In den Fu-PusH-Dossiers werden die im Projekt erhobenen Forschungsdaten ausgewertet und zusammengefasst. Die Datengrundlage des vorliegenden Dossiers umfasst die 192 Statements, die mit Rechtsgrundlage gefiltert wurden.
Kernaussagen
- Die zentralen Rechtsgebiete für das wissenschaftliche Publizieren sind das Urheberrecht (Publikationen) sowie das Datenschutzrecht (Forschungsdaten).
- Die geltenden urheberrechtlichen Regelungen werden als unzureichend für die Anforderungen einer digitalen Wissenschaft empfunden.
- Es besteht der Wunsch nach einer Stärkung der Nutzungsrechte an Publikationen bzw. Forschungsdaten durch Forschende, wobei die Notwendigkeit eines Interessensausgleiches zwischen allen Beteiligten betont wird.
- Eine offene Wissenschaft im Sinne des Open-Access-Gedankens erfordert die Einbettung in einen verlässlichen Rechtsrahmen.
- Eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke des Urheberrechts wird zwar begrüßt, aber zugleich wird auf die damit einhergehende Privilegierung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hingewiesen.
- Forschende könnten bereits viel gewinnen, wenn sie kompetenter und konsequenter ihre Rechte wahrnehmen und wissenschaftsfreundlichere Autorenverträge aushandeln.
- Infrastruktureinrichtungen wie beispielsweise Bibliotheken sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beim Aushandeln von Autorenverträgen aktiv unterstützen und insbesondere darauf hinweisen, dass die Übertragung ausschließlicher Nutzungsrechte an die Verlage den Interessen der Wissenschaft grundsätzlich entgegen steht.
- Lizenzmodelle wie Creative Commons werden als geeignetes Mittel zur Spezifizierung von Verwertungs- bzw. Nutzungsrechten für Forschende angesehen.
- Die empfohlene Creative-Commons-Lizenz ist für alle Publikationselemente, die dem wissenschaftlichen Anspruch an Nachvollziehbarkeit entsprechen sollen, die CC-BY-Lizenz; dagegen wird die CC-0-Lizenz für Norm- und Metadaten empfohlen.
- Die Veröffentlichung und Nachnutzung von Forschungsdaten ist ein zentrales Thema mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten sowohl hinsichtlich des Urheberrechts als auch des Datenschutzrechts.
- Ein großes Problem stellt die Verfügbarkeit von in Gedächtnisinstitutionen vorgehaltenen Forschungsmaterialien dar, für die Zugang, Digitalisierungsmöglichkeiten und vor allem die Nachnutzungsoptionen oft erheblich durch hausrechtliche Regelungen und institutionelle Urheberechtsansprüche eingeschränkt werden.
- Die Handlungsfelder zeigen sich für Bibliotheken und Infrastrukturdienstleister vor allem in der Kompetenzvermittlung bei Rechtsfragen sowie beim Aufbau von wissenschaftsfreundlichen und zugleich rechtssicheren Publikationsinfrastrukturen.
Rechtliche Aspekte beim wissenschaftlichen Publizieren
Aktuelle Rechtsthemen
In den Fu-PusH-Dossiers werden die im Projekt erhobenen Forschungsdaten ausgewertet und zusammengefasst. Die Datengrundlage des vorliegenden Dossiers umfasst die 36 Statements, die mit sowohl mit Verlage als auch mit Empfehlungen gefiltert wurden.
Auswertung
Empfehlungen für kommerzielle Verlage werden von vielen Befragten gar nicht erst ausgesprochen, da zumeist davon ausgegangen wird, dass deren wirtschaftliche Interessen deutlich schwerer wiegen als die Anforderungen, die von Seiten des Wissenschaftsbetriebes formuliert werden (475). Während im Printbereich schlicht empfohlen wird “gute Bücher” zu machen (2730), werden im Bereich des elektronischen Publizierens die Mehrwerte von kommerziellen Verlagen sogar generell in Frage gestellt (497).
Mit Nachdruck wird betont, dass Wissenschaftsverlage neue Geschäftsmodelle entwickeln sollten und Mehrwerte schaffen, die über das hinaus gehen, was die Autorinnen und Autoren bereits selbst leisten können bzw. müssen (2797).
Insbesondere wird empfohlen, dass sich Verlage auf den Service-Bereich konzentrieren und ihre traditionellen Kompetenzen wie Lektorat, Layout, Redaktionsworkflows oder Organisation des Peer Reviews als Dienstleistungen anbieten (1056).
Tragfähige Geschäftsmodelle werden in Zukunft vor allem im Open-Access-Bereich erwartet (639). Allgemein wird gefordert, dass Verlage innovative und experimentelle Publikationsszenarien erproben (787, 1198).
Es wird für denkbar gehalten, dass an der Entwicklung von alternativen Publikationsplattformen auch kommerzielle Verlage beteiligt sein könnten (2964). Generell sollten auch geisteswissenschaftliche Verlage bezüglich der Informations- und Kommunikationstechnologie auf dem neuesten Stand sein (1357).
Im Sinne einer Offenen Wissenschaft wird gefordert, dass Verlage den Begutachtungsprozess und die jeweiligen Bewertungskriterien transparent darstellen sollten (228). Ebenso wird erwartet, dass Verlage die jeweilige Auflagenhöhe bekannt geben (492).
Verlage sollten den Autorinnen und Autoren entgegenkommen, wenn diese Teile ihrer Publikationen vorabveröffentlichen möchten, etwa um ein Feedback aus der Community zu erhalten (234, 1353). Darüber hinaus wird als wünschenswert empfunden, dass Verlage prinzipiell Zweitveröffentlichungen gestatten (2958).
Es sollte eine stärkere Kooperation zwischen Verlagen, Infrastruktureinrichtungen und den Forschenden geben (308, 787). Insbesondere sollten kommerzielle Verlage sich stärker an den Bedürfnissen von Forschungseinrichtungen orientieren und ein besseres Verständnis über Hochschulstrukturen gewinnen (1356). In jedem Falle sollten sich Infrastruktureinrichtungen und Verlage nicht als Kokurrenz ansehen (1978).
Gleichwohl wird durchaus befürwortet, dass Infrastruktureinrichtungen selbst publizierend und verlegerisch tätig werden (2717). In diesem Zusammenhang wird vor allem die Rolle der Reputation betont, die Publikationsangebote aus dem bibliothekarischen bzw. infrastrukturellen Bereich erst aufbauen müssen (188).
Die Gründung von Universitätsverlagen wird allerdings eher skeptisch bewertet (511, 612). In jedem Falle sollten verlegerische Tätigkeiten im akademischen Bereich einem Bottom-up-Ansatz folgen, also aus fachwissenschaftlichen Initiativen entstehen (772, 803). Bestehende Universitätsverlage sollten sich fachlich profilieren und unter einander stärker kooperieren (805). In diesem Zusammenhang wird nachdrücklich betont, dass die Übernahme von verlegerischen Tätigkeiten mit einer Verstärkung personeller Ressourcen einhergehen muss (1314). Es wird dafür geworben, dass Verlage nicht primär gewinnorientiert, sondern kostentragend arbeiten sollten (1861). Insgesamt wird die Vielfalt der Verlagslandschaft als erhaltenswertes Gut angesehen (511).
Historisch gesehen kam die Aufgabe der Bewahrung und Archivierung von Publikationen nicht den Verlagen selbst zu, sondern wurde vor allem von Bibliotheken übernommen. Daher besteht weitgehendes Einverständnis darüber, dass diese Herausforderung der digitalen Langzeitarchivierung und -verfügbarkeit ebenfalls nicht von kommerziellen Publikationsdienstleistern, sondern von öffentlich finanzierten Infrastruktureinrichtungen übernommen werden sollte (1057).
(Berlin, 08.02.2016)
In den Fu-PusH-Dossiers werden die im Projekt erhobenen Forschungsdaten ausgewertet und zusammengefasst. Die Datengrundlage des vorliegenden Dossiers umfasst die 45 Statements, die mit sowohl mit Autoren als auch mit Empfehlungen gefiltert wurden.
Kernaussagen
- Autorinnen und Autoren sollten mit dem wissenschaftlichen Verlagswesen und alternativen Publikationsoptionen vertraut sein.
- Forschende sollten sich bewusst und möglichst frühzeitig im Forschungsprozess eine Publikationsstrategie erarbeiten.
- Autorinnen und Autoren sollten mehr Verantwortung bei der Aushandlung von Verlagsverträgen insbesondere bei der Rechteübertragung übernehmen.
- Das Open-Access-Publizieren wird empfohlen sowohl für Erstpublikationen (Gold Open Access) als auch für Zweitpublikationen (Green Open Access).
- Forschende sollte Infrastrukturanbieter als Partner im Forschungsprozess begreifen und ihre fachspezifischen Bedarfe klar formulieren.
- Autorinnen und Autoren sollten sich nicht an Publikationsformaten, sondern an der Funktion der Wissenschaftskommunikation orientieren.
Auswertung
„The demographic of print readers is thought to be an aging, behind-the-times cohort of the sort of people who still get paper copies of newspapers.“
Mit dieser mehr oder weniger selbstinduzierten Einschätzung erläutert Michael Chibnik als Herausgeber der Zeitschrift American Anthropologist (AA) in der Early-View-Fassung des Editorials für die nächste und offenbar letzte gedruckte Ausgabe, warum sich die Zeitschrift demnächst als reine Digitalausgabe versteht. Er rettet die leicht pejorativ anmutende Rhetorik ein wenig dadurch, dass er sich per Fußnote selbst zum Angehörigen dieser verschwindenden Epoche zählt. Interessant ist in der Nebensache, wie auch hier die Digitalisierung von Journalismus (=newspapers) und dem wissenschaftlichen Publizieren im selben Kontext, nämlich dem des Trends zur digitalen Rezeption, erscheint. In der Hauptsache lässt sich im Goodbye to Print betitelten Editorial aber auch erkennen, wie eine Triebkraft hinter dem Schritt eine ökonomische ist:
„The association will be able to save the significant amounts of money that have been spent printing and distributing paper copies of AA.“
Die andere Kraft ist die des tatsächlichen Nutzungsverhaltens. Offenbar hat beispielsweise an Chibniks Universität für eine ganze Weile niemand gemerkt, dass die Printausgabe längst abbestellt worden war. Man liest, wie ich übrigens auch, heute mehrheitlich wissenschaftliche Fachaufsätze über den Onlinezugang der Bibliothek und wenn ein Text interessant erscheint, dann druckt man ihn eben am Schreibtisch extra aus.
Eine aus Sicht unseres Projektes interessante Überlegung ist die Ablösung der Idee der Einzelausgabe (issue), die im Digitalen formal ein Anachronismus ist, und die Ersetzung durch content streams. Letztere sind in Grundzügen dank der Early-View-Angebote auf vielen Publikationsplattformen bereits realisiert. American Anthropologist wird die ausgabenbasierte Erscheinungsweise dennoch, wenn auch mit antizipiert schwindender Bedeutung, vorerst beibehalten:
„The primarily digital nature of AA in the future can only accelerate the diminishing importance of “issues.” Readers will no longer be able to browse through a paper copy of the journal that arrives in the mail, looking at whatever catches their eye. Instead, they will likely receive electronic alerts when an issue comes out accompanied by a list of contents. „
Die Folgefrage, inwieweit nach dem angekündigten Abschied vom Print und von der Erscheinungsform in Issues das Format der Zeitschrift selbst zeitstabil bleiben kann, wird vorerst ausgespart. Diese Überlegung käme möglicherweise auch zu zeitig. Denn bisher geht es allein darum, die digitale Präsenz der Zeitschrift allgemein zu verstärken. Michael Chibnik betont die forcierte Umstellung auf die Online-Variante damit, dass beim American Anthropologist bisher wenig in dieser Richtung geschieht. Der Schritt setzt dahingehend ein Zeichen und zwar explizit für die ihm nachfolgenden Herausgeber.
Das man laut Selbsteinschätzung bei den Ausgaben hinter den digitalen Möglichkeiten zurückbleibt, liegt nicht unbedingt an der Redaktion selbst, die durchaus Möglichkeit zum erweiterten Publizieren anbietet:
„Right now AA does relatively little online. Authors of research articles have the option of providing online-only, unedited “supplementary information.” This can include material such as interview transcripts, large tables, complex figures, and videos. Despite my urging, few authors have taken advantage of the opportunity to present material in this way.“
Die enhanced-article-Optionen von Blackwell-Wiley werden für die Rezipienten angeboten, wobei ebenfalls nicht klar ist, wie intensiv diese Funktionalitäten genutzt werden.
Etwas wird Michael Chibnik allerdings vermutlich vermissen:
„One minor casualty of the switch to digital may be AA’s cover. … The small cover image on the journal website cannot be enlarged. It would probably not be difficult to provide an enlargeable cover on the website in the future. Even so, the impact of an electronic cover seems considerably less than that of a print cover.“
Das wäre dann so eine Art Schallplatteneffekt. Aber glücklicherweise, auch für den Editor-in-Chief selbst, geht man bei der Neuorientierung auf e-only am Ende doch nicht aufs Ganze. Wer mag, kann sich die Zeitschrift gegen Aufpreis nach wie vor als Printausgabe zusenden lassen. Michael Chibnik wird dies tun. Ob der American Anthropologist dann mit oder ohne Cover im Postfach landet, ist aktuell nicht bekannt.
(bk, Berlin, 02.11.2015)
Quelle:
Michael Chibnik (2015): Goodbye to Print. In: American Anthropologist. Early View (Article first published online: 28 September 2015) DOI:
von Ben Kaden (@bkaden)
Ende September gab es ein Ereignis, auf das wir aus der Fu-PusH-Perspektive unbedingt noch hinweisen müssen. Mit der Open Library of Humanities ging ein geisteswissenschaftliches Metajournal online, das versucht, den digitalen Möglichkeiten und den Ansprüchen der Zielgruppen gleichermaßen gerecht zu werden. Der Wille, etwas Neues zu schaffen, zeigt sich bereits im Veröffentlichungszyklus. Der Wille, ganz oben auf der Reputationsskala nicht etwa zu landen sondern gleich zu starten zeigt sich in der sehr selbstbewussten Selbstbeschreibung:
„The Open Library of Humanities journal publishes internationally-leading, rigorous and peer-reviewed scholarship across the humanities disciplines: from classics, theology and philosophy, to modern languages and literatures, film and media studies, anthropology, political theory and sociology.“
Die geplante wöchentliche Erscheinungsweise folgt dem Modell der großen naturwissenschaftlichen Titel und strukturell wie namenstechnisch sicher nicht zufällig der Public Library of Science (PLOS).
Das Modell des Meta- bzw. Megajournals impliziert, dass es sich nicht um eine einzelne Zeitschrift sondern um eine Plattform handelt, auf der unterschiedliche Zeitschriften (oder thematische Kollektionen) erscheinen können. Das alles geschieht Open Access und ohne Article Processing Charges, die für viele GeisteswissenschaftlerInnen ohnehin eine kaum zu nehmende Hürde darstellen. Die Ursache liegt besonders in Großbritannien und den USA auch darin, dass den Geisteswissenschaften große Teile der Förderung weggestrichen werden (in Japan versucht man offenbar, sie völlig aufzulösen). Die Kosten bei der OLH werden stattdessen von einem Bibliothekskonsortium getragen, dass um den Wert dieser Fächer genauso weiß, wie darum, dass die geisteswissenschaftliche Wissenschaftskommunikation dringend eine neue und gegenwartstaugliche Fassung benötigt. Damit erhält übrigens en passant die in den Fu-PusH-Interviews oft und intensiv diskutierte Frage, inwieweit Bibliotheken selbst als publizierende Akteure aktiv werden sollten, eine Antwort: Sie finanzieren kollaborativ eine übergeordnete Plattform, die außerhalb des kommerziellen Verlagswesens stehend Open Access als Non-Profit-Variante ermöglicht:
„Indeed, the model that underpins the platform is novel for humanities journals: many libraries all paying relatively small sums into a central fund that we then use, across our journal base, to cover the labour costs of publication once material has passed peer review. Libraries that participate are given a governance stake in the admission of new journals. While this model is strange in many ways (as libraries are not really buying a subscription since the material is open access), it works out to be extremely cost effective for participants. In our first year, across the platform, we look set to publish around 150 articles. For our bigger supporting institutions, this is a cost of merely $6.50 per article. For our smallest partners, it comes to $3.33. This economy of charitable, not-for-profit publishing works well at 100 institutions. It should work even better with the 350 libraries that we are aiming to recruit to our subsidy scheme in the first 3 years after launch.“
Hier besteht also auch für das deutsche Bibliothekswesen noch genügend Spielraum, sich zu positionieren.
Mit der Finanzierung wirkt offensichtlich auch eine bibliothekarische Kompetenz in das Projekt hinein. Die OLH übernimmt nicht nur vorgegebene Lösungen, sondern möchte selbst als Pilot neue Publikationsvarianten sowohl technisch wie auch organisatorisch anregen, was uns aus Sicht eines zugegeben sehr viel winzigeren Forschungsprojektes mit nicht ganz unähnlicher Ausrichtung selbstverständlich hochsympathisch ist. Die Bandbreite der Aufzählung mit den Entwicklungsfeldern deckt die Bedarfe, die uns die befragten GeisteswissenschaftlerInnen sowie VertreterInnen aus dem Bereich der Wissenschaftsinfrastruktur nannten, mehr als ab:
„including multi-lingual publishing, inter-lingual translation facilities, annotation and pedagogical integration, and post-publication peer review/discussion.“
Mehrsprachiges Publizieren ist in den deutschen Geisteswissenschaften nämlich eher ein Nebenthema und auch die pädagogische Komponente (= Lehre) ist nicht übermäßig präsent. Aus bibliothekswissenschaftlicher Sicht ist zudem ein weiterer Anspruch des Angebots hochinteressant:
„[t]o improve further the indexing and discoverability of our platform through cross-site search and integration with a range of aggregation services that feed into library platforms“
Aus der Berliner Sicht wünschten wir uns natürlich, dass lieber früher als später auch die deutsche Bibliothekswissenschaft den Anschluss an solche Projekte findet.
Dass das Unterfangen ein Wagnis ist, wissen auch Martin Eve und Caroline Edwards, die Direktoren der OLH. In ihrem Einstiegseditorial betonen sie, dass, obschon es eigentlich kaum einen guten Zeitpunkt zur Gründung eines Journals gibt, das Jahr 2015 ein besonders wenig günstiger Moment ist. Man könnte da sicher auch Gegenargumente finden, aber an sich stimmt die Zeitdiagnose, aus der diese Einsicht entspringt: das Digitale bietet unvergleichliche technische Möglichkeiten und führt zu schwer absehbaren sozialen Erwartungen. Parallel verlieren geisteswissenschaftliche Zeitschriften massiv an Bedeutung, was unter anderem daran liegt, dass die Bibliotheken aufgrund steigender Subskriptionskosten (in der Regel für nicht-geisteswissenschaftliche Materialien) gezwungen sind, Titel abzustellen. Andererseits, so die Autoren, ist Open Access eine riesige Chance und zwar dahingehend, dass die Geisteswissenschaften durch die neuen Disseminationsmöglichkeiten befähigt werden, die Grenzen ihrer Fachcommunities zu überschreiten und eine deutlich größere Öffentlichkeit zu erreichen.
Dafür, dass das gelingt, nahm man sich Zeit und entwickelte in zweieinhalb Jahren, also mit bibliothekarischer Gründlichkeit, ein Konzept, dessen Umsetzung auch zuversichtlich den Aspekt des Wachstums („scalability“) enthält. Ob diese Planung aufgeht, ist freilich noch nicht abzusehen und hängt maßgeblich von der Akzeptanz in den jeweiligen Fachgemeinschaften ab. Als Versuch wirkt die OLH aber außerordentlich vielversprechend und ist ein schönes zweites Modelle neben der bisher in der Anmutung doch noch deutlich eleganteren Blog-Plattform Hypotheses um geisteswissenschaftliche Fachkommunikation mit den Bedingungen und Möglichkeiten des Digitalen angemessen und vielleicht auch ein wenig mutig zu interpretieren. Ob das perspektivisch eher mit WordPress oder Open Journal Systems oder beidem oder einer neuen technischen Grundlage geschieht, wird sich dann auch noch zeigen.
Martin Eve, 10.16995/olh.46
Opening the Open Library of Humanities. Editorial. In: Open Library of Humanities, Vol.1, Iss. 1. DOI:
Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)
Beschäftigt man sich mit der Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens, so ist – derzeit jedenfalls noch – von großer Bedeutung, welche Vorstellungen die Wissenschaftsverlage, tradierte Intermediäre zwischen den Publikationen und den Bibliotheken als Großabnehmern, von dieser haben. Wenn nun Anke Beck, Geschäftsführerin des Verlages Walter De Gruyter, im Berliner Bibliothekswissenschaftlichen Kolloquiums (BBK) des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin die „Positionierung eines mittelständischen Verlages“ in der aktuellen wissenschaftsverlegerischen Landschaft beschreibt, ist das folglich ein vielversprechender Termin. Und in der Tat erhielt man als Beobachter einen sehr guten Einblick in das Denken, Planen und Selbstverstehen solcher Akteure.
Anke Beck mühte sich sichtlich, eventuellen Vorurteilen und nicht nur positiven Einschätzungen präventiv entgegenzuwirken, die nicht zuletzt während der recht offensiven und öffentlichkeitswirksamen Umstrukturierungen durch ihren Vorgänger Sven Fund gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich und auch im Bibliothekswesen entstanden. De Gruyter, so betonte sie, sei ein Familienbetrieb, dem es gerade nicht um die Erhöhung des Shareholder-Value ginge und der auch jeder Börsenhandelslogik enthoben wirtschaften kann. Damit macht er jährlich etwa 50 Millionen Euro Umsatz. Im Vergleich zu den wirklich großen Verlagen, Springer und Elsevier zum Beispiel, ist das nicht nur auf dem Tortendiagramm, mit dem die Betonung der Überschaubarkeit unterstrichen wurde, wenig. Sondern auch objektiv. Mit 300 MitarbeiterInnen besitzt De Gruyter etwa die Größe des Wiener Springer Verlags. Diese sorgen dafür, dass u.a. 1300 Buchtitel im Jahr und 700 laufende Zeitschriften erscheinen und die 40 Datenbanken gepflegt werden. Im Vergleich zu anderen mittelständischen Wissenschaftsverlagen in Deutschland ist das wiederum gewaltig.
Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)
Die Beobachtung von Trends im Bereich der Enhanced Publikationen im Rahmen des Fu-PusH-Projektes zeigt, dass es für das erweiterte Publizieren im Web derzeit einen besonders heißlaufenden Innovationsinkubator gibt. Dieser befindet sich nicht im Feld der Wissenschaft sondern im Onlinejournalismus. Das NiemanLab, stabil zu empfehlender Anlaufpunkt zu Entwicklungen in diesem Bereich, veröffentlichte daher gestern einen Beitrag, in dem Ideen des Facebook-CEOs Mark Zuckerberg zur Zukunft einer Facebook-moderierten journalistischen Arbeit zusammengefasst werden.
Auffällig ist an dieser Entwicklung, dass die Einbindung und Dissemination von journalistischen Inhalten (man kann beim Digital Journalism wohl nicht mehr wirklich von Presse und vermutlich auch nicht mehr von Artikeln sprechen) in diesem Szenario nicht mehr als Erweiterung verstanden werden kann. Vielmehr wird das Soziale Netzwerk direkt zur Publikationsplattform. Inwieweit die Inhaltsobjekte unanabhängig genug sind, um auch außerhalb von Facebook vernetzt zu werden. Eindeutig lässt sich jedoch auch hier ein Anspruch an Granularisierung, also das Zergliedern von Inhaltselementen bzw. Teilen einer Story in separat publizier- und vielleicht kombinierbare Einheiten feststellen. Zuckerberg:
„There’s an important place for news organizations that can deliver smaller bits of news faster and more frequently in pieces.“
Die zweite aus Sicht der Publikationserweiterungen relevante Entwicklung zeichnet sich im Bereich multimedialer Inhalte bzw. „rich content“ ab:
„On richness, we’re seeing more and more rich content online. Instead of just text and photos, we’re now seeing more and more videos. This will continue into the future and we’ll see more immersive content like VR. For now though, making sure news organizations are delivering increasingly rich content is important and it’s what people want.“
Inwieweit sich gerade aus der Prognose einer zunehmenden Bedeutung von Prinzipien der virtuellen Realität – ein Ansatz an dem sich vor einigen Jahren aus einer anderen Warte der Hype um Second Life abarbeitete – auch in die Wissenschaft einbringen werden, muss man genauso abwarten, wie die Klärung, ob und wie weit man in solchen Zusammenhängen überhaupt noch von Publikationen sprechen kann. Die virtuellen Forschungsumgebungen wurden jedenfalls vorerst weitgehend als zu mächtig, teuer und unpraktisch für die alltägliche Forschungsarbeit zugunsten einzelner und weniger aufwendiger digitaler Werkzeuge als Entwicklungshorizont für die digitale Wissenschaft zurückgestellt.
Geht man jedoch zum Beispiel im Feld der Digital Humanities davon aus, dass sich einzelne Elemente (z.B. 3D-Simulationen) sinnvoll und leicht zugänglich so granularisieren lassen, dass sie entweder als Laborsimulationen oder als Forschungsdokument in den Prozess der wissenschaftlichen Kommunikation eingebunden werden können, ist es keinesfalls abwegig, auch derartige Elemente für zukünftige Publikationsszenarien in den Geisteswissenschaften in Betracht zu ziehen.
Was multimediale Inhalte betrifft, stellt das Urheberrecht bekanntlich nach wie vor eine ganz zentrale Hürde für eine stärkere Verbreitung dar. Im Idealfall produzieren die WissenschaftlerInnen derartige Inhalte natürlich selber, wie es beispielsweise bei der Visuellen Anthropologie ja schon lange geschieht. Erforderlich wäre hierfür jedoch eine einschlägige Medienkompetenz, die in den Methodenkanon der meisten Fächer erst noch integriert werden müsste. Darüber, ob visual storytelling überhaupt eine Option zur Kommunikation von Forschungsresultaten bzw. zur Gestaltung von Forschungsnarrativen sein kann oder sollte, müssen sich zudem die entsprechenden Fachgemeinschaften überhaupt erst einmal verständigen und dann passende Formate entwickeln.
Insofern bestehen durchaus deutliche Unterschiede zwischen dem webbasierten Publizieren im Journalismus und digital vermittelter wissenschaftlicher Kommunikation. Das sollte die am Thema wissenschaftlichen Publizieren Interessierten allerdings nicht davon abhalten, die Entwicklungen im digitalen Journalismus, die meist mit deutlich höheren Entwicklungs- und Experimentierbudgets ausgestattet sind, im Blick zu behalten. Die genannten Grundprinzipien – Granularisierung z.B. zu Nanopublikationen, multimediale Anreicherungen und partiell auch Simulationen – und auch der Wunsch nach Beschleunigung der Vermittlung weisen durchaus eine gewisse Deckung mit den Ansprüchen wissenschaftlichen Publizierens auf. Und nicht zuletzt vom Datenjournalismus kann die Wissenschaft hinsichtlich des Aspektes der Visualisierung und Forschungsdatenpublikation sehr viel lernen.
NiemanLab / Laura Hazard Owen: Mark Zuckerberg has thoughts on the future of news on Facebook. In: niemanlab.org, 30.06.2015
Eine Anmerkung von Ben Kaden (@bkaden)
Im Deutschlandfunk konnte man unlängst einen Dialog hören, der alle, die sich permanent im Bereich digitaler Wissenschaftskommunikation und z.B. auch den Digital Humanities bewegen, noch einmal daran erinnern könnte, dass zwischen dem, was für sie selbstverständlich scheint und dem, was wissenschaftsgesellschaftlicher Mainstream ist, eine deutliche Lücke besteht. Benedikt Schulz unterhielt sich mit dem Wissenschaftssoziologen Peter Weingart über Open Access und führte zum Ende des knappen Interviews noch einmal eine Grundfrage an:
„Vielleicht mal mit Blick in die Zukunft: Wird denn digitale Publikation das wissenschaftliche Arbeiten an sich verändern?“
Für uns ist das ja eher ein Blick in die jüngere Vergangenheit, denn die Veränderung ist längst da und an vielen Stellen führte sie zu neuen Quasi-Standards. Peter Weingart betont dies ja auch in seiner Antwort:
Audiodatei abrufbar unter:
Transkriptionsprotokoll abrufbar unter:
Das Gespräch mit Christian Heise, Politik- und Kulturwissenschaftler am Centre for Digital Cultures (CDC) an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Vorstandsmitglied der Open Knowledge Foundation, führte Michael Kleineberg am 15. Januar 2015 im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin.
Christian Heise hat unmittelbar vor Beginn des Gespräches einer Veröffentlichung sowohl der Audiodatei als auch des Transkriptionsprotokolls zugestimmt. Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden personenbezogen Passagen der Aufzeichnung zum Teil unkenntlich gemacht (Stille bei fortlaufender Audiodatei) und entsprechende Auslassungen im Protokoll als solche gekennzeichnet.
Diese exemplarische Veröffentlichung ist im Rahmen der projektbezogenen Experteninterviews ein Einzelfall und soll vor allem einer transparenteren Methodik dienen. Allen anderen GesprächspartnerInnen wurde ausdrücklich zugesichert, dass die Audioaufzeichnungen unter keinen Umständen veröffentlicht und die Transkriptionsprotokolle lediglich in Auszügen und streng anonymisiert Eingang in Publikationen finden werden.
Das Fu-PusH-Team bedankt sich bei Christian Heise für die Bereitschaft zur Veröffentlichung!
von Ben Kaden (@bkaden)
An der Universität Leipzig wird ab diesem Frühjahr ein peer reviewed Open-Acess-Journal mit dem Namen Digital Classics Online erscheinen. Das meldete gestern die Universität Pressemitteilung: „Digital Classics Online“: Leipziger Historiker geben neue elektronische Zeitschrift heraus.
Inwieweit Aspekte des Enhanced Publishing dort einfließen werden, ist noch nicht erkennbar. Von der Ausrichtung und der Verortung im Digital-Humanities-Bereich würde das aber ausgezeichnet passen. In der Pressemitteilung betont die Mitherausgeberin Charlotte Schubert zudem:
„[D]ie technischen Möglichkeiten in der Wiedergabe von Multi-Media-Inhalten sind neu und waren bisher so nicht realisierbar.“