Vortrag von Anna Oechslen im Rahmen des Workshops „Reflections on the Digital: Neoliberalism, Free Speech and Resistance“, am Tata Institute for Social Sciences, Mumbai, 1.-2. September 2016
Digitale Medien bieten sozialen Bewegungen ganz neue Möglichkeiten, sich auch Regionen übergreifend zu vernetzen, sich Gehör zu verschaffen und dominanten Versionen der Wirklichkeit ihre eigenen Interpretationen entgegenzusetzen. Andererseits müssen Aktivist_innen neue Wege finden, mit den neoliberalen Strukturen etwa sozialer Netzwerke umzugehen. Darüber diskutierten Studierende, Promovierende und Lehrende aus Berlin, Leipzig und Mumbai Anfang September bei einem zweitägigen Workshop am Tata Institute for Social Sciences, (TISS) in Mumbai. Die Beiträge rückten verschiedene Aspekte des Themas ins Blickfeld, darunter das Zusammenwirken von Protesten im Internet und auf der Straße, Repräsentationen von Frauenkörpern in digitalen Räumen und Studierendenbewegungen in Deutschland und Indien. Im letzten Teil des Workshops diskutierten die Teilnehmer_innen die aufgeworfenen Fragen mit Interessierten von außerhalb auf Twitter (die Diskussion ist online abrufbar unter https://storify.com/fritzititzi/transdigi).
Anna Oechslen beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit den Spannungen, die sich daraus ergeben, von Deutschland aus über Gender-Ungleichheiten in Indien zu forschen. Als Zugang zum Thema dienten dabei der Diskurs über Frauen und Sicherheit im urbanen Indien und die Aktivistinnen von ‚Pinjra Tod‘, die in Delhi gegen Gender-Diskriminierung auf dem Campus kämpfen. Durch das Internet als Informationsquelle ist es leichter geworden, auch über große Distanzen hinweg ethnografische Forschung zu betreiben. Gleichzeitig ist gerade das Thema Frauenrechte durch koloniale Diskurse und problematische Repräsentationen der ‚Third World Woman‘ aufgeladen; zur räumlichen Distanz tritt also eine Verwobenheit mit globalen Asymmetrien in der Wissensproduktion. Anhand ihrer eigenen Erfahrungen während der Forschung zu ihrer Masterarbeit zeigte Anna Oechslen, wo sie mit diesen Spannungen konfrontiert wurde und wie sie versuchte, ihnen zu begegnen. Die anschließende Diskussion machte deutlich, dass man nicht unbedingt in einem anderen Land sein muss, um diesen Problemen zu begegnen: Teilnehmer_innen berichteten etwa von ihren Erfahrungen aus der journalistischen Praxis und der Forschung zu ländlichen Räumen Indiens.
Seonyoung Seo und Sebastian Sons
Im Rahmen der von der Humboldt-Universität zu Berlin in Zusammenarbeit mit der University of Singapore vom 24.-26. Mai 2016 organisierten Konferenz „Diversity Encounters: Intersectional and post-colonial perspectives“ präsentierte Sebastian Sons, Doktorand bei Frau Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider, gemeinsam mit der Doktorandin Seonyoung Seo von der Universität aus Singapur Teile seiner Forschungsergebnisse. Beide nahmen an den so genannten „Trouble Shooting Labs“ teil, in denen jeweils ein Doktorand aus Deutschland sowie aus Singapur in intensiven Vorarbeiten Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Forschungsprojekte erarbeiteten und diskutierten. Vor allem methodische Herangehensweisen, theoriebezogene und empirische Herausforderungen und Erfahrungen wurden evaluiert. Während sich Sebastian in seiner Dissertation mit den Mediendiskursen um pakistanische Arbeitsmigrant_innen nach Saudi-Arabien beschäftigt, forscht Seonyoung zu nepalesischen Migrant_innen in Südkorea. In beiden Projekten nehmen der Zugang zu Eliten und der öffentliche Diskurs über das Phänomen Migration eine signifikante Bedeutung ein, wenngleich sich die methodische Herangehensweise und die lokalen Gegebenheiten doch deutlich voneinander unterscheiden. Beide Studien widmen sich der zeitgenössischen Diskussion um Arbeitsmigration, die in den Projekten als historisch bedeutsame Form der Mobilität und der transkulturellen Verknüpfung in Asien und dem Nahen und Mittleren Osten definiert wird. Basierend auf dieser Ausgangsthese analysieren beide Wissenschaftler die Auswirkungen der Migrationssysteme in den Aufnahmeländern Korea und Saudi-Arabien sowie in den Entsendeländern Nepal und Pakistan.
Daraus ergaben sich in der Diskussion einige signifikante Überschneidungen und Unterschiede in der Forschungsarbeit: Beide Projekte widmen sich Fragen nach Identitätskonstruktionen von Diasporagesellschaften, transnationalen und transkulturellen Netzwerken zwischen Empfänger- und Entsendeländern sowie dem Einfluss von Migration auf die jeweiligen Heimatländer. Während Sebastian die strategischen Ansätze, die Inhalte sowie die Debatten der jeweiligen Medienakteure über Migration wie Vertreter der Zivilgesellschaft und Journalisten analysiert, vertieft sich Seonyoung in ihrer Arbeit mehr darauf, die Selbstdefinition der nepalesischen Migrant_innen in Korea herauszuarbeiten und beschäftigt sich mit deren multiplen transnationalen Zugehörigkeiten, ihren unterschiedlichen kulturellen Affinitäten und ihren daraus erwachsenen hybriden Identitäten. Damit tragen beide Wissenschaftler zur akademischen Diskussion um sozialen Wandel in Zeiten der Globalisierung bei, in denen die Auffassung des Containerdenkens in nationalstaatlichen Kontexten zunehmend obsolet geworden ist.
Für beide Nachwuchswissenschaftler entwickelte sich aus den vorbereitenden Gesprächen und der gemeinsamen Präsentation eine intensive und konstruktive Diskussion, in der wesentliche Forschungsparallelen bei Fragen der Netzwerkbildung, Interviewführung und Öffentlichkeit trotz der verschiedenen regionalen Kontexte festgestellt wurden. Seonyoung und Sebastian empfanden die Mitwirkung am Trouble Shooting Lab als eine neue Forschungserfahrung, um die Kontakte mit anderen Wissenschaftlern zu intensivieren, neue Perspektiven zu erlangen und sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der täglichen Arbeit auszutauschen.
Sebastian Sons
Präsentation des Dissertationsprojekts an der Forman Christian University, Lahore, 09. Februar 2016
Dr. Saeed Shafqat (li.), Sebastian Sons © privat
Während seiner Feldforschungsreise nach Pakistan von Januar bis März 2016 im Rahmen seines Promotionsprojektes mit dem Arbeitstitel „Pakistanische Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien: Sozialer Wandel in mediatisierten transkulturellen Lebenswelten“ erhielt Sebastian Sons auf Einladung von Dr. Saeed Shafqat, Direktor des Centre for Public Policy and Governance (CPPG) an Forman Christian University, die Möglichkeit, vorläufige Forschungsergebnisse seiner bisherigen Arbeit vorzustellen.
Vor Studierenden sowie Lehrenden der Universität erläuterte er seine Forschungsmotivation, seinen theoretischen Hintergrund und die Methodik seiner Forschungsarbeit. Er analysierte die sich zunehmend verändernden Mediendiskurse in Saudi-Arabien, die sich vor dem Hintergrund des gravierenden sozialen Wandels vollziehen und ging in diesem Zusammenhang auf die sozioökonomischen, politischen und kulturellen Herausforderungen ein, mit denen sich die saudische Gesellschaft konfrontiert sieht. Dementsprechend kann die zunehmend pluralisierte Mediendebatte um südasiatische und vor allem pakistanische Arbeitsmigranten vor diesem Hintergrund als Indikator für wachsende Medienpluralität in einem autoritativen Mediensystem verstanden werden.
Nach dieser Einführung diskutierten die Teilnehmenden vor allem Fragen zur saudischen Medienlandschaft im Allgemeinen, eine mögliche Modifizierung des pakistanisch-saudischen politischen Verhältnisses sowie die daraus entstehenden Auswirkungen für die Arbeitsmigranten vor Ort und die Rücküberweisungen nach Pakistan. Es zeigte sich, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer einen kritischen Blick auf die Entwicklungen in Saudi-Arabien warfen, die dazu führen könnten, dass sich die Zahl der pakistanischen Arbeitsmigranten deutlich reduzieren könnte, was gleichsam weitreichende Auswirkungen für die pakistanische Wirtschaft und Gesellschaft hätte. Dementsprechend teilten die Anwesenden die Meinung des Referenten, dass die Zunahme an Mediendiskursen über Arbeitsmigration in der pakistanischen Öffentlichkeit auch vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen gesehen werden müsse.
Des Weiteren wurden die kulturellen, religiösen und politischen Einflüsse des Königreichs auf die pakistanische Politik und Gesellschaft diskutiert, die im Allgemeinen als destabilisierend und indoktrinierend bewertet wurden, wenngleich die religiöse und wirtschaftliche Bedeutung Saudi-Arabiens für Pakistan in den vergangenen Jahrzehnten ebenso betont wurde. Dennoch lasse sich eine Kursänderung von Seiten pakistanischer Politik konstatieren, da die Regierung vermehrt darauf dränge, die pakistanischen Einkommensquellen zu diversifizieren und sich von Saudi-Arabien zu emanzipieren, indem sich neuen Märkten wie China und Iran zugewendet werde. Dennoch bleibe Saudi-Arabien für die Mehrheit der pakistanischen Arbeitsmigranten das bevorzugte Aufnahmeland, da es neben den Arbeits- und Einnahmeperspektiven auch eine religiöse Anziehungskraft aufgrund der heiligen islamischen Stätten Mekka und Medina anbiete.
Präsentation des Dissertationsprojekts von Sebastian Sons an der Lahore School of Economics and Sciences am 29. Januar 2016
Im Rahmen der regelmäßig stattfinden Economic Brown Bag-Seminare, die durch die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der renommierten Lahore School of Economics and Sciences (LUMS) in Pakistan durchgeführt werden, präsentierte Sebastian Sons am 29. Januar 2016 einige Zwischenergebnisse seines Promotionsprojekts mit dem Arbeitstitel „Pakistanische Arbeitsmigranten in Saudi-Arabien: Sozialer Wandel in mediatisierten transkulturellen Lebenswelten“.
Sebastian Sons befindet sich derzeit auf einer Forschungsreise in Pakistan, um vor Ort mit relevanten Medienakteuren aktuelle Diskurse und Öffentlichkeitsdebatten über Arbeitsmigration nach Saudi-Arabien zu diskutieren und empirisches Material zu sammeln.
Diesbezüglich widmete er sich in seiner Präsentation den unterschiedlichen Perspektiven saudischer Mediendiskurse über südasiatische und vor allem pakistanische Arbeitsmigration. Er erläuterte, dass sich insbesondere seit 2013 in saudischen arabisch- sowie englischsprachigen Medienformaten eine diskursive Öffentlichkeit zu dem Thema Arbeitsmigration entwickelt habe, welche vor allem von zwei Strömungen gekennzeichnet ist: Zum einen wird von einer Gruppe saudischer Medienakteure gefordert, den nationalen Arbeitsmarkt zunehmend zu nationalisieren und saudische Arbeitskräfte zu integrieren, um einerseits die Abhängigkeit von ausländischen Arbeitsmigranten zu reduzieren und die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Damit einher gehen auch Forderungen nach einer Verschärfung des Ausweiserechts für sich illegal im Land befindliche Arbeitsmigranten und eine zunehmende Befürchtung einer kulturellen Überfremdung. Andererseits haben sich neben diesem Diskurs kontroverse und vielschichtige Stimmen herausgebildet, die in der besseren Integration von südasiatischen Arbeitsmigranten eine Möglichkeit sehen, die nationale Einheit zu stabilisieren und neue wirtschaftliche Perspektiven erkennen. Forderungen, langjährigen Gastarbeitern die saudische Staatsbürgerschaft zu gewähren, werden dabei ebenso laut, wie selbstkritische Reflexionen über den oftmals inhumanen Umgang mit Arbeitsmigranten. In diesem Zusammenhang wird die Reform oder die Abschaffung des umstrittenen Kafala-Systems gefordert, welches dem saudischen Bürgen fast vollständige Kontrolle über die Persönlichkeitsrechte des Angestellten beschert. Des Weiteren entwickelte sich eine kritische Debatte hinsichtlich der korrupten und intransparenten Strukturen innerhalb Saudi-Arabiens, welche illegale Arbeitsverhältnisse förderten und zur Intransparenz des saudischen Arbeitsmarktes beitrügen. Diese vielschichtigen Debatten werden in der Außenperspektive nicht wahrgenommen und können als Indikator für den zunehmenden sozialen und sozioökonomischen Wandel in der saudischen Gesellschaft gesehen werden.
Im Anschluss an die Präsentation entwickelte sich eine lebhafte und kontroverse Diskussion über die Bedeutung der Arbeitsmigration für die pakistanische Wirtschaft, die Probleme und Herausforderungen, die durch private Rekrutierungsagenturen, ideologisch-religiöse Indoktrinierung der Arbeitsmigranten im Aufnahmeland und die grassierende Korruption bei der Vermittlung von Arbeitsmigranten nach Saudi-Arabien entstehen. Die Auswirkungen auf Pakistan sind demnach nicht nur im wirtschaftlichen, sondern vor allem im kulturellen und politischen Bereich zu suchen und stehen im Zusammenhang mit dem engen aber ambivalenten politischen wie kulturellen Verhältnis zu Saudi-Arabien. Dennoch findet eine offene und kritische Diskussion über dieses Phänomen in der pakistanischen Öffentlichkeit kaum statt. Umso interessierter waren die Teilenehmer an den geschilderten Eindrücken des Referenten und seiner weiter führenden Forschung.
Sebastian Sons ist während seiner Forschungsreise an der LUMS affiliiert, die eine institutionelle Partnerschaft mit der Humboldt-Universität zu Berlin unterhält.