Im Rahmen des Provenienzforschungsprojekts am Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum stößt die Bearbeiterin in den Akzessionsjournalen immer wieder auf unbestimmte und manchmal sogar auf fehlende Lieferanteneinträge. Vage Aussagen, wie „Alter Bestand“, „Herkunft unbekannt“ und Fragezeichen, oder ganzseitig leer belassene Spalten sind für sie geradezu eine Aufforderung, sich die dort verzeichneten Bücher anzusehen und die Umstände ihres Zugangs zu prüfen. War tatsächlich nicht bekannt, woher die Druckwerke kamen? Sollte, durfte ihre Herkunft nicht genannt werden? Und welche Interessen waren auf Seiten der unbekannten Einlieferer mit der Entscheidung verbunden, diese und jene Schrift an die Bibliothek abzugeben – oder in die Bibliothek einzuschmuggeln? Sich mit den Gründen für solche Einträge – bzw. Auslassungen – zu beschäftigen, berührt nichts weniger als die politischen Auseinandersetzungen und gewährt zugleich Einblicke in die gleichmütig weiterlaufende, manchmal aber auch aus dem Takt geratende bibliothekarische Praxis jener Jahre.
Wie die folgenden Beispiele zeigen, nimmt die Sachlage auch bei dem eher der Vergangenheit zugewandten Vermerk „Alter Bestand“ mitunter unerwartete und seltsame Wendungen.
„Alter Bestand“ steht in den Akzessionsjournalen der Haushaltsjahre 1933 bis 1945 oft in der Kombination mit der Abkürzung „U.-S. Abt.“ Um einen naheliegenden Irrtum aus dem Weg zu räumen: Mit U.-S. sind nicht die USA, sondern die Universitätsschriften gemeint, die in einem eigenen Geschäftsgang an der Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität bearbeitet wurden. Bereits im 19. Jahrhundert hatte das vorgesetzte Ministerium der Universitätsbibliothek die Aufgabe zugeteilt, das im universitären Kontext entstandene Schriftgut sowie die sogenannten Schulschriften, d. h. von den Gymnasien verantwortete Publikationen, die ebenfalls wissenschaftliche Abhandlungen enthielten, möglichst vollständig zu sammeln.
Die zuständige Abteilung hatte in den 1930er Jahren – und wohl auch schon vorher – zu wenig Personal, um den wachsenden Zustrom an Veröffentlichungen aus den Universitäten zu bewältigen. Sie konzentrierte sich deshalb auf den Kern ihres Sammelgebiets, die Dissertationen und Habilitationsschriften, und gab die akademischen Gelegenheitsschriften – z. B. an den Universitäten gehaltene Reden und Vorträge, Satzungen, Vorlesungsprogramme, Veranstaltungsberichte, Festschriften – in den Hauptgeschäftsgang der Universitätsbibliothek. In dem betrachteten Zeitraum sind in den Akzessionsjournalen sowohl aktuelle als auch ältere Publikationen mit dem Lieferanteneintrag „U.-S.- Abt.“ verzeichnet. Solche Schriften, die sich schon längere Zeit in der Universitätsschriften-Abteilung befunden hatten, wurden in den Akzessionsjournalen zusätzlich mit dem Vermerk „Alter Bestand“ versehen.
Abb. 1: Akzessionsjournal der Zentralen Universitätsbibliothek, Dona 1934.
Im Akzessionsjournal der Dona für das Haushaltsjahr 1934 führt der Eintrag des Donums D 1934.66 vom 25. Mai mit dem Lieferanteneintrag „Alter Bestand von der U.-S.-Abt.“ zu einem für mitteleuropäische Wissenschaftsliteratur recht ungewöhnlich ausgestatteten Band aus dem Jahr 1930, der sich überdies als Unikat erweist. Unter dem Titel „Anthropological Papers“ vereinte der damals noch sehr junge indische Kulturanthropologe Dhirendra Nath Majumdar (1903 – 1960) seine bislang veröffentlichten Aufsätze. Zu welchem Zweck er diese einsandte, unbekannt. Denkbar wäre, dass er sich mit seinen wissenschaftlichen Leistungen empfehlen wollte, vielleicht bei dem damals an der Friedrich-Wilhelms-Universität lehrenden Indologen Heinrich Lüders. Möglicherweise hatte er Lüders schon auf einer von dessen Indienreisen kenngelernt.
Abb. 2: Dhirendra Nath Majumdar: Anthropological Papers [1923 – 1930] (Akz. Nr. D 1934.66; Signatur: Pm 3540), Einband.
Neben den Überstellungen aus der Universitätsschriften-Abteilung gelangte immer wieder Literatur aus verschiedenen zentralen Einrichtungen der Universität, wie dem Rektorat und dem Akademischen Auskunftsbüro, für die es dort keine Verwendung gab, in die Universitätsbibliothek.
Ob der am 22. August 1933 als „Alter Bestand“ verzeichnete, 1912 erschienene Teil 3 (1.2) des Fortsetzungswerks Bibliografia românésca̮ 3, 1809 – 1830, von Ioan Bianu und Nerva Hodoşals sich schon seit längerem in der Zentralbibliothek befand oder direkt vom Lehrstuhl für Alte Geschichte kam, ist nicht mehr feststellbar. Die Herkunft des Werks ist insofern bekannt, als die Aussage „Alter Bestand“ durch den Namen und den Wohnort seines Vorbesitzers ergänzt wurde, nämlich: „Prof. O. Hirschfeld Charlottenburg“. Mit großer Wahrscheinlichkeit war sein Besitzer der Epigraphiker und Althistoriker Otto Hirschfeld (1843 – 1922), der bis zu seiner Emeritierung 1917 den Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin innegehabt und in der Mommsenstraße in Berlin-Charlottenburg gewohnt hatte.
Abb. 3: Akzessionsjournal der Zentralen Universitätsbibliothek, Dona 1933.
1938 wurde die wohl zunächst ungebundene Lieferung der Bibliografia românésca̮ 3 mit einer Folgelieferung zusammengebunden. Dabei könnten der Namensvermerk und die Ortsangabe, die im Akzessionsjournal 1933 festgehalten waren, verlorengegangen sein. Warum diese Bibliographie gerade im August 1933 in die Universitätsbibliothek aufgenommen wurde, ist ebenso ungeklärt wie die Umstände, durch die sie dorthin gelangte. Ein NS-verfolgungsbedingter Entzug jedoch ist – nicht zuletzt wegen des Eintrags „Alter Bestand“ – sehr unwahrscheinlich.
Am 16. Mai 1935 akzessionierte die Universitätsbibliothek den Katalog des Legats des Althistorikers August Boeckh (1785 – 1867), der ihr vom Universitätsarchiv überstellt worden war. Am gleichen Tag wurde im Akzessionsjournal der Dona ein weiterer, Boeckh betreffender Zugang als „Alter Bestand“ vermerkt, das Werk „Antiquitatum Romanarum“ von Paulus Manutius aus dem Jahr 1595. Dieses Werk war vor langer Zeit entwendet und – unter nicht überlieferten Umständen – zurückgegeben worden.
Abb. 4: Akzessionsjournal der Zentralen Universitätsbibliothek, Dona, 1935.
Abb. 5: Paulus Manutius: Antiquitatum Romanarum, 1595 (Akz. Nr. D 1935.98; Signatur: Qf 52173), Vermerk über die Rückgabe nach Entwendung.
1935 wurde versäumt, es nach der Rückgabe als der Sammlung Boeckh zugehörig zu kennzeichnen. Nach fast neunzig Jahren ist es nun im Zuge der Provenienzforschung August Boekh zugeordnet und im Kontext von dessen Legat recherchierbar gemacht worden.
Abb. 6: Exlibris des Vermächtnisses von August Boeckh.
#Bücherwege – Provenienzforschung an der UB
Die Universitätsbibliothek untersucht derzeit ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt wird bis 2024 durchgeführt und vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.
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Quellen:
- Akzessionsjournale der Zentralen Universitätsbibliothek
- Rudi Möbus: Die Arbeit mit Hochschulschriften in der Universitätsbibliothek Berlin in Vergangenheit und Gegenwart. In: Beiträge zur Geschichte der Universitätsbibliothek Berlin in Vergangenheit und Gegenwart. Berlin: Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität 1980, S. 83 – 97.
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Verfasst von: Dr. Cornelia Briel
Am 19. Oktober 1933 akzessionierte die Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität einen kleinen Bestand von belletristischen Werken und staatspolitischen Schriften unter dem Lieferanteneintrag „Vom Leiter des Landesamts f. Luftschutz auf Ministerialerlass v. 14.6.33. – II F. 88 b. Nr. 7/3.–“.
Von den einstmals zehn Titeln sind heute noch neun im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums vorhanden. Wie in anderen Fällen beschlagnahmter Literatur existiert im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu der Schenkung des Landesamts für Luftschutz ein Schriftwechsel. Er enthält unter anderem eine Angebotsliste. Wie die Notizen auf dem Schreiben zeigen, wählte die Universitätsbibliothek aus dieser Titel aus, die sie noch nicht besaß oder in einem zweiten Exemplar besitzen wollte.
Wenige Tage nach Erhalt des Angebotsschreibens bat Otto Leunenschloss, der stellvertretende Direktor der Universitätsbibliothek, um die Zusendung der gekennzeichneten Werke.
Mit einer Ausnahme findet sich in den Büchern oder Broschüren ein runder Besitzstempel mit der Umschrift „Polizeiinstitut für Technik und Verkehr. Berlin. Bücherei“, in der Mitte ein nicht bekrönter auffliegender preußischer Adler, der in dieser Gestalt auf zahlreichen Behördenstempeln der 1920er Jahre erscheint.
Leider kann im Rahmen der Provenienzforschung der Frage, in welchem Verhältnis das Polizeiinstitut zum Landesamt für Luftschutz stand, nicht weiter nachgegangen werden. Ein Blick in die Berliner Adressbücher gibt immerhin Aufschluss darüber, welche Einrichtungen sich an der Golßener Straße in Berlin-Kreuzberg befanden: Für 1933 ist hier das Polizeiinstitut für Technik und Verkehr eingetragen; in der Ausgabe für 1934 erscheinen stattdessen die Technische Polizeischule und die Luftschutz- und Luftpolizeischule. Dass eine Umstrukturierung stattgefunden hatte, von der die technische Ausbildungsstätte der Berliner Polizei betroffen war, bezeugt ebenfalls der Briefkopf der in den Akten der Universitätsbibliothek enthaltenen Schreiben. Die Zeile des Absenders ist teilweise ausgeixt und überschrieben. So wurde aus dem Absender „Präsident des Polizeiinstituts für Technik und Verkehr“ der „Leiter des Landesamts für Luftschutz, Technik und Verkehr“. Es ist anzunehmen, dass diese Veränderungen Auswirkungen auf die Bibliothek des Polizeiinstituts hatten.
Wie oben erwähnt, vermerkte die Universitätsbibliothek in der Lieferantenspalte des Akzessionsjournals nicht nur den Schenkgeber, das Landesamt für Luftschutz, sondern gab darin auch die Rechtsgrundlage der Schenkung an. Der „Ministerialerlass v. 14.6.33. – II F. 88 b. Nr. 7/33.–“ des Preußischen Ministeriums für Justiz ist im Wortlaut dem archivierten Schriftwechsel mit dem Landesamt für Luftschutz beigefügt. Demnach war es schon vor dem 14. Juni 1933 zu ungeregelten Eingegriffen in die Bibliotheksbestände der Polizeibibliotheken gekommen. Unter der Überschrift „Büchereien der Schutzpolizei“ verpflichtete der Runderlass nunmehr die jeweiligen Dienststellenleiter zu einem einheitlichen Vorgehen. Grundlegend war dabei die Unterteilung der Polizeibibliotheken in Fachbüchereien – Offiziers- und Lehrerhandbibliotheken – und sogenannte Wohlfahrtsbüchereien. Letztere durften ohne Zugangsbeschränkungen von den gewöhnlichen Polizeibeamten aufgesucht werden. Diese behördeninternen, allgemein genutzten Wohlfahrtsbüchereien galt es, laut Erlass, „frei von Schund […], der die nationale Grundhaltung und die Sitten ungünstig beeinflusst,“ zu halten „und mit dem gehaltvollen Kulturgut der nationalen Bewegung auszubauen“. Die auf diesem Wege ausgeschiedene Literatur sollte zunächst daraufhin geprüft werden, ob sie in die Fachbüchereien, auch anderer Dienststellen, in die Bibliothek des Ministeriums der Justiz oder in die Höhere Polizeischule in Eiche übernommen werden konnte. Wenn dies nicht der Fall war, sollte „der verbleibende Restbestand“ den zuständigen Universitätsbibliotheken in Preußen angeboten und bei Ablehnung vernichtet werden. Der Umgang mit verbotener Literatur in den Polizeidienststellen wies durchaus Parallelen zu den Eingriffen in den Bestand öffentlicher Bibliotheken auf.
Ein Blick auf die Angebotsliste verdeutlicht, welche Ziele das NS-Regime mit dem Erlass vom 14. Juni 1933 verfolgte. Aus den Polizeibibliotheken sollte die Literatur jüdischer, politisch missliebiger und pazifistischer Autoren, die bislang zur Bildung und zur anspruchsvollen Unterhaltung in den Polizeibibliotheken bereitgestanden hatte, eliminiert werden. Ebenso sollten politische Bücher und Broschüren, die in Loyalität zur Weimarer Republik verfasst worden waren, aus der Reichweite der Polizeibeamten entfernt werden. Schriften, in denen die Funktionsweise des demokratischen Staats erläutert und die Aufgaben, die der Polizei in diesem zukamen, definiert wurden.
#Bücherwege – Provenienzforschung an der UB
Die Universitätsbibliothek untersucht derzeit ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt wird bis 2024 durchgeführt und vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.
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Quellen
- Akzessionsjournale der Zentralen Universitätsbibliothek 1933 (Tausch) (https://www.digi-hub.de/viewer/image/1455693204458/16/; https://www.digi-hub.de/viewer/image/1455693204458/17/)
- Berliner Adressbuch 1933 (https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1933/3848/)
- Berliner Adressbuch 1934 https://digital.zlb.de/viewer/image/34115495_1934/3593/)
- Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, UB01 0681
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Verfasst von: Dr. Cornelia Briel
Die Angebote der Ortspolizeibehörden an die Universitätsbibliothek – beschlagnahmte Literatur im Geschäftsgang
In der zweiten Hälfte des Jahres 1934 und zu Beginn des Jahres 1935 erhielt die Universitätsbibliothek der Friedrich-Wilhelms-Universität – heute Humboldt-Universität – von nachweislich sechs preußischen Ortspolizeibehörden das Angebot, in deren Besitz befindliche beschlagnahmte Literatur zu übernehmen. In den Gemeinden war es jeweils der Bürgermeister, der als Ortspolizeibehörde fungierte. Die Universitätsbibliothek der Berliner Universität profitierte hier von einem Erlass des Preußischen Finanzministeriums vom 27. März 1934. Dieser Erlass regelte die Abgabe und Verteilung von Literatur, die bei den gewaltsamen Übergriffen der Nationalsozialisten auf ihre politischen Gegner geraubt oder aufgrund der im Frühjahr und Sommer 1933 erlassenen Gesetze über den Einzug kommunistischen und sogenannten volksfeindlichen Vermögens beschlagnahmt worden war.
Zehn Monate zuvor, am 24. Mai 1933, hatte der Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, Hugo Andres Krüß, aus einen Artikel im Berliner Tageblatt erfahren, dass große Mengen sogenannter Zersetzungsliteratur bei der Berliner Polizei lagerten und in Bälde vernichtet werden sollten. Um das Interesse der Preußischen Staatsbibliothek an dieser Literatur geltend zu machen, wandte er sich umgehend an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Als Bibliothek mit einem universalen Sammelspektrum sollte die Preußische Staatsbibliothek Belegexemplare aus der Menge der zur Vernichtung bestimmten Druckerzeugnisse beanspruchen dürfen. Ihre Erwerbungsabteilung erhoffte sich, auf diesem Weg in den Besitz von Grauer Literatur, also von Literatur, die nicht in einem Verlag erschienen war, zu gelangen, da ihr Pflichtexemplarrecht sich naturgemäß nicht auf diesen Bereich erstreckte. Im Fall, dass die Titel in den Beständen der Preußischen Staatsbibliothek schon vorhanden waren, sollten die Polizeibehörden ihre Angebote an die nächstgelegene Universitätsbibliothek weiterleiten. Als die Regelungen im Frühjahr 1934 vom Preußischen Finanzministerium erlassen wurden (am 16. Juli 1934 wurde der Erlass noch einmal abgeändert), war jedoch ein großer Teil der geraubten Bücher und Druckschriften bereits an der NS-Hierarchie nahestehende Interessenten verteilt, makuliert oder verbrannt worden.
Dementsprechend sind auf den Angebotslisten der Ortpolizeibehörden jeweils nur wenige Titel verzeichnet. Im Universitätsarchiv befinden sich fünf solcher Schriftwechsel mit lokalen Polizeibehörden, und zwar mit jenen in Cottbus, Königs Wusterhausen, Hennigsdorf, Reetz in der Neumark und Falkenberg (Mark). Für den Zugang aus der Gemeinde Gassen in der Niederlausitz existiert kein Schriftwechsel, sondern nur eine Eintragung im Akzessionsjournal Dona (Geschenke) 1934.
Drei der Absender – die Amtsvorsteher in Königs Wusterhausen, Hennigsdorf und Falkenberg – beschied die Bibliotheksleitung negativ. Die angebotenen Druckschriften waren bereits vorhanden oder kamen für die Universitätsbibliothek nicht in Frage, heißt es in den Antwortscheiben. Mit der abschlägigen Antwort wurden auch die Titellisten zurückgeschickt, so dass die darin aufgeführten Schriften noch weiteren Bibliotheken angeboten werden konnten.
Von den acht angeforderten und in den Akzessionsjournalen Dona 1934 und Dona 1935 verzeichneten Werken sind heute noch sieben im Bestand des Grimm-Zentrums vorhanden; lediglich der 1923 erschienene und von Arnold Zweig eingeleitete Band mit den poetischen Schriften Georg Büchners aus Gassen musste als Verlust benannt werden. Von den sieben erhaltenen Werken lassen sich einzig die von der Ortspolizeibehörde in Cottbus zugesandten »Spartakusbriefe« aufgrund des Stempels »Kommunistische Partei Deutschlands. Ortsgruppe Cottbus« einer bestimmten Organisation zuordnen. Zwei weitere Bücher, eines aus Cottbus und eines aus Reetz, sind mit einem Namenszug gekennzeichnet. Recherchen dazu stehen noch aus. Die übrigen tragen keinen Besitzvermerk.
Meist, aber nicht immer, ist bei den beschlagnahmten Werken ein thematischer Bezug zu den linken politischen Parteien oder Organisationen gegeben. So ist, obwohl die SPD in dem Anschreiben des Bürgermeisters von Reetz nicht erwähnt wird, aufgrund der Titel zu vermuten, dass die Besitzer der Werke der SPD angehörten oder zumindest nahestanden.
Wie die Bleistiftvermerke in der Liste zeigen, wurde bei jedem Titel geprüft, ob die Bibliothek bereits ein entsprechendes Exemplar besaß.
Daraufhin forderte der Direktor der Bibliothek Gustav Abb die noch nicht im Bestand vorhandenen Titel an.
Eine Woche später waren die nunmehr zugesandten Schriften in den Bestand aufgenommen.
Sofern sie als verbotene Literatur galten, wurden sie, wie der rote Klebezettel auf dem Schutzumschlag von „Das Jungbanner“ erkennen lässt, in einem gesonderten Abschnitt des Magazins aufgestellt und waren von der allgemeinen Benutzung ausgeschlossen.
Der Vorgang um die beschlagnahmten Schriften aus Reetz veranschaulicht, dass die Universitätsbibliothek Berlin mit beschlagnahmter Literatur ebenso verfuhr wie mit anderen eingehenden Geschenken. Wenn die angebotenen Titel noch nicht vorhanden waren und in das Sammelspektrum passten, wurden sie als willkommene Ergänzung des Bestands aufgenommen. Mit Zweitexemplaren belastete sich die Bibliothek ungern, es sei denn, dass sie als Tauschexemplare von Nutzen sein konnten.
#Bücherwege – Die Universitätsbibliothek untersucht derzeit ihre zwischen 1933 und 1945 zugegangenen Bücher auf Erwerbungskontexte, die auf beschlagnahmte, geraubte und erpresste Bestände in der NS-Zeit hinweisen. Die Verdachtsmomente werden flächendeckend erfasst, indem die erhaltenen Originalbestände und Erwerbungsakten systematisch durchgesehen werden. Ziel ist es, unrechtmäßige Erwerbungen zu dokumentieren und an die Anspruchsberechtigten und ihre Nachkommen zurückzugeben. Das Projekt wird bis 2024 durchgeführt und vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert.
Quellen
- Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, UB 01, Nr. 667.
- Akzessionsjournale der Universitätsbibliothek (https://www.digi-hub.de/viewer/image/1455693378356/48/)
- Sören Flachowsky: Die Bibliothek der Berliner Universität während der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 2000.
- Cornelia Briel: Beschlagnahmt, erpresst, erbeutet. NS-Raubgut, Reichstauschstelle und Preußische Staatsbibliothek zwischen 1933 und 1945, Berlin 2013.
Verfasst von: Dr. Cornelia Briel
Die Bücher des Bäckermeisters Schadow – Aufklärung im Universitätsarchiv
Im Bestand einer Bibliothek nach NS-Raubgut zu suchen, bedeutet nicht nur, unrechtmäßige Erwerbungen zu verifizieren, sondern umgekehrt auch, Verdachtsmomente aufzulösen und legale Erwerbungen zu erkennen. Verdächtig können die Erwerbungen aus unterschiedlichen Gründen sein, zum Beispiel, weil das Erscheinungsjahr schon länger zurückliegt oder weil sie von Lieferanten stammen, von denen bekannt ist, dass sie unrechtmäßig erworbene Literatur weitergaben.
In der Rubrik Dona – Geschenke – verzeichnet das Akzessionsjournal der Universitätsbibliothek für den 12. Mai 1936 den Zugang von 26 Titeln in 29 Bänden theologischer Literatur mit der Herkunftsangabe „Bäckermeister Schadow“ (D 1935.70 – D 1935.95). Die Tatsache, dass die Bücher durchweg englischsprachig und bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienen sind, machte, in der Kombination mit der ungewöhnlichen Herkunftsangabe, die Eintragung verdächtig und weckte überdies die Neugier. Wie kommt ein Bäckermeister zu älterer englischsprachiger Literatur?
Die Suche nach den Büchern im Magazin ergab, dass alle zu der Provenienz „Bäckermeister Schadow“ gehörenden Bände im Bestand der Universitätsbibliothek heute noch vorhanden sind. Wie sich bei der Autopsie zeigte, weisen sie mehrheitlich ein Exlibris auf, das in der Exlibriskartei der Bibliothek bereits erfasst ist. Über den Eigentümer Theodore G. De Lyre ist dennoch nicht mehr bekannt als das, was der Erscheinungszeitraum, die Erscheinungsorte der Bücher und die stilistische Eigenart der von Ornamenten umspielten Schrift nahelegen: USA, zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damit stellte sich nunmehr die Frage, wie die beiden Provenienzen, De Lyre und Schadow, zusammenhängen. Von dem Bäckermeister ließ sich, auch aufgrund einer fehlenden Ortsangabe im Akzessionsjournal, lediglich vermuten, dass er in Berlin oder im Berliner Umland lebte. Damit wäre die Recherche an ihrem – wohl nicht nur vorläufigen – Ende angelangt gewesen.
In unserem Projekt begann jedoch gleichzeitig die Durchsicht der einschlägigen Akten im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität. Zwar sind die Akten der Universitätsbibliothek nicht vollständig überliefert und werden deshalb nicht jeden Erwerbungsvorgang aufklären können, zumal die Herkunftsgeschichte der Bücher sich in den Akten immer nur bis zu dem Zeitpunkt zurückzuverfolgen lässt, ab dem die Universitätsbibliothek involviert war. Was jedoch den Bäckermeister Schadow betrifft, waren sie hinlänglich aufschlussreich.
Die Geschichte des Zugangs beginnt in den Akten zwei Monate vor dem Eintrag ins Akzessionsjournal, am 13. März 1936. An diesem Tag bot der Bürgermeister von Mahlow, Hagena [?], dem Theologischen Seminar der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin vier Kisten mit theologischer Literatur an. Das Universitätsinstitut könne die Bücher, die er als „wertvoll“ charakterisierte, unentgeltlich übernehmen. Sie seien ihm, dem Bürgermeister – was wohl heißen sollte: der Gemeinde Mahlow – „infolge des Todesfalles eines hiesigen Einwohners […] zur Verfügung gestellt worden“. Die Kisten befänden sich bei dem Bäckermeister Schadow in Mahlow in der Bahnhofstraße 14 und könnten von dort abgeholt werden.
Das Seminar für Systematische Theologie hatte indes, nachdem man die Bücher in der Garage des Bäckermeisters durchgesehen hatte, kein Interesse an dem Angebot. Mit der Bemerkung, dass das Seminar die Verfügung über die Bücher der Universitätsbibliothek gern abtrete, reichte es Hagenas Schreiben an die Direktion der Universitätsbibliothek weiter. Daraufhin begab sich Bibliotheksrat Dr. Fritz Streichhan am 28. April nach Mahlow, um die Bücher selbst in Augenschein zu nehmen. Wie er erfuhr, stammten sie „aus dem Nachlass des in seiner Jugend als Geistlicher in den Vereinigten Staaten tätig gewesenen Pastors Fischer“. Pfarrer Fischer war also der von Hagena erwähnte verstorbene „hiesige Einwohner“. Wenngleich nach Streichhans Befinden nur wenige Bücher für die Bibliothek in Frage kamen, so verabredete er dennoch mit dem ortsansässigen Fuhrgeschäft von Fritz Guske den Transport der Bücher – und zwar aller Bücher, nicht nur jener, die die UB in ihren Bestand aufnehmen wollte – nach Berlin, der dann wohl einige Tage später stattfand. Zuvor hatte der Bäckermeister ihm gegenüber bestätigt, dass „bei Nichtübernahme durch eine Bibliothek“ die Bücher vernichtet würden.
Neben den untersuchten Monographien gingen weitere Bände in den Zeitschriftenbestand der Universitätsbibliothek ein. Die Mehrzahl der Bücher, insgesamt vier Kisten mit einem Gewicht von immerhin drei Zentnern, hat die Universitätsbibliothek vermutlich in den Tausch mit anderen Bibliotheken gegeben oder sie der Reichstauschstelle zukommen lassen.
Ob Fischer und De Lyre sich während Fischers Aufenthalt in den USA persönlich begegneten, ist nicht bekannt. Vielleicht erwarb Fischer nur De Lyres Büchersammlung und bewahrte sie sein Leben lang als theologische Wegzehrung. Einige der Bücher sind offenbar intensiv genutzt worden. In einem liegt ein Zettel mit Notizen, die wahrscheinlich von De Lyre stammen; in zweien der Bücher, die nicht das Exlibris von De Lyre tragen, lassen sich Besitzvermerke weiterer, ebenfalls amerikanischer Voreigentümer feststellen. Der Namensvermerk des Mahlower Pfarrers findet sich in keinem von ihnen.
Das vom „Deutschen Zentrum Kulturgutverluste“ bis 2025 geförderte Projekt an der Universitätsbibliothek wird systematisch die Erwerbungen aus den Jahren 1933 bis 1945 untersuchen. Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.
Dr. Cornelia Briel
Quellen:
Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin, UB 01, Nr. 667.
Akzessionsjournale der Universitätsbibliothek
Bei den aufgetauchten Werken handelt sich um eine Ausgabe des satirischen Schelmenromans Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622–1676) und die Unvorsichtige Heb-Amme (Leipzig 1715) von Johann Christoph Ettner (1654–1724)
In dieser Woche sind zwei seltene barocke Drucke aus dem Vorbesitz von Jacob und Wilhelm Grimm, welche seit 1945 als Verlust galten, an die Universitätsbibliothek zurückgekehrt. Sie gehören zu den kulturell wertvollen Beständen, die ab 1943 aus der Berliner Universität an Orte außerhalb Berlins verlagert wurden, um sie vor Bombenangriffen und Plünderungen in Sicherheit zu bringen. Etwa 20.000 Bände gingen jedoch nach Kriegsende verloren oder wurden zerstört.
Bei den aufgetauchten Werken handelt sich erstens um eine Ausgabe des satirischen Schelmenromans Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622–1676), eines der erfolgreichsten Werke der Barockzeit überhaupt, in einer reich illustrierten Fassung von 1685.
Das zweite Werk, die Unvorsichtige Heb-Amme (Leipzig 1715) ist ebenfalls eine Besonderheit, nämlich ein medizinischer Lehrroman des Dichter-Arztes Johann Christoph Ettner (1654–1724), der detaillierte Einblicke in die medizinische, insbesondere die gynäkologische Praxis seiner Zeit gewährt. Beide Exemplare tragen zahlreiche handschriftliche Anmerkungen ihrer Vorbesitzer
Pergamentbände wurden einem Münchener Auktionshaus angeboten
Die wegweisenden Gelehrten Jacob und Wilhelm Grimm waren kenntnisreiche Büchersammler, die in ihrer Privatbibliothek viele alte und seltene Ausgaben zusammentrugen. Dass sie auch intensiv mit ihren Büchern arbeiteten, zeigen die zahlreichen handschriftlichen Notizen und Vermerke, die oft direkt auf ihre Arbeitsvorhaben wie die Kinder- und Hausmärchen oder das Wörterbuch der deutschen Sprache hinweisen. Durch diese Arbeitsspuren ist die Grimm-Bibliothek eine wissenschaftliche Quelle ersten Ranges. 1865 wurde die Privatbibliothek vom Preußischen Staat erworben und zu großen Teilen der Berliner Universitätsbibliothek übergeben, wo heute noch über 6.000 Bände erhalten sind.
Über das Schicksal der beiden Grimm-Bücher seit ihrer Auslagerung in ein Salzbergwerk in Sachsen-Anhalt gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Offenbar wechselten die Pergamentbände aus dem späten 17. und frühen 18. Jh. mehrmals den Besitzer und wurden kürzlich einem Münchener Auktionshaus angeboten, welches die Universitätsbibliothek wegen eindeutiger Besitzkennzeichen wie Bibliothekssignatur und Eigentumsstempel kontaktierte.
Frühere Kriegsverluste aus öffentlichem Besitz erscheinen immer wieder im Antiquariatshandel. Aufgrund der rechtlichen Verjährungsfristen ist die Rückgabe häufig umstritten und erfordert umfassende Verhandlungen, die in diesem Fall zu einer Einigung führten.
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