She Said – Die queerfeministische Buchhandlung im Herzen Neuköllns

Im vergangenen Winter eröffnete Emilia von Senger unweit des Hermannplatzes ihre erste eigene Buchhandlung – mitten in der Pandemie, während Einzelhändler*innen bundesweit um ihre Existenzen bangten. In von Sengers Buchhandlung She Said brachen jedoch noch bevor die Bauarbeiten überhaupt abgeschlossen waren schon scharenweise Kund*innen herein. Besonders während der Wochenenden im Lockdown standen die Berliner*innen teilweise über eine Stunde in der Schlange, um in den schicken Laden zu gelangen. Vermutlich trugen die im Lockdown sehr begrenzten Freizeitmöglichkeiten auch ihren Teil zum Andrang bei, Hauptgrund wird aber nichtsdestotrotz das feministische Konzept der Buchhandlung sein – bei She Said finden Kund*innen zeitgenössische und diverse Literatur. Der Clou, es werden nur Bücher von weiblichen und queeren Autor*innen verkauft. Neben deutsch- und englischsprachiger Prosa findet man auch unterschiedliche Sachbücher zu Themen wie kritische Männlichkeit, Arbeit, Soziales und Anti-Rassismus. Eine kleine Lyrikabteilung gibt es ebenfalls, genauso wie eine besonders schöne Ecke mit diversen Kinderbüchern, die Gendernormen aufbrechen und eine Vielfalt von Identitäten abbilden. Weitere Kategorien sind auch „Non-Western“-Bücher und postmigrantische Literatur. She Said hat zusätzlich zwei Onlineshops – einen für Bücherpakete mit den Lieblingsbüchern des Teams, Postkartenkollektionen und T-Shirts. Der zweite Onlineshop dient für weitere Buchbestellungen, die man bis 18 Uhr einreichen kann und am nächsten Tag bereits vor Ort abholen kann.

Wer in der Buchhandlung mit dem Lesen nicht warten möchte, kann sich im integrierten Café von She Said setzen und bei einem Kaffee direkt die neuerworbene Literatur aufschlagen. She Said ist nämlich eine Buchhandlung zum Verweilen, hier trifft sich ein aufgeklärtes Publikum, das bewusst Literatur konsumiert. Die Literatur und das Café sind dabei nur ein Teil von She Said. Ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm lässt die Buchhandlung zu einem Community-Ort werden, an welchem Lesungen von Autor*innen wie Emilia Roig („Why We Matter – Das Ende der Unterdrückung“) und Şeyda Kurt („Radikale Zärtlichkeit“), aber auch Talks und Livestreams stattfinden. Der Standort der Buchhandlung – der Kottbusser Damm, der die Berliner Szenebezirke Kreuzberg und Neukölln vereint, bringt zusätzlich das moderne Großstadtpublikum, welches man sicherlich zur Zielgruppe von She Said zählen kann. Wie zeitgemäß She Said ist, lässt sich an der Onlinepräsenz der Buchhandlung gut erkennen. Schon während der Bauarbeiten konnte man über Instagram mitverfolgen, wie She Said Stück für Stück entsteht und wer an den jeweiligen Prozessen beteiligt ist. Über ihre Social Media Kanäle promoten sie nicht nur die Veranstaltungen, Literatur und die hausgemachten Spezialitäten des Cafés, sie vernetzen sich so auch mit der Community, holen sich Feedback und stehen im direkten Austausch mit den Besucher*innen und Kund*innen. Von Senger selbst gab an, vor der Entstehtung von She Said bereits auf Instagram in der sogenannten Bookstagram-Community vernetzt gewesen zu sein, selbst die erste Idee von der Buchhandlung habe sie auf ihrem Account geteilt.

She Said Berlin
Copyright: @shesaidbooks

Inspiration für das queerfeministische Konzept von She Said ist die cishet männlich dominierte Literaturindustrie samt Kanon gewesen, dem von Senger sich widersetzen wollte. Noch immer sind FLINTA* und queere Männer in der Literaturwelt unterpräsentiert; sie werden im Vergleich zu ihren cishet männlichen Kollegen seltener bei Literaturagenturen unter Vertrag genommen, veröffentlicht und mit Preisen und Förderungen ausgezeichnet. Handfeste Zahlen zu der Benachteiligung von Frauen lieferte dazu unter anderem die Pilotstudie „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ unter dem Stichwort #Frauenzählen von der verbandsübergreifenden AG DIVERSITÄT, welche 2018 ins Leben gerufen wurde. Im März 2018 wurden im Rahmen dieser Studie 2036 Rezensionen aus 69 deutschen Medien (Print, Hörfunk und TV) analysiert. 

Die Ergebnisse sind sicher nicht sonderlich überraschend, aber dennoch ernüchternd – es wurden erheblich mehr Bücher männlicher Autoren besprochen und auch die Kritiker*innen waren überwiegend männlich. In konkreten Zahlen heißt das: Zwei Drittel der thematisierten Bücher stammten von Autoren. Obwohl diese Studie auch große Schwachstellen hat – so ist Gender hier komplett binär dargestellt,  beispielsweise nichtbinäre Autor*innen werden schlichtweg gar nicht einbezogen, ein intersektionalerer Ansatz wäre natürlich wünschenswerter gewesen.
Dennoch schafft es die Studie auf den Sexismus in deutschen Literaturbetrieben aufmerksam zu machen und Impulse zu setzen, gegen diesen zu vorzugehen. Läden wie She Said tragen ebenfalls einen erheblichen Teil dazu bei, Autor*innen zu stärken, die queer oder nicht männlich sind.

Emilia von Senger
Copyright: @shesaidbooks

Trotz alledem wurden auch kritische Stimmen gegen She Said erhoben. Die meiste Kritik, die gegen von Senger ausgesprochen wurde, bezieht sich allerdings auf ihren zuerst intransparenten Umgang mit ihrer Familiengeschichte. Ihr Urgroßvater war während der NS-Zeit als Wehrmachtsgeneral und als Kommandant einer Panzerdivision tätig. Die Vermutung lag schnell nah, dass die Gelder für die Finanzierung der Buchhandlung von den geerbten Nazi-Geldern der Familie stammen könnten.

Die Diskussion um von Sengers Familienhintergrund starteten die Künstlerin Moshtari Hilal und der Autor und politische Geograf Sinthujan Varatharajah auf Instagram. In einem Video thematisierten sie die Problematik um Nazi-Gelder im Kunstbetrieb im Allgemeinen und nahmen She Said hier als Beispiel. Von Senger reagierte schnell auf den medialen Druck und räumte den Fehler ein, diesen Teil ihrer Familiengeschichte nicht transparenter offengelegt zu haben. Auf ihrem Instagram-Account veröffentlichte sie das Statement, „Einen queerfeministischen Buchladen zu eröffnen und gleichzeitig nicht über seine Nazi-Familiengeschichte zu sprechen, geht nicht“.

Sie beteuerte jedoch, die Gelder für She Said stammten aus einer anderen Quelle. Darüberhinaus sollte man nicht außer Acht lassen, dass die queerfeministischen Bücher, welche von Senger in She Said verkauft, zur NS-Zeit verboten und verbrannt worden wären; nichtsdestotrotz ist es wichtig diese Debatten zu führen und auch bei feministischen Projekte wie She Said genau hinzuschauen und nicht nur die Konzepte, sondern auch die Mittel, mit welchen sie umgesetzt werden, zu reflektieren. 


Über die Autorin: Elena Schaetz ist Studentin der Afrikawissenschaften (MA) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Literatur, Kultur, Gender und Queerness in südafrikanischen Regionen.

16. September 2021 | Veröffentlicht von
Veröffentlicht unter Allgemein

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