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Open Access in Berlin: Heiße Luft oder Hot Topic?

Ein Gastbeitrag von Anne Baillot

Nach der Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities 2003 schien sich bis zum 10jährigen Jubiläum derselben in der Hauptstadt in Sachen Open Access noch nicht sehr viel bewegt zu haben. Die Tatsache, dass die Implementierung der im Jahr 2003 unterzeichneten Ziele einige Institutionen nach wie vor vor große Herausforderungen stellte, regte den Einstein-Zirkel Digital Humanities 2015 dazu an, in Form von Interviews mit VertreterInnen einschlägiger Forschungseinrichtungen aus Berlin und Brandenburg den Status quo in der geisteswissenschaftlichen Forschung zu erheben, Best Practices zu erfassen und Zukunftsperspektiven darzustellen. Doch noch ehe die Interviewergebnisse ausgewertet und veröffentlicht werden konnten, hat die Thematik eine neue Dimension gewonnen. Open Access gehört inzwischen zur Digitalen Agenda der Hauptstadt; die Max-Planck-Gesellschaft hat eine Gold-OA-Offensive unter dem Banner „OA2020“ hervorgetrommelt und in einem offiziellen Amtsakt wird eine neue Bekräftigung der Berliner Erklärung von einigen Schlüsselakteuren veröffentlicht und beworben. Zentral scheint nicht nur die Frage zu sein, welche Formen von Wissenschaft Open Access ermöglichen, sondern auch, wenn nicht vorrangig, welche Art von Wissenschaftspolitik.

Das Open-Access-Kapitel des vom Einstein-Zirkel vorbereiteten Sammelbandes, der im Juni 2016 unter dem Titel Berliner Beiträge zu den Digital Humanities erscheinen wird, widmet sich dem Thema Open Access in den Geisteswissenschaften. Es enthält neben Aufsätzen (bereits als Preprint: „Open Humanities?“ von Michael Kleineberg) die Ergebnisse und das Wortlaut von 2015 an einschlägigen Einrichtungen durchgeführten Interviews zum Thema Open Access. Ausgangspunkt der Reflexion war die einmalige Situation der deutschen Hauptstadt, in der Open Access geisteswissenschaftlich Forschende an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ebenso betrifft wie GLAM-Einrichtungen (Galerien, Bibliotheken, Archive, Museen). Es ist diese einmalige Berlin-Brandenburgische Landschaft, die in den Mittelpunkt der Open Access-Interviews gerückt wurde.

Die Interviews gehen auf die breit gefächerten, auf die Bedürfnisse der jeweiligen Einrichtung zugeschnittenen, in den Jahren seit der Berlin Declaration jeweils entwickelten Portfolios ein. Der pragmatische Teil der Auseinandersetzung mit dem Open-Access-Prinzip im Bereich der geisteswissenschaftlichen Forschung wird damit deutlich: Wer Lust hat, Open Access zu publizieren, findet in Berlin und Umgebung in seiner Einrichtung einen erprobten Weg, dies zu tun. Doch die Hauptfrage bleibt: Wer hat Lust, Open Access zu publizieren, und wer kann es sich leisten? An dieser Stelle gilt es zu unterstreichen, dass trotz der ebenfalls vielfältigen Beratungsangebote der jeweiligen Einrichtungen die Kluft zwischen Reputation und Leserschaft bei den WissenschaftlerInnen nach wie vor nicht überbrückt zu sein scheint: Papier ist für die Reputation, Open Access um gelesen zu werden, wobei Ersteres die akademischen Karrieren dominiert.

Aber es geht bei Weitem nicht nur um akademische Karrieren. Ein Blick nach Frankreich, wo die Verankerung von Text und Data Mining im neu entstehenden „Digitalen Gesetz“ von WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen im Gespräch mit einander ausgearbeitet und debattiert wird (vgl. die Wiedergabe der Vorschläge und Gegenvorschläge zum neuen Gesetz unter dem Hashtag #PJLNumerique und auf der Webseite des Französischen Senats zu diesem Gesetz), zeigt, dass die politische, wirtschaftliche, aber auch beispielsweise gesundheitsökonomische Brisanz von Open Access, gekoppelt mit juristischen Fragen wie dem Schutz der Privatsphäre, unsere Zukunft entscheidend prägen wird. Und deswegen sollte es nicht nur darum gehen, sich zu fragen, ob NachwuchswissenschaftlerInnen ihre Preprints online stellen sollten (die Antwort darauf ist eindeutig: Ja!), und auch nicht darum, ob Bücher abgeschafft werden sollen (die Antwort darauf ist eindeutig: Nein!), sondern, welche Zivilgesellschaft dadurch entsteht, dass sie zu dieser Art von Wissen Zugang hat: Wie bringen wir unseren Kindern bei, das Internet sinnvoll zu nutzen? Welche juristischen Weichen können wir heute stellen? Wie können wir dafür sorgen, dass das, was wir heute Open Access veröffentlichen, morgen noch zugänglich sein wird? Diese Fragen sind die der Digital Humanities.

Was wir uns von der DHd 2016 merken: Das 21. Jahrhundert könnte eines der Geisteswissenschaften sein.

Vor etwa einem Jahr wies Kevin Boehnke in Science darauf hin, dass Naturwissenschaften durchaus etwas von den Geisteswissenschaften lernen könnten. In der Eröffnungskeynote der Tagung des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum (DHd), die in der vergangenen Woche in Leipzig stattfand, folgte die Computerwissenschaftlerin Katharina Anna Zweig einem solchen Erweiterungsideal aus Sicht der Informatik und damit uns das nicht sofort wieder verlorengeht, möchten wir diese Aussage als Zitat aus dem Abstract zum Vortrag „Von den ‚digital humanities‘ zu einer humanen Digitalisierung“ an dieser Stelle noch einmal dokumentieren:

Zitat Katharina Anna Zweig zum Verhältnis von Informatik und Geisteswissenschaften
Zitat Katharina Anna Zweig zum Verhältnis von Informatik und Geisteswissenschaften

Die Lücke, die die Liste der Disziplinen im Abstract lässt, liegt freilich im Bereich der Philosophie. Die angesprochenen Fragestellungen

Wie können wir […] vermeiden, dass Algorithmen verzerren, diskriminieren oder gar manipulieren?

Wie können sensible Machtbalancen zwischen Privatheit und Sicherheit, ökonomischen Erfolg und Transparenz hergestellt werden?

haben eine unverkennbar ethische Komponente, die hoffentlich während des Vortrags, die wir leider aus der Termingründen nicht hören konnten, tiefer erörtert wurden, als es dieser Teaser andeutet. Sehr sympathisch ist es uns, deren Projekt im Kosmos der Geisteswissenschaften so langsam seinem Ende zuläuft, dagegen die anschließende Aussage, auch wenn solche Prognosen auch oder gerade in der schüchternen Konjunktivform aus der Erfahrung der retrospektiven Betrachtung mit Diskursen immer schön schallen und oft schnell verrauchen:

„Es könnte das Jahrhundert der Geisteswissenschaften werden.“

Ein Stück weit, so vielleicht bis zur Hälfte, wird uns vergönnt sein, das Jahrhundert und seinen Umgang mit den Geisteswissenschaften zu beobachten. Wir werden uns bei Bedarf, sicher in einem anderen Medium, an Katharina Anna Zweig erinnern und hoffentlich noch auf diese Notiz in einer digital langzeitverfügbaren Form verweisen können.

(Berlin, 14.03.2016, Crosspost mit dem LIBREAS-Tumblr)

Quelle: Zweig[,] Katharina Anna: Von den ‚digital humanities‘ zu einer humanen Digitalisierung. In: DHd 2016. Modellierung – Vernetzung – Visualisierung[.] Die Digital Humanities als fächerübergreifendes Forschungsparadigma. Konferenzabstracts. Universität Leipzig 7. bis 12. März 2016. Duisburg: nisaba Verlag, 2016. S. 13

Publikationskulturen und Urheberrecht. Eine Überlegung zu einem Differenzierungsansatz

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

zu

Andreas Rötzer: Als wären Autoren und Verleger Gegner. In: faz.net, 01.03.2016

Auf faz.net erschien gestern eine ausführliche Positionierung des Verlegers Andreas Rötzer (Matthes & Seitz) zur geplanten Urheberrechtsnovelle. Auf den ersten Blick scheint die Sachlage relativ eindeutig: Der Vertreter eines so genannten Publikumsverlages spricht sich für einen Interessenausgleich und eine differenzierte Betrachtung von Publikationskulturen aus.

Zitat Andreas Rötzer auf faz.net
Zitat Andreas Rötzer auf faz.net, 01.03.2016

Es gibt in seiner Überlegung drei Formen des mehr oder weniger kreativen, in jedem Fall urheberrechtlich schützbaren Schreibens: die Literatur, der Journalismus und die Wissenschaft. Andreas Rötzer spricht sich dafür aus, diese drei Bereiche zwar als ähnlich, aber doch mit unterschiedlichen Ansprüchen zu betrachten.

Der Blick sowohl auf das geisteswissenschaftliche Publikationswesen als auch auf den Reportagejournalismus zeigt jedoch, dass diese Unterscheidung in der Praxis kaum funktioniert. Wie unter anderem unsere Befragungen ergaben, findet sich in vielen Fachkulturen, insbesondere der literatur- und geschichtswissenschaftlichen Disziplinen durchaus der Wunsch, mit einem an Reichweite starken Verlag mit sorgfältigsten Lektorat Ausgaben in einer Güte zur erstellen, die den von Andreas Rötzer beschriebenen Publikationsworkflows nicht nachstehen und teils vom Gestaltungswunsch (man denke an Illustrationen und Visualisierungen) sogar anspruchsvoller sein können, als literarische Texte. Auch bei bestimmten journalistischen Arbeiten steht am Ende ein möglichst hochwertig aufgearbeitetes Buch. Daher dürfte die zitierte Differenzierung eher nicht tauglich sein.

Eine andere Möglichkeit wäre eventuell, die Narrativität als Kriterium heranzuziehen: Stark formalisierte oder berichtende Textsorten, wie sie in weiten Teilen der STM-Disziplinen und im Nachrichtenjournalismus zu finden sind sind vor dem Hintergrund text- und formschöpferischer Qualität vermutlich anders zu behandeln, als deutend-erzählende Annäherungen. Eine weitere Kategorie wären Lehrbücher und enzyklopädische Werke bzw. Lexika und schließlich Wörterbücher, die sehr nah an dem liegen, was man als Datenbanken bzw. -sammlungen verstehen kann.

Bei erweiterten Publikationen, also dem Schritt ins Digitale, sind all diese unterschiedlichen Formen schließlich fast beliebig verknüpf- und kuratierbar. Überlegt man bei den Buchproduktionen, zu denen auch die meisten E-Book-Publikationen heute gelten dürften, inwieweit dem Verlag durch Lektorat, Satz und weiteren Gestaltungen eigene Schöpfungsanteile zukommen, sind bei komplexen, digitalen Werken auf einmal beispielsweise auch kuratorische Anteile zu berücksichtigen. So bilden Remixe, Mash-Ups bzw. die sogenannten nutzergenerierten Inhalte (und Erweiterungen) eine de facto Dauerherausforderung, die urheberrechtlich derzeit überhaupt nicht angemessen adressierbar ist. (Vgl. dazu u.a. Dirk von Gehlens Lob der Kopie, Rezension.)

Anstatt sich also am Literatururheberrecht zu orientieren, sollte man also zunächst möglicherweise mehr an Filmwerke denken, die in ihrer arbeitsteiligen Struktur dem näher kommen, was in elaborierten und offenen Publikationsszenarien entstehen könnte. Oder besser noch in der Verknüpfung von Plotting, Narrativ und Narrativabbildung, Codierung, Navigation und Multimedialität auf den Bereich der Computerspiele schauen, was heute freilich vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch eher absurd erscheinen dürfte. Strukturell zeigt es sich jedoch als durchaus sinnvoll. Das Konzept der sogenannten Gamifizierung erreicht so aus einer womöglich weniger erwarteten Richtung das wissenschaftliche Publizieren. Gleiches gilt, bisher viel deutlicher erkennbar, im digitalen Journalismus (vgl. zu den Parallelen auch diesen Text). Angesichts dieser Entwicklung muss man Andreas Rötzer uneingeschränkt zustimmen, wenn er seinen Artikel mit der Aussage schließt:

Aber vielleicht sollte man auch gleich einen Schritt weitergehen und nicht über eine Reform des Urheberrechts nachdenken, sondern über ein neues Urheberrecht, das im Schatten der kommenden Veränderungen durch die Digitalisierung bald dringend nötig sein wird.

Wobei wir diese Diskussion bereits seit den 1990er angedacht und seit den späten 2000-Jahren in voller Blüte kennen. (Nach wie vor online ist übrigens die Materialsammlung dazu bei IUWIS, Stichwort digitales Urheberrecht.)

(Berlin, 02. März 2016)

Jetzt online: Der Fu-PusH Statement Finder

Ein Ergebnis des Fu-PusH-Projektes ist, dass die Idee der Openness von Wissenschaft mittlerweile weithin Akzeptanz findet. Gerade der möglichst offene Zugang zu Publikationen (Open Access) und Forschungsdaten (Open Research Data) ist etwas, was auch in den Geisteswissenschaften zunehmend thematisiert und gewünscht wird. Dem wollen wir als Projekt selbstverständlich Rechnung tragen. Aus diesem Grund stellen wir die im Zuge der durchgeführten Experteninterviews zum digitalen Publizieren in den Geisteswissenschaften erhobenen, aufbereiteten und anonymisierten Daten zur Einsicht sowie zur Nachnutzung als offene Forschungsdatenpublikation im Fu-PusH Statement Finder zur Verfügung.

 

Überblicksansicht des Fu-PusH Statement Finder
Überblicksansicht des Fu-PusH Statement Finder

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»Alles Relevante auf Papier, alles andere ins Netz«? Zur Doppelläufigkeit gegenwärtiger Medienkulturen.

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Betrachtet man die Trends im geisteswissenschaftlichen Publizieren, stellt man nach wie vor eine erhebliche Affinität zum Trägermedium Papier ergo zum gedruckten (vor allem) Buch fest. Woher diese Präferenz stammt, ist nicht immer leicht zu begründen. Häufig verweist man auf den Aspekt der Sozialisierung. Dass dem nicht unbedingt so sein muss, zeigt ein Blick auf die blühende Kultur der Magazine, die wenigstens im Independent-Bereich maßgeblich von Akteuren geprägt ist, die ganz unbefangen in digitalen bzw. postdigitalen Kultur- und Kommunikationsräumen leben. Im Tumblr-Blog des Magazins Das Buch als Magazin gibt es aktuell ein Interview mit dem Magazinherausgeber und -sammler Horst Moser, das einige interessante Aspekte zum Verständnis enthält. So stellt er fest:

„Es gibt eine starke Sehnsucht, sich auf Papier zu verewigen, als Reaktion auf die flüchtige digitale Welt. Und das neue daran ist, dass es nicht Nostalgiker sind, sondern die junge Avantgarde. Print hat seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den digitalen Bewegtbildmedien abgelegt.“

Es scheint tatsächlich ein generationales Element zu sein, was die Menschen beim Druck hält. Aber nicht, wie oft vermutet, als rückständige Prägung, sondern bestimmt durch den Wunsch, dass auch zukünftige Generationen die eigenen Werke bzw., für die Wissenschaft, die eigenen Erkenntnisse, Aussagen und Argumente bei ihrer Kulturwahrnehmung berücksichtigen mögen. Oder kurz:

„Im Kern ist es die Sehnsucht, unsterblich zu werden. Sie verspüren einen Drang, etwas mitteilen zu wollen, und zwar auf einem Material von Dauer, auf Papier.“

Moser zitiert die Ansicht »Alles Relevante auf Papier, alles andere ins Netz«. Diese Differenzierung trifft man auch bei nicht wenigen Geisteswissenschaftlern an, wenn man sie nach den Potentialen des digitalen Publizierens und der Verwendung sozialer Medien als Publikationsplattformen befragt. Weblogs werden, wenn überhaupt, hauptsächlich als Prozessdokumentationen zur Forschungsarbeit akzeptiert. Auch der Blick in die Open-Access-Repositorien zeigt, dass dort eher Nebenpublikationen landen, die oft den Cut für eine ordentliche Verlagsveröffentlichung nicht schaffen und manchmal ein Einzelaufsatz aus einer lang vergriffenen Anthologie. Selbst von Verlagen publizierten E-Medien gelten gegenüber gedruckten Ausgaben häufig nur als zweite Wahl. Es ist, wenigstens heute im Jahr 2015, ausgerechnet die digitale Empirie, die diese Zurückhaltung im Publikationsverhalten stützt. Die Erfahrungen mit der Langzeitverfügbarkeit digitaler Dokumente sind naturgemäß noch sehr gering. Aber bereits die Kurzzeitverfügbarkeit über nur wenige Jahre ist oft nicht gewährleistet, wie Moser bestätigt:

„Viele unserer digitalen Archive sind nicht mehr aktivierbar. Alte Quarkdokumente kann ich nicht mehr öffnen. Die dazugehörigen Fonts sind auf Disketten. Kein Apple hat mehr ein Diskettenlaufwerk. Das gleiche bei ZIP-Speichern. Es fehlen die Lesegeräte. Dann gab’s diverse Plattencrashs. Wir haben zwar in der Regel eine doppelte Sicherung, auf Band und auf Raidsystemen. Aber auch hier gibt’s den Gau, dass also beide Systeme gleichzeitig versagen oder kaputt sind. Ich habe auch viele Fotoarchive meiner eigenen digitalen Bilder verloren. Wenn man sich vorstellt, wie das in hundert oder 500 Jahren aussieht, fürchte ich, dass dann 95 Prozent verloren sind. Das passiert ja selbst der NASA. Viele Daten von den Mondlandungen aus den Siebziger Jahren können nicht mehr gelesen werden. Wo finde ich in zwanzig Jahren digitale Magazine der 1990er Jahre?“

Was den Bogen zu meiner gestrigen Problematisierung der Frage einer Langzeitarchivierung nicht nur der Inhalte sondern auch der Systeme spannt. Es ist zu vermuten, dass sich die Idee hybrider (bzw. sich parallel entfaltender) Medienkulturen – also sowohl auf Trägermedien wie Papier materialisierte als auch digitale, dynamische –  umso stärker stabilisiert, je ausgeprägter und verbreiterter das Verständnis für diese Herausforderung der digitalen Langzeitbewahrung wird. Für digitale Inhalte und ihre Darstellung werden wir uns darüber hinaus, so wie es jetzt aussieht, an Haltbarkeits- und Verfallsdaten gewöhnen müssen. Dies im Bewusstsein könnte bzw. sollte das Forschungsfeld digitaler Lebenszyklen von Dokumenten durch die Bibliothekswissenschaft gleich neben dem Großthema der digitalen Langzeitarchivierung bearbeitet werden.

(Berlin, 11.11.2015)

Peter Wagner, Horst Moser: „Im Magazinmachen steckt die Sehnsucht, unsterblich zu werden“. Interview. In: Das Buch als Magazin als Blog. 10.11.2015

11. November 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | Kein Kommentar »
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Wie langzeitarchiviert man Enhanced Publications?

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

1.

Das Thema Datenjournalismus bleibt, erwartungsgemäß, überall dort ein zentrales Diskursobjekt, wo es um digitalen Journalismus geht. Auf der Technologieseite von Vox Media arbeitet Simon Rogers entsprechende Chancen (Zugang) und Herausforderungen (Archivierung) auf und erneut zeigen sich Parallelen zu den Digital Humanities.

„[T]he web has revolutionized online journalism so that the way we consume the news changes daily; the basics of modern data journalism are grounded in that ability to visualize that data in more and more sophisticated ways.“

Ersetzen wir „online journalism“ durch „digital research“, „news“ durch „research publications“ sowie „modern data journalism“ durch „Digital Humanities“, lässt sich der Satz problemlos in jeden Sammelbandbeitrag für eine Tagung zum Thema Digitalisierung der Geisteswissenschaften einpassen.

Hervorzugeben ist ein Aspekt, der uns aus Sicht der Bibliothekswissenschaft abstrakt und bei Fu-PusH sehr konkret beschäftigt. Für die Datenvisualisierung, bekanntermaßen auch Kernelement erweiterter Forschungsdatenpublikationen, ist die Langzeitarchivierung ein ungelöstes Problem. Was man vom Forschungsoutput der Projektwissenschaft sehr gut kennt, steht auch hier im virtuellen Raum:

„Much of it has become a victim of code rot – allowed to collapse or degrade so much that as software libraries update or improve, it is left far behind. Now when you try to find examples of this work, as likely as not you will end up at a 404 page.“

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Was Digital Humanities und digitalen Journalismus verbindet.

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

1.

Im Juli fragte ich in einem Blogposting Gibt es Schnittmengen zwischen digitalem Journalismus und digitaler Wissenschaftskommunikation? und bot als Antwort ein gewisses Ja an. Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften, bei denen Analysen sehr narrativiert kommuniziert werden, liegt die Parallele nah. (Ein schönes Beispiel für narrative Grenzgänger bietet unter anderem die, nun ja, Reportage-Studie Floating City von Sudhar Venkatesh, vgl. ausführlicher und auch hier). Das Herz des Journalismus schlägt wenigstens mit einer Kammer genau an dieser Stelle, die man gemeinhin Storytelling nennt. Auch die andere Kammer, die so genannten Listicles und anderen Metakuratierungen bestehender Webinhalte, sind gleichfalls ein Ansatz, der sich im Kontext von Meta- und Overlay-Journals in den Kontext wissenschaftlicher Publikationskulturen einbringen lässt, wobei Buzzfeed natürlich nur sehr bedingt ein direktes Vorbild sein sollte.

Kurioserweise ist das Buzzfeed-Modell das aktuell erfolgreichste Orientierungsmuster für den digitalen Journalismus, wie die Fachexpertin Emily Bell in einem aktuellen Interview gleich mehrfach betont. Spannend ist hier der Aspekt der Arbeitsteilung bei der Aufbereitung von Inhalten: …weiterlesen »

Eine Notiz zum Start des geisteswissenschaftlichen Megajournals Open Library of Humanities.

von Ben Kaden (@bkaden)

Ende September gab es ein Ereignis, auf das wir aus der Fu-PusH-Perspektive unbedingt noch hinweisen müssen. Mit der Open Library of Humanities ging ein geisteswissenschaftliches Metajournal online, das versucht, den digitalen Möglichkeiten und den Ansprüchen der Zielgruppen gleichermaßen gerecht zu werden. Der Wille, etwas Neues zu schaffen, zeigt sich bereits im Veröffentlichungszyklus. Der Wille, ganz oben auf der Reputationsskala nicht etwa zu landen sondern gleich zu starten zeigt sich in der sehr selbstbewussten Selbstbeschreibung:

„The Open Library of Humanities journal publishes internationally-leading, rigorous and peer-reviewed scholarship across the humanities disciplines: from classics, theology and philosophy, to modern languages and literatures, film and media studies, anthropology, political theory and sociology.“

Die geplante wöchentliche Erscheinungsweise folgt dem Modell der großen naturwissenschaftlichen Titel und strukturell wie namenstechnisch sicher nicht zufällig der Public Library of Science (PLOS).

Das Modell des Meta- bzw. Megajournals impliziert, dass es sich nicht um eine einzelne Zeitschrift sondern um eine Plattform handelt, auf der unterschiedliche Zeitschriften (oder thematische Kollektionen) erscheinen können. Das alles geschieht Open Access und ohne Article Processing Charges, die für viele GeisteswissenschaftlerInnen ohnehin eine kaum zu nehmende Hürde darstellen. Die Ursache liegt besonders in Großbritannien und den USA auch darin, dass den Geisteswissenschaften große Teile der Förderung weggestrichen werden (in Japan versucht man offenbar, sie völlig aufzulösen). Die Kosten bei der OLH werden stattdessen von einem Bibliothekskonsortium getragen, dass um den Wert dieser Fächer genauso weiß, wie darum, dass die geisteswissenschaftliche Wissenschaftskommunikation dringend eine neue und gegenwartstaugliche Fassung benötigt. Damit erhält übrigens en passant die in den Fu-PusH-Interviews oft und intensiv diskutierte Frage, inwieweit Bibliotheken selbst als publizierende Akteure aktiv werden sollten, eine Antwort: Sie finanzieren kollaborativ eine übergeordnete Plattform, die außerhalb des kommerziellen Verlagswesens stehend Open Access als Non-Profit-Variante ermöglicht:

„Indeed, the model that underpins the platform is novel for humanities journals: many libraries all paying relatively small sums into a central fund that we then use, across our journal base, to cover the labour costs of publication once material has passed peer review. Libraries that participate are given a governance stake in the admission of new journals. While this model is strange in many ways (as libraries are not really buying a subscription since the material is open access), it works out to be extremely cost effective for participants. In our first year, across the platform, we look set to publish around 150 articles. For our bigger supporting institutions, this is a cost of merely $6.50 per article. For our smallest partners, it comes to $3.33. This economy of charitable, not-for-profit publishing works well at 100 institutions. It should work even better with the 350 libraries that we are aiming to recruit to our subsidy scheme in the first 3 years after launch.“

Hier besteht also auch für das deutsche Bibliothekswesen noch genügend Spielraum, sich zu positionieren.

Mit der Finanzierung wirkt offensichtlich auch eine bibliothekarische Kompetenz in das Projekt hinein. Die OLH übernimmt nicht nur vorgegebene Lösungen, sondern möchte selbst als Pilot neue Publikationsvarianten sowohl technisch wie auch organisatorisch anregen, was uns aus Sicht eines zugegeben sehr viel winzigeren Forschungsprojektes mit nicht ganz unähnlicher Ausrichtung selbstverständlich hochsympathisch ist. Die Bandbreite der Aufzählung mit den Entwicklungsfeldern deckt die Bedarfe, die uns die befragten GeisteswissenschaftlerInnen sowie VertreterInnen aus dem Bereich der Wissenschaftsinfrastruktur nannten, mehr als ab:

„including multi-lingual publishing, inter-lingual translation facilities, annotation and pedagogical integration, and post-publication peer review/discussion.“

Mehrsprachiges Publizieren ist in den deutschen Geisteswissenschaften nämlich eher ein Nebenthema und auch die pädagogische Komponente (= Lehre) ist nicht übermäßig präsent. Aus bibliothekswissenschaftlicher Sicht ist zudem ein weiterer Anspruch des Angebots hochinteressant:

„[t]o improve further the indexing and discoverability of our platform through cross-site search and integration with a range of aggregation services that feed into library platforms“

Aus der Berliner Sicht wünschten wir uns natürlich, dass lieber früher als später auch die deutsche Bibliothekswissenschaft den Anschluss an solche Projekte findet.

Dass das Unterfangen ein Wagnis ist, wissen auch Martin Eve und Caroline Edwards, die Direktoren der OLH. In ihrem Einstiegseditorial betonen sie, dass, obschon es eigentlich kaum einen guten Zeitpunkt zur Gründung eines Journals gibt, das Jahr 2015 ein besonders wenig günstiger Moment ist. Man könnte da sicher auch Gegenargumente finden, aber an sich stimmt die Zeitdiagnose, aus der diese Einsicht entspringt: das Digitale bietet unvergleichliche technische Möglichkeiten und führt zu schwer absehbaren sozialen Erwartungen. Parallel verlieren geisteswissenschaftliche Zeitschriften massiv an Bedeutung, was unter anderem daran liegt, dass die Bibliotheken aufgrund steigender Subskriptionskosten (in der Regel für nicht-geisteswissenschaftliche Materialien) gezwungen sind, Titel abzustellen. Andererseits, so die Autoren, ist Open Access eine riesige Chance und zwar dahingehend, dass die Geisteswissenschaften durch die neuen Disseminationsmöglichkeiten befähigt werden, die Grenzen ihrer Fachcommunities zu überschreiten und eine deutlich größere Öffentlichkeit zu erreichen.

Dafür, dass das gelingt, nahm man sich Zeit und entwickelte in zweieinhalb Jahren, also mit bibliothekarischer Gründlichkeit, ein Konzept, dessen Umsetzung auch zuversichtlich den Aspekt des Wachstums („scalability“) enthält. Ob diese Planung aufgeht, ist freilich noch nicht abzusehen und hängt maßgeblich von der Akzeptanz in den jeweiligen Fachgemeinschaften ab. Als Versuch wirkt die OLH aber außerordentlich vielversprechend und ist ein schönes zweites Modelle neben der bisher in der Anmutung doch noch deutlich eleganteren Blog-Plattform Hypotheses um geisteswissenschaftliche Fachkommunikation mit den Bedingungen und Möglichkeiten des Digitalen angemessen und vielleicht auch ein wenig mutig zu interpretieren. Ob das perspektivisch eher mit WordPress oder Open Journal Systems oder beidem oder einer neuen technischen Grundlage geschieht, wird sich dann auch noch zeigen.

Martin Eve, Caroline Edwards: Opening the Open Library of Humanities. Editorial. In: Open Library of Humanities, Vol.1, Iss. 1. DOI: 10.16995/olh.46

 

 

Als Gruß nach Zürich (#oat15): Ein Blick in die FAZ-Berichterstattung zum Thema Open Access im Jahr 2003.

von Ben Kaden (@bkaden)

Nachdem Hubertus Kohle heute bei seiner Keynote zur Eröffnung der Open-Access-Tage 2015 in Zürich offenbar erneut auf die Bemühungen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hinwies, den öffentlichen Diskurs zu Open Access mit, nun ja, kritischen Noten zu versehen


haben wir fast ein wenig aus Nostalgie noch einmal im Archiv nachgesehen, was da unter stimmungsprägenden Überschriften wie „Billiger lesen“ (Ausgabe vom 29.04.2015, Nr. 99, S. 13) und „Schmerzen der Wende“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.05.2015, Nr. 104, S. N4) in der jüngeren und älteren Vergangenheit tatsächlich zu Open Access kommuniziert wurde.

Den Rückblick auf die rhetorischen und konzeptionellen Besonderheiten des Heidelberger Appells sparen wir uns und lesen lieber im ersten Beitrag, den wir im FAZ/FAS-Archiv zum Thema ermitteln konnten. In diesem langen Bericht im Wissenschaftsteil der Sonntagszeitung setzte sich Ulf von Rauchhaupt im Oktober 2003 und damit Nachgang mit der Berliner Erklärung solide und differenziert zunächst mit den Gründen selbst für den Trend Richtung OA und dann auch mit den Folgen auseinander.

Zu den Auslösern der Bewegung heißt es: …weiterlesen »

7. September 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | 1 Kommentar »
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Die FAZ über Universitätsverlage und die Rolle der Bibliothek für die Wissenschaft.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicht heute (Mittwoch, 02.09.2015) auf ihrer Seite Forschung und Lehre (N4) gleich zwei Beiträge, die unmittelbar für die Domäne, in welcher Fu-PusH forscht, relevant sind. Einerseits befasst sich Magnus Klaue mit dem Phänomen der Universitätsverlage und den Unterschieden zwischen den deutschen und den angloamerikanischen Modellen. Den Ausgangspunkt des Artikels bietet die Bedeutung solcher Verlage vor allem für die Publikation von Qualifikationsarbeiten, die es in den Geisteswissenschaften zeitnah und möglichst einschlägig mit Renommé umzusetzen gilt:

„Erscheint eine Dissertation später als drei Jahre nach Abschluss des Promotionsverfahrens, kann es Probleme mit dem Erhalt des akademischen Titels geben. Erscheint die Arbeit in einer wenig renommierten Reihe, mindert das die Chance von Rezensionen. Die meisten geisteswissenschaftlichen Dissertationen werden, obwohl digitale Publikationsmöglichkeiten bestehen, noch immer in traditionellen Wissenschaftsverlagen herausgebracht.“

In Deutschland ist das vergleichsweise teuer und mühsam. Die Hausverlage von Universitäten in den USA oder Großbritannien haben neben den offenbar einfacheren Publikationsmöglichkeiten gegenüber ihren deutschen Gegenstücken oft auch den Vorteil, dass sie als Verlag eine Reputation besitzen, die den deutschen Universitätsverlagen in der Regel fehlt. Zudem schlagen sie die Brücke zwischen der wissenschaftlichen und der außerakademischen Öffentlichkeit. Ein Fachbuch gelangt so auch auf den Sachbuchmarkt und ist, sofern das Lektorat gute Arbeit leistet, auch für ein allgemeines Publikum interessant.

In Deutschland, so merkt Magnus Klaue an, werden die beiden Öffentlichkeiten häufig streng getrennt gesehen. Tatsächlich bestätigen auch die Fu-PusH-Interviews, dass hierzulande wissenschaftliche Publikationen für den allgemeinen Publikumsmarkt eine große Ausnahme darstellen.

Zusammenfassend stellt der Autor fest: …weiterlesen »

2. September 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | Kein Kommentar »
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