sie – wie die in # 2 Bücherwege abgebildete Broschüre Das Jungbanner – sekretiert, d. h. in einem gesonderten Raum im Gebäude der Bibliothek aufbewahrt und der allgemeinen Benutzung entzogen wurde.

Eine Schrift, die in ihrer Wirkung weniger spektakulär sein mochte als die Braunbücher und deren Sekretierung offenbar nicht für nötig befunden wurde, ist die von Peter Bockemühl herausgegebene Materialsammlung Eine Stunde der Versuchung. Wohin gehören die Reformierten im gegenwärtigen Kirchenkampf. Mit dem Kirchenkampf ist der Konflikt zwischen der Bekennenden Kirche und dem NS-Regime gemeint. Die Broschüre war Ende 1934 in Wuppertal erschienen und wurde am 17. Dezember 1934 im Akzessionsjournal verzeichnet (Akzessionsnummer D 1934.826, Signatur Cq 21446). Wer sie einlieferte, ist nicht bekannt. Jedoch erweckt der Eintrag „Ungenannter Geber“ in der Lieferantenspalte den Eindruck, dass die Eintragenden den Geber kannten. Er war eben kein Unbekannter, sondern ein ungenannt bleiben wollender Geber.

Die Materialsammlung enthält Auszüge aus Briefen, Gutachten, Gesetzestexten, Stellungnahmen zum „Kirchenkampf“, vornehmlich im Rheinland. Mit der Versuchung, von der Bockemühl im Titel spricht, ist das Angebot der Reichskirchenregierung gemeint, den Angehörigen der Reformierten Kirche in dem Fall Sonderrechte in der Union mit den lutherischen Christen einzuräumen, wenn sie sich von der Barmer Theologischen Erklärung (31. Mai 1934) lossagten und auf die Seite der regime-konformen Deutschen Christen wechselten. Der Autor Peter Bockemühl, Pfarrer in einer evangelisch-reformierten Gemeinde, gehörte selbst der Bekennenden Kirche an und war in den späteren dreißiger Jahren Repressionen ausgesetzt.

Unter D 1937.217 wurde am 10. September 1937 eine großformatige engbedruckte, einer Zeitung ähnelnde Druckschrift mit dem Titel The Modern Line of Attack on Women’s Civil Rights. An Examination of Confused Thinking eingetragen. Herausgeberin war die in London beheimatete Organisation The Open Door International for the Economic Emancipation of the Woman Worker. Der Text wurde im September 1937 in Druck gegeben. Er muss also bereits kurz nach dem Erscheinen in der Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin eingegangen sein. Die Lieferantenangabe lautet auch hier „Herk. unbekannt.“

Abb. 12: The Modern Line of Attack on Women‘ Civil Rights. An Examination of Confused Thinking, hrsg. von: The Open Door International for the Economic Emancipation of the Woman Worker, London 1937, Akz. Nr. D 1937.217, Signatur Fq 3905. Titel.

In dem mit vielen Zitaten angereicherten Text setzen sich die Autorinnen mit verschiedenen, Arbeitnehmerinnenrechte betreffenden Resolutionen und Bulletins auseinander, beginnend mit der Resolution der Arbeitsorganisation des Völkerbunds vom Juni 1937. In ihrer streng juristischen, ja legalistischen Argumentation kritisieren sie, dass die Bestimmungen zu Schutzrechten für arbeitende Frauen, wie z. B. das Verbot der Nachtarbeit, sich nicht zu deren Vorteil auswirken, sondern vielmehr dazu führen, dass Frauen aus bestimmten Berufen und Arbeitsprozessen hinausgedrängt werden. Da Frauen, zumindest in den demokratisch verfassten Staaten, jedoch dieselben Bürgerrechte haben wie Männer, bewerten die Autorinnen diese Praxis nicht allein als paternalistische Bevormundung, sondern bezeichnen sie auch als rechtswidrig, wenn die verfassungsmäßig garantierte Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz gelten soll.

Es gibt bislang keine Anhaltspunkte, durch wen und auf welchem Wege dieser stringente Beitrag zu grundsätzlichen arbeits- und menschenrechtlichen Fragen in die Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität kam. Da der Text – laut dem Karlsruher Virtuellen Katalog – in Deutschland nur noch in einer weiteren Bibliothek, der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, vorhanden ist, ist er als Rarum gekennzeichnet. Wäre er der Bibliothek direkt aus London zugesandt worden, so fände sich wahrscheinlich ein entsprechender Zusatz in der Lieferantenangabe. So fragt sich, ob ein Unbekannter oder eine Unbekannte persönliche Kontakte zu der Londoner Organisation hatte. Oder war der Text abgefangen und beschlagnahmt worden? Aber wäre er dann so schnell an die Universitätsbibliothek abgegeben worden, und wäre seine Herkunft dann mit „Herkunft unbekannt“ verschleiert worden? Auch wenn die Argumentation von The Open Door International hinsichtlich der fürsorglichen und entrechtenden Schutzbestimmungen für berufstätige Frauen auf die Mitarbeiterinnen der Universitätsbibliothek nicht zutraf, so befanden sie sich doch ebenfalls in einer gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligten Stellung. Wie der Verwaltungsbericht der Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität festhält, hatte die Bibliothek am 31. März 1937 78 Beschäftigte. Davon waren 35 Frauen. Frauen arbeiteten als Garderoben- und Reinigungsfrauen. Es gab eine Büroangestellte. Die 19 Hilfsarbeiterstellen der Bibliothek waren 1937 ausschließlich mit Frauen besetzt. Diese Hilfsarbeiterinnen übten vielfach bibliothekarische Tätigkeiten aus. Bei den Bibliotheksbeamten waren Frauen indes unterrepräsentiert: Waren unter den zwölf Bibliotheksinspektoren immerhin noch sechs Frauen, so gab es unter den vier Bibliothekaren nur eine Frau, unter den vier Bibliotheksräten keine. Anhand der Verwaltungsberichte der Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität lässt sich überdies nachweisen, dass aufgrund der bis in die Weimarer Republik zurückgehenden Doppelverdiener-Regelung Frauen, wenn sie heirateten, aus dem Berufsleben ausschieden.


#Bücherwege – Die Universitätsbibliothek untersucht ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt wird bis 2025 durchgeführt und vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.


Quellen:


Verfasst von: Dr. Cornelia Briel

#5 Bücherwege: Der Lieferanteneintrag „Herkunft unbekannt“ I

Fast immer erfasste die Universitätsbibliothek (UB) in ihren Zugangsbüchern, den sogenannten Akzessionsjournalen, die Lieferanten zu ihren Erwerbungen: Buchhandlungen, Institutionen im Büchertausch sowie Privatpersonen – nicht selten die Autoren der Werke – wurden hier vermerkt. Besondere Aufmerksamkeit verdient deshalb der Lieferanteneintrag „Herkunft unbekannt“.

Während der Eintrag “Alter Bestand“ (vgl. #4 Bücherwege) darauf schließen lässt, dass sich die entsprechenden Druckwerke schon seit längerem in der Bibliothek – z. B. in der Universitäts- und Schulschriftenabteilung – oder in der Universität befanden, bezog sich „Herkunft unbekannt“ auf Neuzugänge. Manchmal ließen es diejenigen, die die Eintragungen ins Akzessionsjournal vornahmen, nicht mit der allgemeinen Aussage „Herkunft unbekannt“ bewenden, sondern ergänzten sie mit dem, was sie über den Zugang wussten. Eine umfangreiche Schenkung im Herbst 1933 wurde mit „Unbekannter Geber d. d. das Goetheanum, Dornach zugesandt“ vermerkt (D 1933.251-262). Gemeint war die von Rudolf Steiner gegründete Wirkungsstätte der Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach in der Schweiz. In einem anderen Eintrag 1935 wird zwar gesagt, dass die „Nähere Herkunft unbekannt“ sei, doch das Werk „Vermutlich v. Verfasser“ stamme (D 1935.192). Wie es scheint, kamen die Informationen zu Sendungen aus Übersee, namentlich aus Südamerika, bei den Mitarbeitern in der Akzession nicht immer bzw. nicht immer vollständig an. So lautet der Eintrag  zu V. Fatone: Meister Eckhart, Buenos Aires o.J., im Journal Dona 1935: „Absender ? Buenos Aires“ (D 1935.55), oder im selben Jahr zu  „Venezuela Gráfica, Caracas 1929-30: „Schenker unbek. Venezuela“ (D 1935.260) oder eben „Herk. unbekannt“ für  „E. Villanova, La question du Gran Chaco boréal, o.O. o.J.“ (D 1936.461). Alle diese Eintragungen beziehen sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf rechtmäßige Zugänge.

Anders bei einem Exemplar der 3. Auflage von Heinrich Wölfflins „Die Kunst Albrecht Dürers“, das am 4. November 1935 mit „Herkommen unbekannt“ als Donum akzessioniert wurde. Das Werk war offensichtlich stark nachgefragt. Wie aus dem Bandkatalog hervorgeht, erwarb die UB im Zeitraum von 1905 bis 1943 den Titel sechsmal in verschiedenen Auflagen, sowohl in der Erstauflage, in den 1920er Jahren als auch in der NS-Zeit. Das Exemplar mit der Akzessionsnummer D 1935.342 ist darunter das einzige Geschenkexemplar; alle anderen waren Kauferwerbungen.

Abb. 1: Eintrag im Bandkatalog zu Heinrich Wölfflin: Die Kunst Albrecht Dürers. Erwerbungen 1905 bis 1944.

Beim Durchblättern leicht zu übersehen ist die Risskante im Falz vor dem Vortitel. Hat man erst einmal bemerkt, dass die Seiten VI und VII des Vorworts in einem schmalen Streifen an der Bindung zusammengeklebt sind, ist klar: Das Blatt mit der Vorderseite VII und der Rückseite VIII musste mit Leim gesichert werden, um nicht herauszufallen, weil das mit ihm weiter vorn eingebundene Blatt nicht mehr existierte.

Abb. 2: Risskante vor dem Vortitel in: Heinrich Wölfflin: Die Kunst Albrecht Dürers, 3. Auflage, München: F. Bruckmann 1919. Akz.Nr. D 1935.342, Signatur: Kunst 1031’3′.

Es stellt sich die Frage: Sollte hier ein verräterisches Provenienzmerkmal getilgt werden? Ein Namenszug, ein Stempel, eine Notiz, vielleicht ein Beschlagnahmevermerk? Und wenn, wer hat diesen Hinweis vernichtet? Wem war daran gelegen, Spuren zu beseitigen? Wie in vielen anderen Fällen führen die Akten der UB, was die Erwerbung dieses Buchs betrifft, nicht weiter; entweder gab es dazu keinen schriftlichen Vorgang, oder er hat sich nicht erhalten.

Überdies konnten es – ganz unabhängig von dem Eintrag „Herkommen unbekannt“ – völlig banale Gründe sein, derentwegen das Blatt herausgerissen wurde, ein Fleck, eine ungebührliche Bemerkung, etwas, das gar nichts mit der Herkunft und dem Vorbesitz zu tun hatte. Man kann sich fragen: War es die Bibliothek, die das Blatt entfernt hat, oder ein Leser, der seinen nachlässigen Umgang mit dem Buch vertuschen wollte, was seitens der Bibliothek nicht oder erst viel später bemerkt wurde? So besteht zwar der Verdacht auf unrechtmäßigen Erwerb, doch er lässt sich nicht konkretisieren.

Bei einem mit „Herk. unbekannt“ am 19. September 1938 aufgenommenen unscheinbaren Büchlein, einem illustrierten Führer durch das Provinzialmuseum Trier aus dem Jahr 1903, ist die Herkunft indes zweifelsfrei geklärt. Interessant wären hier die Motive, den Namen des Voreigentümers im Akzessionsjournal zu verschweigen. Ihn hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitätsbibliothek persönlich kennen können, kannten ihn vielleicht auch oder sie wussten zumindest, wer er war, nämlich ein Kollege, der anhand des eigenhändigen Namensvermerks in dem Büchlein eindeutig zu benennen ist: Walter Gottschalk, Orientalist, Bibliotheksrat, Mitarbeiter in der Orientalischen Abteilung der Preußischen Staatsbibliothek. Die Preußische Staatsbibliothek und die Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität waren in demselben Gebäude untergebracht und überdies personell eng miteinander verbunden, hatte doch mancher Bibliothekar der UB seine Ausbildung an der Preußischen Staatsbibliothek erhalten und dort gearbeitet.

Abb. 3: Namenszug von Walter Gottschalk, in: Felix Hettner: Illustrierter Führer durch das Provinzialmuseum in Trier, Trier: Lintz 1903. Akz.Nr. D 1938.272, Signatur: Rc 50885. Rückseite des Frontispiz.

Walter Gottschalk war 1935 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwangspensioniert worden. 1938 ersuchte er im vorgesetzten Ministerium, dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, darum, nach Brüssel ausreisen zu dürfen. Unter Zurücklassung erheblicher Vermögenswerte und der Zusage, keine Lehrtätigkeit im Ausland auszuüben, erwirkte er 1939 die Erlaubnis zur Übersiedlung, fand jedoch in Belgien keine Arbeitsstelle. Obwohl die deutschen Behörden seine Berufung zu verhindern trachteten, gelang es ihm schließlich, Ende des Jahrs 1940, eine Stelle als wissenschaftlicher Bibliothekar in Istanbul zu erhalten; die Ausreise in die Türkei rettete ihm das Leben. Sein Kollege Arthur Spanier wurde 1944 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet.

Der Eintrag „Herk. unbekannt“ im Akzessionsjournal der Universitätsbibliothek stand vermutlich in Zusammenhang mit der Auflösung der privaten Bibliothek Walter Gottschalks. Am Jahresende 1938 hatte er seine Berliner Wohnung gekündigt. Wer immer den Eintrag „Herk. unbekannt“ vornahm, ging – wohl wissend um die Fährnisse der NS-Diktatur – Fragen, die den Beteiligten zum Nachteil hätten ausschlagen können, aus dem Weg.

Indem das Haushaltsjahr 1945 mit einbezogen wurde, erstreckt sich das Provenienzforschungsprojekt an der Universitätsbibliothek über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus. Das Haushaltsjahr 1945 begann wie üblich am 1. April und setzte sich über die Jahreswende 1945/46 bis in das Frühjahr 1946 fort. Die Eintragungen für 1945 enden am 11. April und wurden bei den Kauferwerbungen im Juli, bei den Dona im November 1945 wiederaufgenommen. Der größte Teil der Zugänge bei den Dona datiert jedoch in das Jahr 1946. Dazu gehören drei portugiesischsprachige Titel, die am 4. Februar 1946 akzessioniert wurden; zwei sind im Bestand der UB noch vorhanden.

Abb. 4: Ausschnitte aus dem Akzessionsjournal Tausch, 1945 – 1946, Dona 1945, Akzessionsnummern D 1945.119, D 1945.120 und D 1945.136.

Anhand von Stempeln, der Gestalt von Klebeetiketten, der Struktur von Standortnummern und weiteren Indizien  sind sie zweifelfrei einer Abgabe des Auswärtigen Amts im Jahr 1942 zuzuordnen. Dieser Zugang enthält unter anderem einen Teil der Bibliothek des Tschechoslowakischen Konsulats in Lissabon, der nach dem Ende der tschechoslowakischen Staatlichkeit auf administrativem Weg vom deutschen Auswärtigen Amt eingezogen wurde. Offensichtlich waren die Bücher 1942 und in den folgenden Kriegsjahren nicht bearbeitet worden und erhielten nun, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den Lieferanteneintrag „unbekannt“. Ob die Bibliotheksmitarbeiter 1946 tatsächlich nicht wussten, woher sie stammten, lässt sich nicht klären.


#Bücherwege – Provenienzforschung an der UB

Die Universitätsbibliothek untersucht ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt läuft bis zum Juni 2025 und wird vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.


Quellen:

  • Akzessionsjournale der Zentralen Universitätsbibliothek (Tausch und Kauf)
  • Bandkatalog der Universitätsbibliothek
  • Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Historische Akten der Preußischen Staatsbibliothek, Personalakte Walter Gottschalk I.9 155.


Verfasst von: Dr. Cornelia Briel

1. August 2025 | Veröffentlicht von Sabine Tschorn | 1 Kommentar »

#4 Bücherwege: Der Lieferanteneintrag „Alter Bestand“ in den Akzessionsjournalen der Jahre 1933 bis 1945

Im Rahmen des Provenienzforschungsprojekts am Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum stößt die Bearbeiterin in den Akzessionsjournalen immer wieder auf unbestimmte und manchmal sogar auf fehlende Lieferanteneinträge. Vage Aussagen, wie „Alter Bestand“, „Herkunft unbekannt“ und Fragezeichen, oder ganzseitig leer belassene Spalten sind für sie geradezu eine Aufforderung, sich die dort verzeichneten Bücher anzusehen und die Umstände ihres Zugangs zu prüfen. War tatsächlich nicht bekannt, woher die Druckwerke kamen? Sollte, durfte ihre Herkunft nicht genannt werden? Und welche Interessen waren auf Seiten der unbekannten Einlieferer mit der Entscheidung verbunden, diese und jene Schrift an die Bibliothek abzugeben – oder in die Bibliothek einzuschmuggeln? Sich mit den Gründen für solche Einträge – bzw. Auslassungen – zu beschäftigen, berührt nichts weniger als die politischen Auseinandersetzungen und gewährt zugleich Einblicke in die gleichmütig weiterlaufende, manchmal aber auch aus dem Takt geratende bibliothekarische Praxis jener Jahre.

Wie die folgenden Beispiele zeigen, nimmt die Sachlage auch bei dem eher der Vergangenheit zugewandten Vermerk „Alter Bestand“ mitunter unerwartete und seltsame Wendungen.

„Alter Bestand“ steht in den Akzessionsjournalen der Haushaltsjahre 1933 bis 1945 oft in der Kombination mit der Abkürzung „U.-S. Abt.“ Um einen naheliegenden Irrtum aus dem Weg zu räumen: Mit U.-S. sind nicht die USA, sondern die Universitätsschriften gemeint, die in einem eigenen Geschäftsgang an der Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität bearbeitet wurden. Bereits im 19. Jahrhundert hatte das vorgesetzte Ministerium der Universitätsbibliothek die Aufgabe zugeteilt, das im universitären Kontext entstandene Schriftgut sowie die sogenannten Schulschriften, d. h. von den Gymnasien verantwortete Publikationen, die ebenfalls wissenschaftliche Abhandlungen enthielten, möglichst vollständig zu sammeln.

Die zuständige Abteilung hatte in den 1930er Jahren – und wohl auch schon vorher – zu wenig Personal, um den wachsenden Zustrom an Veröffentlichungen aus den Universitäten zu bewältigen. Sie konzentrierte sich deshalb auf den Kern ihres Sammelgebiets, die Dissertationen und Habilitationsschriften, und gab die akademischen Gelegenheitsschriften – z. B. an den Universitäten gehaltene Reden und Vorträge, Satzungen, Vorlesungsprogramme, Veranstaltungsberichte, Festschriften – in den Hauptgeschäftsgang der Universitätsbibliothek. In dem betrachteten Zeitraum sind in den Akzessionsjournalen sowohl aktuelle als auch ältere Publikationen mit dem Lieferanteneintrag „U.-S.- Abt.“ verzeichnet. Solche Schriften, die sich schon längere Zeit in der Universitätsschriften-Abteilung befunden hatten, wurden in den Akzessionsjournalen zusätzlich mit dem Vermerk „Alter Bestand“ versehen.

Abb. 1: Akzessionsjournal der Zentralen Universitätsbibliothek, Dona 1934.

Im Akzessionsjournal der Dona für das Haushaltsjahr 1934 führt der Eintrag des Donums D 1934.66 vom 25. Mai mit dem Lieferanteneintrag „Alter Bestand von der U.-S.-Abt.“ zu einem für mitteleuropäische Wissenschaftsliteratur recht ungewöhnlich ausgestatteten Band aus dem Jahr 1930, der sich überdies als Unikat erweist. Unter dem Titel „Anthropological Papers“ vereinte der damals noch sehr junge indische Kulturanthropologe Dhirendra Nath Majumdar (1903 – 1960) seine bislang veröffentlichten Aufsätze. Zu welchem Zweck er diese einsandte, unbekannt. Denkbar wäre, dass er sich mit seinen wissenschaftlichen Leistungen empfehlen wollte, vielleicht bei dem damals an der Friedrich-Wilhelms-Universität lehrenden Indologen Heinrich Lüders. Möglicherweise hatte er Lüders schon auf einer von dessen Indienreisen kenngelernt.

Abb. 2: Dhirendra Nath Majumdar: Anthropological Papers [1923 – 1930] (Akz. Nr. D 1934.66; Signatur: Pm 3540), Einband.

Neben den Überstellungen aus der Universitätsschriften-Abteilung gelangte immer wieder Literatur aus verschiedenen zentralen Einrichtungen der Universität, wie dem Rektorat und dem Akademischen Auskunftsbüro, für die es dort keine Verwendung gab, in die Universitätsbibliothek.

Ob der am 22. August 1933 als „Alter Bestand“ verzeichnete, 1912 erschienene Teil 3 (1.2) des Fortsetzungswerks Bibliografia românésca̮ 3, 1809 – 1830, von Ioan Bianu und Nerva Hodoşals sich schon seit längerem in der Zentralbibliothek befand oder direkt vom Lehrstuhl für Alte Geschichte kam, ist nicht mehr feststellbar. Die Herkunft des Werks ist insofern bekannt, als die Aussage „Alter Bestand“ durch den Namen und den Wohnort seines Vorbesitzers ergänzt wurde, nämlich: „Prof. O. Hirschfeld Charlottenburg“. Mit großer Wahrscheinlichkeit war sein Besitzer der Epigraphiker und Althistoriker Otto Hirschfeld (1843 – 1922), der bis zu seiner Emeritierung 1917 den Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin innegehabt und in der Mommsenstraße in Berlin-Charlottenburg gewohnt hatte.

Abb. 3: Akzessionsjournal der Zentralen Universitätsbibliothek, Dona 1933.

1938 wurde die wohl zunächst ungebundene Lieferung der Bibliografia românésca̮ 3 mit einer Folgelieferung zusammengebunden. Dabei könnten der Namensvermerk und die Ortsangabe, die im Akzessionsjournal 1933 festgehalten waren, verlorengegangen sein. Warum diese Bibliographie gerade im August 1933 in die Universitätsbibliothek aufgenommen wurde, ist ebenso ungeklärt wie die Umstände, durch die sie dorthin gelangte. Ein NS-verfolgungsbedingter Entzug jedoch ist – nicht zuletzt wegen des Eintrags „Alter Bestand“ – sehr unwahrscheinlich.

Am 16. Mai 1935 akzessionierte die Universitätsbibliothek den Katalog des Legats des Althistorikers August Boeckh (1785 – 1867), der ihr vom Universitätsarchiv überstellt worden war. Am gleichen Tag wurde im Akzessionsjournal der Dona ein weiterer, Boeckh betreffender Zugang als „Alter Bestand“ vermerkt, das Werk „Antiquitatum Romanarum“ von Paulus Manutius aus dem Jahr 1595. Dieses Werk war vor langer Zeit entwendet und – unter nicht überlieferten Umständen – zurückgegeben worden.

Abb. 4: Akzessionsjournal der Zentralen Universitätsbibliothek, Dona, 1935.

Abb. 5: Paulus Manutius: Antiquitatum Romanarum, 1595 (Akz. Nr. D 1935.98; Signatur: Qf 52173), Vermerk über die Rückgabe nach Entwendung.

1935 wurde versäumt, es nach der Rückgabe als der Sammlung Boeckh zugehörig zu kennzeichnen. Nach fast neunzig Jahren ist es nun im Zuge der Provenienzforschung August Boekh zugeordnet und im Kontext von dessen Legat recherchierbar gemacht worden.

Abb. 6: Exlibris des Vermächtnisses von August Boeckh.

#Bücherwege – Provenienzforschung an der UB

Die Universitätsbibliothek untersucht derzeit ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt wird bis 2024 durchgeführt und vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.

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Quellen:

  • Akzessionsjournale der Zentralen Universitätsbibliothek
  • Rudi Möbus: Die Arbeit mit Hochschulschriften in der Universitätsbibliothek Berlin in Vergangenheit und Gegenwart. In: Beiträge zur Geschichte der Universitätsbibliothek Berlin in Vergangenheit und Gegenwart. Berlin: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität 1980, S. 83 – 97.

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Verfasst von: Dr. Cornelia Briel

# 3 Bücherwege: Zeugnisse einer behördeninternen Säuberung im Nationalsozialismus – Bücher und Broschüren aus der Bibliothek des Polizeiinstituts für Technik und Verkehr

Am 19. Oktober 1933 akzessionierte die Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität einen kleinen Bestand von belletristischen Werken und staatspolitischen Schriften unter dem Lieferanteneintrag „Vom Leiter des Landesamts f. Luftschutz auf Ministerialerlass v. 14.6.33. – II F. 88 b. Nr. 7/3.–“.

Von den einstmals zehn Titeln sind heute noch neun im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums vorhanden. Wie in anderen Fällen beschlagnahmter Literatur existiert im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu der Schenkung des Landesamts für Luftschutz ein Schriftwechsel. Er enthält unter anderem eine Angebotsliste. Wie die Notizen auf dem Schreiben zeigen, wählte die Universitätsbibliothek aus dieser Titel aus, die sie noch nicht besaß oder in einem zweiten Exemplar besitzen wollte.

Abb. 1 und 2: Angebotsliste des Leiters des Landesamts für Luftschutz, Technik und Verkehr an die Universitätsbibliothek Berlin, 6.10.1933.

Wenige Tage nach Erhalt des Angebotsschreibens bat Otto Leunenschloss, der stellvertretende Direktor der Universitätsbibliothek, um die Zusendung der gekennzeichneten Werke.

Abb. 3: Schreiben der Universitätsbibliothek an den Leiter des Landesamts für Luftschutz mit der Liste der erwünschten Literatur, 11.10.1933.
Abb. 4: Stempel des Polizeiinstituts für Technik und Verkehr mit Standortnummer (Sign: FB 447-7)

Mit einer Ausnahme findet sich in den Büchern oder Broschüren ein runder Besitzstempel mit der Umschrift „Polizeiinstitut für Technik und Verkehr. Berlin. Bücherei“, in der Mitte ein nicht bekrönter auffliegender preußischer Adler, der in dieser Gestalt auf zahlreichen Behördenstempeln der 1920er Jahre erscheint.

Leider kann im Rahmen der Provenienzforschung der Frage, in welchem Verhältnis das Polizeiinstitut zum Landesamt für Luftschutz stand, nicht weiter nachgegangen werden. Ein Blick in die Berliner Adressbücher gibt immerhin Aufschluss darüber, welche Einrichtungen sich an der Golßener Straße in Berlin-Kreuzberg befanden: Für 1933 ist hier das Polizeiinstitut für Technik und Verkehr eingetragen; in der Ausgabe für 1934 erscheinen stattdessen die Technische Polizeischule und die Luftschutz- und Luftpolizeischule. Dass eine Umstrukturierung stattgefunden hatte, von der die technische Ausbildungsstätte der Berliner Polizei betroffen war, bezeugt ebenfalls der Briefkopf der in den Akten der Universitätsbibliothek enthaltenen Schreiben. Die Zeile des Absenders ist teilweise ausgeixt und überschrieben. So wurde aus dem Absender „Präsident des Polizeiinstituts für Technik und Verkehr“ der „Leiter des Landesamts für Luftschutz, Technik und Verkehr“. Es ist anzunehmen, dass diese Veränderungen Auswirkungen auf die Bibliothek des Polizeiinstituts hatten.

Abb. 5: Begleitschreiben des Leiters des Landesamts für Luftschutz, Technik und Verkehr bei der Zusendung der gewünschten Bücher an die Universitätsbibliothek, 17.10.1933. Briefkopf.

Wie oben erwähnt, vermerkte die Universitätsbibliothek in der Lieferantenspalte des Akzessionsjournals nicht nur den Schenkgeber, das Landesamt für Luftschutz, sondern gab darin auch die Rechtsgrundlage der Schenkung an. Der „Ministerialerlass v. 14.6.33. – II F. 88 b. Nr. 7/33.–“ des Preußischen Ministeriums für Justiz ist im Wortlaut dem archivierten Schriftwechsel mit dem Landesamt für Luftschutz beigefügt. Demnach war es schon vor dem 14. Juni 1933 zu ungeregelten Eingegriffen in die Bibliotheksbestände der Polizeibibliotheken gekommen. Unter der Überschrift „Büchereien der Schutzpolizei“ verpflichtete der Runderlass nunmehr die jeweiligen Dienststellenleiter zu einem einheitlichen Vorgehen. Grundlegend war dabei die Unterteilung der Polizeibibliotheken in Fachbüchereien – Offiziers- und Lehrerhandbibliotheken – und sogenannte Wohlfahrtsbüchereien. Letztere durften ohne Zugangsbeschränkungen von den gewöhnlichen Polizeibeamten aufgesucht werden. Diese behördeninternen, allgemein genutzten Wohlfahrtsbüchereien galt es, laut Erlass, „frei von Schund […], der die nationale Grundhaltung und die Sitten ungünstig beeinflusst,“ zu halten „und mit dem gehaltvollen Kulturgut der nationalen Bewegung auszubauen“. Die auf diesem Wege ausgeschiedene Literatur sollte zunächst daraufhin geprüft werden, ob sie in die Fachbüchereien, auch anderer Dienststellen, in die Bibliothek des Ministeriums der Justiz oder in die Höhere Polizeischule in Eiche übernommen werden konnte. Wenn dies nicht der Fall war, sollte „der verbleibende Restbestand“ den zuständigen Universitätsbibliotheken in Preußen angeboten und bei Ablehnung vernichtet werden. Der Umgang mit verbotener Literatur in den Polizeidienststellen wies durchaus Parallelen zu den Eingriffen in den Bestand öffentlicher Bibliotheken auf.

Ein Blick auf die Angebotsliste verdeutlicht, welche Ziele das NS-Regime mit dem Erlass vom 14. Juni 1933 verfolgte. Aus den Polizeibibliotheken sollte die Literatur jüdischer, politisch missliebiger und pazifistischer Autoren, die bislang zur Bildung und zur anspruchsvollen Unterhaltung in den Polizeibibliotheken bereitgestanden hatte, eliminiert werden. Ebenso sollten politische Bücher und Broschüren, die in Loyalität zur Weimarer Republik verfasst worden waren, aus der Reichweite der Polizeibeamten entfernt werden. Schriften, in denen die Funktionsweise des demokratischen Staats erläutert und die Aufgaben, die der Polizei in diesem zukamen, definiert wurden.

Abb. 6: Roland Dorgelès: Die hölzernen Kreuze. Übers. von Tony Kellen u. Erhard Wittek. Horw-Luzern, Stuttgart, Leipzig: Montana-Verl., [1930]. Innenseite des vorderen Buchdeckels mit Klebeetikett und Klappentext (Akzessionnummer D1933.238 / Signatur Xz 25311’18‘).

#Bücherwege – Provenienzforschung an der UB

Die Universitätsbibliothek untersucht derzeit ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt wird bis 2024 durchgeführt und vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.

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Quellen

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Verfasst von: Dr. Cornelia Briel