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#5 Bücherwege: Der Lieferanteneintrag „Herkunft unbekannt“ I

Fast immer erfasste die Universitätsbibliothek (UB) in ihren Zugangsbüchern, den sogenannten Akzessionsjournalen, die Lieferanten zu ihren Erwerbungen: Buchhandlungen, Institutionen im Büchertausch sowie Privatpersonen – nicht selten die Autoren der Werke – wurden hier vermerkt. Besondere Aufmerksamkeit verdient deshalb der Lieferanteneintrag „Herkunft unbekannt“.

Während der Eintrag “Alter Bestand“ (vgl. #4 Bücherwege) darauf schließen lässt, dass sich die entsprechenden Druckwerke schon seit längerem in der Bibliothek – z. B. in der Universitäts- und Schulschriftenabteilung – oder in der Universität befanden, bezog sich „Herkunft unbekannt“ auf Neuzugänge. Manchmal ließen es diejenigen, die die Eintragungen ins Akzessionsjournal vornahmen, nicht mit der allgemeinen Aussage „Herkunft unbekannt“ bewenden, sondern ergänzten sie mit dem, was sie über den Zugang wussten. Eine umfangreiche Schenkung im Herbst 1933 wurde mit „Unbekannter Geber d. d. das Goetheanum, Dornach zugesandt“ vermerkt (D 1933.251-262). Gemeint war die von Rudolf Steiner gegründete Wirkungsstätte der Anthroposophischen Gesellschaft in Dornach in der Schweiz. In einem anderen Eintrag 1935 wird zwar gesagt, dass die „Nähere Herkunft unbekannt“ sei, doch das Werk „Vermutlich v. Verfasser“ stamme (D 1935.192). Wie es scheint, kamen die Informationen zu Sendungen aus Übersee, namentlich aus Südamerika, bei den Mitarbeitern in der Akzession nicht immer bzw. nicht immer vollständig an. So lautet der Eintrag  zu V. Fatone: Meister Eckhart, Buenos Aires o.J., im Journal Dona 1935: „Absender ? Buenos Aires“ (D 1935.55), oder im selben Jahr zu  „Venezuela Gráfica, Caracas 1929-30: „Schenker unbek. Venezuela“ (D 1935.260) oder eben „Herk. unbekannt“ für  „E. Villanova, La question du Gran Chaco boréal, o.O. o.J.“ (D 1936.461). Alle diese Eintragungen beziehen sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf rechtmäßige Zugänge.

Anders bei einem Exemplar der 3. Auflage von Heinrich Wölfflins „Die Kunst Albrecht Dürers“, das am 4. November 1935 mit „Herkommen unbekannt“ als Donum akzessioniert wurde. Das Werk war offensichtlich stark nachgefragt. Wie aus dem Bandkatalog hervorgeht, erwarb die UB im Zeitraum von 1905 bis 1943 den Titel sechsmal in verschiedenen Auflagen, sowohl in der Erstauflage, in den 1920er Jahren als auch in der NS-Zeit. Das Exemplar mit der Akzessionsnummer D 1935.342 ist darunter das einzige Geschenkexemplar; alle anderen waren Kauferwerbungen.

Abb. 1: Eintrag im Bandkatalog zu Heinrich Wölfflin: Die Kunst Albrecht Dürers. Erwerbungen 1905 bis 1944.

Beim Durchblättern leicht zu übersehen ist die Risskante im Falz vor dem Vortitel. Hat man erst einmal bemerkt, dass die Seiten VI und VII des Vorworts in einem schmalen Streifen an der Bindung zusammengeklebt sind, ist klar: Das Blatt mit der Vorderseite VII und der Rückseite VIII musste mit Leim gesichert werden, um nicht herauszufallen, weil das mit ihm weiter vorn eingebundene Blatt nicht mehr existierte.

Abb. 2: Risskante vor dem Vortitel in: Heinrich Wölfflin: Die Kunst Albrecht Dürers, 3. Auflage, München: F. Bruckmann 1919. Akz.Nr. D 1935.342, Signatur: Kunst 1031’3′.

Es stellt sich die Frage: Sollte hier ein verräterisches Provenienzmerkmal getilgt werden? Ein Namenszug, ein Stempel, eine Notiz, vielleicht ein Beschlagnahmevermerk? Und wenn, wer hat diesen Hinweis vernichtet? Wem war daran gelegen, Spuren zu beseitigen? Wie in vielen anderen Fällen führen die Akten der UB, was die Erwerbung dieses Buchs betrifft, nicht weiter; entweder gab es dazu keinen schriftlichen Vorgang, oder er hat sich nicht erhalten.

Überdies konnten es – ganz unabhängig von dem Eintrag „Herkommen unbekannt“ – völlig banale Gründe sein, derentwegen das Blatt herausgerissen wurde, ein Fleck, eine ungebührliche Bemerkung, etwas, das gar nichts mit der Herkunft und dem Vorbesitz zu tun hatte. Man kann sich fragen: War es die Bibliothek, die das Blatt entfernt hat, oder ein Leser, der seinen nachlässigen Umgang mit dem Buch vertuschen wollte, was seitens der Bibliothek nicht oder erst viel später bemerkt wurde? So besteht zwar der Verdacht auf unrechtmäßigen Erwerb, doch er lässt sich nicht konkretisieren.

Bei einem mit „Herk. unbekannt“ am 19. September 1938 aufgenommenen unscheinbaren Büchlein, einem illustrierten Führer durch das Provinzialmuseum Trier aus dem Jahr 1903, ist die Herkunft indes zweifelsfrei geklärt. Interessant wären hier die Motive, den Namen des Voreigentümers im Akzessionsjournal zu verschweigen. Ihn hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitätsbibliothek persönlich kennen können, kannten ihn vielleicht auch oder sie wussten zumindest, wer er war, nämlich ein Kollege, der anhand des eigenhändigen Namensvermerks in dem Büchlein eindeutig zu benennen ist: Walter Gottschalk, Orientalist, Bibliotheksrat, Mitarbeiter in der Orientalischen Abteilung der Preußischen Staatsbibliothek. Die Preußische Staatsbibliothek und die Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität waren in demselben Gebäude untergebracht und überdies personell eng miteinander verbunden, hatte doch mancher Bibliothekar der UB seine Ausbildung an der Preußischen Staatsbibliothek erhalten und dort gearbeitet.

Abb. 3: Namenszug von Walter Gottschalk, in: Felix Hettner: Illustrierter Führer durch das Provinzialmuseum in Trier, Trier: Lintz 1903. Akz.Nr. D 1938.272, Signatur: Rc 50885. Rückseite des Frontispiz.

Walter Gottschalk war 1935 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwangspensioniert worden. 1938 ersuchte er im vorgesetzten Ministerium, dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, darum, nach Brüssel ausreisen zu dürfen. Unter Zurücklassung erheblicher Vermögenswerte und der Zusage, keine Lehrtätigkeit im Ausland auszuüben, erwirkte er 1939 die Erlaubnis zur Übersiedlung, fand jedoch in Belgien keine Arbeitsstelle. Obwohl die deutschen Behörden seine Berufung zu verhindern trachteten, gelang es ihm schließlich, Ende des Jahrs 1940, eine Stelle als wissenschaftlicher Bibliothekar in Istanbul zu erhalten; die Ausreise in die Türkei rettete ihm das Leben. Sein Kollege Arthur Spanier wurde 1944 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet.

Der Eintrag „Herk. unbekannt“ im Akzessionsjournal der Universitätsbibliothek stand vermutlich in Zusammenhang mit der Auflösung der privaten Bibliothek Walter Gottschalks. Am Jahresende 1938 hatte er seine Berliner Wohnung gekündigt. Wer immer den Eintrag „Herk. unbekannt“ vornahm, ging – wohl wissend um die Fährnisse der NS-Diktatur – Fragen, die den Beteiligten zum Nachteil hätten ausschlagen können, aus dem Weg.

Indem das Haushaltsjahr 1945 mit einbezogen wurde, erstreckt sich das Provenienzforschungsprojekt an der Universitätsbibliothek über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus. Das Haushaltsjahr 1945 begann wie üblich am 1. April und setzte sich über die Jahreswende 1945/46 bis in das Frühjahr 1946 fort. Die Eintragungen für 1945 enden am 11. April und wurden bei den Kauferwerbungen im Juli, bei den Dona im November 1945 wiederaufgenommen. Der größte Teil der Zugänge bei den Dona datiert jedoch in das Jahr 1946. Dazu gehören drei portugiesischsprachige Titel, die am 4. Februar 1946 akzessioniert wurden; zwei sind im Bestand der UB noch vorhanden.

Abb. 4: Ausschnitte aus dem Akzessionsjournal Tausch, 1945 – 1946, Dona 1945, Akzessionsnummern D 1945.119, D 1945.120 und D 1945.136.

Anhand von Stempeln, der Gestalt von Klebeetiketten, der Struktur von Standortnummern und weiteren Indizien  sind sie zweifelfrei einer Abgabe des Auswärtigen Amts im Jahr 1942 zuzuordnen. Dieser Zugang enthält unter anderem einen Teil der Bibliothek des Tschechoslowakischen Konsulats in Lissabon, der nach dem Ende der tschechoslowakischen Staatlichkeit auf administrativem Weg vom deutschen Auswärtigen Amt eingezogen wurde. Offensichtlich waren die Bücher 1942 und in den folgenden Kriegsjahren nicht bearbeitet worden und erhielten nun, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den Lieferanteneintrag „unbekannt“. Ob die Bibliotheksmitarbeiter 1946 tatsächlich nicht wussten, woher sie stammten, lässt sich nicht klären.


#Bücherwege – Provenienzforschung an der UB

Die Universitätsbibliothek untersucht ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt läuft bis zum Juni 2025 und wird vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.


Quellen:

  • Akzessionsjournale der Zentralen Universitätsbibliothek (Tausch und Kauf)
  • Bandkatalog der Universitätsbibliothek
  • Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Historische Akten der Preußischen Staatsbibliothek, Personalakte Walter Gottschalk I.9 155.


Verfasst von: Dr. Cornelia Briel

1. August 2025 | Veröffentlicht von Sabine Tschorn | 1 Kommentar »