von Ben Kaden (@bkaden)
Ende September gab es ein Ereignis, auf das wir aus der Fu-PusH-Perspektive unbedingt noch hinweisen müssen. Mit der Open Library of Humanities ging ein geisteswissenschaftliches Metajournal online, das versucht, den digitalen Möglichkeiten und den Ansprüchen der Zielgruppen gleichermaßen gerecht zu werden. Der Wille, etwas Neues zu schaffen, zeigt sich bereits im Veröffentlichungszyklus. Der Wille, ganz oben auf der Reputationsskala nicht etwa zu landen sondern gleich zu starten zeigt sich in der sehr selbstbewussten Selbstbeschreibung:
„The Open Library of Humanities journal publishes internationally-leading, rigorous and peer-reviewed scholarship across the humanities disciplines: from classics, theology and philosophy, to modern languages and literatures, film and media studies, anthropology, political theory and sociology.“
Die geplante wöchentliche Erscheinungsweise folgt dem Modell der großen naturwissenschaftlichen Titel und strukturell wie namenstechnisch sicher nicht zufällig der Public Library of Science (PLOS).
Das Modell des Meta- bzw. Megajournals impliziert, dass es sich nicht um eine einzelne Zeitschrift sondern um eine Plattform handelt, auf der unterschiedliche Zeitschriften (oder thematische Kollektionen) erscheinen können. Das alles geschieht Open Access und ohne Article Processing Charges, die für viele GeisteswissenschaftlerInnen ohnehin eine kaum zu nehmende Hürde darstellen. Die Ursache liegt besonders in Großbritannien und den USA auch darin, dass den Geisteswissenschaften große Teile der Förderung weggestrichen werden (in Japan versucht man offenbar, sie völlig aufzulösen). Die Kosten bei der OLH werden stattdessen von einem Bibliothekskonsortium getragen, dass um den Wert dieser Fächer genauso weiß, wie darum, dass die geisteswissenschaftliche Wissenschaftskommunikation dringend eine neue und gegenwartstaugliche Fassung benötigt. Damit erhält übrigens en passant die in den Fu-PusH-Interviews oft und intensiv diskutierte Frage, inwieweit Bibliotheken selbst als publizierende Akteure aktiv werden sollten, eine Antwort: Sie finanzieren kollaborativ eine übergeordnete Plattform, die außerhalb des kommerziellen Verlagswesens stehend Open Access als Non-Profit-Variante ermöglicht:
„Indeed, the model that underpins the platform is novel for humanities journals: many libraries all paying relatively small sums into a central fund that we then use, across our journal base, to cover the labour costs of publication once material has passed peer review. Libraries that participate are given a governance stake in the admission of new journals. While this model is strange in many ways (as libraries are not really buying a subscription since the material is open access), it works out to be extremely cost effective for participants. In our first year, across the platform, we look set to publish around 150 articles. For our bigger supporting institutions, this is a cost of merely $6.50 per article. For our smallest partners, it comes to $3.33. This economy of charitable, not-for-profit publishing works well at 100 institutions. It should work even better with the 350 libraries that we are aiming to recruit to our subsidy scheme in the first 3 years after launch.“
Hier besteht also auch für das deutsche Bibliothekswesen noch genügend Spielraum, sich zu positionieren.
Mit der Finanzierung wirkt offensichtlich auch eine bibliothekarische Kompetenz in das Projekt hinein. Die OLH übernimmt nicht nur vorgegebene Lösungen, sondern möchte selbst als Pilot neue Publikationsvarianten sowohl technisch wie auch organisatorisch anregen, was uns aus Sicht eines zugegeben sehr viel winzigeren Forschungsprojektes mit nicht ganz unähnlicher Ausrichtung selbstverständlich hochsympathisch ist. Die Bandbreite der Aufzählung mit den Entwicklungsfeldern deckt die Bedarfe, die uns die befragten GeisteswissenschaftlerInnen sowie VertreterInnen aus dem Bereich der Wissenschaftsinfrastruktur nannten, mehr als ab:
„including multi-lingual publishing, inter-lingual translation facilities, annotation and pedagogical integration, and post-publication peer review/discussion.“
Mehrsprachiges Publizieren ist in den deutschen Geisteswissenschaften nämlich eher ein Nebenthema und auch die pädagogische Komponente (= Lehre) ist nicht übermäßig präsent. Aus bibliothekswissenschaftlicher Sicht ist zudem ein weiterer Anspruch des Angebots hochinteressant:
„[t]o improve further the indexing and discoverability of our platform through cross-site search and integration with a range of aggregation services that feed into library platforms“
Aus der Berliner Sicht wünschten wir uns natürlich, dass lieber früher als später auch die deutsche Bibliothekswissenschaft den Anschluss an solche Projekte findet.
Dass das Unterfangen ein Wagnis ist, wissen auch Martin Eve und Caroline Edwards, die Direktoren der OLH. In ihrem Einstiegseditorial betonen sie, dass, obschon es eigentlich kaum einen guten Zeitpunkt zur Gründung eines Journals gibt, das Jahr 2015 ein besonders wenig günstiger Moment ist. Man könnte da sicher auch Gegenargumente finden, aber an sich stimmt die Zeitdiagnose, aus der diese Einsicht entspringt: das Digitale bietet unvergleichliche technische Möglichkeiten und führt zu schwer absehbaren sozialen Erwartungen. Parallel verlieren geisteswissenschaftliche Zeitschriften massiv an Bedeutung, was unter anderem daran liegt, dass die Bibliotheken aufgrund steigender Subskriptionskosten (in der Regel für nicht-geisteswissenschaftliche Materialien) gezwungen sind, Titel abzustellen. Andererseits, so die Autoren, ist Open Access eine riesige Chance und zwar dahingehend, dass die Geisteswissenschaften durch die neuen Disseminationsmöglichkeiten befähigt werden, die Grenzen ihrer Fachcommunities zu überschreiten und eine deutlich größere Öffentlichkeit zu erreichen.
Dafür, dass das gelingt, nahm man sich Zeit und entwickelte in zweieinhalb Jahren, also mit bibliothekarischer Gründlichkeit, ein Konzept, dessen Umsetzung auch zuversichtlich den Aspekt des Wachstums („scalability“) enthält. Ob diese Planung aufgeht, ist freilich noch nicht abzusehen und hängt maßgeblich von der Akzeptanz in den jeweiligen Fachgemeinschaften ab. Als Versuch wirkt die OLH aber außerordentlich vielversprechend und ist ein schönes zweites Modelle neben der bisher in der Anmutung doch noch deutlich eleganteren Blog-Plattform Hypotheses um geisteswissenschaftliche Fachkommunikation mit den Bedingungen und Möglichkeiten des Digitalen angemessen und vielleicht auch ein wenig mutig zu interpretieren. Ob das perspektivisch eher mit WordPress oder Open Journal Systems oder beidem oder einer neuen technischen Grundlage geschieht, wird sich dann auch noch zeigen.
Martin Eve, 10.16995/olh.46
Opening the Open Library of Humanities. Editorial. In: Open Library of Humanities, Vol.1, Iss. 1. DOI: