Eine kurze Nachlese zum Fu-PusH-Workshop Enhanced Publications und Bibliotheken vom 16.03.2016

Am 16.März veranstaltete das Fu-PusH-Projekt einen Workshop zum Themenkomplex Enhanced Publications und Bibliotheken im Grimmzentrum. Dieser bestätigte im Ergebnis eine ganze Reihe der Einsichten aus den Erhebungen des Projektes (mehr dazu u.a. in unseren Dossiers), erweiterte aber zudem unsere Perspektive gerade auch um die Situation bei den Publikumsverlagen und entsprechenden erweiterten Publikationen (dort auch bekannt als Enriched (E-)Books). Die dort relevanten Erweiterungen sind vor allem Multimedialität und Social-Reading-Funktionen. Die Zukunft dürfte in diesem Bereich möglicherweise weniger nah am Ausgangspunkt Buch zu suchen sein und mehr im Bereich der Applications.

Erweiterte Publikationen sind in diesem Kontext konsequent als Hybride zwischen Buch, von dem mutmaßlich das Element Text mit seinem Narrationsfunktion und die Nutzungsform des Lesens übernommen werden, und Software als Umsetzungsform zu verstehen. Interessant ist nun, was mit den unterschiedlichen Akteuren und Aufgabenbereichen der Branche geschieht. Guido Stemme vom Mainzer bureau23 betonte, dass im Herstellungsworkflow solcher Publikationen Programmierer im Prinzip die Rollen übernehmen, die in der Druckkultur in den Händen von Setzern, Druckern und Buchbindern lagen. Die Formgebung von Enhanced Publications bzw. Enhanced E-Books unterscheidet sich abstrakt erst einmal wenig von anderer Softwareentwicklung, weshalb sich dafür auch der Scrum-Ansatz naheliegend eignet, den die Entwicklungsteams für Digitale Publikationen an der Universitätsbibliothek Göttingen verfolgen wie Daniel Beucke erläuterte. Jeder der vier Vorträge sowie die Diskussion ingesamt führte unvermeidlich zu der Kernerkenntnis des Workshops, dass neue, also erweiterte Publikationsformen, nur mit entsprechend angemessenen und in der Regel ebenfalls neu zu entwickelnden und zu implementierenden Herstellungsworkflows realisiert werden können. Neue Publikationsformen brauchen neue Entwicklungsmethoden – kann als Merksatz gelten.

Für Bibliotheken ergibt sich dadurch zwangsläufig der Bedarf nach Mitarbeiter_innen, die sich mit solchen Prozessen auch von der Herstellungsseite her auskennen. Marcus Baumgarten von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ergänzte dies mit der aus der Arbeit der dortigen Publikationsstelle gewonnenen Einsicht, dass eine Publikationsberatung bei digitalen Veröffentlichungen erheblich umfangreicher und komplexer ist als bei beim analogen Publikationen. Dies liegt einerseits an der Komplexität und Vielfalt digitaler Publikationsmöglichkeiten. Andererseits ist auch immer zu beachten, dass zu digitalen Publikationen publikationshistorisch erst ein vergleichsweise sehr kurzer Erfahrungshorizont existiert. Daher sind sämtlich Aussagen zur digitalen Langzeitarchivierung bestenfalls als modellhafte Hochrechnung zu interpretieren, die im Idealfall nach wissenschaftlichen Standards erfolgt. Gerade zur Archivierbarkeit von Apps gibt es derzeit kaum Erkenntnisse. Eine langfristige Virtualisierung und Vorhaltung der jeweiligen Funktionsumgebung, also eine Emulation der Anzeige- und Interaktionsmöglichkeiten der jeweiligen Anwendungen, könnte ein Lösungsansatz sein und wird bereits vereinzelt beforscht. Bibliotheken sind dagegen aktuell kaum in der Lage, dynamische bzw. erweiterte Publikationen in ihre Bestandsstruktur zu integrieren, weshalb, wie zu erfahren war, die Deutsche Nationalbibliothek derartige Publikationen bisher nicht sammelt. Enhanced E-Books sind für sie in den bestehenden Strukturen schlicht nicht darstellbar.

In der Diskussion wurde deutlich, dass es zugleich durchaus denkbar ist, die digitale Langzeitverfügbarhaltung als eine gesonderte Dienstleistung weiter zu elaborieren, die in ein entsprechendes Geschäftsmodell mündet. Ein derart spezialisierter Anbieter könnte entsprechende Services wiederum an Bibliotheken verkaufen bzw. vermitteln – beispielsweise, wenn der Anbieter ein Rechenzentrum ist. In jedem Fall könnte bzw. sollte eine solche Dienstleistung zentral angeboten und von Bibliotheken wie auch möglicherweise Verlagen oder auch anderen dienstnehmenden Akteuren genutzt werden.

Ein Herausforderung liegt derzeit freilich offenbar bereits dahin, dass sich die beteiligten Akteure überhaupt verständigen können. Die entsprechende Lücke zwischen vielen Fachwissenschaftler_innen, Informatiker_innen und den Vertreter_innen der Publikationsmärkte wird bereits auf der Ebene der Bedarfsermittlung deutlich spürbar. Die Bibliotheken werden an dieser Stelle unisono als wünschenswerte Vermittlungsinstitutionen gesehen, die den Bedarf fachlich fundierter Übersetzungs- und Koordinationsleistungen mit neuen Berufsbildern, beispielsweise des/der Digital-Humanities-Librarian, adressieren. Die Ausbildung entsprechender Fachkräfte soll sinnvollerweise in den Studiengängen der Buch- und/oder Bibliothekswissenschaft geschehen.

Bei der Herstellung von Enhanced Publications tritt zudem neben den Formgestalter, der, wie bereits oben ausgeführt, in der Tradition von Setzern, Druckern und Bindern steht, bei erweiterten Publikationen, die aus der Kombination einer Vielzahl von Objekten (Compound Objects) zusammengesetzt werden, eine neue komponiernde bzw. kuratierende Rolle, die lose mit dem Prinzip der Herausgeberschaft verwandt sein könnte. Für Enhanced Publications erhöht sich die Komplexität dieser Tätigkeit maßgeblich dadurch, dass nicht nur inhaltliche Komponenten ausgewählt und zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen, sondern, dass auch Interaktionsmöglichkeiten und -prozesse definiert, entworfen und dauerhaft funktionsfähig implementiert werden müssen. Es überrascht daher nicht, dass sich einzelne Publikumsverlage für entsprechende Produkte im Kinder- und Jugendbuchbereich zunehmend an der Game-Entwicklung orientieren, in der derartige Koordinationsleistungen zwischen Inhalten und Interaktionen üblich sind. Ein damit verbundenes neu entstehendes Berufsfeld wäre zwangsläufig das Multimedialektorat.

Im wissenschaftlichen Bereich werden die größten Potentiale für marktfähige erweiterte und interaktive Publikationsformen im Lehrbuchbereich gesehen. Die wissenschaftliche Fachkommunikation wird sich den Möglichkeiten vermutlich erst dann weitreichend öffnen, wenn die für ihre Ansprüche notwendigen Voraussetzungen einer zeitstabilen Vorhalten (Langzeitarchivierung) sowie die Datenintegrität umfassend garantiert werden können. In diesem Zusammenhang wurden die Daten- und Schnittstellenkompatibilität als bestehende Herausforderung benannt und zugleich der Wunsch geäußert, dass sich die DFG stärker um entsprechende Standardisierungen bemüht. Zudem ist für dynamische und gerade auch durch Nutzer_innen konfektionierbare Publikationsformen das Problem der Zitierbarkeit gegeben. An diesem Punkt zeichnet sich für das Enhanced Publishing noch keine praktikable Lösung ab.

Die mögliche Verdrängung von Verlagen aus dem Publikationsgeschäft durch aktiv Publikationsstrukturen schaffende Bibliotheken oder auch andere neue Anbieter wurde erwartungsgemäß ebenfalls diskutiert, Man konnte sich mehr oder weniger darauf verständigen, dass deren Expertise im Bereich der Vernetzung von Autor_innen und Leser_innen sowie der Distribution von Inhalten momentan nicht ersetzbar ist. Dies gilt freilich vor allem im Publikumsbereich. Im Wissenschaftsbereich ist vorstellbar, dass Verlage als spezialisierte Dienstleister zum Beispiel für die Qualitätssicherung neue Rollen finden. Die wissenschaftlichen Bibliotheken werden an dieser Stelle in der Rolle von Kooperations- und Vernetzungspartner zwischen Wissenschaft und eben diesen Publikationsdienstleistern gesehen, was den Kreis zu den oben benannten neuen Berufsbildern schließt. Digitale Editionen übernehmen dabei die Funktion von Best-Practice-Beispielen und könnten ein erstes Erfahrungsfeld in diesem Bereich werden.

Ein weiterer Bereich, in dem derzeit viele Fragezeichen und kaum anwendungsfähige Erfahrungen vorliegen, bleibt die Finanzierung. Erweiterte Publikationen sind derzeit für die wenigen Publikationsverlage, die sich in diesem Feld engagieren, selten mehr als (teure) Versuchsballons. Im wissenschaftlichen Bereich, in dem zusätzlich Aspekt wie Open Access, Open Data und eventuell auch Open Source eine Rolle spielen, ist noch völlig unklar, wie sich die aufwendigen Entwicklungsleistungen gegenfinanzieren lassen. Das aus dem Open-Access-Bereich bekannte Problem, für das aktuell Publikationsfonds als vielversprechenster Lösungsansatz verhandelt werden, spiegelt sich hier noch einmal in erhöhter Komplexität, zumal die tatsächlich Nachfrage nach generellen Enhancements seitens der Fachkulturen, wie obenstehend bereits angedeutet, sehr überschaubar ist. Für einzelne Aspekte ist sie dagegen durchaus feststellbar – beispielsweise für niedrigschwellige Möglichkeiten der Veröffentlichung von Forschungsdaten. Ob dies jedoch im Rahmen von Enhanced Publications diskutiert werden sollte oder nicht vielleicht besser als eigenständiger Betrachtungsbereich angesehen werden muss, bleibt auch nach dem Workshop offen.

(Berlin, 29.03.2016)

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