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»Alles Relevante auf Papier, alles andere ins Netz«? Zur Doppelläufigkeit gegenwärtiger Medienkulturen.

Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)

Betrachtet man die Trends im geisteswissenschaftlichen Publizieren, stellt man nach wie vor eine erhebliche Affinität zum Trägermedium Papier ergo zum gedruckten (vor allem) Buch fest. Woher diese Präferenz stammt, ist nicht immer leicht zu begründen. Häufig verweist man auf den Aspekt der Sozialisierung. Dass dem nicht unbedingt so sein muss, zeigt ein Blick auf die blühende Kultur der Magazine, die wenigstens im Independent-Bereich maßgeblich von Akteuren geprägt ist, die ganz unbefangen in digitalen bzw. postdigitalen Kultur- und Kommunikationsräumen leben. Im Tumblr-Blog des Magazins Das Buch als Magazin gibt es aktuell ein Interview mit dem Magazinherausgeber und -sammler Horst Moser, das einige interessante Aspekte zum Verständnis enthält. So stellt er fest:

„Es gibt eine starke Sehnsucht, sich auf Papier zu verewigen, als Reaktion auf die flüchtige digitale Welt. Und das neue daran ist, dass es nicht Nostalgiker sind, sondern die junge Avantgarde. Print hat seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den digitalen Bewegtbildmedien abgelegt.“

Es scheint tatsächlich ein generationales Element zu sein, was die Menschen beim Druck hält. Aber nicht, wie oft vermutet, als rückständige Prägung, sondern bestimmt durch den Wunsch, dass auch zukünftige Generationen die eigenen Werke bzw., für die Wissenschaft, die eigenen Erkenntnisse, Aussagen und Argumente bei ihrer Kulturwahrnehmung berücksichtigen mögen. Oder kurz:

„Im Kern ist es die Sehnsucht, unsterblich zu werden. Sie verspüren einen Drang, etwas mitteilen zu wollen, und zwar auf einem Material von Dauer, auf Papier.“

Moser zitiert die Ansicht »Alles Relevante auf Papier, alles andere ins Netz«. Diese Differenzierung trifft man auch bei nicht wenigen Geisteswissenschaftlern an, wenn man sie nach den Potentialen des digitalen Publizierens und der Verwendung sozialer Medien als Publikationsplattformen befragt. Weblogs werden, wenn überhaupt, hauptsächlich als Prozessdokumentationen zur Forschungsarbeit akzeptiert. Auch der Blick in die Open-Access-Repositorien zeigt, dass dort eher Nebenpublikationen landen, die oft den Cut für eine ordentliche Verlagsveröffentlichung nicht schaffen und manchmal ein Einzelaufsatz aus einer lang vergriffenen Anthologie. Selbst von Verlagen publizierten E-Medien gelten gegenüber gedruckten Ausgaben häufig nur als zweite Wahl. Es ist, wenigstens heute im Jahr 2015, ausgerechnet die digitale Empirie, die diese Zurückhaltung im Publikationsverhalten stützt. Die Erfahrungen mit der Langzeitverfügbarkeit digitaler Dokumente sind naturgemäß noch sehr gering. Aber bereits die Kurzzeitverfügbarkeit über nur wenige Jahre ist oft nicht gewährleistet, wie Moser bestätigt:

„Viele unserer digitalen Archive sind nicht mehr aktivierbar. Alte Quarkdokumente kann ich nicht mehr öffnen. Die dazugehörigen Fonts sind auf Disketten. Kein Apple hat mehr ein Diskettenlaufwerk. Das gleiche bei ZIP-Speichern. Es fehlen die Lesegeräte. Dann gab’s diverse Plattencrashs. Wir haben zwar in der Regel eine doppelte Sicherung, auf Band und auf Raidsystemen. Aber auch hier gibt’s den Gau, dass also beide Systeme gleichzeitig versagen oder kaputt sind. Ich habe auch viele Fotoarchive meiner eigenen digitalen Bilder verloren. Wenn man sich vorstellt, wie das in hundert oder 500 Jahren aussieht, fürchte ich, dass dann 95 Prozent verloren sind. Das passiert ja selbst der NASA. Viele Daten von den Mondlandungen aus den Siebziger Jahren können nicht mehr gelesen werden. Wo finde ich in zwanzig Jahren digitale Magazine der 1990er Jahre?“

Was den Bogen zu meiner gestrigen Problematisierung der Frage einer Langzeitarchivierung nicht nur der Inhalte sondern auch der Systeme spannt. Es ist zu vermuten, dass sich die Idee hybrider (bzw. sich parallel entfaltender) Medienkulturen – also sowohl auf Trägermedien wie Papier materialisierte als auch digitale, dynamische –  umso stärker stabilisiert, je ausgeprägter und verbreiterter das Verständnis für diese Herausforderung der digitalen Langzeitbewahrung wird. Für digitale Inhalte und ihre Darstellung werden wir uns darüber hinaus, so wie es jetzt aussieht, an Haltbarkeits- und Verfallsdaten gewöhnen müssen. Dies im Bewusstsein könnte bzw. sollte das Forschungsfeld digitaler Lebenszyklen von Dokumenten durch die Bibliothekswissenschaft gleich neben dem Großthema der digitalen Langzeitarchivierung bearbeitet werden.

(Berlin, 11.11.2015)

Peter Wagner, Horst Moser: „Im Magazinmachen steckt die Sehnsucht, unsterblich zu werden“. Interview. In: Das Buch als Magazin als Blog. 10.11.2015

11. November 2015 | Veröffentlicht von Ben Kaden | Kein Kommentar »
Veröffentlicht unter Allgemein

Eric Steinhauer über einen Aufsatz zur Zukunft des geisteswissenschaftlichen Buches

Die Januarausgabe von Merkur – Zeitschrift für europäisches Denken ist etwas, was im Fu-PusH-Büro ebenso wie beispielsweise auch noch die #1 der Zeitschrift Grundlagenforschung auf dem To-Read-Stapel liegt. Wir beklagen uns natürlich nicht über das, was man Publikationsflut oder Information Overload nennt, denn wer in einer Disziplin sozialisiert wurde, die permanent über die Unmöglichkeit, das Publizierte möglichst zeitnah in eine einfache und handhabbare Form für die zeitnahe Benutzung als Bibliotheksbestand reflektiert, weiß, dass solche Überschwemmungseffekte keine Neuigkeit darstellen.

Betrüblich ist einzig, dass man viele Diskursbeiträge, die hochrelevant sind und die man eigentlich würdigen möchte, nicht zureichend würdigen kann. Plötzlich ist ein Monat vorüber und die nächsten Neuerscheinungen liegen auf dem Tisch und wollen gesichert, oft auch gelesen und hin und wieder auch wenigstens referiert werden.

Für einen Aufsatz aus dem Jahresauftaktschwerpunkt „Die Gegenwart des Digitalen“ hilft uns glücklicherweise Eric Steinhauer in seinem Weblog Skriptorium aus. Er hat nämlich den für Fu-PusH äußerst einschlägigen Aufsatz Die Gefährdung des geisteswissenschaftlichen Buches. Die USA, Frankreich und Deutschland im Vergleich. von Caspar Hirschi und Carlos Spoerhase nicht nur gelesen sondern referiert ihn auch gleich in etwa so, wie wir es gern längst getan hätten. Dabei kommt er zu folgender Einschätzung:

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