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Film des Monats: HINDI MEDIUM (2017, R: Saket Chaudhury)

Englisch ist in diesem Land nicht nur eine Sprache, Raj, es ist eine eigene Klasse. Und in diese Klasse kommst du nur rein, wenn du eine gute Schule besuchst“.

Die zentrale Bedeutung des Englischen als „aspirational langugage“ für die aufstrebende indische Mittelschicht ist bereits in einigen Romanen und Filmen behandelt worden, etwa durch den „Blockbuster-Autor“ Chetan Bhagat („Half Girlfriend“). In dem erfolgreichen Spielfilm HINDI MEDIUM geht es nun um eine finanziell gut gestellte „nuclear family“ aus Old Delhi, bestehend aus dem Ehemann und Vater Raj Batra (gespielt von Irrfan Khan), seiner Frau Mita (gespielt von der pakistanischen Schauspielerin Saba Qamar Zaman) und ihrer fünfjährigen Tochter Pia (Dishita Sehgal). Raj und Mita haben beide eine staatliche Schule besucht, was gegenwärtig kaum noch eine Option für Eltern ist, die für ihre Kinder eine bessere Zukunft anvisieren als sie ihnen selbst ermöglicht wurde. Weniger ist es der Wert einer guten schulischen Bildung an sich, sondern vor allem der Zugang zum Englischen und damit verbundenen Habitus einer kulturell globalisierten Mittelschicht, den Mita sich für die gemeinsame Tochter sehnsüchtig wünscht. So sehnsüchtig, dass sie Raj sogar überreden kann, aus Chandni Chowk, wo er stark verwurzelt ist, in die Gegend der Bestsituierten im Süden Delhis umzuziehen (Vasant Vihar). Die stärksten Dialoge und Szenen weist der Film in dem Teil auf, der Raj und Mita in ihrem verzweifelten Bemühen zeigt, genau so auftreten und sprechen zu können wie die anglophone Mittel- und Oberschicht Delhis. Als es ihnen ungeachtet der massiven Investition in ihre Statuserhöhung dennoch nicht gelingt, für Pia einen Platz an einer der fünf „besten“ Schulen Delhis zu ergattern, verfolgen sie die umgekehrte Strategie: Sie ziehen nach Bharat Nagar und geben sich dort als verarmte Familie aus, in der Hoffnung, so über die Quote für Kinder aus armen Familien doch noch Zugang zu einer „guten“ Privatschule zu bekommen.

Ob es für den Film spricht, dass die zunehmende sozialräumliche Segregation und wachsende soziale Ungleichheit in Delhi überhaupt in einem Hindi-Film thematisiert wird, oder ob die klischeehafte Darstellung der Armut zu kritisieren ist (auch wenn es sich um positive Stereotype der „guten Armen“ handelt), sei dahingestellt. In jedem Fall ist das Gedankenspiel einer freiwilligen Statusherabsetzung der Familie, nur um die begehrte Schulbildung für die Tochter zu sichern, ebenso interessant wie die Frage des ethisch-moralischen Dilemmas, in dem sich Raj und Mita befinden, nachdem ihre Tochter den Platz über die Quote tatsächlich erhält, der Sohn eines anderen Vaters in Bharat Nagar, Shyamprakash, jedoch nicht. Auch Shyamprakash (großartig gespielt von Deepak Dobriyal) und seine Frau hoffen auf eine bessere Zukunft durch Bildung und Zugang zur englischen Sprache für ihren Sohn Mohan, doch mit der Gewissheit, dass ihm nur der Besuch einer staatlichen Schule bleiben wird, werden diese Aspirationen mit einem Schlag zunichte gemacht.

Die Schwächen des Drehbuchs offenbaren sich vor allem im letzten Drittel des Films und das Ende verärgert weniger durch den vorhersehbaren Kitsch als durch die performative Wiederherstellung der Klassengrenzen, indem Raj und Mita mit ihrem philantropischen Engagement für die staatliche Schule als „gute“ indische Mittelschicht inszeniert werden. Arme Familien wie die von Shyamprakash bleiben somit dauerhaft in der Position der Abhängigen, nicht so sehr von einem entweder abwesenden oder bedrohlichen Staat, sondern vielmehr von der benevolenten Förderung durch die Habenden.

Dennoch ist der Film äußerst sehenswert, da er wichtige Fragen formuliert und interessante Diskussionsanstöße bietet. Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass sozialkritische Filme wie HINDI MEDIUM nicht mehr länger als „überraschende Ausnahme“, sondern mittlerweile durchaus als repräsentativ für das Bemühen der Hindi-Filmindustrie betrachtet werden können, einem anspruchsvoller werdenden heimischen Publikum gerecht zu werden und weiterhin neben der wachsenden Konkurrenz nicht nur aus Hollywood, sondern gerade auch aus anderen regionalsprachigen Filmindustrien Indiens zu bestehen, die sich gegenwärtig sehr dynamisch entwickeln.

 

Nadja-Christina Schneider

 

 

1. September 2017 | Veröffentlicht von Prof. Dr. Nadja-Christina Schneider | Kein Kommentar »
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Workshop: „Imagining Futures and Forms of Resistance in Kashmir“

Heidelberg, 15.-16.01.2016

Max Arne Kramer

© Max Arne Kramer

Der kürzlich abgehaltenen Workshop „Imagining Futures and Forms of Resistance in Kashmir“, organisiert durch Dr. Karin Polit von der ethnologischen Abteilung des Südasien Instituts, Heidelberg, fokussierte auf den Alltag der im Konflikt aufgewachsenen Jugend des Kaschmirtals. Am Abend des ersten Tages hielt die Psychologin Lubna Rafiqi einen Vortrag über verschiedene kulturelle Artikulationen einer oft als ‚verloren’ bezeichneten Generation junger Kashmiris, die sich an der ‚Kashmiri-Intifada‘ (2010 bis heute) beteiligten. Verschiedene Formen dieser neuen kulturellen Aktivitäten, darunter Rap, Theater, Film, Literatur und Poesie, wurden vorgestellt und in Beziehung gesetzt zu Online-Aktivismus, der Arbeit mit sozialen Netzwerken und spontanen Straßenprotesten. Rafiqi hat zusammen mit FreundInnen und KollegInnen aus dem Kaschmirtal mit ‚Mool Sustainability Research and Training Center’  eine alternative Bildungseinrichtung gegründet.
‚Mool‘ beschäftigt sich insbesondere mit Fragen der Massenarbeitslosigkeit oft gut gebildeter junger Menschen und der Schwierigkeit, innerhalb des Tals eine nachhaltige Bildungspolitik zu betreiben. Rafiqi betonte, dass das Leben von jungen Menschen im Konflikt auf kurze Zeit eingerichtet sei. Es ähnele mehr einem ‚Überleben‘ als einer aktiven Lebensgestaltung. In der Folge wurden die Forschungsprojekte von Dr. Karin Polit, Sarah Ewald und Max Kramer kurz vorgestellt und dann ausführlich besprochen. Ein Schwerpunkt der Gespräche und Projekte bezog sich im Zusammenhang mit dem Mool-Projekt auf die Frage der ‚Arbeit‘ als emanzipatorische Praxis. Viele kaschmirische Jugendliche, die gut ausgebildet sind, sehen innerhalb des Tals keine Zukunftsaussichten und leiden, wie Rafiqi betont, oft unter psychischen Erkrankungen, die in direktem Zusammenhang mit der physischen und kulturellen Besatzung des Kaschmirtals stehen.

9. Februar 2016 | Veröffentlicht von Alexa Altmann | Kein Kommentar »
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