Open Access in Berlin: Heiße Luft oder Hot Topic?

Ein Gastbeitrag von Anne Baillot

Nach der Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities 2003 schien sich bis zum 10jährigen Jubiläum derselben in der Hauptstadt in Sachen Open Access noch nicht sehr viel bewegt zu haben. Die Tatsache, dass die Implementierung der im Jahr 2003 unterzeichneten Ziele einige Institutionen nach wie vor vor große Herausforderungen stellte, regte den Einstein-Zirkel Digital Humanities 2015 dazu an, in Form von Interviews mit VertreterInnen einschlägiger Forschungseinrichtungen aus Berlin und Brandenburg den Status quo in der geisteswissenschaftlichen Forschung zu erheben, Best Practices zu erfassen und Zukunftsperspektiven darzustellen. Doch noch ehe die Interviewergebnisse ausgewertet und veröffentlicht werden konnten, hat die Thematik eine neue Dimension gewonnen. Open Access gehört inzwischen zur Digitalen Agenda der Hauptstadt; die Max-Planck-Gesellschaft hat eine Gold-OA-Offensive unter dem Banner „OA2020“ hervorgetrommelt und in einem offiziellen Amtsakt wird eine neue Bekräftigung der Berliner Erklärung von einigen Schlüsselakteuren veröffentlicht und beworben. Zentral scheint nicht nur die Frage zu sein, welche Formen von Wissenschaft Open Access ermöglichen, sondern auch, wenn nicht vorrangig, welche Art von Wissenschaftspolitik.

Das Open-Access-Kapitel des vom Einstein-Zirkel vorbereiteten Sammelbandes, der im Juni 2016 unter dem Titel Berliner Beiträge zu den Digital Humanities erscheinen wird, widmet sich dem Thema Open Access in den Geisteswissenschaften. Es enthält neben Aufsätzen (bereits als Preprint: „Open Humanities?“ von Michael Kleineberg) die Ergebnisse und das Wortlaut von 2015 an einschlägigen Einrichtungen durchgeführten Interviews zum Thema Open Access. Ausgangspunkt der Reflexion war die einmalige Situation der deutschen Hauptstadt, in der Open Access geisteswissenschaftlich Forschende an den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ebenso betrifft wie GLAM-Einrichtungen (Galerien, Bibliotheken, Archive, Museen). Es ist diese einmalige Berlin-Brandenburgische Landschaft, die in den Mittelpunkt der Open Access-Interviews gerückt wurde.

Die Interviews gehen auf die breit gefächerten, auf die Bedürfnisse der jeweiligen Einrichtung zugeschnittenen, in den Jahren seit der Berlin Declaration jeweils entwickelten Portfolios ein. Der pragmatische Teil der Auseinandersetzung mit dem Open-Access-Prinzip im Bereich der geisteswissenschaftlichen Forschung wird damit deutlich: Wer Lust hat, Open Access zu publizieren, findet in Berlin und Umgebung in seiner Einrichtung einen erprobten Weg, dies zu tun. Doch die Hauptfrage bleibt: Wer hat Lust, Open Access zu publizieren, und wer kann es sich leisten? An dieser Stelle gilt es zu unterstreichen, dass trotz der ebenfalls vielfältigen Beratungsangebote der jeweiligen Einrichtungen die Kluft zwischen Reputation und Leserschaft bei den WissenschaftlerInnen nach wie vor nicht überbrückt zu sein scheint: Papier ist für die Reputation, Open Access um gelesen zu werden, wobei Ersteres die akademischen Karrieren dominiert.

Aber es geht bei Weitem nicht nur um akademische Karrieren. Ein Blick nach Frankreich, wo die Verankerung von Text und Data Mining im neu entstehenden „Digitalen Gesetz“ von WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen im Gespräch mit einander ausgearbeitet und debattiert wird (vgl. die Wiedergabe der Vorschläge und Gegenvorschläge zum neuen Gesetz unter dem Hashtag #PJLNumerique und auf der Webseite des Französischen Senats zu diesem Gesetz), zeigt, dass die politische, wirtschaftliche, aber auch beispielsweise gesundheitsökonomische Brisanz von Open Access, gekoppelt mit juristischen Fragen wie dem Schutz der Privatsphäre, unsere Zukunft entscheidend prägen wird. Und deswegen sollte es nicht nur darum gehen, sich zu fragen, ob NachwuchswissenschaftlerInnen ihre Preprints online stellen sollten (die Antwort darauf ist eindeutig: Ja!), und auch nicht darum, ob Bücher abgeschafft werden sollen (die Antwort darauf ist eindeutig: Nein!), sondern, welche Zivilgesellschaft dadurch entsteht, dass sie zu dieser Art von Wissen Zugang hat: Wie bringen wir unseren Kindern bei, das Internet sinnvoll zu nutzen? Welche juristischen Weichen können wir heute stellen? Wie können wir dafür sorgen, dass das, was wir heute Open Access veröffentlichen, morgen noch zugänglich sein wird? Diese Fragen sind die der Digital Humanities.

3 Kommentare zu “Open Access in Berlin: Heiße Luft oder Hot Topic?

    1. Lieber Marc, leider wurde der Sammelband nie veröffentlicht. Allerdings werden die geplanten Beiträge von Fu-PusH in anderer Form publiziert. Beste Grüße, Michael Kleineberg

Schreiben Sie einen Kommentar

(erforderlich)