Die chinesische Social Media Plattform TikTok wuchs in den letzten Jahren zu einer der umsatzstärksten Apps heran (Quelle: Datareportal, 2020). 2014 wurde die App von Luyu Yang und Alex Zhu unter den Namen Musical.ly auf den Markt gebracht, damals noch als Tool, um 15-sekündige Lip-Sync-Clips aufzunehmen, zu bearbeiten und zu teilen. Im August 2018 löste die App TikTok (Douyin (chinesisch 抖音短视频) Musical.ly ab. Der Content veränderte sich, die Inhalte der Videoclips auf TikTok hatten nun nicht zwangsläufig etwas mit Musik zu tun, auch andere Inhalte wurden vermehrt produziert und geteilt.
Die Zielgruppe TikToks ist jedoch mit der von Musical.ly gleichgeblieben, die meisten User*innen sind aus der Generation Z. (Quelle:Globalwebindex, 2019).TikTok ist leicht zu bedienen, Inhalte sind aufgrund der Länge von 15 Sekunden schnell zu erstellen, zu konsumieren und zu teilen, was zu dem Erfolg ebenfalls beiträgt. Im Jahr 2021 konnte die Betreiber*innen ganze 58 Milliarden Dollar verzeichnen (Quelle: Reuters) – und das trotz strenger Regulierungen, die von der chinesischen Regierung ausgingen. Die Möglichkeit, endlos zu scrollen, in Kombination mit einem smarten Algorithmus, der User*innen immer weitere spannende Inhalte präsentiert, funktionierte schon auf Plattformen wie Instagram. Die Videofunktion von TikTok ist jedoch bei der jungen Zielgruppe so beliebt, dass selbst die Mega-Plattformen Instagram und Youtube diese in ihren Reels und Shorts nachahmen.
Dennoch gibt es seit Release der App immer wieder Negativschlagzeilen. TikTok stand mehrfach in Kritik, nicht genug Jugend- und Datenschutz zu bieten. Nach einer Sammelklage im Dezember 2019, eingereicht von einer Gruppe Eltern, die den mangelnden Datenschutz von Minderjährigen anklagten, musste TikTok 5,7 Millionen US-Dollar Strafe zahlen (Quelle: heise online) . Expert*innen sehen die Platform kritisch – leicht beeinflussbare Kinder und Jugendliche bekommen oft Inhalte angezeigt, die ihrer mentalen Gesundheit schaden können. Kritisiert wird auch, dass sexistische Kommentare und Cybermobbing nicht streng genug behandelt werden. Dabei hat die Plattform strenge Richtlinien – die Zensur findet nur oft an anderen Stellen satt. Nachdem TikTok immer wieder politische Inhalte wie etwa Aufnahmen von den Protesten in Hong Kong verboten hat, wurde auch immer mehr Begriffe zensiert, sodass man diese nicht in Kommentare schreiben kann und nicht als Hashtags und Suchbegriffe verwenden kann. Zusätzlich gibt es länderspezifische Regeln mit Worten und Themen, die nicht kritisiert werden dürfen – in der Türkei beispielsweise Präsident Erdoğan. Der bekannteste Fall war jedoch die Tennisspielerin Peng Shuai, dessen Namen auf TikTok zensiert wurde, nachdem sie dem chinesischen Funktionär Zhang Gaoli vorwarf, sexuelle Gewalt an ihr ausgeübt zu haben. Nach diesem Skandal verschwand Shuai einige Wochen.
Auch in Deutschland werden Wortfilter auf TikTok angewandt. Unter der Angabe des Jugendschutzes sind Nacktheit und Alkohol auf TikTok verboten, jedoch aber auch die Verbreitung von queeren Inhalten. Diese Zensur umfasst auch wertfreie Begriffe wie schwul, homosexuell oder trans. Schreibt man diese Begriffe bespielsweise in einen Kommentar, so wird man blockiert, ohne dies sofort zu merken. Der Beitrag bleibt für den*die Verfasser*in einsehbar, auch wenn er für weitere User*innen nicht mehr sichtbar ist. Diese Art von verdeckter Zensur nennt sich Shadow-Banning. Um den Wortfilter zu umgehen, nutzen viele User*innen eine falsche Schreibweise der Begriffe.
Deutsche Journalist*innen vom NDR, WDR und der Tagesschau haben TikToks Zensur im deutschsprachigen Raum in einer Recherche untersucht. Neben queeren Begriffen stellten sie auch die Sperrung von Begriffen um den Nationalsozialismus fest. Die Zensur der LGBTQ-Begriffe sorgte für besonders viel Aufruhe, schließlich schmückte sich die Plattform immer gerne mit queeren Influencer*innen, welche teilweise auch finanzielle Föderungen von TikTok erhalten haben und auch Tobias Henning, der Chef TikTok Deutschlands, der selbst offen mit seiner Homosexualtät umgeht, betonte öffentlich immer wieder positiv die Diversität der Plattform.
Expert*innen wie Frederike Kaltheuner von der Human Rights Watch sind sich einig – die Zensur greift stark in die Meinungsfreiheit der Nutzer*innen ein (Quelle: Tagesschau). Durch das Zensieren queerer Begriffe wird der Diskurs auf TikTok unmöglich gemacht. Aufklärungsarbeit, Vernetzung und Empowerment queerer Personen werden so ebenfalls verhindert. Dies ist höchstproblematisch, da vorallem Jugendliche und junge Erwarchsene die App nutzen. Durch den Wortfilter fallen queere Begrifflichkeiten in die selbe Kategorie wie die ebenefalls auf TikTok zensierten Wörter Terrorismus, Drogen oder Schimpfwörter. Die Zensur queerer Wörter lässt vermuten, dass diese Bezeichnungen mit Beleidigungen gleichzusetzen wären und dass Querness etwas wäre, wovor man die Heranwachsenen schützen müsse.
TikToks Pressesprecher*innen reagierten auf die Vorwürfe, man werde die Kritik überprüfen und Fehler korrigieren, TikTok sei jedoch eine reine Unterhaltungsapp und man wolle keine politische Plattform sein. Den Versuch, die Zensur durch eine angestrebte politisch „neutrale“ Haltung zu rechtfertigen, ist mehr als fragwürdig – zumal Zensur selbst ein höchstpolitisches Instrument der Unterdrückung ist. Das Ausmaß von TikToks Einfluss, speziell auf ihre junge Zielgruppe, lässt sich nur schwer fassen. Fakt ist, mit bereits 1,5 Milliarden User*innen weltweit, die bis 2022 verzeichnet worden sind, hat TikTok eine enorme Reichweite und Verantwortung (Quelle: Business of Apps).
Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.
Akinbode Akinbiyi – May Ayim: Dichterin. 1996 © Oyoun Berlin, 2022
Am 10. Juni fand in dem migrantisch queerfeministischen Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln die Vernissage der Ausstellung Akinbode Akinbiyi – May Ayim: Dichterin. 1996 statt. Die Ausstellung zeigt eine von dem nigerianisch-britischen Fotografen Akinbode Akinbiyi ausgewählte Sammlung von Dokumentationen. Die Schwarz-Weiß Fotografien entstammen seinem persönlichen Archiv und geben spannende Einblicke in das letzte Lebensjahr der afrodeutschen Dichterin und Aktivistin May Ayim. Akinbiyi zeigt uns einen persönlichen, wie auch kollektiven Verlust, der durch Ayims frühes Ableben geschah.
So entwickelt sich das Leben: in ständigem Umherirren, in ständiger Sinnsuche, auf niemals endenden Wegen, Straßen und Gassen, Autobahnen und Nebenstraßen – labyrinthisch in ihrer Unendlichkeit, in ihrer Aufforderung an die Wandernden: hier, noch eine weitere faszinierende Ecke, kaum sichtbare Fußabdrücke auf der Erde, Spuren lautloser Schwingungen auf dem unerbittlichen Pflaster. 1996 war so ein Jahr. Die traurige, ja niederschmetternde Nachricht ihres Ablebens. Eine junge Neophytin, die an einem ausrangierten Keyboard übte.
Akinbode Akinbiyi
„May Ayim: Dichterin. 1996.“ ist Teil der künstlerischen Intervention rongin shagor রঙিন সাগর, in welcher verschiedene multilingualer Künstler*innen auf ein Gedicht von May Ayim antworten. Rongin shagor রঙিন সাগর entstand im Rahmen von „dive in. Programm für digitale Interaktionen“ der Kulturstiftung des Bundes und wurde durch die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm NEUSTART KULTUR und der Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert.
May Ayim (* 1960 in Hamburg, † 1996 in Berlin) ist eine der bekanntesten Vertreterinnen der Schwarzen Community in Deutschland. Mit ihrer Ihre Diplomarbeit Afro-Deutsche: Ihre Kultur- und Sozialgeschichte auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen schuf sie die erste wissenschaftliche deutschsprachige Arbeit in diesem Bereich. Ihre Diplomarbeit veröffentlichte sie später auch in der Anthologie ‚Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte‘.
Mitte der 80er Jahre gründete sie mit weiteren Aktivist*innen die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, Ende der 80er Jahre den LiteraturFrauen e.V. Verein zur Förderung von Autorinnen. Während der 90er Jahre veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband, ‚Blues in Schwarz Weiss‘ und lehrte an verschiedenen Hochschulen Berlins.
August 1996 nahm Ayim sich in Berlin-Kreuzberg das Leben. Die Ausstellung, welche uns in ihr letztes Lebensjahr mitnimmt, gibt Raum zum Gedenken und Trauern, aber auch um Ayims herausragendes Lebenswerk zu ehren.
In ihren Werken erforschte Ayim Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus, Kolonialismus und ihre eigene Lebensrealität als Schwarze Frau, der das Deutschsein abgesprochen wurde. 2010 wurde sie mit der Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer geehrt, wo eine Gedenktafel Infos über ihr Leben und Werk gibt. Mit dem Ersetzung des kolonialen Straßennamens durch den Namen Ayims wurde ein wichtiges Zeichen auch in Hinblick der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte gesetzt.
Über den Künstler:
Akinbode Akinbiy wurde in Oxford in eine nigerianische Familie geboren und lebte unter anderem in England, Nigeria und Deutschland. Heute ist er freiberuflicher Fotograf und Kurator in Berlin. Hauptthema seines künstlerischen Werks sind Megastädte, diese dokumentiert er primär auf dem afrikanischen Kontinent in Ländern wie Südafrika, Mali und Ägypten.
Im Oyoun nahm Akinbiy mit Akinbode Akinbiyi – May Ayim: Dichterin. 1996 Abschied von seiner Freundin. Im Künstlergespräch, welches am 10 Juni ab 20 Uhr bei der Vernissage mit ihm und Muhammad Salah stattfand, gab er dem Publikum weitere Einblicke zu der Ausstellung.
AKINBODE AKINBIYI – MAY AYIM: DICHTERIN. 1996. | AUSSTELLUNG
10. bis 30. Juni 2022
Oyoun Berlin
Lucy-Lameck-Straße 32
12049 Berlin
täglich 12:00 – 20:00 Uhr
Eintritt frei
Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.